HOTKNIVES

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Warum Ska?

Meine erste Bekanntschaft mit Ska-Musik hinterließ einen nachhaltigen Eindruck auf mich. Als wir den Saal betraten, konnte man die Spannung fast riechen. Es gab zwei deutlich erkennbare Lager. Besorgte Gesichter vermieden Augenkontakt, indem Schuhe an den Sta-Prest-Hosen poliert wurden. Wir hatten uns bereits umgezogen, bevor wir den Saal betraten, und bereiteten auf uns darauf vor, die Performance unseres Lebens abzuliefern. Als das Licht ausging und die Musik anfing, löste sich die Anspannung und die Gesichter wurden sichtlich entspannter.

Behutsam kamen sich die beiden Fraktionen näher und ließen sich langsam vom Rhythmus der Musik anstecken. Die beiden Fraktionen waren hier Jungen und Mädchen, die Veranstaltung war meine Schuldisco. Es war 1980 und ich war elf. Die Songs, die gespielt wurden, waren hauptsächlich 2Tone-Ska: THE SPECIALS, MADNESS, BAD MANNERS, THE SELECTER, DEXYS MIDNIGHT RUNNERS. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich irgendwann in der Zukunft mit den BAD MANNERS spielen oder aufnehmen würde, oder dass ich mit Lee und Woody von MADNESS spielen oder Woody im Poker schlagen würde, oder dass ich mit Roy Ellis auf dem Rückweg von einer Show im selben Van sitzen und mit ihm reden würde, oder aber auch mit Roddy ein Bier zusammen trinken, während wir warteten, um dieselbe Show zu spielen, ich bezweifle, dass ich ihm geglaubt hätte.

Zwei Jahre später im Hurst Arms, einem kleinen Pub in Horsham, Sussex, musste eine Gruppe von Freunden die Kneipe nach einer „Saturday Lunchtime Drinking Session“ verlassen. Zu dieser Zeit schlossen die Kneipen in England zwischen 14:30 und 18:30 Uhr. Gelangweilt und nach Unterhaltung suchend, fragte Gary Marshall, ob irgendjemand ein Instrument spielen könnte. Nach Clem hoben ein paar die Hand und die meisten glaubten an einen Nachmittag voller Chaos. Eine Stunde später traf man sich in einer Wäscherei (irgendjemand hatte die Schlüssel), manche mit Instrumenten, manche mit geliehenen Instrumenten und einige bloß mit Bier und Zigaretten. Man verbrachte den Nachmittag mit Jammen (die ohne Instrumente mit Tanzen), bis die Kneipe wieder aufmachte, und so wurden die HOTKNIVES geboren. Nach mehreren Proben und dem Lernen der jeweiligen Instrumente, spielte man das erste Konzert in einem lokalen Szenecafé. Das Set bestand aus Reggae, Blues, Rock und Trinkliedern. Das Line-up bestand aus Gary Marshall (Gitarre und Gesang), Dave Clifton (Gitarre), Nigel „Clem“ Clements (Schlagzeug), Kev Clements (Keybords), Mick „Stripey“ Meritt (Bass) und Mick Matthews (Percussion, Gesang und Tanz).

Die Band machte allen Spaß und bald begann sie alte Reggae-Klassiker und eigene Songs zu proben. Dave war dann im Urlaub und die Band benötigte einen Ersatzgitarristen; Mick Clare kam dazu. Als Dave zurückkam, blieb Mick dabei und teilte sich den Gesang mit Gary. Mick Matthews lernte Saxophon spielen und Kev verließ uns, um ein Kind zu bekommen; er wurde ersetzt durch Jim Mills am Keybord. Kev kehrte an der Trompete zur Band zurück, die dann begann, Ska-Cover und eigenes Material zu spielen. Als die dritte Skawelle über Großbritannien schwappte, ging es mit den HOTKNIVES voran. Sie nahmen „Live At The ...“ und „Live’n’Skanking“ auf dem legendären Astoria Ska Festival in London auf. Mark Foggo sorgte dafür, dass die Band auf dem europäischen Festland spielte. Am Saxophon gesellte sich Paul Mumford dazu und 1989 nahmen sie ihr erstes Album „The Way Things Are“ auf. Kurz nachdem das Album veröffentlicht wurde, löste sich die Band auf. Nach ein paar erfolglosen Reunions kam Mark Carew von den LONG TALL TEXANS am Bass dazu. Mark überredete Mick dazu, die Band 1994 wieder ins Leben zu rufen, Gary schloss sich diesmal jedoch nicht an. Sie brauchten einen Keyboarder und so kam ich dazu.

