HERZBLUT

Foto© by Leonie Sonnabend

Ist das noch Punkrock?

Ist das noch Punkrock? Das fragten bekanntlich DIE ÄRZTE schon vor geraumer Zeit im gleichnamigen Song ihr Publikum. Bei den Berlinern HERZBLUT sollte man vielleicht eher fragen: Ist das auch Punkrock? Nicht nur die jüngst in der ARD gezeigte Doku „Millennial Punk“ zeigt ja, was alles tonal und merkwürdigerweise so in Richtung Punk geschoben wird. Mit Aussagen wie „Ich mag Band XY und ich kann YZ nicht ab“ könnten prinzipiell alle weiteren Diskussionen erledigt sein und man würde nicht davon belästigt, wie wichtig etwa HipHop für die Szene war. HERZBLUT haben durchaus auch schon ihr Fett abbekommen. Das Urteil „Zu glatt, fast Deutschrock“ geisterte schon durch die Lande. Wie sieht die Band das selbst, die übrigens in einer Berliner Kneipe gegründet wurde und soeben ihr drittes Album „Radikal verliebt“ veröffentlicht hat? Sänger Benny gibt Auskunft.

Ihr habt eurer Heimatstadt ja schon auf dem Vorgänger „Berliner Jungs“ ein kleines Denkmal gesetzt und dabei einen alten Original-Gassenhauer verwendet. Wie viele waschechte „Balina“ sind denn nun wirklich in der Band?

Drei von fünf HERZBLUT-Mitgliedern sind in Berlin geboren und aufgewachsen. Das liegt knapp über dem Schnitt, den eine unabhängige, ständige Kommission empfiehlt. Diese Quote haben wir auch in der Vergangenheit schon erfüllt. Alleine wegen des Vibes und der Credibility liegt uns das wirklich sehr am Herzen. Aber grundsätzlich finde ich: Wer in Berlin angekommen ist und sich wohl fühlt, ist ein Berliner.

Ihr besingt auf dem neuen Album ja auch den berühmten „Ku’damm“. Schon stark, wo doch in Film und Fernsehen nur noch Orte im früheren Ost-Berlin gezeigt werden. Es macht Spaß, dort zu flanieren, oder nicht? Diesen Kontrast zu fühlen meine ich, Geschichte, Kultmeile und immer noch diese ganzen Schnösel ... Heiße und kalte Gefühle im selben Moment?
Wir kennen den Ku’damm hauptsächlich von der U-Bahnstation darunter! Doch Spaß beiseite. Der Text ist metaphorisch gedacht, und wie du natürlich zu Recht anmerkst, steht der Ku’damm für Glanz und Glamour, für Reichtum und Sehnsucht. In gewisser Weise steht er auch für die Sehnsucht nach einer vergangenen, nicht wiederkehrenden Zeit. Dass sich der Großteil der Menschen den Luxus dort niemals leisten kann, ist die Kernaussage des Songs. Er handelt von der Schere zwischen Arm und Reich. Die gab es früher, die gibt es heute und die wird es leider weiterhin geben. Ob nun mehr in Friedrichshain gefilmt wird oder in Charlottenburg, wissen wir nicht. TV ist nicht so unser Ding. Außerdem hat „Frankfurter Allee“ nicht so gut auf die Melodie gepasst!

Im Auftaktsong ist gleich eine heftige Gitarre zu hören. Die klingt fast wie bei ROGER MIRET & THE DISASTERS. Wollt ihr frischen Fans damit etwa noch beweisen, dass ihr wirklich Punk seid und nichts anderes?
Wenn wir bei dir solche Assoziationen wecken, ist das tierisch! Ich habe schon immer das gemacht, worauf ich Bock hatte. Manchmal habe ich Bock auf schnelles Geschrammel, dann wieder auf friedliche, spaßige Texte, dann kann es wieder härter sein. Aber wenn es eine Punk-Anleitung gibt, die man nachlesen kann, immer her damit, dann kann ich sie bewusst ignorieren! Ich glaube, wenn wir nun anfangen zu sagen, das dürfen wir nicht mehr machen, das ist nicht Punk, sondern das wird als Deutschrock, Schlager, Techno oder japanische Kampfkunst-Musik bewertet, würde das heißen, dass wir uns an Regeln halten, und das wäre für mich auch kein Punk mehr. Da du Roger Miret erwähnt hast ... AGNOSTIC FRONT und das ganze NYHC-Umfeld hatten auch viele Einflüsse von anderen Stilen. Nicht nur Metal und HipHop, sondern auch Rock’n’Roll, Blues und Reggae. Auch zu unseren Punkrock-Wurzeln kommen viele andere Einflüsse hinzu und wir sehen es nicht als nötig an, diese zu verstecken. Punkrock bedeutet für uns neben DIY auch „Tu’ was du willst“. Das ist auf der neuen Scheibe auch zu hören.

