Die Altpunks HASS, Bandgründung 1978 im nördlichen Ruhrgebiet, feiern bald ihr vierzigjähriges Bestehen. Gegenwärtig sind sie fleißig am Touren und ihr Konzert im Osnabrücker Bastard Club ließ ich mir nicht entgehen. Mit Sänger Tommi, Bassist Chris und Gitarrist Peter unterhielt ich mich vor dem Auftritt über Vergangenes und Aktuelles.
Ich fand den Namen HASS eigentlich immer recht unpassend für euch. Ihr seid doch eher wütend als hasserfüllt.
Peter: Du hast ja recht. Eigentlich sind wir ja im Namen der Liebe unterwegs. Mit Bert, unserem ersten Schlagzeuger, habe ich damals überlegt: Wie heißen wir denn jetzt? Da klang „Hass“ geil. Im Sinne von Punkrock: aggressiv und gemein. Heute ist das natürlich ein Scheißname. Wenn Leute den Bandnamen lesen, denken viele, dass wir Nazis sind. Aber es steckt nichts weiter dahinter. Zu der Zeit, also 1978, da musste man als Punkband einfach schocken und da war ein Name, der so aggro war wie HASS, einfach super.
Wo wir gerade bei eurer Anfangszeit sind, fällt mir euer Song „Ihr Helden“ ein, von eurem ersten Album. Der wurde einem breiteren Publikum durch DIE ÄRZTE bekannt.
Tommi: Haha, das habe ich mir angehört, ist ein sehr gutes Cover geworden.
Peter: Habe ich noch auf Schallplatte. Wie hieß die Platte noch? „1, 2, 3, 4, – Bullenstaat!“? Es gibt da dieses „Notenfreund“-Buch, da sind die Noten oder Akkorde von allen DIE ÄRZTE-Songs drin, „Ihr Helden“ ist auch mit dabei. Von dem Buch hab ich noch ein Belegexemplar. Die mussten mich als Komponisten und Texter ja vorher anfragen, ob sie die Noten und die Lyrics von dem Song abdrucken dürfen.
Nach dem Debüt kam bis 1989 kein neues Album mehr.
Tommi: Die Band gab es ja auch ab 1983 nicht mehr. Sechs Jahre Pause. Ich war noch nicht bei HASS dabei zu der Zeit – also vor der Bühne schon, aber nicht auf der Bühne –. aber so wie ich das mitgekriegt habe, war die Luft einfach raus.
Peter: Ein Hauptgrund, dass wir keinen Bock mehr hatten, lag in dem Ariola-Deal, den wir damals hatten. Unser Album kam erst bei H’art Musik raus. Die zweite Auflage hat dann Ariola gemacht – und plötzlich standen unsere Platten meterweise bei Karstadt drin. Wir haben uns da erst mal gar nix bei gedacht, außer: geil! Damals war das ja noch das Übliche, wenn du eine Platte machen wolltest, dass du auch einen Plattenvertrag haben musstest. Als so eine große Firma wie Ariola auf uns zukam, war das für uns eine tolle Bestätigung: Geil, jetzt will so ein großes Label uns haben. Anerkennung war das für uns, dafür, dass wir mal was auf die Kette gekriegt haben. Hätten wir damals eine zweite Platte gemacht, wäre die auch bei Ariola rausgekommen.
Klingt ja erst mal nach einer runden Sache!
Peter: Ja, aber dann haben wir gemerkt, wie gnadenlos die Punk-Szene ist. Wir waren für die plötzlich die Kommerz- und Verräterschweine.
Chris: Ariola-Schweine!
Peter: Da gibt es ein Video auf YouTube von einem Auftritt. Alle sechs Bands, die an dem Abend gespielt haben, haben über einen halbkaputten Bassverstärker gespielt. Da ging alles drüber: Gesang, Bass, Gitarre. Alles in einen Verstärker rein. So hört es sich auch an. 600 Leute waren da und als wir gespielt haben, haben 300 davon „Ariola-Schweine! Ariola-Schweine!“ gebrüllt. Gab zwar auch mächtig Gegenwind von der anderen Hälfte – aber für uns war das der Grund zu sagen: „Pfff ... das tun wir uns nicht mehr an.“ Wir hatten doch auch gar keine Ahnung von den ganzen „Spielregeln“. Wir waren einfach nur ein paar junge Typen und fertig.
Tommi: Ich habe das anders empfunden, aber ich war ja auch nicht auf der Bühne. Ich habe das mit den Anfeindungen nicht als ganz so schlimm in Erinnerung. Die Diskussion um Ausverkauf gab und gibt es ja immer, schon bei THE CLASH. Als ich später bei HASS dabei war, war das aber super, dass wir da gesagt haben: Nee, lasst uns das ab jetzt alles selber machen, ohne andere. Und dann haben wir Hass-Produktion gegründet, unser eigenes Label.
Peter: Ja, das war die Lehre daraus. Als wir 1988/89 wieder angefangen haben, war klar, dass wir den Scheiß ab sofort ganz alleine machen. Das hat sich erst mit unserer letzten Platte geändert, die wir über ein anderes Label haben rausbringen lassen.
1989 gab es euer Comeback mit der LP „Zurück in die Zukunft“ und dann folgte „Gebt der Meute was sie braucht“, die 1990 erschien. Die „Meute“ ist bis heute wohl eure erfolgreichste Platte.