Ich hatte eine kurze Begegnung mit der Ska-Szene, als ich mit 15 in einer Northern-Soul-Band spielte (unser erster Gig war in einer Kneipe, deren andere Entertainer Stripperinnen waren). Das nächste Mal, als ich mich dem Ska aussetzte, war 1992, als ich zu den TOO MANY CROOKS stieß. Es war mit den Crooks, mit denen wir anfangs die großen Namen des Ska, wie etwa BAD MANNERS, THE SELECTER und Desmond Dekker supporteten. Die Desmond Dekker-Show fand in einem kleinen Club in Brighton statt und war ausverkauft. Im Backstage-Bereich klopfte jemand von draußen ans Fenster. Ich öffnete es und hinein fiel Peter von PETER AND THE TEST TUBE BABIES. Ein ausverkauftes Konzert hielt Peter Testtube nicht davon ab, Desmond zu sehen.

Die erste Show als neu reformierte HOTKNIVES war 1994 bei „Skankin’ round the X-mas tree“ im Bürgerhaus Kalk in Köln. 1995 nahmen wir die 7“-Single „Always Tomorrow“ auf, die der Vorbote für das 1996 aufgenommene Album „Home“ war. Unsere Bläsersektion musste beim nächsten „Skankin’ round the X-mas tree“ 1995 in letzter Minute absagen. Wir entschieden uns, das Konzert ohne sie durchzuziehen, und das war der Punkt, an dem die HOTKNIVES ohne Bläser spielten. Das bedeutete, dass wir ein paar alte Bläserparts auf dem Keyboard nachspielen mussten, aber wenn so was bei Bob Marley geklappt hatte ... Später kam noch eine weitere Ska-Legende zu uns, Arne Visser von MR. REVIEW an der Gitarre. 1995 spielten wir den Easter Ska Jam mit den Ska-Legenden Judge Dread, DR. RING DING & THE SENIOR ALLSTARS und LOADED. THE SENIOR ALLSTARS waren Gäste auf unserer 2002er Single „Echobeach“ und Dr. Ring Ding kam netterweise für einen Song unseres neuen Albums bei uns vorbei.

Mit Judge Dread zu touren war eine fantastische Erfahrung. Er war ein aufrichtiger, witziger und liebenswürdiger Typ voller Geschichten und mochte es, seine eigenen wahren Geschichten mit anderen zu vermischen, die „kreativ mit der Wahrheit“ umgingen (er tat dies mit einem Augenzwinkern). Manchmal wusste man nicht mehr, welche davon wahr waren! Zum Beispiel wussten wir, dass er mal Bodyguard für die ROLLING STONES gewesen war, und dann sagte er: „Es war das erste Mal, als ich Bob Marley traf. Ich sagte ihm, er solle sich die Haare wachsen lassen. Auf diese Weise wirst du viel berühmter, Bob.“ Alex erzählte auch davon, dass er einmal mit der Siebziger-Jahre-Family-Pop-Gruppe THE OSMONDS auf einer Insel war und dass irgendetwas zwischen ihm und der Schwester passiert sei – auf einem Mischpult. Daraufhin wurde er von den Brüdern von der Insel verjagt. Judge Dread war eine echte Legende und die Welt ist weniger interessant, seit er starb.

