Annette Benjamin, die Sängerin einer der ersten deutschen Punkbands, heute wieder auf einer Bühne zu sehen, weckt Erinnerungen an ein Konzert vor vierzig Jahren. HANS-A-PLAST in Kuhstedt im Januar 1981. Nach abenteuerlicher Fahrt durch einsame Moordörfer in der norddeutschen Einöde erreichen wir Kuhstedt, etwa dreißig Kilometer nördlich von Bremen. Schon vor dem Eingang der Kuhstedter Ear-Music-Hall treffen wir die Jungs der Verdener Band OH87 und drinnen warten auch schon die legendären Heilpraktiker. Familientreffen! Wichtige Neuigkeiten, Fanzines und Tapes werden ausgetauscht, denn Smartphones und Internet gibt es ja noch nicht.
Die Music-Hall ist ein typischer Landgasthof, der einigen vielleicht noch als angesagte Hippie-Disko bekannt ist. Der erste Eindruck scheint das auch zu bestätigen. An die Wände genagelte Birkenstämme und noch ein leichter Geruch nach Patchouli und niederländischen Kräutern lassen an die Siebziger Jahre denken. Eine Treppe hoch, dann steht man im bereits gut gefüllten Saal. Die Punks, aus der weiteren Umgebung angereist, sind eindeutig in der Überzahl. Schwarze Lederjacken überall. Auf der mit Leuchtsternchen dekorierten Bühne, wohl ein Erbe der Hippie-Zeit, steht seltsamerweise eine mit GURU GURU beschriftete Autokarosserie.
Als HANS-A-PLAST dann endlich erscheinen, ist der erste Eindruck: Die sehen überhaupt nicht aus wie Punks, eher wie ’ne Studentenband. Der zweite Eindruck ist dann: Verdammt, die können wirklich spielen! Es ist Freitag und so ist „Rock’n Roll Freitag“ natürlich auch das erste Stück des Abends. Sofort steht die Sängerin Annette Benjamin mit ihrer einzigartigen Bühnenpräsenz im Mittelpunkt. „Ich weiß nicht, was ich tun soll / Ich weiß nicht wohin / Es ist wieder mal Freitag / Und da muss doch was passieren“. In Lederhose und weißem Zotteltop tobt sie über die Bühne, wirbelt ums Mikrofon, reißt die Arme nach oben und springt aus dem Stand in die Höhe. „Rank Xerox“, „Lederhosentyp“ ... ohne Pause geht es weiter mit den bereits allen bekannten Songs des schon 1979 veröffentlichten Debütalbums. Bei „Reicher Vati“ kommt dann auch ein von Annette gespieltes Saxophon zum Einsatz, was damals noch nicht verpönt war. Den Punks gefällt’s und schnell wird der gesamte Saal zum Pogo-Pit. Meine Kamera kann ich gerade noch retten, aber mein Blitzgerät wird im Nu zu Mikroplastik zerpogt. Das erste von mehreren, das ich auf diese Weise in den nächsten Jahren verlieren werde. Vor der Bühne schreien sich die Kidpunks heiser und rufen den Namen ihrer eigenen Band. Super Promotion! Schnell werden einige Buttons mit der Sängerin ausgetauscht. Auf einmal stockt der Pogo, denn Annette stimmt überraschend ein altes Volkslied an, „Wenn ich ein Vöglein wär ...“, aber nur kurz. Man spürt, dass es ihr viel Spaß macht, mit dem Publikum zu spielen. Nach kurzem Anzählen 1-2-3-4 geht es dann aber in gewohntem Tempo weiter.
Wie lange die Band spielte, weiß ich heute nicht mehr. Wohl aber, dass es ein rundum gelungener Abend war. Wer damals dabei war, oder auch wer erst später die Liebe zu dieser Musik entdeckt hat, kann sich freuen. Demnächst wird das legendäre „Rockpalast“ Konzert von HANS-A-PLAST aus dem Jahr 1980 zusammen mit weiteren interessanten Aufnahmen veröffentlicht.
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