Mit „Macht kaputt, was längst kaputt ist“ hat die Punkband aus dem Ruhrpott 2020 eines der besten Alben ihrer Bandgeschichte veröffentlicht. Zugleich ist es auch die letzte Scheibe mit Sänger Tommy, der die Band mittlerweile verlassen hat. Wir sprachen mit HASS – die aktuelle Besetzung besteht aus Marv Mandela (voc), Peter Blümer (gt), Burn Harper (dr) und Karsten Siebert (bs) – natürlich über ihr neues Album. Weitere Themen sind der Einfluss von TON STEINE SCHERBEN, das „Abendland“, wie es Oliver Kalkofe auf das Album geschafft hat und wie es mit Marv als neuen Sänger weitergehen wird.
Warum hat es bis zum neuen Album nun doch mehrere Jahre gedauert?
Peter: Mehrere Jahre? Das Album ist eigentlich „nur“ ein Jahr später als geplant fertig geworden. Das lag an mehreren Umbesetzungen in der Band – Tommy der Sänger und unser Basser Chris sind in ihren wohlverdienten musikalischen Ruhestand gegangen. Das war erst mal ein schwerer Verlust. Beide waren schließlich dreißig Jahre lang fester Bestandteil von HASS. Da war erst mal die Luft raus bei der Platte. Burn und ich wussten nicht, ob es überhaupt noch mal weitergeht. Zum Glück haben wir mit Karsten, der auf der „Kacktus“-Platte ja schon der Drummer war, bald einen neuen Bassisten gefunden, der zu uns passte. Tommy hat sich dann bereit erklärt, als seine letzte Tat für die Band, auf dieser Platte noch zu singen, und wir konnten weitermachen. Mittlerweile haben wir mit Marv ja einen neuen Sänger gefunden.
Karsten: Wie Peter schon sagte, in der Phase nach der „Kacktus“-LP gab es in der Band einige personelle Wechsel. Um konzentriert neue Songs zu erarbeiten, musste erst mal Ruhe einkehren. Wir konnten aber auf viele Ideen zurückgreifen, die wir seit Jahren mit uns herumgeschleppt haben. Nur muss man die Teile richtig zusammensetzen und das kann dauern. Denn Songs brauchen Zeit zum Reifen! Aber sehen wir es doch mal so: Zwischen der „Endstation“-LP und „Kacktus“ lagen sogar 14 Jahre. Somit sind wir mit sechs Jahren zwischen zwei Platten erstaunlich gut in der Zeit!
Der Albumtitel bezieht sich auf „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ von TON STEINE SCHERBEN. Wieso habt ihr den Slogan umgewandelt? Und waren das mal Vorbilder für euch?
Marv: Rio Reiser ist einfach eine unsterbliche Ikone, auch für meine Generation!
Peter: Der Spruch ist Kult und ganz klar von den Scherben und Rio Reiser populär gemacht worden. So wie ich es meine zu wissen, ist der aber nicht ursprünglich von den ihnen, sondern kommt aus der damaligen Sponti-Szene. Wie auch immer – unser Albumtitel ist ein zeitgemäßes Upgrade des alten Spruchs, das jedem genug Raum lässt, ihn frei zu interpretieren. Die Scherben und Rio Reiser sind auf jeden Fall ein Einfluss für jeden in der Band.
Karsten: Wir haben mit HASS bereits drei Rio Reiser-Songs gecovert: „Menschenfresser“, „Wann“ und „Alles Lüge“. Dadurch ist eine gewisse Nähe zu TON STEINE SCHERBEN nicht von der Hand zu weisen. „Keine Macht für Niemand“ ist ja quasi die erste Deutschpunk-Platte überhaupt. Den aktuellen Albumtitel sehe ich so: Wenn sowieso alles kaputt ist, ist man gezwungen neu anzufangen. Das ist ja dann etwas Positives!
Auf dem Cover ist eine holzschnittartige Grafik von Eric Drooker: ein Mann, der mit einem Hammer eine Mauer einschlägt. Das Backcover zeigt eine Abrissbirne, die Innenbilder zerbombte Stadtansichten. Wieso passen diese Motive zur neuen HASS-LP?
Peter: Das Bild und der Albumtitel haben sich super ergänzt. Der Rest sollte sich eigentlich von selber erklären. Da wollen wir nichts vorgeben.
Karsten: Das Artwork illustriert natürlich in erster Linie den Begriff „kaputt“, beziehungsweise das Kaputtmachen im Albumtitel.
Die nächste Umwandlung einer Parole ist „Abendland verrecke“. Warum jetzt nicht mehr Deutschland?
Peter: Du meinst wahrscheinlich die Parallele zu dem SLIME-Song? Bei uns geht es ja nicht um ein Land, sondern um eine Kultur. Es gibt kein Abendland als Staat. Das hat für uns den Witz ausgemacht! Der Song geht inhaltlich gegen die PEGIDA, die bekanntlich ja das Abendland retten wollen, und wir sagen denen hier, was wir von ihrer menschenverachtenden Sicht auf Flüchtlinge halten.
