J CHURCH

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From San Francisco to Austin

Es muss 1997 gewesen sein, als ich eine meiner ersten LPs mit meinem Onkel in Holland gekauft habe. Mit dabei war die damals auf Honest Don’s erschienene „Drama Of Alienation“ des politisch engagierten Poppunk-Trios J CHURCH aus San Francisco. Die nach einer Straßenbahnlinie benannte Band wechselte seitdem zig mal das Line-up (nur Bandchef Lance Hahn ist als Kopf der Band verblieben). Außerdem hat Lance höchstwahrscheinlich mehr Lebenserfahrung als mein Opa, was der Mann schon durchgemacht hat, wünscht man seinem ärgsten Feinde nicht an den Hals ...

Über auf seinen Herzkasper vor einigen Jahren und Lance’ Tour als Gitarrist für BECK, Mitte der 90er, möchte ich den guten Mann dann doch nicht ansprechen. Es gibt einfach Sachen, über die spricht man nicht gern. Aber die Frage nach dem Wohnungsbrand, bei dem Lance, der u.a. das Label Honey Bear Records betreibt, sein ganzes Hab und Gut verloren hat, kann ich mir doch nicht verkneifen:
„Ja, das ist schon blöd. Da stehst du am nächsten Tag da und siehst wie all deine Platten zu turmhohen Klumpen verschmolzen sind. Aber wir hatten Glück, dass das Feuer unten ausgebrochen ist und ich und meine Freundin oben waren, und von dort aus am Hause herunter geklettert sind. Dafür habe ich jetzt wieder mehr Platz für neue Platten!“

Und warum bitte zieht man vom doch eher liberalem San Francisco ins erzkonservative Austin, Texas?

„Meine Freundin studiert dort und das war dann halt die billigste Variante, mit dorthin zu ziehen.“

Ja, was man für die Liebe nicht alles macht. Die momentane Europatour, zu der ihnen No Idea Records da verholfen hat, ist ja eher klein. Wie groß ist der Unterschied zu den Touren der Fat Wreck-Zeit?

„Das war eine Menge Spaß, da spielst du dann mit AVAIL und PROPAGANDHI vor bis zu 5.000 Menschen. Das ist natürlich eine ganz andere Atmosphäre, aber das Publikum ist auch nicht immer das, vor dem du gern spielen möchtest.“

Die Anspielung verstehe ich und hake nicht weiter nach. Ich entsinne mich daran, dass hinter J CHURCH mehr als „nur“ Musik ist und muss gestehen, dass Lance wirklich sehr belesen ist. Ist doch schön zu wissen, dass es nicht nur die eine Sorte Amerikaner gibt. Bei meiner Frage, ob Lance denn Freude auf Tour mit den Jungens von DILLINGER 4 hatte, beginnen seine Augen zu strahlen und er erzählt lachend: „Die sind einfach ganz Große! Aber richtig lustig ist es, wenn die Vier oben in ihrer eigenen Kneipe sitzen und Anzüge tragen und einen auf Geschäftsleute machen. Das ist echt ein Bild zum schießen.“

Kann ich mir gut vorstellen. Mir ist nicht entgangen, dass Lance am Plattenstand gern mal Hardcore-Platten rausgezogen hat.

„Für mich müssen politische Platten nicht unbedingt Hardcore-Platten sein, aber es ist schon so, dass eine Mehrzahl an Hardcore-Bands auch eine eher politische als persönliche Aussage haben.“

Wie ein Schulkind traue ich mich, den kleinen Mann mal auf den 11. September anzusprechen. Und erfahre auf meine Behauptung hin, dass Amerika ja nicht ganz unschuldig an den Anschlägen ist: „Es ist einfach unbeschreiblich dumm, was in Amerika in der letzten Zeit passiert ist. Und um ehrlich zu sein, hätte ich genau dieselben Ziele gewählt, nämlich das Pentagon und die Twin Towers. Aber wenn du, in welcher Situation auch immer, so viel Mist baust, dann rasten die Leute irgendwann einfach aus. Und ich glaube auch, die Amerikaner werden irgendwann ausflippen. Jedenfalls hoffe ich das, es kann so ja nicht ewig weitergehen.“