Der 1959 im kalifornischen La Puente als Brian Tristan in eine aus Mexiko stammende Familie geborene Kid Congo Powers ist ein Veteran der amerikanischen Garage-Rock-Szene. Musik trieb Powers schon seit frühester Jugend um, seine erste Band Mitte der Siebziger waren THEE MIDNITERS, er war Präsident eines RAMONES-Fanclubs und gehörte Ende der Siebziger zu den Gründungsmitgliedern von THE GUN CLUB, als diese noch THE CREEPING RITUAL hießen. 1981 trat Powers das erste Mal als Gitarrist der CRAMPS auf deren „Psychedelic Jungle“-Album in Erscheinung, kehrte jedoch 1983 zu Jeffrey Lee Pierce’ Band zurück, um mit diesen in Folge „The Las Vegas Story“ (1984) und die Reunion-Platte „Mother Juno“ (1987) einzuspielen. Von 1988 bis 1996 war Powers Mitglied von NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, ist auf „Tender Prey“ und „The Good Son“ zu hören. Seitdem konzentriert sich Powers vor allem auf seine Solo-Aktivitäten, 2016 erschien mit „La Araña Es La Vida“ ein neues Album, bereits sein viertes für In The Red Records, ein weiteres Mal eingespielt mit den THE PINK MONKEY BIRDS, die ihn schon seit 2009 begleiten. Der erste Teil dieses Interviews erschien in Ox #130.
Wie kam es zu deinem Ausstieg bei THE CRAMPS?
Das hat sich ganz natürlich ergeben. Zuerst mal haben sie sich einen Bassisten gesucht, nachdem ich als Gitarrist raus war ... Ich glaube, sie haben noch eine weitere Tour mit einem Gitarristen gespielt, die „Smell Of Female“-Tour. Aber sicher bin ich nicht. An dem Punkt gab es rechtliche Auseinandersetzungen zwischen THE CRAMPS und dem Label I.R.S. Records. Vieles funktionierte nicht und es war eine sehr unkreative Phase. Es passierte nicht viel. Wir spielten ein wenig live und machten das „Smell Of Female“-Live-Album. Aber es war sehr wenig Studioarbeit und es gab kaum neue Songs. Dafür gab es haufenweise Bootlegs und die Leute haben auch nur die reviewt. Die Dinge änderten sich also. Ich glaube, sie wollten etwas Neues machen. Es passierte wenig und ich wurde etwas nervös und Jeffrey und ich dachten, vielleicht sollte ich einfach ein Soloalbum machen. Wie schon erwähnt war es eigentlich fast unmöglich, neben THE CRAMPS noch andere Projekte zu haben. Aber als wir so darüber nachdachten, ergab es sich, dass Jeffrey einen Gitarristen für eine Australien-Tour brauchte. Ich erzählte Ivy, dass ich das gerne machen würde und sie meinte, sie wüssten sowieso gerade nicht, wie es weitergeht. Es lief also ganz freundschaftlich. Außerdem habe ich zu der Zeit auch viel Scheiße gebaut und zu viele Drogen genommen. Wahrscheinlich waren sie sowieso genervt von mir, ins Gesicht gesagt haben sie mir das jedoch nie. Als ich aber sagte, dass ich gerne was anderes tun würde, sagten sie, das sei wohl das Beste. Sie mussten mich also nicht feuern! So konnten wir Freunde bleiben, so lange, wie Lux lebte. Mit Ivy bin ich heute noch befreundet.
In den Linernotes von „Destroy The Country“ beschreibst du diese Australientour mit GUN CLUB als Höllentrip.
Es war verrückt. Es gab eine angeheuerte Rhythmussektion und einen weiteren Gitarristen. Als ich dazukam, hatte Jeffrey vorgeschlagen, nur Spencer P. Jones zu behalten, der sonst bei BEASTS OF BOURBON Gitarre spielte und einer andere Band namens THE JOHNNYS, sowie deren Drummer, Billy Pommer. Wir machten schließlich aus dieser zehntägigen Australientour das Beste. Es war wild, chaotisch und extrem.
Selbstzerstörerische Tendenzen in der Rockmusik sind nichts ungewöhnliches. In GUN CLUB-Texten gibt es ja auch einige Andeutungen in Bezug auf Drogen.