Laut dem Titeltrack „Radikal verliebt“ befindet ihr euch „im Widerstand“. Wogegen eigentlich, wo heute doch fast ein jeder ein Rädchen im System ist?
Das Lied ist reine Interpretationssache. Das merkt man auch bei unserem Video zu „Radikal verliebt“. Wenn um einen herum überall Feuer ausbricht, sollte man das, was man liebt, nicht aus dem Auge verlieren. Man sollte den Hass nicht an sich ranlassen und sich einfach auf das, was man liebt, konzentrieren. Wogegen einer letztendlich wirklich ankämpft, weiß jeder nur selbst. Wenn Steine fliegen und alles knallt und man trotzdem auf sich oder auf das, was man liebt, anstoßen kann, statt in Panik zu verfallen, dann ist man im Einklang mit sich selbst. Man kann aber natürlich auch ein besetztes Haus erkennen, ein Liebespaar und die Polizei, die das traute Heim zerstören will.

Das mit dem Labelwechsel von Demons Run Amok zu Dead Serious ging ja fix. Wie kam es dazu?
Demons Run Amok ist ein klasse Label und wir sind sehr dankbar, dass wir „Berliner Jungs“ dort releasen konnten. Das mit Dead Serious hat Marc von M.A.D. eingefädelt. Er kam mit Andy ins Gespräch, der uns sowieso schon auf dem Schirm hatte, und wir fanden das Konzept und die Ideen von Dead Serious super. Das ging dann alles super schnell. Ich habe mit Andy telefoniert und wir waren uns von Anfang an sympathisch. Wir fühlen uns da sehr gut aufgehoben und hoffen auf eine lange Zusammenarbeit.

In einem Lied kommt wieder deine „Farin Urlaub-Gedenkstimme“ zum Vorschein. Ich meine natürlich das Stück „Watt soll’s“.
Witzig, dass du dort Farin Urlaub erkennst. Für uns ist das eher Bela B an den Stellen, wo es etwas tiefer wird. Im besten Falle sind in dem Song alle drei Ärzte erkennbar. Bela B in der Strophe, Farin Urlaub im Refrain und Rod spielt die Bass-Line. Wenn man nur gründlich genug sucht, findet man auch BLINK-182 und Rio Reiser.

Und noch ein Lied muss ich erwähnen, „Nie mehr BVG“, wo ihr musikalisch zwischen WIZO und DIE ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN wandelt. U-Bahn fahren in Berlin ist doch eigentlich immer ein spannender Film, oder?
Die U8 ist ein Krimi und eine Komödie zugleich! Eine komplette Katastrophe. Sollte man unbedingt erleben – oder auch nicht. Wer mehr auf Club Mate und Bubatz steht, dem ist die U1 zu empfehlen, und die durch eine irische Band sehr bekannt gewordene U2 gibt einem manchmal das Gefühl, in einer anderen Großstadt im Urlaub zu sein. Der Songtext ist nihilistisch und auf jeden Fall ironisch zu verstehen. Man kann der BVG auch nicht für alles die Schuld geben!

Da muss ich dir ohnehin ein Kompliment machen. Während andere Sänger:innen schreien und plärren, was auf Dauer anstrengend ist, sorgst du mit deiner Stimme für einen gewissen Wohlfühlfaktor. Dafür dass du eigentlich Drummer bist, echt stark. Auf den Spuren von Peter Criss?
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, haha. Ich wollte nie Sänger werden, sondern wollte es ein wenig wie Bela B machen. Drums spielen, manchmal Blödsinn reinbrüllen und vielleicht mal die Zweitstimmen singen. Ich hatte mir das Singen nie zugetraut, ich war auch bei der Bandgründung als Schlagzeuger eingeplant und wir wollten uns einen Sänger suchen. Das stellte sich als gar nicht so leicht heraus. Entweder konnten die nicht singen oder es passte nicht. Einmal kam sogar einer zum „Casting“, der uns nur das Bier weggesoffen hat. Ich bin mir nicht mal sicher, ob der wirklich singen wollte. Ich fand’s cool. Schade, dass der kein Instrument spielte. Am Ende war es leichter, einen Schlagzeuger zu finden, und ich dachte mir, ich versuche es einfach mal mit dem Gesang. Es macht mir mittlerweile sogar Spaß. Vor allem der Auf- und Abbau.

Hier muss ich abermals mit einem aktuellen Song nerven. „Randalieren“, mit dem abgefahrenen Gesang und dem „Oi!“-Ruf, der bildet euch doch absolut in Gänze ab, oder?
Dieses „Oi!“-Ding ist eigentlich so ein Insider von uns. Es gab mal eine Zeit, in der wir bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in allen Songs immer „Oi!“ gebrüllt haben. Das wollte ich jetzt einfach mal in einem Song festhalten. Ich finde es super und es fällt auf! Umso besser. „Randalieren“ ist tatsächlich einer meiner Lieblingssongs. Er entstand sehr schnell, als ich Matze einfach eine Sprachnachricht schickte und sagte: „Ey mach mal ein Riff, das in der Strophe dödödödö, und im Refrain dödö dödödö dödö geht“. Ich glaube, ein oder zwei Stunden später hatte ich die Riffs mit einem Beat. Ich wollte einfach mal wieder schreien. Live kommt der super. Mit „Randalieren“ wollte ich einfach toben. Wenn uns der Song in Gänze abbildet, sind wir sehr stolz auf beides.