IDLES

Foto© by Daniel Topete

Arschbombe auf den Dancefloor

IDLES haben einen kometenhafte Aufstieg hingelegt. Mit jedem Album sind die Post-Punks aus Bristol weiter die UK-Charts hinaufgeklettert. Die Hallen wurden größer, die Likes sind explodiert. Das alles, ohne sich kommerziellen Trends anzubiedern oder auf Verkaufszahlen zu schielen. Ein Grund dafür ist die Variabilität der Band. Den schroffen Gitarrensound von ihrem Debütalbum „Brutalism“ (2017) haben IDLES längst hinter sich gelassen, zu Gunsten von souligen, beatorientierten Klängen. Auch das fünfte Studioalbum „Tangk“ macht wieder einen deutlichen Schritt nach vorne. Noch so eine Arschbombe in ein Gewässer, in dem die Briten bisher noch nicht geplanscht haben. Mitten auf den Dancefloor. Sänger Joe Talbot erklärt uns, woher die Lust auf Veränderung kommt.

Tangk“ klingt mal wieder ganz anders als seine Vorgänger. Was war diesmal der Plan?

Ich finde den Unterschied zu „Crawler“ gar nicht so riesig. Die Veränderung nach „Ultra Mono“ war in meinen Augen viel größer. Unser Plan war wie immer, ein Album zu schreiben, das so dynamisch und beschwingt klingt wie möglich. Wir wollen uns immer weiterentwickeln. Denn Weiterentwicklung ist die große Herausforderung für uns. Wir lassen uns da von keinem reinreden. Ob das die Texte, meine Botschaft oder den Sound betrifft. Mein Mindset als Künstler hat sich dahingehend keinen Millimeter verändert. Nur die Ausdrucksformen haben wir immer wieder neu justiert. Wie ich singe und wie ich meine Texte schreibe, entscheide ich jedes Mal aus dem Bauch heraus. Solange ich bei mir selbst bin, werde ich mich weiterentwickeln. Wir sind als Band immer an Veränderung interessiert und daran, das Beste aus uns herauszuholen. Wir wollen nicht in unserer Komfortzone herumlungern, sondern immer einen Schritt nach vorne wagen und Neuland betreten.

Für mich klingt das neue Album elektronischer, experimenteller und souliger. Auf der anderen Seite wirkt es zugänglicher als euer bisherigen Alben.
Da stimme ich dir zu. Ich denke, wir sprechen mehr als zuvor unsere eigene Sprache. Wir sind offener für die Nuancen, die uns und unseren Sound prägen. Das Album klingt zugänglicher, weil ich mehr singe als schreie. Der Sound ist experimenteller, weil wir verspielter sind. Die Freude an der Musik hat uns mehr geöffnet und ich hoffe, das geht unseren Zuhörern auch so. Es macht gerade richtig viel Spaß, bei den IDLES zu sein.

Ihr bezeichnet „Tangk“ als euer Love-Album. Warum war es jetzt Zeit für ein Love-Album?
Auf diesem Album geht es explizit um Liebe. Mit „Tangk“ geben wir der Welt Liebe und es fühlt sich magisch an. Das ist unser Album der Dankbarkeit und der Kraft. Alles Liebeslieder. Ich wollte im Dialog mit unserem Publikum einfach ein Gefühl von Frieden und Empathie vermitteln. Meine Texte sind deshalb poetischer, allegorischer und metaphorischer als sonst. In meinen Augen leuchten sie richtig. Diesmal wollte ich keine komplizierten oder schweren Themen in den Songs haben. Ich spüre in mir gerade nichts anderes als Liebe. Für meine Musik und für meine Leute.

