KING BLUES

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Klassenkampf royal

Jonny „Itch“ Fox und Jammy Jazz sind todmüde, als ich sie Anfang Juni im Berliner RAMONES-Museum treffe. Anlass des Treffens ist „Punk & Poetry“, das dritte Album ihrer Band THE KING BLUES, das sie gerade bei Rock am Ring und Rock im Park vorgestellt haben, was wiederum der Grund für ihre Müdigkeit ist. Die sechs Londoner sind die ganze Nacht quer durch Deutschland gefahren, um am Montag nach den Zwillingsfestivals pünktlich zum Interview in Berlin auf der Matte zu stehen. Hier berichten sie natürlich auch von den Festival-Gigs: „Man, the stage we played was called ‚Club Stage‘ but it was huge!“, berichtet Sänger Itch mit heftigstem Londoner Dialekt. Und Gitarrist Jammy pflichtet ihm bei: „Yeah, that was an arena and not a club, but the kids went crazy!“ Kein Wunder, dass die Londoner bei den Besuchern der Festivals gut ankamen. Ihr Soundmix aus THE STREETS und RANCID ist wunderbar innovativ, unkonventionell und hat das Potenzial, eingefleischte Szenegänger und rockdiscowütiges Partyvolk gleichermaßen zu begeistern. Aber Vorsicht, THE KING BLUES geht es mitnichten nur ums Feiern. Wer die Lyrics von beispielsweise „Last of the dreamers“ oder „Set the world on fire“ liest, merkt sofort, dass die Band explizit politisch ist. Insofern muss man mit Itch und Jammy nicht nur über Musik und ihre Heimatstadt London reden, sondern auch über ihre Texte und Ideale.

Itch, du sagtest vor kurzem, dass THE KING BLUES einen neuen „Sound of London“ prägen würden. Wie ist das zu verstehen?

Itch: Damit wollte ich sagen, dass die Londoner Punk-Szene wieder eine eigene Identität entwickelt. Früher bekam London ja den Stempel aufgedrückt, Europas Punk-Hauptstadt zu sein. Dem mochte man zustimmen oder nicht, aber Fakt war, dass London diese Identität aufgedrückt bekam. Sie verschwand aber im Zuge des großen Emo-Hypes in England. Ich weiß nicht, ob es hier genauso war, aber Bands wie MY CHEMICAL ROMANCE oder AVENGED SEVENFOLD sind ja richtige Rockstars bei uns, was okay ist. Allerdings führte der Hype um diese amerikanischen Bands dazu, dass britische Bands sie zu 100% kopierten. Alle sprachen auf einmal mit amerikanischem Akzent, was ich albern fand. Mittlerweile hat der Emo- und Metalcore-Hype aber nachgelassen und in London entwickelt sich wieder eine Szene mit Punkbands, die eigene musikalische Ideen und nichts mit amerikanischen Vorbildern zu tun haben. Das ist der „Sound of London“.

Jammy: Richtig, es ist nicht unbedingt eine bestimmter Sound im Sinne eines musikalischen Stiles, sondern mehr oder weniger ein Spirit, den ein paar Londoner Bands leben. Nimm THE KING BLUES als Beispiel, wir sind eigentlich keine Punkband. Wir sind sechs Menschen mit ganz verschiedenen Musikgeschmäckern und unsere Einflüsse reichen so von RAGE AGAINST THE MACHINE über PUBLIC ENEMY bis hin zu AGAINST ME! und Woody Guthrie.

Welche Rolle spielt denn Punk für THE KING BLUES?

Jammy: Wir bezeichnen unsere Musik nicht als Punkrock. Trotzdem würde ich sagen, dass „Punk & Poetry“ ein „Punkrock album of the 21st century“ ist. Auf der einen Seite lieben wir die Energie, die Wut und den politischen Idealismus von Punk und Hardcore. Auf der anderen Seite ist das musikalische Format von Punkrock ziemlich ausgelutscht. Die meisten Bands hämmern Drei-Akkorde-Songs raus, schreien Texte drüber und fertig. Genau das wollten wir nicht machen. Wir wollten die politischen Inhalte, die für THE KING BLUES zentral sind, in neuen Songs rüberbringen, die aus dem typischen Punk-Raster rausfallen.

Was sind diese zentralen Inhalte von THE KING BLUES und „Punk & Poetry“?

Jammy: Itch und ich kommen aus Londoner Problemvierteln und haben es geschafft, diesem tristen Alltag wenigstens teilweise zu entkommen. Wir wohnen beide noch dort, haben aber erkannt, dass es da diesen Teufelskreis gibt: Du kommst aus diesen Gegenden und dir wird immer wieder erzählt, dass du dein Leben dort verbringen und im schlimmsten Fall kriminell werden wirst, weil die Gesellschaft dir einfach keine andere Chance gibt. Da ist natürlich was dran, weil es gerade in London eine sehr starke Trennung zwischen Arm und Reich gibt. Trotzdem möchten wir den Leuten mit THE KING BLUES ein wenig Hoffnung geben und ihnen zeigen, dass es Wege gibt, die aus diesen Verhältnissen herausführen. Sie sind schwierig, klar, aber wenn man an sich selber glaubt, dann kann man es vielleicht schaffen. Und genau diese Message möchten wir vorleben, um für eine bessere Welt einzutreten.

Versteht mich nicht falsch, aber das klingt ziemlich wirklichkeitsfern.

Itch: Du unterschätzt die Jugend! Wir alle dachten, dass die heutige Jugend sich nur um Facebook, Status-Updates und iPhones kümmert. Vor kurzem fand aber eine Demonstration gegen die wiederholten Erhöhungen von Studiengebühren in London statt und auf einmal war eine halbe Million Menschen auf der Straße: Studenten, Arbeiter und ganz normale Leute. Die Regierung hatte nie damit gerechnet, dass alle zusammenstehen und demonstrieren würden. Diese Einigkeit und der gemeinsame Wille, etwas zu verändern, waren an diesem Tag aber deutlich zu spüren. Da habe ich gemerkt, dass eine bessere Welt möglich ist, wenn wir alle an einem Strang ziehen.