Münster ist schon lange ein fruchtbarer Boden für Punkrock und Hardcore und spuckt in regelmäßigen Abständen gute und aktive Bands aus. Ein integraler Bestandteil der Szenelandschaft sind die 2011 gegründeten IDLE CLASS, deren Mitglieder auch vorher schon in vielen Bands aktiv waren. Nach einem ersten Demo und einer Platte auf dem schwedischen Label Blackstar Foundation ist der Münsteraner Fünfer mit seinem neuen Album nun auf Uncle M gelandet. „Of Glass And Paper“ erzählt schöne Geschichten über das Leben, über Freunde, über gescheiterte Beziehungen und bewegt sich stilsicher zwischen melodischen US-Bands wie THE MENZINGERS oder POLAR BEAR CLUB. Wir haben Sänger Tobias Pelz ein wenig auf den Zahn gefühlt.
Klassische Einstiegsfrage: Was hat sich nach der letzten Platte für euch verändert?
Hauptsächlich hat sich die generelle Herangehensweise geändert. Wir planen deutlich mehr als früher, was aber auch unabdingbar ist, weil alle außerhalb der Band vielseitig privat eingebunden sind. Jeder hat seine eigenen Wege, das nötige Kleingeld zusammen zu bringen, damit man mit der Band so aktiv sein kann. Was die Platte selbst angeht, haben wir dieses Mal gezielt ein Album schreiben wollen und hatten uns dazu eine Auszeit nach vielen Touren und Festivals im letzten Sommer genommen, um auch wirklich mit dem nötigen Fokus ans Songwriting gehen zu können. Ein weiterer wesentlicher Unterschied war, dass unser Tontechniker Bastian Hartmann bereits beim Songwriting und beim Entstehungsprozess mit eingebunden war. Das war im ersten Moment nicht immer leicht, da wir uns ungern reinreden lassen, aber im Nachhinein sind viele Stellen doch deutlich prägnanter und besser geworden, als es ohne seine neutralen Ohren der Fall gewesen wäre.
Das Video zu „Worn out shoes“ wurde auf Noisey gefeaturet, ihr seid mal als Schrankband bei Joko und Klaas aufgetreten. Wie wichtig sind solche Aktionen für Punkbands?
Ich denke, dass die Zeiten sich einfach geändert haben und man auch als Punkband neue Wege gehen muss. Durch das Internet sind viele Sachen schnelllebiger geworden und man hat es als Band schwer, in der Informationsflut nicht unterzugehen oder in Vergessenheit zu geraten, und wenn man im Fokus bleiben will, muss man auch Aktionen mitmachen, die vielleicht für so manchen nicht unbedingt Punk sind. Was nicht heißt, dass wir unsere Wurzeln vergessen oder verraten, ich würde es eher als eine Anpassung an die äußeren Umstände betrachten und wie COMADRE schon auf dem Booklet ihrer letzten Platte zitiert haben: „Who said there’s a guideline to punkrock?“ Letztendlich kann man in solchen Aktionen auch das Positive darin sehen, dass man mehr Leute erreichen kann und so seine Message auch über Szenegrenzen hinweg verbreiten kann. Das war in den Neunzigern mit Sicherheit schwieriger und auch geldintensiver.
Im genannten Song geht es um alte Freunde. Welches Ereignis liegt dem Text zugrunde?
Der Ausgangspunkt für Teile des Textes, aus dem sich dann der Rest entwickelt hat, ist letztendlich verbunden mit zwei Personen, die ich in unterschiedlichen Lebensabschnitten kennen gelernt habe. In beiden Fällen spielen psychische Erkrankungen eine Rolle, die im Laufe der Zeit immer extremer wurden, ohne dass sie zu Beginn von irgendwem wirklich wahrgenommen wurden. Was damit zusammenhängt, dass man sich nicht vorstellen kann und es nicht wahrhaben will, dass einer Person, die einem nahesteht, so etwas passiert und man deshalb oft falsch in gewissen Situationen reagiert, weil man damit nicht umzugehen weiß. Leider wird der Umgang aber häufiger nicht einfacher, wenn eine Diagnose gestellt wurde, sondern lässt einen sich selbst auch in gewisser Weise infrage stellen. Ob man sich immer richtig verhalten hat oder sich nun den Umständen entsprechend richtig verhält. Ich habe das leider nicht immer getan, das weiß ich, aber ich bin mir dessen bewusst und habe letztendlich versucht, für mich einen Weg zu finden, damit umzugehen. Und Songs zu schreiben hilft dann eben manchmal auch.
