JOEY CAPE

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Zufrieden mit dem dritten Platz

Köln. Backstage-Party im Underground mit Joey Cape/LAGWAGON, Tony Sly/NO USE FOR A NAME, Jon Snodgrass/DRAG THE RIVER und Oise Ronsberger/RED TAPE PARADE: Nachdem geklärt ist, wer was auf der Bühne zurückgelassen hat, weil alles so furchtbar schnell ging, mit wem man gleich noch trinken gehen möchte und was Tony machen soll, nachdem er seine Pillen gegen Flugangst verloren hat, spreche ich mit einem gut gelaunten, Pizza essenden Joey Cape. Es ist während einer langen Solotour, auf der er die akustische Gitarre bemüht, und dennoch fast nur die Geister der Vergangenheit heraufbeschwört.

Du hast gar nicht „Okay“ von der neuen Single gespielt.

Irgendwas ist schiefgegangen, ich habe eine Setlist gemacht, die Oise ausdrucken sollte, und aus irgendeinem Grund fehlt immer ein Teil, das deutsche System verändert die US-amerikanische Datei ein wenig. Ich wollte es spielen. Der Mann, um den es darin geht, war sehr wichtig für mich, eine Art Mentor seitdem ich ein Kind war. Ich kannte Matt 33 Jahre lang, fast mein ganzes Leben. Er ist gestorben. Ich habe auch ein Video für den Song gemacht. Wenn man einen Menschen verliert, der einem nahesteht, ist es komisch, wenn alle anderen Leute in seinem Leben nichts mit einem gemeinsam haben. Ich bin nicht zu seiner Beerdigung gegangen, weil ich diese Leute nicht sehen wollte, sie hatten nicht dieselbe Verbindung zu ihm. Wenn jemand stirbt, fragen die Leute dich immer, ob du okay bist. Und dann sagst du natürlich ja, obwohl gar nichts okay ist. Je öfter du es aber sagst, desto schlimmer wird alles. Ich kann einfach nicht mehr. Ich will kein Retter sein. So viele meiner Freunde sind an einer Überdosis gestorben. Immer wenn jemand Drogenprobleme hat, scheine ich die Person zu sein, die als Anker herhalten muss. Sie sagen immer: „Du bist der Einzige, zu dem ich gehen kann“, aber mein Erfolg ist fast immer nur von kurzer Dauer. Früher oder später geht es schief. Das war so verheerend an Matts Geschichte. Ich dachte, dass von allen Menschen, die ich kenne, er derjenige ist, der es da rausschaffen würde. Er war der schlimmste Junkie, den ich je kannte, und dann war er 15 Jahre lang clean. Er hatte neun Leben, alle anderen Menschen hätten ein Leben wie seins nicht durchgestanden, er hat die Hölle durchgemacht. Er hat mir Hoffnung gegeben. Nachdem ich sogar Familienmitglieder an die Drogen verloren hatte, beschloss ich, von nun an nicht mehr mit Junkies befreundet zu sein, aber er war die Ausnahme. Wir hatten eine Abmachung. Matt hat mir geholfen, jemanden zu retten, der mir extrem nahestand, ohne ihn hätte ich es nicht geschafft, diese Person zu retten, und ich musste sie retten. Ich habe ihn jeden Tag angerufen und mich da durchgeboxt. Und dann stirbt er, und ich dachte, das war’s jetzt. Meine Hoffnung ist weg, was Drogenabhängige angeht. Ich mache es zur Zeit schon wieder mit jemanden durch zu Hause, aber ...

Du gibst ja ziemlich viel von anderen Leuten in solchen Songs preis. Hast du das Gefühl, dass du dich manchmal selbst zensieren musst?

Ich versuche immer, die Anonymität dieser Menschen zu bewahren. Aber es gibt einige Stücke, die ich geschrieben habe, die mir Ärger mit Menschen einbrachten, die mir nah stehen. Ich habe einen Song für eine gute Freundin von mir geschrieben, der das Ende unserer Freundschaft bedeutete, weil sie viel schlauer war, als ich erwartet hatte. Sie hat meine Frau angerufen und gesagt, sie wüsste, worum es in dem Song geht und dass sie fertig mit mir sei. Wenn du gute Kunst schaffen willst, darfst du dich nicht selbst zensieren. Du musst das machen, was dein Herz dir sagt. Das ist die Abmachung, dass du Opfer bringst. Du sagst, was du denkst, damit lehnst du dich weit aus dem Fenster. Ich will nicht überheblich klingen, aber ohne Herz kannst du kein Künstler sein.

