Viele alte Fans haben den HARD-ONS immer noch nicht verziehen, dass sie sich kontinuierlich vom poppigen Punkrock der frühen Jahre hin zu einem weit vielschichtigeren Sound weiterentwickelt haben. Eine Entwicklung, die für viele mit der Reunion vor vier Jahren begann, wobei aber gerne übersehen wird, dass die Australier schon immer mit den verschiedensten Musikstilen experimentiert haben und spätestens 1993 mit „Too Far Gone“ vor ihrer temporären Auflösung den Grundstein für ihren einzigartigen Sound gelegt haben. Mit ihrem aktuellen Album „Very Exciting!“ ist es den HARD-ONS gelungen, diesen Sound zu perfektionieren: frei von jeglichen stilistischen Limitierungen, aber immer an die Wurzeln erinnernd. Und das ohne Gründungsmitglied, Drummer und Sänger Keish. Im Mai waren die HARD-ONS auf Europatour und ich unterhielt mich an einem lauen Frühsommerabend mit Sänger und Gitarrist Blackie im Biergarten des Kölner „Underground“.
Ich habe euch bisher nur einmal live gesehen, vor knapp zehn Jahren in Belgien. Ich habe die Hälfte eures Auftritts verpasst, um wegen des Schneesturms überhaupt noch nach Hause zu kommen. Danach habt ihr euch aufgelöst und auf eurer Reunion-Tour habe ich euch verpasst. Jetzt seid ihr endlich wieder da, aber ohne Keish. Was ist passiert?
Die Sache mit Keish hat der Band ziemlich geschadet. Auf der letzten Tour hatten wir schon das Gefühl, dass er kein Interesse mehr hat. Und das hat man seinem Spiel auch angehört. Aber obwohl wir ihn immer wieder fragten: ‚Hast du noch Lust? Bist du noch dabei?‘ hat er immer nur geantwortet: ‚Klar. Aber jetzt verpiss dich und lass mich in Ruhe.‘ Wir haben dann noch eine Australientour gemacht, die zwar ganz okay lief, aber als Ray und ich unbedingt wieder in Europa auf Tour gehen wollten, auch als Wiedergutmachung für die schlechte letzte Tour, da weigerte er sich. Als Keish dann endlich zugab, dass er das Interesse an der Band verloren hat, waren wir sehr erleichtert. Wir haben dann einen alten Kumpel namens Peter gefragt, ob er sich vorstellen könnte, bei den HARD-ONS zu spielen. Er konnte, und jetzt ist er dabei.
Die HARD-ONS wart immer ihr drei, beinahe 20 Jahre lang. Da wechselt man ja nicht einfach so ein Bandmitglied aus. Habt ihr über eine erneute Auflösung nachgedacht?
Sicher. Aber nach einem Gig in Australien mit Peter, der so wahnsinnig gut war und bei den Zuschauern so euphorische Reaktionen hervorgerufen hat, dass unsere letzten Zweifel, ob die HARD-ONS mit einem neuen Mitglied überhaupt funktionieren könnten, ausgeräumt waren, haben wir angefangen, neue Songs mit ihm zu schreiben und es lief einfach großartig.
Also ist das Kapitel Keish endgültig vorbei.
Definitiv. Er ist zwar immer noch mein Freund, aber ich könnte nicht mehr mit ihm auf einer professionellen Basis arbeiten. Ich kann nicht mit jemandem arbeiten, der kein richtiger ‚Rock‘n’Roll-Soldier’ ist, also nicht mit ganzem Herzen dabei ist. Keish möchte Musik eher so nebenbei machen, und ich wünsche ihm viel Glück dabei, aber für mich funktioniert das so nicht.
Was macht dich zum „Rock’n’Roll-Soldier“?
Ich habe nie meine Liebe zur Musik verloren. Es ist sogar so, dass ich, je älter ich werde, die Musik immer mehr liebe. Ich entdecke immer mehr Sachen, die mir gefallen und die ich auch selbst machen will. Meine Plattensammlung umfasst über zehntausend Stück, aber ich kann nicht aufhören Musik zu lieben. Ich hoffe das geht so weiter, bis ich tot bin. Ich bin auch nie zufrieden mit dem, was ich bisher getan habe, sage mir immer: ‚Du hast noch nichts wirklich Großes geschaffen‘.
Du hast den ultimativen Song noch nicht geschrieben.
Genau. Ich suche ihn immer noch. Ich bin zwar sehr glücklich, mit dem, was ich bisher gemacht habe, aber der ultimative Song fehlt noch, haha.
Ihr habt auf „Very Exciting!“ den Song „(Every Time I Hear) Techno (I Pray For Death)“ ...