Der Vibe ist erkennbar positiv. Von persönlichen Problemen oder Konflikten ist diesmal nicht viel zu spüren.
Natürlich sind meine persönlichen Probleme, meine Abhängigkeit oder mein Kummer wichtige Themen für mich. Die stecken auch in den neuen Songs. Zum Beispiel wie ich die Liebe meines Lebens verloren habe. Ich singe aber auch über meine Tochter und wie es ist, Vater zu sein. Außer meiner Perspektive hat sich vor allem die Tonart verändert, die Themen sind gleichgeblieben. Ich greife immer auf, was mich gerade beschäftigt und was dazu geführt hat, dass ich so bin, wie ich bin. Ich habe jetzt einfach die Farben geändert, in denen ich dieses Bild von mir selbst male. Meine Tonart und meine Art zu singen haben sich verändert, weil ich mich gerade in einer Position der Stärke befinde. Mit der Stärke kommt ein Gefühl des Friedens und der Zufriedenheit. Ich fühle mich gerade stark und selbstbewusst genug, um mich zu öffnen und unserem Publikum gegenüber verletzlich zu zeigen. Als Musiker und als Vater kann ich gerade Liebe zulassen. Ich bin gesund und nüchtern und ich mache mein Ding.

Welche Rolle hat RADIOHEAD-Produzent Nigel Godrich beim neuen Album gespielt?
Nigel ist ein großartiger Typ und wir sind sehr dankbar, dass wir mit ihm arbeiten konnten. Hoffentlich können wir das noch einmal wiederholen. Nigel hat großen Anteil am Sound von RADIOHEAD, deshalb erkennt man seine Handschrift natürlich auch auf unserem Album deutlich. Das hört man gleich im Opener „Idea 1“. Wir sind auf ihn zugegangen, weil unser Gitarrist Mark Bowen ein riesiger RADIOHEAD-Fan ist. Deshalb spielt er diesmal auch so viel Klavier. Man kann bei Nigel sehr deutlich hören, wofür sein Herz schlägt. Der Start mit ihm war allerdings nicht einfach, muss ich sagen. Ich habe mich irgendwie unwohl gefühlt und wusste nicht, wie ich anfangen soll. Aber es war ein Prozess, in dem wir alle sehr ehrlich waren und viel gelernt haben. Ich fand es großartig.

Der Song „Roy“ klingt nach Tricky, der wie ihr aus Bristol kommt. Gibt es da einen Zusammenhang?
Wir kennen uns. Ich habe zusammen mit Tricky schon einen Song namens „Pre war tension“ für das Album seines Kollaborationsprojekts LONELY GUEST gemacht. Die Drums in „Roy“ klingen natürlich sehr trickyesk. In meiner Stimme höre ich nicht so viel davon. Ich liebe Tricky, darüber muss ich mal nachdenken, haha. Ich versuche nicht wie irgendwer anderes zu klingen, wenn ich singe. Ich mache das einfach, wie es der Song erfordert oder wie es gerade aus mir herauskommt.

Worum geht es in der ersten Single „Dancer“?
Mit diesem Song wollen wir die Leute zum Tanzen bringen. Meine Vorstellung von dem gesamten Album war, dass wir vor allem die Physis der Menschen ansprechen und so eine noch engere Verbindung zu unserem Publikum aufbauen wollen. Dass wir mit den neuen Songs eine besondere Energie schaffen, die wir vor allem bei unseren Konzerten übertragen können. Wir wollten einfach Songs schreiben, die die Leute auf die Tanzfläche locken. Diese Absicht drückt dieser Track ganz besonders aus. Mark hat ihn geschrieben. Als wir ihn in Frankreich aufgenommen haben, bin ich durch den Garten spaziert und habe den Text binnen zehn Minuten geschrieben. Er hat sich von Anfang an richtig angefühlt und ist eine Art „Call to arms“ für das ganze Album. Deshalb ist „Dancer“ auch die erste Single geworden.

„Hall & Oates“ klingt dagegen wie ein klassischer IDLES-Song. Hat der etwas mit dem Pop-Duo aus den Achtzigern zu tun?
Der Hintergrund des Songs „Hall & Oates“ ist ein Gag zwischen mir und meiner Ex. Wir haben immer den Witz gemacht, dass HALL & OATES ein Konzert in deinem Kopf geben, wenn du zum ersten Mal Liebe gemacht hast. Ich mag diese Vorstellung immer noch. Die lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. Während der Pandemie habe ich drei neue Freundschaften geschlossen. Das hat sich angefühlt, als ob ich mich verliebt hätte. Das hat einen neuen Lebensgeist und eine Euphorie in mir geweckt, die ich längst vergessen hatte. Dafür können neue Freunde sorgen. Also dachte ich, der Vergleich mit HALL & OATES wäre eine wundervolle Metapher dafür.