Es wird viel über Heroin und Abhängigkeit und Besessenheit gesprochen, ja. Kennst du Back Door Man? Das war ein mittelgroßes Fanzine und es war definitiv ein Trendsetter in Sachen Geschmack zu dieser Zeit. Es war wie eine Stimme aus einer Welt, die uns faszinierte, und ich erinnere mich, dass ich dort Anzeigen sah für PERE UBU oder Patti Smiths „Piss Factory“-Single. Der einzige Weg, solche Platten zu bekommen, war per Mailorder. Einer der Hauptschreiber war Don Waller, ein Journalist und eine Autorität in der Rockmusik. Jeffrey sagte, dass Don einer seiner wichtigsten Ratgeber war. Als er überlegte, worüber er mal einen Song schreiben könnte, riet ihm Don: „Erzähl den Leuten genau das, was sie nicht hören wollen.“ Er nahm sich das zu Herzen und machte daraus seine Karriere. So Sachen wie „She’s like heroin to me“, das war etwas, was die Leute nicht hören wollten. Das Meiste beruhte also auf der künstlerischen Entscheidung, so offensiv wie nur möglich zu sein, aber trotzdem musste es poetisch sein, ohne dass es dumm klingt. Es sollte einen literarischen Kontext haben und trotzdem nicht zu abgehoben sein. Und es musste schockieren! Es sollte definitiv provozieren – Jeffrey war ein Provokateur, auch auf der Bühne.
Ich war früher der Meinung, dass es im CRAMPS-Song „Garbage man“ um Heroin geht.
Ich bezweifle, dass es überhaupt einen CRAMPS-Song über Heroin gibt. Es mag welche über LSD geben. Da sind wohl verschiedene Anspielungen, wie in „Drug train“, da werden Sigmund Freud und Sherlock Holmes erwähnt. Es geht also offensichtlich um Opium und Kokain.
Aber Lux singt doch auch darüber, mit einem „the real junk“ zu reden, und in dem Video dazu wedelt er mit einer Spritze!
Da geht es allerdings eher um eine Bluttransfusion, haha! Es könnte von den Gerüchten über Bela Lugosi kommen, dass der sich Formaldehyd injizierte. Es ging da nur um den Effekt. Ich glaube nicht, dass die Musik dementsprechend war, die war eher schnell und psychedelisch.
Ich selbst hatte oft den Eindruck, dass – bei allem Negativen – das Gute an Drogen ist, dass sie Leute zusammenbringen. Es gibt da eine Intimität, eine Art von Nähe, die nur möglich ist, weil man in diesen Momenten so verletzbar ist. Ohne etwas unterstellen zu wollen, könnte ich mir denken, dass das auf die meisten Bands, in denen du warst, zutrifft.
Drogen haben auf jeden Fall Leute zusammengebracht, und spezielle Drogen haben spezielle Leute zusammengebracht. Es kam auch immer darauf an, was du riskiert hast, wie weit du dich vorgewagt hast. Das hat aber auch viel mit der Romantisierung von Drogenkonsum zu tun. Aber ja, Drogen können Leute einander näherbringen.
Ich frage vor allem wegen Jeffrey Lee Pierce und Nick Cave. Wie kamen sie das erste Mal zusammen?
Nick war einige Zeit in L.A., unter anderem um das Video zu „In the ghetto“-zu drehen. Wir lebten damals wie Nomaden, wo immer wir Möglichkeiten für uns sahen, gingen wir hin. THE BIRTHDAY PARTY traten in L.A. auch auf und zu dieser Zeit hast du da jeden getroffen. Zwischen den beiden ist irgendwie der Funke übergesprungen, ich glaube, sie haben die Arbeit des anderen sehr geschätzt. Sie haben im anderen wohl eine Art Seelenverwandten gefunden. Außerdem, wer würde sonst mit Leuten wie uns abhängen? Wer würde Zeit mit uns verbringen wollen? Niemand! Wer will sich schon mit Leuten abgeben, die sich so egoistisch und furchtbar aufführen? Aus der Ferne wirkt es vielleicht attraktiv, aber bei näherem Kennenlernen würdest du nichts mit uns zu tun haben wollen. Es macht nicht sonderlich viel Spaß, am Ende nur verarscht, ausgelacht und mies behandelt zu werden. Ich nehme also an, dass die beiden bei sich eine ähnliche Geisteshaltung entdeckt haben.