Techno ist seelenlose White Trash-Musik, die in Australien nur von Yuppies gehört wird und was für Leute, die Angst davor haben, guten Hip-Hop oder Funk zu hören. Die Inspiration für den Song habe ich daher, dass ich einige Zeit in einem Rotlichtbezirk von Sydney gewohnt habe, direkt über einem Club und mir jede Nacht bis vier Uhr früh diesen Scheiß anhören musste. Ich habe wenig geschlafen zu dieser Zeit. Aber ich lehne elektronische Musik natürlich nicht generell ab, im Gegenteil. Ich kenne mich zwar nicht sehr gut damit aus, aber ich mag zum Beispiel PAN SONIC sehr gerne, die sind ursprünglich aus Finnland, leben jetzt aber in Barcelona und haben eine Platte mit Alan Vega gemacht. Und natürlich SUICIDE. Ihr erstes Album ist ein Killer. Oder WIRE. Wenn man WIRE hört, sieht man sehr schön, wo SONIC YOUTH den Großteil ihrer Ideen her haben. Ich mag aber auch SONIC YOUTH, ich wollte sie jetzt nicht niedermachen, haha.
Diese Aufgeschlossenheit hört man ja nicht nur bei den HARD-ONS, sondern ganz besonders auch bei NUNCHUKKA SUPERFLY, der anderen Band, die du mit eurem Bassisten Ray hast. Warum eine andere Band neben den HARD-ONS?
Mit den HARD-ONS ist es einfach zu spät, wirklich andere Einflüsse zu verarbeiten. Bei NUNCHUKKA SUPERFLY haben wir mehr Möglichkeiten, für mich sind sie eine Mischung aus LED ZEPPELIN, die ich übrigens sehr schätze, BIRTHDAY PARTY, DISCHARGE und einer Menge Reggae. Ein großer Teil der HARD-ONS-Fans steht aber eher auf das simple Zeug. Es ist keine Band für Punks, sie wollen es einfach nicht verstehen. Ich aber liebe dieses psychedelische Zeug. Ich bin mit Punkrock aufgewachsen, aber auch mit durchgeknalltem, psychedelischen Sixties-Zeug. NUNCHUKKA SUPERFLY haben übrigens endlich einen neuen Schlagzeuger und wir haben auch ungefähr dreißig neue Songs, so dass wir bald ein neues Album machen, was zur Hälfte aus Punk-Songs bestehen wird. Wir hatten letztes Mal keine dabei, weil sie irgendwie nicht passten. Die andere Hälfte wird Dub sein. Und dann möchte ich noch ein Doppelalbum machen und das wird dann alles drin haben, was es so gibt.
Wenn du einen Song geschrieben hast, ist dir direkt klar, für welche Band du ihn benutzen wirst?
Meistens ist es für mich sehr leicht, einen Song einer Band zuzuordnen. Es kommt aber auch vor, dass sich das überschneidet, z.B. der Song ‚Preservation Of A Wildcat‘ auf unserem neuen Album: alle sagten, das wäre ein perfekter Song für NUNCHUKKA, aber ich war mir sicher, dass er perfekt für die HARD-ONS ist. Es ist so, dass beide Bands ihre eigene Atmosphäre haben und ich fühle einfach, welcher Song für welche Band ist. Aber ich denke während des Schreibens nicht darüber nach, was ich da mache, denn sonst kommt nur Scheiße dabei raus. Ich nehme alles so, wie es mir in den Sinn kommt. Selbst Ideen, die eigentlich völlig verrückt sind, wie bei ‚Race Track‘, wo ich nur bis dreißig zähle und fluche, können funktionieren. Als ich den beiden anderen von der Idee erzählte, waren sie mehr als skeptisch, aber es hat funktioniert und sie mögen den Song. Ich mag Surrealismus, surrealistische Comics, Literatur und Kunst. Ich frage mich, warum benutzt niemand so was in der Musik?
„Cats Got Your Tongue“ startet als Grindcore-Song und geht dann fließend in einen Pop-Song über. Es gibt kein Break, keine Pause, es passt perfekt zusammen.
Ich benutze diese Sache, die man ‚Stream of consciousness‘ nennt. Das ist ein Zustand, in dem du nicht denkst, du bist halb wach und halb schlafend und lässt die Dinge einfach so kommen. Ich arbeite sehr viel auf diese Weise. Salvador Dali hat so gearbeitet. Wenn er an einem Bild gearbeitet hat, und nicht wusste, wie er weitermachen sollte, hat er sich zum Schlafen hingesetzt, die Arme in die Luft gestreckt, mit Münzen in den Händen. Wenn er einschlief, fielen diese Münzen runter und er war schlagartig wach. In diesem Moment, in dem du einschläfst, hast du die besten Ideen. Dann musst du sie nur direkt verwirklichen. Ich hasse es, wenn ich eine gute Idee vergesse, ich werde dann richtig wütend. Du solltest deine Ideen auch immer respektieren. So wie sie sind. Es ist furchtbar, wenn ich manche Bands höre, die eigentlich gute Ideen hatten, sie aber des Erfolges zuliebe verweichlichen oder sonst wie zerstören. Dabei ist Kunst so wichtig, und ich denke, auch Punkrock ist eine Form der Kunst, genauso wie Malerei.