Ähnlich persönlich ist „Gift horse“. Worum geht es in dem Song?
In dem Song vergleiche ich den Zustand als Drogenabhängiger und den als Vater. Wenn einem völlig egal ist, was die anderen sagen und wie man sich auf eine Sache fokussiert. Die Idee, dass sich plötzlich alles verändert, wenn du ein Kind bekommst. Alle Prioritäten verschieben sich. Die Perspektiven wechseln. Ich wollte einen Song darüber schreiben, wie mich das verändert hat. Wie ich erkannt habe, was wirklich wichtig ist. Wie viel ich bereit bin, für meine Tochter zu tun, und was ich anderen antun würde, die ihr schaden wollen. Ich bin jetzt seit vier Jahren Vater und momentan genieße ich diese wundervolle Zeit. Aber ich weiß auch, dass kompliziertere Jahre kommen werden.

Ihr hattet auch wieder Gäste im Studio. Diesmal waren es James Murphy und Nancy Whang von LCD SOUNDSYSTEM. Wie kam es dazu?
Wir waren gemeinsam mit LCD SOUNDSYSTEM in den Staaten auf Tour. Dabei haben wir sehr gut harmoniert. Deshalb habe ich die Vocals für den Song „Dancer“ mit diesem LCD-Vibe im Hinterkopf geschrieben. Wir haben es dann erst mit den Stimmen von Mark und Lee im Studio versucht, aber Nigel war nicht überzeugt davon. Also haben wir einfach James und Nancy gefragt, als wir noch einmal mit ihnen unterwegs waren. Die haben sofort zugesagt und uns in ihr Studio nach New York eingeladen, um dort die Vocals gemeinsam einzusingen. Das haben wir an einem Tag hingekriegt und so sind sie auf unserem Album gelandet. Einfach magisch.

Den Rest des Albums habt ihr in Frankreich aufgenommen. Warum Frankreich?
Mark hat sich erst ein paar Mal mit Nigel in seinem Klanglabor in Brixton getroffen, um die Sprache von Tape-Loops zu lernen und sie für neue Songideen zu nutzen. Dann haben wir uns alle ins La Fabrique-Studio in Saint-Rémy de Provence im Süden Frankreichs zurückgezogen, um „Tangk“ aufzunehmen. Das ist das beste Studio, in dem ich jemals war. Ein riesiges altes Landhaus mit Swimmingpool und Garten. Einfach wundervoll. Die Atmosphäre dort ist einmalig. Als wir mit den Aufnahmen angefangen haben, hatten wir 16 Einzelteile. Keine fertigen Songs, nur Ideen. Dementsprechend nervös waren wir, als wir losgelegt haben. Aber nach etwa einer Woche waren wir unheimlich wach und begeistert, wie schnell wir vorangekommen sind. Insgesamt haben wir drei Wochen dort verbracht.

Eure Fans können sich auf euch verlassen. „Tangk“ ist das fünfte Album in sieben Jahren. So eine Quote haben nicht viele Bands. Warum seid ihr so produktiv?
Wir saugen einfach alle möglichen Einflüsse in uns auf und verarbeiten sie zu neuer Musik. Das sind viele positive Vibes, aber natürlich auch viele Traumata. Als Band haben wir einfach jede Menge zu sagen. Wir wollen uns ständig neu künstlerisch ausdrücken und weiterentwickeln. Das war auch der Grund, warum wir die Band gestartet haben. Da liegen wir alle auf einer Wellenlänge. Vor allem Bowen und ich, weil wir die Songs gemeinsam entwickeln. Wir haben verstanden, was für ein großes Glück es ist, dass wir uns gefunden haben. Da ist eine einzigartige Verbindung entstanden, die aber genauso schnell wieder verschwinden kann. Deshalb wollen wir diese Energie so lange wie möglich aufrechterhalten und produktiv sein. Nur die Langweiligen langweilen sich.