1998/99 nahmen wir das Album „Screams Dreams And Custard Creams“ auf. Wir spielten den Easter Ska Jam wieder mit DR RING DING & THE SENIOR ALLSTARS und dieses Mal wurden wir von der Oi!- und Reggae-Legende THE SKOIDATS begleitet. Ein Moment, der in Erinnerung blieb, war, als sich Chuck, der SKOIDATS-Bassist, in einem Kühlschrank einschloss. Nach 30 Minuten tauchte Chuck wieder auf, mit den unsterblichen Worten „If you can’t be locked in a fridge, you shouldn’t be here!“

2003 verließ uns Mick, Mark stieg widerwillig zum Frontmann auf, und ein Freund von Gary Marshall, Stuart Brown, kam zu uns an die Gitarre. Unser erstes Konzert zusammen war in Rom, und einige der Ereignisse dieser Nacht beziehen sich auf den Song „Communication“ von unserem neuen Album „About Time“. „Communication“ ist aber auch ein Verweis auf den berüchtigten „Ausflugsbootunfall“ mit unseren Freunden von St. Pauli.

2006 begannen wir die Aufnahmen zu „About Time“ mit einem anderen Produzenten, aber wir waren nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis. Ein Jahr später kamen wir wieder und versuchten, es zu vollenden. Wir waren aber nicht in der Lage, das Album in einer Session aufzunehmen, obgleich wir es selbst finanziert hatten, und auch die Songs noch nicht fertig waren. Chris und Sunny von Sunny Bastards kamen auf uns zu, weil sie unser Album auf ihrem Label veröfentlichen wollten. Wir kannten sie bereits und waren sehr erfreut, mit ihnen arbeiten zu können. Das Album hätte letztes Jahr fertiggestellt werden können, aber es hat ein bisschen gedauert, uns alle zusammen zu bekommen, um die letzten Feinheiten vorzunehmen. Unser Produzent King Glover arbeitet momentan an den Dub-Versionen von den „About Time“-Songs.

Andere Highlights über die Jahre: Mit den SKATALITES auf dem Rosslau Ska Festival spielen! Unsere Japantour 2008 war eine fantastische Erfahrung wie auch unsere Ungarntour (mit THE LAST MINUTE), sowie die Slowakei letztes Jahr. Uns haben auch wirklich all die Konzerte in Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien, Italien, Dänemark und Tschechien gefallen. Es ist auch fantastisch, so viele Freundschaften mit so vielen Bands zu schließen und sie zu treffen. Ich habe es schon ein paar Mal erwähnt, aber es ist immer ein Vergnügen, SPICY ROOTS und K-MOB zu sehen oder mit ihnen zu spielen. Unsere neueren Fans sind EL BOSSO MEETS THE SKADIOLAS, LOS PLACEBOS (okay, die kennen wir schon seit Jahren) und PORT ROYAL. Es hat auch Spaß gemacht, mit Oi!-Bands wie etwa THE GUVNORS aus Schweden und GIMP FIST aus Darlington in Großbritannien zu spielen.

Unser neues Album „About Time“ kommt im Oktober auf Sunny Bastards raus. Darauf gibt es ein Sequel zu „Dave and Mary“, neue Versionen von „Doing alright“ und „Singing to the moon“ von den LONG TALL TEXANS und eine Bläsersektion. Bei unserer Albumtour im Oktober werden wir von einer Bläsersektion begleitet, mit Steve „Chalky“ White von THE DANCE BRIGADE und Steve Turner von der MADNESS-Bläsersektion.

Die Leute fragen uns immer: „Warum Ska?“ Aus der Sicht des Musiker, der live spielt, ist Ska unschlagbar. Das Publikum vom ersten bis zum letzten Lied tanzen zu sehen, ist eine aufregende Erfahrung und lässt uns die Konzerte besonders genießen. Und das scheint das Publikum die Konzerte besonders genießen zu lassen.

Bosky/THE HOTKNIVES