In seinen frühen Formen war er es, vielleicht.
Ich denke, er kann es immer noch sein.
Aber viele Bands gehen lieber den sicheren Weg.
Und deswegen sind sie auch kein Punkrock.
Deswegen war Frank Zappa ein Punkrocker.
Ja natürlich. Deswegen war Little Richard ein Punkrocker. Und auch die BEATLES. Warum sollte eine Band, die so unglaublich erfolgreich war, eine Platte wie das ‚White Album‘ aufnehmen? Dieses Album ist wahnsinnig, eine verdammte Punkrockplatte, eine ‚Fuck you, we‘ll do what we want’-Platte. Für mich ist das purer Punkrock. Erzähl das den Kids heutzutage, sie werden es nicht verstehen.
Viele Menschen haben eben einen zu engen Horizont, einen zu eingeschränkten Musikgeschmack.
Und es wird schlimmer. Die Leute ziehen sich immer mehr in eine Sparte zurück und hören nur eine bestimmte Art Musik. Freunde, die zu mir nach Hause kommen und meine Plattensammlung sehen, fragen mich: ‚Wozu brauchst du so viel Zeug?‘ Und ich kann dann nur sagen: ‚Shit, es gibt so viel großartige Musik und ich habe immer noch nicht genug davon.‘ Viele Freunde von mir hören nur Pop-Punk oder nur AC/DC. Es gibt halt Menschen, die Musik mögen und es gibt welche, die Musik lieben. Manche hören Musik, während sie staubsaugen und ich höre Musik, wenn ich aufwache, wenn ich aufs Klo gehe, wenn ich Auto fahre. Ich höre immer Musik. Die Musik ist nach NIRVANA sehr konservativ geworden, was nicht ihre Schuld war. Die Majors, immer auf der Suche nach dem neuesten Ding, haben sich nie ganz aus dem Underground zurückgezogen, und viele Bands versuchen, ihre Musik so klingen zu lassen, dass sie Erfolg damit haben könnten und sind so verdammt einseitig. Experimentelle Musik findet kaum noch statt. Ich kann nicht verstehen, dass eine Band wie die HIVES, deren Musik man schon millionenmal irgendwo gehört hat, größer ist als die MELVINS, die eine der besten Bands der Welt sind. Ich respektiere Bands, die sich entwickeln, die sich verändern, deren neue Platte nicht wie die davor klingt.
Hast du denn noch Interesse an heutigem Punkrock?
Klar, ich bin immer noch an Punkrock interessiert. Ich habe nie aufgehört POISON IDEA, BLACK FLAG oder den alten England-Kram zu hören. Das ist mir immer noch wichtig. Aber das Wort ‚Punk‘ hat heute viel von seiner Bedeutung verloren. Für mich ist Punkrock eher was wie JESUS LIZARD, MELVINS oder SHELLAC und nicht BLINK 182 oder GREEN DAY. Ich habe nichts gegen die Bands, aber das ist kein Punkrock. Was ich wirklich nicht mag, ist dieser sogenannte Emocore. Ich denke, Emocore hat nicht wirklich eine Existenzberechtigung. Ich verstehe da die Verbindung zu Punkrock nicht.
Klär mich über deine Zukunftspläne auf.
Da wäre das neue NUNCHUKKA-Album, die nächste HARD-ONS-Platte habe ich auch zur Hälfte geschrieben, es wird eine Menge Grindcore drauf sein...
Echt? Ich liebe Grindcore.
Ich hatte ein Grindcore-Projekt mit Michel, die auch bei ‚Cats Got Your Tongue‘ gesungen hat ...
Das war eine Frau?
Ja, und sie ist einfach großartig. Aber leider ist der Schlagzeuger ein wenig seltsam geworden, so dass ich die Songs für die HARD-ONS verwenden werde. Dann habe ich noch eine Pop-Band, die sehr ‚mellow‘ ist und so vieles mehr, aber es ist noch zu früh, um da konkret zu werden. Ich werde dieses Jahr wirklich sehr beschäftigt sein. Aber ich würde lieber sterben, als keine Musik zu machen.
Fotos: Michael Klarmann
© by - Ausgabe # und 18. September 2024
© by - Ausgabe # und 4. Mai 2023
© by - Ausgabe # und 4. August 2021
© by - Ausgabe # und 25. Februar 2021
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #36 III 1999 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #42 März/April/Mai 2001 und Ox
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #52 September/Oktober/November 2003 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Guntram Pintgen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #101 April/Mai 2012 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Guntram Pintgen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Matilda Gould
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Matilda Gould
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #74 Oktober/November 2007 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #116 Oktober/November 2014 und Guntram Pintgen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #169 August/September 2023 und Guntram Pintgen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #35 II 1999 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und André Bohnensack
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #36 III 1999 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #23 II 1996 und Joachim Hiller