Beschreibe doch mal dein Verhältnis zu Mark. Seid ihr wie Jagger und Richards?
Anfangs hatten wir immer sehr unterschiedliche Ansichten, das hat sich mit jedem Album ein bisschen verändert. Wir haben über die Jahre unzählige Kämpfe ausgefochten. Wir haben uns gegenseitig keine Fortschritte erlaubt. Wir haben uns lange gegen neue Ideen gesträubt, anstatt einander einfach zuzuhören und den nächsten Schritt zu gehen. Inzwischen haben wir ein gegenseitiges Verständnis entwickelt, in dem wir neue Ideen besser zulassen können. Dafür haben wir eine völlig eigene Sprache entwickelt. Dieser Kampf hat uns zwölf Jahre gekostet. Jetzt verstehen wir uns blind und können gemeinsam vorangehen. Und zwar in völlig verschiedene Richtungen, deshalb verändert sich unsere Musik auch ständig. Gleichzeitig streiten wir viel weniger. Dabei hilft uns, dass wir Eltern geworden sind. Denn Kinder wollen viele Dinge anders machen als ihre Eltern. Als Vater oder Mutter muss man lernen, damit umzugehen. Diesen verständnisvollen Umgang mit den eigenen Kindern kann man auf alle Dinge des Lebens übertragen. Man fängt einfach an, anderen Menschen mehr Empathie und Verständnis entgegenzubringen. Das gilt für den hektischen Berufsverkehr genauso wie für die Arbeit im Studio. Man ist viel aufmerksamer, fängt an, sich gegenseitig zuzuhören, und bremst seinen eigenen Rhythmus herunter. So haben Mark und ich gelernt, geduldiger zu sein, aber auch verspielter. Wir haben beide unsere Lust auf Experimente und neue Ideen entdeckt, seit wir Kinder haben. Gleichzeitig bin ich immer noch sein härtester Kritiker, aber eben mit Empathie.

Warum ist Veränderung so wichtig für euch? Es gibt auch Bands wie BAD RELIGION, SLAYER oder MOTÖRHEAD, die viele Jahre mit dem gleichen Erfolgsrezept gearbeitet haben.
Lemmy wurde kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Er konnte damals noch keine Banane zum Frühstück essen, weil man in den Läden damals keine Bananen kaufen konnte. Er musste jahrelang die gleichen fünf Mahlzeiten zu sich nehmen. Das ist sein Leben. Damals gab es noch nicht so viele Spielarten wie heute. Vor allem in der Musik. Ich bin 1984 geboren und ich kann mir seit meiner Kindheit Früchte aus aller Welt im Supermarkt aussuchen. Ich habe das Internet und kann mir äthiopischen Jazz anhören, wenn ich das möchte. Oder französischen Folk aus dem 18. Jahrhundert. Warum sollte ich also immer die gleiche Musik produzieren? Das würde für mich angesichts der Fülle der Einflüsse keinen Sinn ergeben.

Viele Bands machen das, weil es funktioniert. Deshalb verändern sie ihren Trademark-Sound nicht mehr.
Das funktioniert künstlerisch nicht wirklich, sie verdienen einfach nur Geld damit. Als Künstler musst du immer wieder alles über den Haufen schmeißen und völlig neu aufbauen. So wie Pablo Picasso es getan hat. Als Jugendlicher war er technisch bereits sehr versiert und hat dann bewusst seinen Stil verändert und hat sehr spielerisch gearbeitet. Bis zu seinem Tod gab es keine Schaffensphase von Picasso, in der es langweilig wurde. Denn er hat immer wieder seine Tonart verändert. Trotzdem ist er immer Picasso geblieben, weil er seine eigene Bildsprache entwickelt hat. Er hat immer wieder die Herausforderung gesucht und sich dabei nicht an den Kommerz verkauft. Das ist die richtige Einstellung, die wir auch verfolgen.