Geht dir Jeffreys Tod im Jahr 1996 heute noch nach?
Es bewegt mich immer noch. Wir waren noch recht jung, als wir uns kennen lernten. Wir haben Szene-Sachen gemacht, standen aber trotzdem immer etwas außerhalb. Ich hatte einen RAMONES-Fanclub und er hatte seinen Debbie Harry-Fanclub. Wir haben vieles zusammen erlebt und ich hatte die Ehre, bei Jeffreys ersten und letzten GUN CLUB-Gig zu spielen. Ich bin also den ganzen Weg mit ihm gegangen, und selbst als ich bei THE CRAMPS oder bei BAD SEEDS war, waren haben wir was zusammen gemacht. Wir hatten auch Kontakt in den Wochen vor seinem Tod – er war bei seinem Vater, war auf Entzug, und dort starb er an einem Aneurysma. Es ging einfach alles schief. Und auch wenn alle es erwartet hatten und niemand geglaubt hatte, dass er überhaupt so lange lebt, war es trotzdem ein totaler Schock. Ich finde es immer noch schrecklich. Wir waren so was wie Brüder. Er hatte keinen leiblichen Bruder, ich hatte auch keinen, sondern nur Schwestern. Er ist aufgewachsen mit einer alleinerziehenden Mutter. Rückblickend hatten wir also ein Verhältnis wie zwei Brüder. Deswegen konnten wir auch immer miteinander arbeiten, auch wenn wir uns mal heftigst gestritten hatten und eigentlich nie mehr im Leben sehen wollten, haben wir trotzdem wieder immer zueinander gefunden. Blut ist eben dicker als Wasser. Jeffrey war so was Familie für mich, im Rock’n’Roll-Sinn des Wortes. Er brachte mir das Gitarrespielen bei. Er dränge mich, in einer Band zu spielen. Ja, er ist ein wichtiger Teil meines Lebens und auch mit das Beste, was mir je passiert ist.
Jeffrey Lee hat dir das Gitarrespielen beigebracht, aber was hast du von Ivy mitgenommen?
Sie hat mir beigebracht besser zu spielen! Sie hat mich in das Spielen mit Fuzz-Pedal eingeführt. Sie war sehr geduldig und eine gute Lehrerin, sie wusste, was zu tun ist. Ich war jung und formbar, sie wusste damit umzugehen.
Andere Leute haben allerdings nicht so gute Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Jeffrey gemacht, oder?
Definitiv. Die werden jetzt sicher laut auflachen, haha! Wie auch immer, ich hatte schon eine besondere Beziehung zu ihm, da wir gemeinsam bei Null angefangen hatten. Ich habe seinen Egoismus und Mangel an Feingefühl im Umgang mit Bandmitgliedern kaum zu spüren bekommen. Was ja mit den Jahren auch besser geworden ist. Mir war aber auch immer bewusst, dass Jeffreys Arbeit es wert war und jeden Ärger überwog. Außerdem kannte ich es auch gar nicht anders! Ich spielte in Bands mit Nick Cave, Jeffrey Lee Pierce, Lux Interior und Poison Ivy. Das war nun mal eben kompliziert!
Du meinst also, dass besonders kreative Menschen in der Regel recht schwierig sind?
Das trifft es nicht ganz. Das sind oft komplexe Persönlichkeiten, egoistisch, selbstbezogen – und ich will mich da gar ausnehmen. Was häufig als schwierig wahrgenommen wird, ist die sehr genaue Vorstellung, die diese Menschen davon haben, wie sie etwas tun wollen, wie etwas sein oder gesagt werden soll. Für Außenstehende ist es nicht leicht, mit jemandem umzugehen, der eine so exakte Vision verfolgt. Das sind alles Musiker, die ihre Vision bis aufs Blut zu verteidigen bereit sind und jedem, der damit nicht klarkommt, sagen, er soll sich bitte verpissen.
Das scheint mir ein guter Moment zu sein, um auf deine Arbeit mit Blixa Bargeld zu sprechen zu kommen. Wie war es, neben ihm die zweite Gitarre zu spielen?
