Nach langer Zeit kamen LEFTÖVER CRACK mal wieder in unsere Nähe und gaben ein Konzert, leider noch vor Veröffentlichung ihres neuen Albums „Fuck Worldtrade“, das manche Musikladenketten in den USA aufgrund des Titels boykottiert und das erst im August via Alternative Tentacles veröffentlicht wurde. Da sich seit dem letzten Interview einiges getan hat, und die New Yorker auch sonst ziemlich nett sind, verkrochen wir uns nach dem Konzert zusammen mit Stza (Vox), Tryla (Git) und Brad (Git), welcher auch noch bei F-MINUS spielt, in den kleinen Tourbus, und obwohl die Band von der 20-stündigen Fahrt und dem hitzigen Gig noch gebeutelt war, wurde es mal wieder ein langes Interview, von dem ihr jetzt folgenden Teil lesen könnt.
Als wir uns das letzte Mal trafen, habt ihr erzählt, dass euer neues Album eventuell auf A-F Records rauskommen würde. Nun ist es doch bei Alternative Tentacles erschienen. Wie kam das?
Stza: „Wir haben natürlich generell mit vielen Labels geredet und wussten nicht genau, wo es rauskommen wird. Und A-F Records haben wir viel zu verdanken. Sie haben uns unterstützt, als sich kein anderes Label für uns interessiert hat, aber es ist dann eher an Kleinigkeiten gescheitert. Alternative Tentacles ist auf jeden Fall ein Label, auf dem wir schon immer gerne sein wollten. Jello Biafra hatte uns kontaktiert und gesagt, dass er an uns interessiert sei. Wir haben dann telefoniert, aber es schien erst so, als ob doch nichts passieren würde, bis wir uns dann mal persönlich getroffen haben. Da hat dann alles gestimmt.“
Warum spielt ihr eigentlich auf dieser Tour nur ein einziges Konzert in Deutschland?
Stza: „Ich bekomme nicht zu viel davon mit, aber ich habe das Gefühl, dass unsere Shows von den Bookern nicht wirklich promotet werden. Wir hatten auf der letzten Tour nur eine gute Show gehabt, und die war in der Nähe von Stuttgart zusammen mit INFINITE JUSTICE. Wir sind auf dieser Tour auch nur ein paar Tage in Europa, wollten Deutschland aber nicht auslassen. In November werden wir aber wiederkommen und wahrscheinlich ein paar Gigs mehr spielen. Es kommt halt darauf an, ob die Leute uns überhaupt sehen wollen.“
Tryla: „Normalerweise spielen wir fünf bis sieben Tage in Deutschland. Wir waren also sogar am längsten hier, allerdings hatten wir bei unseren letzten drei Touren Probleme mit Skinheads, weil wir oft mit solchen Bands gebucht wurden. Das passiert uns jedes Mal.“
Stza: „Sie haben uns mit Bands gebucht, die das genaue Gegenteil von uns waren und politisch überhaupt nicht mit uns übereinstimmten wie z.B. IRON CROSS und AGNOSTIC FRONT. Ich meine, wir sind mit Roger und Chip von AGNOSTIC FRONT befreundet, aber wir wollen aufgrund der Geschichte des Landes nicht mit ihnen zusammen in Deutschland spielen. Schließlich schüren sie ja Nationalismus und wir sind natürlich dagegen. Ich weiß nicht, ob die Booker unsere Einstellung nicht kannten oder es witzig fanden.“
Stza, du hast ja letztens eine Benefiz-Compilation rausgebracht. Erzähl mal was dazu.
Stza: „Ja, zu Gunsten eines Mannes aus New Orleans. Er wurde aus Willkür wegen Mordes an einem Polizisten verhaftet, obwohl es absolut unmöglich war, dass er überhaupt nur in der Nähe des Tatortes war. Sie konnten vorerst ein paar Wochen lang keinen Verdächtigen finden, und da die Polizei dort ziemlich skrupellos und korrupt ist, und er auch noch gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, haben sie einfach ihn geschnappt und beschuldigt. Er bekam einen Pflichtverteidiger, der sich keine Mühe gab, die Unschuld des Typen zu beweisen, sondern direkt die Situation für aussichtslos erklärte und meinte, er solle lieber gestehen, um eine kleinere Strafe zu bekommen. Das ist alles eine ganz korrupte Sache, weil der Pflichtverteidiger sich wohl irgendwie vor Gericht anbiedern wollte, um so vielleicht einen ordentlichen Anwaltsposten zu bekommen.“
Kanntest du den Mann denn persönlich?
