LIFE

Foto© by Luke Hallett

An der Nordostküste

Wir treffen Mez, den Sänger der britischen Post-Punk-Band LIFE, online zum Interview, um über das neue Album „North Eastern Coastal Town“ zu sprechen, das nach den mittlerweile fast üblichen Produktionsverzögerungen nun doch erst Mitte August erscheint. Abgesehen von den gesellschaftskritischen Themen, drehen sich die Texte darauf auch um ihre Heimatstadt Hull. Kurioserweise tobt an diesem Abend ein Sturm, wie sich das für einen Küstenort gehört.

Mez, ihr habt am Wochenende auf einem Festival in Frankreich gespielt, wie war’s?

Ja, es war schön. Ich bin aber immer noch total müde und die Reise dorthin war ein echter Alptraum für mich. Ich hatte meinen Ausweis daheim vergessen. Stattdessen habe ich aus Versehen den von meiner Freundin mitgenommen und vorgezeigt, haha. Als ich einsteigen wollte, machte man mich darauf aufmerksam, dass das mit Sicherheit nicht ich bin. Also musste ich von Manchester wieder zurück nach Hull fahren, um meinen eigenen zu holen, was ungefähr zweieinhalb Stunden gedauert hat. Die Band ist schon vorgefahren und ich musste meinen Fehler alleine ausbaden, haha.

Eure Band heißt LIFE, in Großbuchstaben. Soll das eine Art Warnung sein, dass man das Leben ernst nehmen sollte, weil man nur eines hat?
Wir haben uns darüber nicht wirklich ernsthaft Gedanken gemacht. Was aber vielleicht gut gewesen wäre, denn eigentlich ist es eine richtige dumme Wahl für einen Bandnamen, haha. Es ist schwer, uns damit im Internet zu finden. Das war zumindest der Grund, warum wir es in Großbuchstaben geschrieben haben, um das etwas einfacher zu machen. Aber letztendlich geht es ja auch immer um das Leben – alles dreht sich um das Leben. Selbst wenn man nur in den Supermarkt geht, geht es darum, dieses oder jenes zu kaufen, weil es angeblich besser für dein Leben ist. Man wird ständig mit Tipps für ein gutes Leben versorgt und versucht, ein gutes Leben zu führen. Das war so die Idee, die wir hatten, aber eigentlich haben wir uns damit ein bisschen ins eigene Knie geschossen, haha.

Eure Band wirkt auf mich sehr humorvoll, was eure Musik betrifft, backstage und auf der Bühne. Aber ihr legt konstant den Finger in die Wunden der Gesellschaft und sprecht wichtige Themen an. Würdest du LIFE als eine positive Band bezeichnen?
Ja, auf jeden Fall, und wir sind schon sehr froh darüber, als vier beste Freunde gemeinsam unsere Standpunkte auf der Bühne in dieser Form vertreten zu können. Natürlich wollen wir Spaß haben und mögen in erster Linie die Energie der Musik. Aber es ist uns wichtig, auch wenn wir es nicht wirklich mit Vorsatz tun, immer wieder auf das normale Leben mit all seinen Tücken Bezug zu nehmen. Da finden die Probleme statt, die die Menschen haben. Ganz normale Menschen, die einfach so ihr Ding machen müssen. Wir hatten alle vor der Band Jobs, die einen sozialen Bezug haben, sind es also gewohnt, darauf zu achten, was um uns herum passiert. Das geben wir genauso weiter, beschönigen oder zensieren auch nichts. Mein Bruder Mick, der bei uns die Texte schreibt, und ich, merken immer wieder, dass sich von dieser Perspektive aus auch immer wieder ein großes Thema ergibt, das alle angeht.

Das Album wirkt weniger hibbelig im Vergleich zum letzten, es erscheint geordneter. Wann und unter welchen Umständen ist es entstanden?
Ja, es klingt auf jeden Fall etwas entspannter. Und wahrscheinlich ist das tatsächlich der Pandemie geschuldet, weil wir ganz anders arbeiten mussten. Im März 2020 haben wir in den USA gespielt, diese Tour mussten wir abbrechen. Und am Flughafen hier in England haben wir uns dann getrennt und erst mal lange nicht wiedergesehen. Um unsere Energie irgendwie zu kanalisieren, blieb uns nur die Möglichkeit, uns online auszutauschen und neue Musik zu machen. Das war unsere ganz eigene Blase. Die verfügbare Zeit hat uns also in Teilen auch in die Hände gespielt, da wir uns diesem Prozess viel intensiver widmen konnten. Und auch unser Blick auf die eigene, direkte Umgebung hat sich durch die Pandemie verändert. Wir haben ein viel besseres Gespür dafür entwickelt, was um uns direkt passiert und von wie vielen netten Menschen wir hier im privaten Umfeld getragen werden. Wir konnten auf etwas ganz anderes zurückgreifen, was wir bei den letzten beiden Alben nicht zur Verfügung hatten.