Für mich ist Blixa pures Theater. Die große Klaus Kinski-Theaterschule. Blixa und ich kamen immer bestens miteinander aus, wir hatten ein ganz professionelles Verhältnis. Aber ich habe viel Zeit damit verbracht, ihm zuzuschauen, wie er Tonleute anschreit ... Er ist ebenfalls ein großartiger Künstler und fällt in die obige Kategorie. Er hat eine genaue Vorstellung, wie etwas laufen soll, und seine Art, es anderen zu vermitteln, ist sie anzubrüllen. Für mich als Künstler und Mitmusiker ist sein Verhalten nachvollziehbar. Ich finde es etwas befremdlich und würde es nicht so machen, aber das ist eben genauso Teil seiner Persönlichkeit. Und ja, er ist der Klaus Kinski des Underground-Rock.
Was für eine Atmosphäre war das damals mit THE BAD SEEDS in Berlin? Wie bist du überhaupt da gelandet?
THE GUN CLUB lebten zu dieser Zeit in London – allerdings hatte sich die Band getrennt, es war mal wieder alles implodiert, genau auf dem Höhepunkt unserer Karriere und es war einfach aus. Unser Schlagzeuger Terry Graham hatte uns während einer Tour sitzen gelassen und wir mussten sie mit einem Aushilfsdrummer zu Ende spielen, was aber ziemlich enttäuschend war. Am Ende dieser Tour hat keiner mehr mit den anderen gesprochen. Es herrschte kein Krieg, wir konnten uns nur nicht mehr ertragen. Also saß ich in London und sprach mal wieder mit Patricia Morrison darüber, eine Band zu gründen, die nicht so schnell die Bodenhaftung verliert. Ich wohnte auf einem Hausboot in Chelsea. Das Hausboot gehörte zwei Schwestern aus Manchester, mit denen wir befreundet waren, und es war eine Art Anlaufstelle für Leute wie die BAD SEEDS sowie weitere Australier, aber genauso für EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN und verschiedene andere. Ich endete also dort und wurde gefragt ob ich auf der Tour zu „Your Funeral, My Trial“ einspringen wolle, da Barry Adamson die Band verlassen hatte und Mick an den Bass wechselte, so dass ihnen eine zweite Gitarre fehlte. Daraus wurden dann über drei Jahre. Das führte mich schließlich für eine Probe nach Berlin und ich verliebte mich in diese Stadt ... Gerade weil ich aus Los Angeles kam, wo die Musikszene sehr von der Industrie bestimmt war, mit entsprechend großen Erwartungen. Und darauf folgte London, eine große Pop-Metropole, wo alle ständig dem nächsten Trend hinterher jagten Und schließlich landete ich in Berlin, damals noch Westberlin, die Mauer stand noch und überall um uns herum war Osten. Und das erste, was ich in dieser sehr künstlerischen Stadt machte, war, mit den BAD SEEDS in Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ mitzuwirken.
Was war das für eine Atmosphäre?
Es war atemberaubend, den frischen Wind zu spüren an einem Ort, wo alle Künste zusammenkamen, Tanz, Film, Musik, Performance, visuelle Kunst, und jeder interessierte sich für alles. Es herrschte ein spezielles Lebensgefühl in dieser Stadt voller neugieriger und suchender Menschen, es ist schwer zu beschreiben. Es gab diese nie enden wollenden Gespräche, sicher beflügelt von sehr viel Speed, aber weißt du, uns wäre fast das Gehirn explodiert. Da war immer eine noch tiefere Bedeutung. Es war super und eine großartige Erfahrung, mich in einem derartig experimentellen Umfeld zu bewegen. Es war eine neue, sehr aufregende Erfahrung für mich, eine neue Art von Musik zu machen. Mit ihnen zu spielen bedeutete, sehr viel Freiheit zu haben, besonders bei den BAD SEEDS der frühen Tage, da war jeder eine individuelle Person , die ihre eigene Sache am Laufen hatte, und es funktionierte nach dem Motto: Bring etwas von dir in die bestehende Kombination ein.
Ich vermute, dass Berlin eine florierende Schwulenszene hat.