Chris: Vorher gab es noch eine 4-Track-EP.
Peter: Aber richtig, die „Meute“-Platte ist die wichtigste aus dieser Ära.
Damals kam es ja zur Wiedervereinigung. Hatte das einen Einfluss auf die Entscheidung, die Band wieder zu aktivieren?
Peter: Nee!
Tommi: Das war einfach Bock. Wie jetzt auch wieder. Einfach Bock, wieder Mucke zu machen.
Peter: Die Wende war mir völlig egal.
Aber gerade auf „Gebt der Meute was sie braucht“ ist die Wende ja ein großes Thema. Mit „Nichts wie weg“ habt ihr einen Song, der prophetischen Charakter hatte. Da geht es um die DDR-Bürger, die nun rausdürfen, aber bald ernüchtert zurückwollen – in ein Land, das es aber schon nicht mehr gibt.
Peter: Ja, ist alles wahr geworden.
Tommi: Den Text fanden auch viele von denen gut, die aus dem Osten kamen. Die Konzerte, die wir da gespielt haben, waren klasse.
Peter: Auf der „Allesfresser“-LP von 1992 haben wir das noch mal aufgegriffen: „Wir kaufen uns den Rest der Welt, durch Fleiß und Arbeit zur Weltherrschaft, jeden Tag ein bisschen mehr“ – da sind wir doch heute. Manchmal staune ich selber, dass die Texte immer noch auf das aktuelle Zeitgeschehen passen.
Die Wurzeln von PEGIDA und all diesem Scheiß liegen ja auch mit in der Zeit der Wende. Aber ihr werdet die Wiedervereinigung damals ja wahrscheinlich nicht nur als schlecht erlebt haben oder?
Tommi: Wenn du politische Texte schreibst, thematisierst du ja automatisch die Dinge, die dir Sorge bereiten. Ich erinnere mich, dass ich es sehr spannend fand zu sehen, wie die Menschen von „drüben“ drauf sind. Wenn man sich das vor Augen hält, dass dort ein autoritäres Regime nach dem anderen geherrscht hat, weiß man auch, weshalb so was wie PEGIDA dort die „Volksseele“ repräsentiert. Jetzt haben die mit der AfD auch ihren politischen Arm. Das ist gefährlich.
Auf dem Album „Allesfresser“ war auch der Song „Asylanten“. Damals bezog sich das auf Rostock-Lichtenhagen. Zwanzig Jahre später der gleiche Scheiß von vorne.
Peter: „Von einer Scheiße in die andere“, heißt es in dem Song und das hätte ich auch heute so schreiben können.
Tommi: Das Schlimme ist ja: Das ist noch lange nicht erledigt. Das wird noch zunehmen. Wenn man sich den globalen Nord-Süd-Konflikt anguckt, liegt das ja auf der Hand. Dann wird über kurz oder lang auch die Klimakatastrophe weiter mit reinspielen.
Chris: Fremdenfeindlichkeit ist in Deutschland seit jeher sehr verbreitet. Es kommt nur manchmal mehr an die Oberfläche.
Peter: Der große Unterschied ist, dass sich heute ganz offen zu dieser Scheiße bekannt wird. Da war früher verschleierter.
Dass es diesen ganzen Dreck immer noch gibt, verleiht euch ja als Band auch eine Existenzberechtigung. Wenn ihr eure Songs spielt, ist das keine Oldie-Veranstaltung, wo Texte zum Besten gegeben werden, die keinen Lebensbezug mehr haben.
Chris: Das ist wie 1988 – das Gefühl, dass wir als Band noch etwas zu sagen haben, und daher eine Berechtigung haben. Wenn es uns nicht mehr geben müsste, wäre das eigentlich gut, hehe!
Peter: Auch als wir 2000 erneut aufgehört haben, war das nicht so, dass wir dachten, wir haben nichts mehr zu sagen. Es war eben einfach nur vorbei. Was die Leute davon gehalten haben, war mir völlig egal. 2007 kam dann noch mal die Abschiedstour, weil es 2000 doch etwas sehr sang und klanglos abgelaufen war. Die Tour war auch sehr gut, überall ausverkauft. 2013 haben wir dann wieder Musik gemacht – aber einfach wegen der Entzugserscheinungen.
Tommi: Peter rief mach an und eigentlich wollten wir gar nicht explizit wieder HASS machen, sondern einfach ein bisschen Musik. Und dann haben wir gemerkt: Okay, klingt doch wieder alles nach HASS. Wir wollten das gar nicht, aber Arschlecken. Dann halt wieder HASS.
Müssen sich die Fans darauf gefasst machen, dass HASS wieder ganz abrupt von der Bildfläche verschwinden könnten?
Tommi: Erst mal nicht. Die Tour läuft noch bis zum Herbst und es kommt nächstes Jahr eine neue Platte. Die aktuelle Bandbesetzung funktioniert auch sehr gut.
Peter: Das Material ist teilweise schon im Kasten. Kreative Probleme gibt es keine, es gibt viel zu sagen. Wenn alles glatt läuft, kommt das Album, wie unsere letzte Platte „Kacktus“, wieder bei Aggressive Punk Produktionen raus. HASS denken nicht ans Aufhören!
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