Karsten: Die Parole richtet sich auch an alle diejenigen, die vorgeben, unser Land vor dem vermeintlichen Untergang schützen zu müssen, aber selbst nicht in der Lage sind, konkrete Lösungsvorschläge anzubieten, und stattdessen mit so abstrakten Begriffen, die sie selbst nicht richtig deuten können, wie eben zum Beispiel „Abendland“, um sich werfen und sie völlig falsch verwenden. Darum: Nehmt euer Scheiß-Abendland und steckt es euch irgendwo hin!
Ich finde die neuen Songs griffiger als die beim letzten Album. Das Songwriting wirkt melodischer, schneller und auch mehr auf den Punkt. Seht ihr das genauso?
Peter: Genau dasselbe wurde von der letzten Platte auch schon gesagt. Ist mir nicht so bewusst. Wir haben es einfach rausgehauen, wie wir es immer schon gemacht haben.
Karsten: Das mit dem Songwriting hat sich einfach ergeben. Es ist nicht so, dass wir uns zusammengesetzt und uns vorgenommen haben, jetzt mal ein poppiges Album mit schnellen Songs zu machen. Das war Zufall. „Kacktus“ wirkt im Vergleich zur neuen Platte tatsächlich etwas schwerfälliger, aber es ist immer noch ein Album, das uns viel bedeutet.
Ihr besingt in eurem Song „Abrissbirne“ die Zerstörung aller vermeintlichen Gotteshäuser jeder Religion. Seht ihr euch als Abrissbirne? Und wäre das nicht auch ein passender Albumtitel gewesen?
Peter: Nein, wir verstehen uns nicht als Abrissbirne! Der Song soll auch niemanden zu Gewalt oder Zerstörung animieren. Es ist aber nun mal so, dass viel Scheiße auf der Welt einen religiösen Hintergrund hat und es echt mal eine Überlegung wert ist, das abzuschaffen. Wenn die Menschheit vielleicht gedanklich irgendwann soweit wäre, dass es keine Götter gibt, und man sein Leben besser selber in die Hand nimmt und bestimmt, dann schlägt die Stunde unserer Abrissbirne. Das wäre, wie du sagst, auch als Albumtitel nicht schlecht gewesen. Aber wir wollten bewusst keinen Titelsong.
Karsten: Grob zusammengefasst kann man ja sagen, dass der Mensch schon immer Glaubenskriege geführt hat und Religion nach wie vor eine der Hauptquellen des weltweiten Übels ist. Das geht schon seit Jahrtausenden so. Nur etwas Anständiges ist dabei ja nie rausgekommen. Am Ende ging es immer nur darum, Macht auszuüben und andere zu unterdrücken. Ohne Kirche, Religionen und so weiter wäre uns vielleicht vieles von dem Grauen erspart geblieben. Wie gesagt, der Titel beschreibt natürlich überspitzt diesen Grundgedanken, wie eine Welt, eine Gesellschaft ohne Kirche aussehen könnte. Aber es bedeutet nicht zwangsläufig, dass jeder von uns den Begriff Kirche per se ablehnt. Denn wenn du alle Bandmitglieder nach ihren religiösen Ansichten fragen würdest, hättest du am Ende bestimmt ganz unterschiedliche Antworten. Da schleppt jeder sein eigenes transzendentales Päckchen mit sich herum, inwieweit man Gott, Glaube et cetera in sein Leben lässt. Aber Kritik an der Kirche ist durchaus angebracht.
Marv: Wir alle sollten uns auf das Hier und Heute konzentrieren und nicht auf Götzen und falsche Propheten. Der Song beschreibt dies sehr schön. Wenn man bedenkt, dass in kürzester Zeit Milliarden für die abgebrannte Kirche Notre-Dame an Spenden zusammengekommen sind, aber es schon zu viel ist, ein paar hundert Flüchtlinge aufzunehmen, merkt man erst einmal, in was für einer verkorksten Welt wir leben.
Bei „Zum Scheißen zu doof“ spricht Oliver Kalkofe sowohl das Intro wie auch das Outro. Wie ist es dazu gekommen? Ist er vielleicht sogar ein alter HASS-Fan?
Karsten: Es ist ein Audioschnipsel aus seiner Satiresendung, der zufällig perfekt zum Song gepasst hat.
Peter: Keine Ahnung, ob er Fan ist, ich vermute aber, Oliver Kalkofe kannte uns eher nicht. Ich habe während der Plattenproduktion bei seinem Produzenten einfach mal per Mail angefragt, ob er uns das genehmigt. Daraus wurde aber erst mal nichts, da unser Bandname verständlicherweise auf jemanden, der uns nicht kennt, zunächst abschreckend wirkt. Unser Mischer Olli hat, nachdem er unsere Platte gemischt hatte, mit DIE ÄRZTE an ihrer neuen Platte gearbeitet. Er hat das dann mal so nebenbei erwähnt und Bela B meinte, dass Oliver Kalkofe ein Kumpel von ihm sei und er ihn ja mal anrufen könnte. Gesagt, getan, einen Tag später, zu unserer Freude, hatten wir die Genehmigung.