Oh, es war richtig dekadent. Es gab keine sexuellen Tabus in Berlin! Du wärst wirklich ein Außenseiter, wenn du da mit Moral gekommen wärst. Natürlich waren THE BAD SEEDS ziemliche Machos, aber damit kam ich klar, wenn sie mit mir klarkamen.
Ich habe eigentlich kaum negative Geschichten gehört von Leuten, die in Deutschland auf Tour waren, aber Joe Baiza, der bei SACCHARINE TRUST, UNKNOWN INSTRUCTORS und UNIVERSAL CONGRESS OF gespielt hat, erzählte mir, dass er dort attackiert worden war und dabei ernsthaft verletzt wurde. Er war sich sicher, dass das eine rassistisch motivierte Tat war.
Ja, so was bekam ich auch mit. Künstlerisch war es sehr frei, aber ich kenne die deutsche Kultur allgemein nicht so gut. Berlin war definitiv ein sicherer Ort, aber ganz Deutschland ... es ist so wie hier in Nordamerika, es gibt eine ganze Menge Rassismus. Ich bin durch die ganze Welt gereist und es ist überall gleich. Ich habe in London gelebt – schrecklich! Ich wurde immer als Pakistani bezeichnet. „Habt ihr denn noch nie was von mexikanischstämmigen Amerikanern gehört?!“ Aber ich hatte Mitgefühl mit den Pakistanis dort, über sie wurde ständig gelästert. Ich wurde zum Glück nie körperlich angegangen, dafür aber verbal ...
Ich meine gelesen zu haben, dass du Amerika wegen Reagan verlassen hast, stimmt das?
Ja. Aber als ich zurückkam, war Bush senior im Amt. Aber es stimmt, wir waren sehr enttäuscht von Amerika. Für das „The Las Vegas Story“-Album schrieb Jeffrey viel über seine Enttäuschungen über die USA und malte ein ziemlich trostloses Bild.
Warum hieß das Album überhaupt „The Las Vegas Story“?
Warum nicht? Das vorherige GUN CLUB-Album hieß „Miami“ ... Las Vegas ist ein amerikanischer Alptraum, verpackt in strahlende Lichter. Aber besonders zu dieser Zeit, in der Mitte der Achtziger Jahre, war es eine sehr traurige Stadt mit viel Alkoholismus, Glücksspiel und Verbrechen. Es war nicht das Disneyland von heute.
Ist es dein musikalisch bestes Album mit THE GUN CLUB?
Könnte sein, ja. Ich hab es mir seit Ewigkeiten nicht angehört. Die Songs sind ziemlich großartig. Es ist ein Erfolg auf allen Ebenen – ein ziemlich einschneidendes Album für eine L.A.-Punkrock-Band, die Streicher und Gershwin-Songs auf einer Platte hat oder versucht, den Saxophonisten Pharoah Sanders einzubinden.
Pharoah Sanders ist auf „The Las Vegas Story“ mit dabei?!
Nein, natürlich nicht. Es gibt aber die Coverversion „The creator has a master plan“. Es war ein Bekenntnis zu unseren Einflüssen, wir wollten zeigen, dass wir nicht nur die RAMONES und die SEX PISTOLS kannten.
Mein Eindruck ist, dass sowohl Jeffrey Lee Pierce und Lux ziemlich tief gegraben haben bei der Suche nach Musik. Bist du auch ein Sammler?
Oh ja! Zwischen Glamrock und Punk, in dem kurzen Zeitraum, als beides nicht existierte, gab es eine Flaute, wo Leute sich umgesehen haben. Wir hatten von THE MC5 und THE STOOGES gehört und wussten, es ist Underground-Musik. Und es gab eine Plattenbörse Mitte der Siebziger im Gebäude von Capitol Records in L.A. und das war ein wichtiger Treffpunkt für Musiker und solche, die es werden wollten. Das war einmal im Monat und du musstest auch immer sehr früh aufstehen, aber war eine richtige Szene. Egal wen du aus den frühen L.A.-Punk-Szene fragst, jeder wird dir sagen, dass man sich dort traf, dort sind viele Sachen ins Rollen gekommen. Es hatte eine vergleichbare soziale Funktion wie eine Bar oder ein Club. Wir alle haben Platten gesammelt. Viele suchten nach Rockabilly und Blues. Bei mir war es mehr so Psychedelic- und Sechziger-Kram. Jeffrey war da auch jedes Mal zu finden. Das Plattensammeln hat definitiv jeder im Blut, mit dem ich bisher gearbeitet habe.
