HEIMATGLÜCK

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Wohlstandskind, das spinnt!

Im Ox-Fanzine findet man nicht immer nur Erbauliches, wenn man auf der Suche nach gutem Punkrock ist. Nicht alle meine Mitschreiber haben meiner bescheidenen Ansicht nach eine Nase für gute Musik, nette Leute und lohnenswerte Themen. Ein HEIMATGLÜCK-Interview? "Gut so, mein Bester!", rufe ich. "Sacre bleu! Hätte ich auch selbst drauf kommen können ?", denke ich mir.

Denn nach gefühlten 100 Jahren mit dieser bezaubernden Band aus der Hansestadt Hamburg auf dem heimischen Plattenteller wird es Zeit, eine der süßesten Stinkefinger-Pop-Phänomene der Neuzeit einmal nach Fakten und Hintergründen zu befragen. Chris hat sich mit Coco (Bass, Gesang), Jana (Gitarre, Gesang) und Felix (Schlagzeug, Gesang) unterhalten und die Essenz dieser Korrespondenz habt ihr hier vor euch. HEIMATGLÜCK, das sind pinkfarbene Kettensägen, bissige Kuscheltiere und Regenbögen, an deren Ende ein Eimer voller Kritik steht. Angebrachter und längst überfälliger Kritik. Wer es also stets ein wenig was anders braucht, der steige bitte ein. Der tauche hinab in die Welt von HEIMATGLÜCK und fühle sich dort pudelwohl, jetzt!



Wie, du kennst nicht die Heimatglück-Romane aus dem Kelter-Verlag? Die sind super. Ich hab die früher immer auf dem Weg zur Schule gelesen." Es ist sicher nicht verkehrt, HEIMATGLÜCK das Etikett "origineller, eigenständiger deutschsprachiger Punkrock" aufzudrücken. Schließlich beweisen sie ihre ganz eigene Qualität auch auf dem neuen HH-Sampler von Klartext Records, auf dem sie neben RAZORS, SS ULTRABRUTAL, RANTANPLAN, MOTORMUSCHI und vielen anderen vertreten sind. Zudem haben HEIMATGLÜCK mit ihrer aktuellen Single auch die zehnteilige Klartext-Serie über HH-Bands abgeschlossen, "die theoretisch ja schon vor zwei Jahren abgeschlossen sein sollte." Aber was lange währt, wird endlich gut. Wobei die vier Songs darauf deutlich melodischer ausfallen, als ihre noch ungestümeren frühen Punksongs. So haben HEIMATGLÜCK in den zehn Jahren seit ihren ersten Tapes, einer Splitsingle (1997) mit PANKZAKROIZA POLPOTKIN (heute: SCHNELLER AUTOS ORGANISATION) und ihrer Doppel-7" "Zwei Stück in einer Packung" (1999, 2006 als CD wiederveröffentlicht) eine Zugänglichkeit entwickelt, die sie bereits auf ihrem Album "Können gebratene Tauben fliegen?" (2003) weitaus poppiger klingen lässt, ohne das rotzig Direkte und Schräge vermissen zu lassen.

Was HEIMATGLÜCK so verführerisch macht, ist ihre Fähigkeit, Humor und politische Inhalte auf direkte Weise zu kombinieren, ohne dass es platt klingen würde. Hinter scheinbar naiven Texten verbergen sich zivilisationskritische, intelligente Punksongs, die zuckersüß ins Ohr gehen, und nicht umsonst drängt sich dabei immer wieder der Vergleich mit HANS-A-PLAST auf, den man seitens der Band auch gelten lassen kann. Felix: "Wir wollten anfangs keine platten Polittexte machen, weil die gibt es schon zuhauf. Deswegen sind es halt eher Alltagssituationen." Und Jana ergänzt: "Es sind schon sehr persönliche Eindrücke. Die Songs richten sich auch nicht so nach außen wie eine Parole, das ist gar nicht die Absicht beim Schreiben. Für mich ist Jammern auch eine gute Antriebsfeder, um was zu schreiben. Man macht das auch, um sich selber gut zu fühlen." Coco dazu: "Es hat auch immer viel mit dem eigenen Standpunkt zu tun. Das unterscheidet das auch von diesem Parolenhaften. Depression quasi als Zivilisationskrankheit Nummer eins. Es ist ja auch kein Zufall, dass man gerne in etwas wohlhabenderen Gesellschaften über Antriebslosigkeit und Leistungsunfähigkeit klagt. Und wir sind ja selbst auch alle Mittelwohlstandskinder. Es ist ja auch kein Aufruf zur Revolte, es ist eher so, dass man sich selbst als Bestandteil von gesellschaftlichen Zwängen begreift, und aus diesem Standpunkt heraus schreibt, daher ist es aber auch explizit politisch."

"Wir werden auch immer ausgefeilter", fügt Coco noch hinzu. Ob das deswegen mit neuen Veröffentlichungen so lange dauert, oder weil die immer mit einer spießbürgerlichen Idylle kokettierenden, aufwendigen, in bewährter D.I.Y.-Manier liebevoll selbstgebastelten Covergestaltungen soviel Zeit in Anspruch nehmen? Dem Anspruch auf Aktualität begegnen HEIMATGLÜCK jedenfalls mit souveränem Streben nach Qualität: "Es ist ja nicht nicht-aktuell, nur weil man nicht jedes Jahr eine neue Platte macht. Ich find es besser, wenn man konstant arbeitet und auch viel live spielt. Es ist uns auch wichtiger, dass unsere Platten anders sind, als wenn wir doppelt so viele machen würden, die dann dafür alle gleich klingen." Außerdem wird bereits an Material für eine neue Platte gearbeitet, doch das will erst richtig ausgefeilt sein. Wir sind gespannt.

KK, Chris Wilpert