Stza: „Ich nicht, aber ein paar Freunde von mir. Ich besuchte eine Benefiz-Show und las etwas Literatur über solche Fälle, und mir wurde bewusst, dass wir das Geld für einen ordentlichen Anwalt zusammenkriegen mussten, um ihn da rauszuholen. Inzwischen hat es sogar geklappt und der Mann ist wieder frei.“
Soll dies das einzige Release deines Labels Non Commercial Records sein?
Stza: „Das so genannte Label mache ich eigentlich gar nicht. Eigentlich macht es keiner, also als richtiges Label. Wir haben außer diesem Sampler und der ersten CHOKING VICTIM-7“ nichts herausgebracht. Glaube ich jedenfalls, ich kann mich gerade nicht genau erinnern, hehe. Vielleicht, machen wir in Zukunft mal mehr daraus, wenn wir nicht so viel unterwegs sind und Zeit dafür finden.“
Du hast einen großen Tupac Shakur-Aufnäher auf deinem Rücken. Bist du ein großer Fan von ihm?
Stza: „Ich mag Hip-Hop gerne, nur nicht diesen Pimp-Kram, und wenn ständig über ‚Bitches‘ gerapt wird. Das habe ich hinter mir, so was fand ich vielleicht mit 14 gut, aber jetzt bin ich älter und höre nur noch coolen Kram, hehe.“
Politische Bands wie ANTI-FLAG sind in Deutschland ziemlich angesagt, obwohl die Aussagen der Band ja politisch nichts mit Deutschland zu tun haben.
Stza: „Es ist für kleinere Bands wie uns gut, dass ANTI-FLAG immer populärer werden. Die Kids brauchen jemanden, der ihnen die Tür zu bestimmten Ansichten öffnet. Sie gehen zum Beispiel zur Warped-Tour, um BLINK 182 zu sehen, und sie sehen dann auch ANTI-FLAG, wodurch sie dann die politische Seite von Punkrock kennen lernen. Danach entdecken sie vielleicht wieder Bands mit extremeren politischen Inhalten.“
Brad: „Es hilft auf jeden Fall, die Leute etwas zu politisieren, und besonders in den USA ist das wirklich nötig. Die Leute hier fragen sich häufiger, was bei uns drüben los ist, zumindest mehr als die amerikanischen Kids selber. Das ändert sich aber durch solche Bands, was ja keine schlechte Sache sein kann.“
Das Problem dabei ist nur, dass die Leute, die hier „Fuck Bush“ schreien, sich immer weniger mit den Problemen und politischen Verhältnissen im eigenen Land auseinandersetzen.
Stza: „Interessant, dass du das sagst, denn das trifft z.B. auch auf eine ganz bestimmte Band zu ... PROPAGANDHI sind nämlich aus Kanada, und alles, worüber sie singen, ist die amerikanische Regierung. Einerseits ist es schon verständlich, wenn man sieht, das die USA großen Anteil an den wirtschaftlichen und ökologischen Problemen in anderen Ländern bzw. der Dritten Welt hat, aber wenn man ‚Fuck the USA‘ ruft, sollte man auch auf die eigene Regierung schimpfen, die so was ja auch unterstützt. Kanada ist ein Land, das die Industrialisierung fördert und die Interessen der Konzerne unterstützt. Natürlich können sie über Amerika singen, aber sie sollten erstmal in ihrem eigenen Land anfangen.“
Brad: „Es ist halt recht populär geworden, über die amerikanische Politik herzuziehen.“
In Deutschland kann man viel Geld mit T-Shirts mit anti-amerikanischen Statements verdienen ...