Hast du immer noch viele Sachen von früher?
Ich habe viel davon verkauft. Ich bin oft umgezogen, es ging eben verloren oder wurde verkauft, ich war ja auch ein Junkie. Aber mittlerweile habe ich vieles zurückgekauft. Ich bin ein großer Singles-Sammler und lege auch wirklich oft auf – eine Menge wilde Soul-Platten, dazu kommt noch eine ziemlich große Rockabilly-Rock’n’Roll-Garagerock-Sammlung. Ich habe viel Musik von der Glamrock-Ära bis zum Punk, über die Siebziger bis zu den frühen Achtzigern, Disco ...
Auf deiner ersten Platte mit THE PINK MONKEY BIRDS von 2005, „Philosophy And Underwear“, die ja ziemlich anders als das ist, was du jetzt machst, gibt es tatsächlich so einen Disco-Vibe bei manchen Stücken.
Es war eine komplett andere Band. Viel wurde auch noch schnell vor Ort geschrieben, da wir eine Single aufnehmen wollten, und plötzlich wurde ein Album daraus. Aber das war so eine typische New York-Nummer. Ich war sehr interessiert an Rock aus New York – als Teenager hatte ich die NEW YORK DOLLS gesehen, aber leider nie THE VELVET UNDERGROUND, dafür war ich zu jung, dennoch hat mich das sehr fasziniert, schon von klein auf, Andy Warhol und all das. Das war meine erste Version der PINK MONKEY BIRDS auf dem Album und die Betonung lag hier vor allem klar auf New York. Es war also klebriger New York-Style-Rock, und es gibt auch eine Coverversion von „Baby face“ von Lou Reed, von der Platte „Sally Can’t Dance“. Die PINK MONKEY BIRDS sollten mehr „trance-artig“ sein, mehr „ein Sound“, ein Ganzes, ohne Sachen, die herausstechen.
Auf dem neuen Album „La Araña Es La Vida“ ist mir der interessant verzerrte Gesang aufgefallen. Was benutzt du da?
Alles Mögliche. In der Highschool haben wir ein Rednerpult entdeckt, durch das man sprechen kann, mit einem eingebauten Mikrofon und einer Box. Damit habe ich eine Menge eingesungen. Das ist eine unserer geheimen analogen Waffen. Und unterschiedliche Verzerrer, wir experimentieren außerdem die ganze Zeit damit, wo man das Mikrofon platzieren kann ...
Es macht den Eindruck, als ob das neue Album bewusst mexikanisch-amerikanisch klingen soll.
Den Einfluss gibt es eigentlich immer. Ich, unser Bassist Kiki Solis und der Gitarrist Mark Cisneros, wir sind alle Chicanos: Kiki stammt aus Texas, aus El Paso, und Mark und ich kommen ursprünglich aus Südkalifornien. Die Musik ist also Teil unseres Erbes, Chicano-Rock, danach haben wir immer gesucht. Es gibt eine ganze Szene mit mexikanischer Musik – QUESTION MARK & THE MYSTERIANS sind da sehr bekannt, aber es gibt ein eigenes Genre von meistens unbekannten Bands, auf die Leute mexikanischer Abstammung mächtig stolz sind.
Ich kenne LOS PLUGZ, aber ich weiß nicht, ob du und Tito Larriva Freunde seid.
Oh ja, ich kenne Tito sehr gut! Er produzierte 1981 für GUN CLUB Teile von „Fire Of Love“. Jeffrey hatte auch mexikanische Wurzeln, mütterlicherseits.
Und was hat es mit den „körperlosen Köpfen“ in „Ricky Ticky Tocky?“ auf sich? Das sind ja ziemlich CRAMPS-typische Texte.