Einige Stücke erzählen Geschichten weiter, die schon auf vergangenen Alben Thema waren, wie in „Gang Bang“ das Jobcenter, „Verlierer“ erinnert mich an das „Siegerlied“ und „Digitaler Zungenkuss“ ist eine Art Fortsetzung von „Game Boys“.
Karsten: Das zeigt vor allem, dass die Welt sich kaum verändert hat und viele der Themen, die wir schon vor zwanzig, dreißig Jahren aufgegriffen haben, immer noch aktuell sind, was manchmal auch erschreckend ist.
Am 25. August hat in Kenosha in den USA ein 17-jähriger Rechtsradikaler zwei Menschen während einer Demonstration gegen Polizeigewalt erschossen. „Wo jeder eine Knarre hat“ handelt von der Waffengesetzgebung in den USA, wo schon Kinder bewaffnet sind. Warum habt ihr diesen Song geschrieben?
Peter: Erst mal weil wir grundsätzlich etwas gegen Waffen und Gewalt haben! Und in den USA, wo ja wirklich fast jeder eine Knarre hat, scheint es ganz normal zu sein, sich eben mal im Walmart zu bewaffnen. Und dann wundern die sich, wenn die Waffen auch zum Einsatz kommen und es regelmäßig Tote gibt. Als es mit Corona losging, sind die Deutschen losgerannt und haben Klopapier gekauft. Die Franzosen haben stattdessen Kondome gebunkert. Die Amis sind alle sofort ins nächste Waffengeschäft, um Knarren und Munition zu kaufen, damit sie für das Virus gewappnet sind. Da sind wir wohl eher bei den Franzosen ...
Karsten: Uns war irgendwie bewusst, dass solche Vorfälle wie in Kenosha zwangsläufig passieren müssen, das ist ja auch nichts Neues. Wirklich überraschend war dieser Mord eigentlich nicht, sondern, schlimmerweise, vorhersehbar.
Mit „Zum Scheißen zu doof“ gibt euer neuer Sänger Marv einen kurzen Einstand. Wäre das auch eine Option gewesen, dass Marv auf diesem Album öfter singt, auch wenn es das letztes Album mit Tommy ist?
Peter: Als wir an den neuen Stücken gearbeitet haben, war ja noch nicht klar, dass Tommy die Band gesundheitlich nicht mehr gestemmt bekommt. Er hat ja auch mit an den Songs gearbeitet und mit uns geprobt. Also war es auch klar, dass er die Platte noch einsingt. Marv hätte das bestimmt auch gut gemeistert. Aber dann hätten wir noch mehr Zeit verloren, da wir die ganzen Tracks erst mal monatelang mit ihm hätten proben müssen.
Karsten: Zu Beginn der Albumproduktion war Marv noch gar nicht in irgendwelche Bandaktivitäten involviert. Als klar wurde, dass wir nicht mehr mit Tommy als Frontmann auftreten können, wollten wir aber unbedingt noch das Album mit ihm machen. Damit wir gemeinsam mit Tommy nach über dreißig Jahren einen schönen, runden Abschluss schaffen. Aber die Platte hätte mit Marv als Sänger wahrscheinlich gar nicht so anders geklungen, da er und Tommy stimmlich in einer ähnlichen Liga unterwegs sind.
Wie geht es jetzt mit neuer Besetzung weiter? Die ersten Gigs mit Marv habt ihr schon gespielt, bevor Corona kam. Was ist geplant?
Peter: Wir proben gerade neue Songs für eine EP für Marvs Einstand als Sänger. Ein paar Gigs har er ja auch schon richtig cool abgerissen, bis Corona alle geplanten Auftritte verhindert hat.
Karsten: Die ersten Konzerte mit Marv waren super. Er ist noch jung und hungrig auf die Welt da draußen und mit Begeisterung dabei. Und, das finde ich ganz wichtig, er überzeugt mit seiner authentischen Art. Leider mussten wir ja Corona-bedingt alle weiteren Shows in diesem Jahr ausfallen lassen, aber wir planen derzeit, sämtliche Dates 2021 nachzuholen. Auf jeden Fall sehen wir uns in erster Linie als Live-Band, die auftreten und Konzerte spielen will.
Marv: Wir versuchen natürlich, möglichst viele Konzerte im kommendem Jahr nachzuholen. Dennoch ist das Ganze natürlich abhängig von der Entwicklung der Lage. So oder so sind wir heiß wie Frittenfett und möge uns das Schicksal gut gesinnt sein, dass wir nächsten Jahr das Dingen rocken!
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