Du bist also gar nicht auf die Bronzemedaille aus? Es gab jetzt die Geschichte von einer Bobmannschaft, deren Ambitionen einem von ihnen das Leben gekostet hat. Eine Vision, an deren Erfüllung du dich so festbeißt, dass sie sich selbst-zerstörerisch auswirkt, oder für die du sogar bereit bist, andere im übertragenen Sinne aus dem Weg zu räumen. Und so verstehe ich deine Kritik in dem Song „Going for the bronze“, aber du selbst scheinst gerade gar nicht so unambitioniert.

Musik machen ist alles, was ich tue, und alles, was ich bin, also entwickelt man irgendwie diesen Wettbewerbsgedanken, wenn man Musik herausbringt, aber ich glaube, wenn man älter wird, wird man zufriedener mit sich selbst und dem, was man erreicht hat. Man kann sich über das Jetzt freuen. Jede Person, die etwas herstellt, was andere verkaufen, bekommt Feedback von der Welt – man weiß, was andere Leute davon halten, was man tut, und dann wird man zur Antithese dessen – „Ich bin so Punk, deswegen mag niemand meinen Stil“. Andere Leute versuchen sich ständig an die Kritik anzupassen, doch ich versuche gar nicht darauf zu reagieren und einfach immer weiter genau das zu machen, womit ich mich wohl fühle. Ich habe das ziemlich früh verstanden. Ich bin ein Versager, wenn man sich meine Karriere anguckt, aber irgendwie auch sehr erfolgreich, aber ich nehme das nicht so wahr. Ich bin zufrieden mit dem dritten Platz.

Warum spielst du eigentlich so viele LAGWAGON-Songs statt deiner Solosachen – wegen der Fans?

Zum Teil schon. Ich weiß, dass einige Leute das eben hören wollen. Aber ich habe diese Songs eh auf der Akustikgitarre geschrieben und deswegen gehe ich hier auch zurück zum Original, zu meiner Seele und nicht der von vier anderen Leuten, die da alle etwas reingesteckt haben. Eine Band kann einen Song zwar auch großartig machen, aber für den Songschreiber ist es immer ein Kompromiss. Deswegen ist es schön, einen Teil der Kontrolle wiederzubekommen. Mein erster Akustik-Gig war in Austin, Texas und ich war total nervös. Ein Freund von mir, der schon lange alleine auftritt, nahm mich beiseite und meinte, du bist auf dich allein gestellt, aber du hast die Kontrolle, du kannst machen, was du willst, Dynamik, Tempo, Tonart, du musst auf nichts achten, das war so ein befreiendes Gefühl. Ich musste mich nicht an die Geschwindigkeit des Schlagzeugs anpassen oder darauf achten, wie die Gitarren gestimmt sind. Folk und Punk ähneln einander darin, dass die Dynamik so intensiv ist und beides von den Texten getragen wird. Man kann extreme Dinge damit ausdrücken.

Mit LAGWAGON spielst du ja noch größere Shows, aber für so einen intimen Gig war der Laden heute schon recht groß.

Ja, die Tour war aber nicht überall so, das ist eher eine Ausnahme. Noch größer sollte es nicht werden, aber ich interagiere immer mit dem Publikum, also muss ich denen nahe sein. Deshalb liebe ich die kleinen Bars.

Wie sieht es mit einer neuen Platte aus?

Ich wollte eine Platte machen namens „Doesn’t Play Well With Others“. Es sollte eigentlich zwei Alben geben, eine mit zwölf neuen Stücken und eine mit zwölf Covern meiner Bands LAGWAGON und BAD ASTRONAUT. Ich habe dann zehn neue Stücke aufgenommen und 14 Cover und dann habe ich aber gemerkt, dass ich was anderes wollte, keine Plattenfirma, sondern direkt mit den Leuten in Kontakt treten. Diese ganze Bürokratie kann man ausschalten, es hat eh niemand Geld. Dann habe ich eine Splitplatte mit Jon gemacht – dann waren schon fünf Stücke weg, und drei sind auf einem anderen Split-Release. Dann habe ich das Projekt gestartet. Ich schreibe ja immer neue Stücke, so dass ich vielleicht gar nicht diese zehn Songs veröffentlichen werde, weil ich sie nicht alle toll finde. Es wird sich ergeben, und ich kann jeden Monat neu überlegen, ob ich einen neuen Song in meinem Heimstudio aufnehme.

Aber jedes Stück wird für sich betrachtet, und dann stellt sich die Frage, wird es am Ende irgendeine Art von roten Faden geben.

Da habe ich überhaupt nicht drüber nachgedacht, aber jetzt, nachdem ich das erkannt habe, weiß ich, dass ich kein Füllmaterial verwerten kann. Es kann nicht kurz sein. Jeder Song muss für sich stehen und gut sein. Das ist eine Herausforderung. Das größere Problem ist, dass ich meine Frau und Tochter versorgen muss, und die Rechnungen bezahlen und ich jetzt kein festes Einkommen habe, mit dem ich rechnen kann.