Unser Drummer, Ron Miller, hat diesen Text geschrieben, da musst du ihn fragen, aber er sagte, dass es nur etwas war, was ihm in den Kopf kam, als er mit dem Zug nach St. Louis fuhr. Er meinte, es waren einfach Visionen und Gedanken in seinem Kopf. Das ganze Album war ein große Gemeinschaftsleistung, nicht nur bei den Texten, auch bei der Musik. THE PINK MONKEY BIRDS waren immer ein Gruppending. Ich bin die Quelle des Stils, aber sie haben definitiv dazu beigetragen, dem Stil eine Form zu geben.
Wie seid ihr zu dem Namen PINK MONKEY BIRDS gekommen? Ich hörte, dass sei eine Anspielung auf David Bowies Song „Moonage daydream“ ...
Alles lief zuerst unter meinem Namen, aber als wir anfingen, Songs zu schreiben und Gigs zu spielen, sagte die Band auf einmal: „Wir wollen einen Namen haben!“ Ich dachte, okay, da jeder umsonst mitarbeitet und sich einbringt, ist das in Ordnung. Also sagte ich, sie könnten sich irgendeinen Namen aussuchen und den nehmen wir dann. Am nächsten Tag sagten sie: „Wir wollen THE PINK MONKEY BIRDS genannt werden!“ Ich glaube, dass sie dachten, ich würde das ablehnen. Aber ich antwortete: „Wie toll ist das denn?“ Und ich bin stolz sagen zu können, dass es aus einem Bowie-Song stammt, besonders jetzt, nachdem er den Planeten verlassen hat. Ok, den Planeten vielleicht nicht, aber auf jeden Fall seinen Körper.
Und was hat es mit „La araña es la vida“ auf sich ... die Spinne lebt?
Die Spinne ist das Leben. Der Song kam vor allen anderen Titeln. Es ist mehr wie „The Spider and the Fly“ oder „Kiss of the Spider Woman“ oder „Spider Baby“, diese beliebten Femme-Fatale-Spinnen-Analogien. Außerdem singen wir den Refrain auf Spanisch. „Die Spinne, sie kommt, sie spinnt ihr Netz, sie fängt dich, und sie ist das Leben.“ Ich habe mich mit dem Thema umfassend beschäftigt und viel gelesen über die Spinnengöttin in Teotihuacán, eine Pyramidenanlage im zentralen Hochland von Mexiko. Sie war eine Gottheit, die über die Unterwelt und die Pyramide wachte. Sie war eine große Träumerin und eine Halluzinationen hervorrufende, psychedelische Gottheit. Sie wachte über die Pyramiden. Und dann kam ich darauf, dass es gewissermaßen meine Pflicht sei, es ihr gleichzutun. Ich empfand so was wie Verwandtschaft zu ihr, weil ich die Vorstellung hatte, dass ich psychedelische Eingebungen haben sollte, um die Musik zu beschützen – die Underground-Musik und den Rock’n’Roll. Es ist meine Pflicht, Halluzinationen zu haben, sie den Leuten weiterzugeben und sicherzugehen, dass die Musik immer noch gut, sicher und beschützt ist. Und wenn ich so darüber nachdenke, ist es das, was ich mit allen Bands gemacht habe, in denen ich gespielt habe. So wurde ich beeinflusst und bin ein Teil davon geworden.
Wie sieht eine Live-Show von dir dieser Tage aus? Spielst du viel vom neuen Album und eurem letzten, „Haunted Head“?
Wir haben mittlerweile viele Alben, also haben wir genug Material zur Auswahl. Und wir spielen auch immer einige GUN CLUB- und CRAMPS-Songs. Das variiert, da wir viel touren, wir möchten also ein bisschen Abwechslung. Aber wir zollen THE GUN CLUB und THE CRAMPS immer Tribut, da es uns allen Freude macht und eine Möglichkeit ist zu zeigen, dass es das alles mal gab. Es ist eine Hommage. CRAMPS- und GUN CLUB-Songs spielt sonst keiner mehr live. Und wer sonst kann diese Lieder authentisch spielen? Ivy tut es nicht mehr, alle anderen sind gestorben und keines der wichtigen Ex-GUN CLUB-Leute scheint sie live noch zu spielen. Ich fühle mich also gewissermaßen verpflichtet, das zu tun.
© by - Ausgabe # und 31. März 2021
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #130 Februar/März 2017 und Allan MacInnis
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Allan MacInnis
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Markus Kolodziej