Ihr habt also eine ganz andere Energie eingebracht?
Ja, irgendwie schon, wobei es eigentlich eher ein anderer Fokus war. Diese komplette Konzentration auf das Album hat auch dafür gesorgt, dass wir viel mehr herumexperimentiert haben. Die letzten beiden Alben sind eher wuselig und hektisch entstanden. Über diesen Punkt sind wir aber mittlerweile hinaus, diese wirklich schreckliche Situation hat uns die Möglichkeit gegeben, dem auch irgendetwas Gutes abzugewinnen.

Geschrieben habt ihr es auf Distanz, aber aufgenommen wurde in eurem Studio?
Final ausgestalten und aufnehmen konnten wir dann wieder dort. Innerhalb von sieben Tagen haben wir alles eingespielt, und wir hatten auch die Möglichkeit, dort zu schlafen, immer mit Blick auf den Fluss.

Es klingt vieles wie live aufgenommen ...
Ja, es gibt einige Live-Takes. Stew, Lydia und Mick waren in einem Raum und haben zusammen gespielt, während ich in einer separaten Kabine dazu gesungen habe. Das war sehr intim, wir waren sehr eng zusammen.

Es wirkt auch so, als ob euer Songwriting oft vom Refrain aus startet.
Ja, wir neigen dazu, mit dem Refrain zu beginnen. Oft haben wir erst mal nur eine Zeile und stricken alles drumherum, schmücken es mit Musik aus und bauen die Geschichte davon ausgehend auf. Die Texte sind uns wichtig, das hat schon was Poetisches, und ich finde es schön, dass die Musik dann quasi reflektiert, was die jeweilige Zeile aussagen möchte.

„Big moon lake“ dreht sich um eine Person, die ausbricht und Grenzen überschreitet. Gibt es dazu ein Vorbild in der Realität?
Ehrlich gesagt ja, es geht generell darum, wie mein Bruder und ich uns während des Lockdowns gefühlt haben. Nämlich so, als ob uns die Zeit durch die Hände rinnt, unsicher im Hinblick auf unser Selbstbewusstsein und ohne Zuversicht. Was sollten wir plötzlich mit dem Tag anfangen? Die Zeile „I’m freaking out“ bezieht sich auf diesen Alltag damals, der mich beinahe wahnsinnig gemacht hat. Aber das kann natürlich jede Form von Alltag betreffen, auch unter normalen Umständen. Das Leben generell ist sehr oft kräftezehrend. Ich finde es wichtig, dass man das zugeben kann. Dass man sich oft überfordert fühlt, einfach mal strauchelt.

Wie hilfreich ist es, auf der Bühne ausrasten zu können, im positiven Sinne?
Sehr. Irgendwann muss diese ganze Energie auch mal raus und man muss sich im Moment und in der eigenen Musik verlieren können. Es ist wichtig, dass man zwar reflektiert, Dinge beobachtet und anspricht, aber man darf auch nicht vergessen, das Leben an sich zu feiern, also einfach die Tatsache, dass man lebendig ist. Das klingt jetzt kitschig, aber man sollte die Möglichkeiten nutzen, die man zur Verfügung hat, in jeder Hinsicht. Das kann manchmal die beste Stärkung für die seelische Gesundheit sein.

In „Self portrait“ geht es darum, sich selbst zu reflektieren. Ist es wichtig zu wissen, wer man selbst ist?
Ich denke, dass die Umwelt starken Druck auf alle ausübt. Ich selbst habe das Gefühl, immer etwas unternehmen, etwas erreichen zu müssen. In diesem Song singe ich, dass ich eben nicht immer weiß, wer oder was genau ich bin, wo mein Platz ist, und auch das ist in Ordnung. Man muss nicht perfekt sein. Manchmal lebt man einfach in den Tag hinein, man muss nicht immerzu Großes leisten oder als Legende aus dem Leben scheiden.

„The drugs“ ist ein Song über Drogen. Wie ist deine Einstellung zu Drogen?
Ich habe früher selbst Drogen genommen und kein Problem damit, wenn andere welche nehmen. Mit dem Text versuche ich zu vermitteln, dass die Drogen, die ich gebraucht habe, eigentlich immer schon da waren. Bei mir waren es meine Freundin und mein kleiner Sohn. Und mit diesem Song möchte ich vermitteln, dass das, was man braucht, manchmal viel einfacher ist und schon längst da. Das bezieht sich auch auf alle anderen Bandmitglieder und greift wieder das zentrale Albumthema „Zuhause“ auf. Gemeinschaft ist so wichtig, dafür muss man nicht weit wegfahren oder irgendwelchen Träumen nachjagen.

Der letzte Song „All you are“ fasst das alles zusammen, oder?
Ja. Das kann sich auf eine Gruppe beziehen oder auf eine ganze Stadt, was immer man damit zusammenfassen möchte. Es geht um das Gefühl zusammenzugehören. Wir wollten, dass sich viele in „North East Coastal Town“ wiederfinden können. Das Motiv der Küste oder des Meeres finde ich in diesem Zusammenhang sehr schön, da das Wasser uns alle weltweit verbindet.