Stza: „Dafür kriegt man in Mexiko überall Hakenkreuz-Shirts zu kaufen, aber niemand dort weiß wirklich, was es bedeutet. Komisch, dass das dort so eine Art Mode ist. Ich denke, dass viele rechte Deutsche mit den rechten Amerikanern gedanklich übereinstimmen. Sie sehen ein Land, das kurz davor ist, ein Imperium zu werden, und von Rechten geführt wird. Ich denke, hier vermissen es viele, wie es vor 60 Jahren war, und probieren ihre Kinder so zu erziehen.“
Die deutsche Rechte ist eigentlich gegen die USA und den Krieg, was aber eher daran liegt, dass sie die angegriffenen Länder als Partner gegen das internationale Judentum sehen.
Stza: „Es ist alles ziemlich komisch heutzutage. Wenn man etwas gegen das vorgehen des Staates Israel sagt, wird man direkt als Antisemit abgestempelt. Aber man ist doch auch nicht automatisch ein Antichrist, wenn man etwas gegen die USA sagt. Ich bin Atheist und gegen jede Form von Religion. Was Israel zurzeit macht, ist auch nichts anderes als Mord, und deswegen gibt es auch viele Israelkritiker, und die sind ja nicht alle Antisemiten. Es ist ja nicht so, dass alle Israelis mit dem Krieg einverstanden wären. Nur die Regierung nutzt Antisemitismus als Ausrede, um andere Leute zu töten. Es ist ein Teufelskreis, da ihnen ja zuerst schlimmes widerfahren ist. Und jetzt sind es die Palästinenser, die unterdrückt werden, und das in ihrem eigenen Land.“
Und in der deutschen Linken gibt es ja eine Gruppe, die sich die „Anti-Deutschen“ nennt, die sind absolut Pro-Israel.
Stza: „Das hat für mich aber nichts mehr mit links sein zu tun.“
Tryla: „Wir passen uns politisch nicht mehr an. Wir glauben schon lange nicht mehr an die Linke. Wir sind weder Anarchisten, noch Sozialisten oder Anarchosyndikalisten. Wir glauben nicht, dass die eine Partei besser ist als die andere. Das ist wirklich dieselbe Scheiße. Wir sagen den Leuten immer, dass sie nachdenken sollen, und ihre Entscheidungen für sich selber treffen sollen.“
Stza: „Ich würde niemals Kerry unterstützen. Er ist auch nur einer der Demokraten, die Millionäre sind. Wenn man unsere Texte liest, weiß man, wo wir stehen. Wir mögen keine Gewalt, Unterdrückung von Armen und Autoritätsmissbrauch.“
Was denkt ihr über die Punkvoter-Kampagne?
Stza: „Es ist irgendwie komisch, denn die Leute unterstützen damit auch nur das kleinere Übel. Ich kann da auch nicht viel zu sagen, nur dass es nicht gut ist, direkt zu sagen, man solle Ralph Nader, den Präsidentschaftskandidaten der dritten Partei, nicht wählen, weil er die Demokraten Stimmen kosten würde. Scheiß auf die Demokraten, die sind auch nicht viel besser.“
Brad: „Es wird soviel gegen Bush gewettert, aber es ist ja nicht so, dass seine Abwahl alle Probleme in Amerika lösen würde. Was ist der denn schon? Er ist doch nur eine Marionette und hat nichts zu sagen. Die Entscheidungen treffen ganz andere.“
Es gibt ja auch viele Mitglieder von Punkbands, die sich jetzt als konservativ outen wie z.B. Dave Smalley.
Stza: „Der Typ ist ein beschissenes Arschloch. Wir haben mal zusammen mit DOWN BY LAW in der Schweiz gespielt, und nachher hat er mich als Nazi beschimpft. Das ist so bekloppt ... Aber in Amerika lieben es die Rechten, andere Leute als Faschisten zu beschimpfen.“
Tryla: „Am selben Abend hatte ich auch eine Unterhaltung mit Dave, und er fragte mich: ‚Wenn du von deiner Musik gut leben könntest, würdest du dir kein großes Haus mit Swimming Pool und drei Autos kaufen?‘. Und ich sagte nur entsetzt: ‚Fuck no, man! Ich lebe immer noch in demselben Haus, besetze immer noch Gebäude und gebe mein Geld an andere weiter, die es nötiger haben. Ich bin immer noch der, der ich vorher war.‘ Das hat mich sehr überrascht, weil der Mann in so vielen guten Bands gespielt hat.“
Michael Straschek & Timbö Jönes
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