Die Texte der Platte scheinen sich mit Trennungsschmerz auseinanderzusetzen. Das Coverbild zeigt einen Menschen inmitten einer kargen und dunklen Umgebung, einsam an einem Feuer sitzend. Was drückt das Bild für euch aus?
Bei zwei oder drei Songs ist es schon so. Es ist auch immer befreiender, über Themen zu schreiben, die einen belasten, oder Dinge, die einen verunsichern, weil ich über das Schreiben natürlich automatisch reflektiere, was ich überhaupt will, welche Gedanken ich weshalb habe und wie und warum ein bestimmter Umstand oder eine gewisse Weltsicht zustande gekommen ist. Das klingt vielleicht tiefsinniger, als sich letztendlich vieles anhört, aber das liegt natürlich auch immer im Auge des Betrachters. Das Covermotiv passt so gesehen natürlich gut dazu und regt noch mal zusätzlich zum Nachdenken an, so wie es dich jetzt dazu bewogen hat, diese Frage zu stellen. Und wo sollte man besser nachdenken können, als alleine im Wald vor einem Lagerfeuer, während die Sonne hinter den Bergen langsam auf- oder untergeht?
Was muss ich über die Subkultur Münsters wissen, wo haben sich wichtige Sachen entwickelt, Bands gegründet, wo waren wichtige Shows? Die Politik einer Stadt ist der Subkultur nicht immer zuträglich. Wie sieht es bei euch aus?
Eigentlich sind wir in Münster recht verwöhnt. Es gibt Clubs für alle Größenordnungen von Bands und viele selbstorganisierte Konzertgruppen, die einiges auf die Beine stellen, und es macht Spaß, Teil einer solch geschäftigen Szene zu sein. Was aber auch ein ziemlicher Selbstläufer ist, da es in vielen Bereichen große Bands gibt, die aus Münster stammen und sich hier gegründet haben, um mit DONOTS, MESSER, SHORT FUSE, H-BLOCKX, SVFFER oder JUNGBLUTH nur ein paar zu nennen. Das Ganze geht so auch schon, seit ich denken kann. Ende der Neunziger beispielsweise mit 200 verschwitzten Menschen in einer maßlos überfüllten Baracke am Aasee die SATANIC SURFERS abzufeiern, war schon geil und wird mir vermutlich auf ewig in Erinnerung bleiben. Ein Problem ist aber die Proberaumsituation in Münster. Völlig überzogene Mieten und die Schließung einiger Proberaumzentren schlagen eine Bresche in das musikkulturelle Stadtbild. Man muss schon Glück haben, um einen einigermaßen finanzierbaren Raum zu finden und diesen dann auch zu halten. Nach dem großen Hochwasser im letzten Jahr wurden Proberäume gekündigt, weil der Vermieter anscheinend keine Ambitionen hegte, die Schäden zu beseitigen, und die Räume stattdessen lieber ungenutzt lässt oder dem Nächstbesten vermietet, der dann bereit ist, Miete zu zahlen, die schon die eines WG Zimmers oder eines Einzimmerapartments in Münster übersteigt.
Euer Sound entspringt unverkennbar dem melodischen US-Hardcore/Punk. Wie wichtig sind für euch andere musikalische Einflüsse, mit denen man sich vielleicht von ähnlichen Bands abhebt?
In meinen Augen sind Einflüsse, die eben aus diesem Rahmen herausfallen, sehr wichtig, damit man sich auch ab und an mal selbst in Frage stellt. Zugegebenermaßen gehören zu diesem Bereich viele Bands, die uns in den letzten Jahren geprägt haben. Aber in erster Linie ist das auch unser gemeinsamer Nenner in der Band, wo wir alle zu 100% hinter stehen und wo wir wir selbst sein können. Also macht es mit Sicherheit Sinn, in diesem Zusammenhang POLAR BEAR CLUB, FLATLINERS oder THE MENZINGERS zu nennen. Dass man sich jetzt aber unbedingt abheben muss, war nicht unser primärer Gedanke. Es hat sich so ergeben und gut angefühlt, wie es sich bei uns entwickelt hat, und das ist, denke ich, das Wichtigste, da sich bei uns in der Band niemand gern verbiegt und verstellt, und wenn sich das Endprodukt dann ehrlich anfühlt, ist es doch das Beste, was passieren kann.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #108 Juni/Juli 2013 und Christina Wenig
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #122 Oktober/November 2015 und Andreas Krinner
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Christina Wenig
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #106 Februar/März 2013 und Thomas Eberhardt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #108 Juni/Juli 2013 und Christina Wenig