GOGOL BORDELLO

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„Tod dem verdammten Punkrock“

An Bands wie GOGOL BORDELLO scheiden sich ja immer wieder die Szene-Geister. Manche Kollegen in der Redaktion wenden sich bei derartigem folkloristisch beeinflussten Punk-Mischmasch ganz schnell ab, während andere solche Bands eher als unterhaltsame Abwechslung ihrer sonstigen Hörgewohnheiten schätzen. Fest steht jedenfalls, dass diese Band in den letzten Jahren zu den tourfreudigsten Combos des Planeten zählte und auch in Punkrock-Kreisen immer mehr Fans gewinnen konnte. Der aus der Ukraine stammende und lange in New York lebende Frontmann Eugene Hütz ist sehr von sich und seiner Musik überzeugt und von daher war ich nicht sicher, was mich bei diesem Interviewtermin erwarten würde. Die Sorge war jedoch unbegründet, denn ein sichtlich gut gelaunter Herr Hütz stellte sich Ende November in der Hamburger Fabrik meinen Fragen.

Ende 2005 erschien eure „Gypsy Punk“-Platte auf Side One Dummy. Würdest du sagen, dass dies der große Durchbruch für GOGOL BORDELLO war?


Also, für viele Leute scheint das so zu sein, wahrscheinlich sogar für die meisten. Aber die viel wesentlichere Seite der Geschichte ist, dass GOGOL BORDELLO zu diesem Zeitpunkt schon acht Jahre am Start waren und Abend für Abend vor Tausenden von Leuten gespielt haben. Wir hatten am Anfang nicht das Glück, ein gutes Label zu haben, weil wir in diese seltsame Kategorie gesteckt wurden, so dass uns jeder liebte, aber sich niemand traute, uns unter Vertrag zu nehmen. Wir waren damals die am schlechtesten zu vermarktende Band der Welt. Was soll man in diesem Fall also tun? Stürz’ dich auf deine verdammte Band und mache die vermarktbarste Musik auf der Welt. Ich benutze absichtlich das Wort „vermarktbar“, denn heute ist das schon witzig: Die Musik, die wir spielen, ist von so vielen Bands imitiert und kopiert worden – weil es wohl doch gut zu vermarkten ist. Aber diese Bands haben nicht unsere Aufrichtigkeit. Bei uns geht es gar nicht um Erfolg, denn ich habe immer gesagt, dass der wichtigste Antrieb für Musik die Aufrichtigkeit ist. Keine Exotik und keine Gimmicks werden auf Dauer Bestand haben. Unser Label Side One Dummy war in diesem Prozess sehr entscheidend, weil wir zum ersten Mal fühlten, dass da jemand war, mit dem wir unsere Kräfte vereinigen konnten. Die haben einen fantastischen Job gemacht und sind für mich das beste Label überhaupt. Sie stehen vollkommen hinter uns! Sie sind schon so etwas wie ein Traumlabel. In den 80ern und frühen 90ern gab es noch viel mehr solche Labels, wo Leute noch den Mut hatten, zu etwas zu stehen, weil sie es halt einfach mochten. Heutzutage sind alle so unsicher mit ihrem Geschmack, dass sie sich kaum etwas trauen.

Ihr seid die letzten Jahre permanent irgendwo auf der Welt getourt. Gibt es da einen Platz, den du Zuhause nennen würdest?

Stimmt schon, ich bin überall ein bisschen zu Hause, aber ich lebe in Rio de Janeiro. Ich bin vor einem Jahr nach Brasilien gezogen und da fühle ich mich am meisten zu Hause. Ich war für zehn Jahre in New York und habe es sehr genossen, weil es mir alles gegeben hat und ich mir alles genommen habe. Jetzt gibt mir Rio de Janeiro das neue „Alles“. Nach zehn Jahren in New York war es an der Zeit, mich ein bisschen locker zu machen. Ich habe brasilianische Musik immer gemocht, habe viele brasilianische Freunde, habe mit brasilianischen Musikern gespielt. Da hatte ich viele Träume über Brasilien, die schließlich wahr wurden. Es brauchte dann nur noch einen extra Trip mit Manu Chao, der immer mein Held war und jetzt auch mein Freund ist. Als wir zusammen durch Brasilien zogen, habe ich die Dinge gesehen und die Leute getroffen, die in mir den Wunsch zum Bleiben geweckt haben.

Als du das erste Mal nach New York kamst, welche der dortigen Bands haben dich zunächst beeinflusst?

Oh, da gab es einige, aber das war lange bevor ich 1998 nach New York kam. SUICIDE, SONIC YOUTH und JAMES CHANCE AND THE CONTORTIONS liebte ich schon immer. Das waren und sind meine Top-3-New-York-Bands aller Zeiten. Als ich nach New York kam, habe ich gerade noch das Ende dieser ganzen Verrücktheit mit Bands wie ULTRA BIDÉ mitbekommen. ALICE DONUT waren damals schon ein bisschen auf dem absteigenden Ast, soweit ich mich erinnere. Ich begann so 1995/96 nach New York zu fahren, um Konzerte zu sehen, und bin dann 1998 dorthin gezogen. Damals war ich auch von der New Yorker Hardcore-Szene beeinflusst, so komisch das für manche Leute auch klingen mag. Meine ersten sozialen Kontakte in den Staaten waren Hardcore-Kids und Skinheads; natürlich keine Nazi-Skinheads! Ich bin los, um die CRO-MAGS und MADBALL zu sehen, und als ich damals in den Staaten landete, war diese Szene so überschäumend und ich habe mir alle diese Bands viele, viele Male angesehen. Die BAD BRAINS sind natürlich meine Lieblingsband aus der Hardcore-Szene, aber CRO-MAGS und AGNOSTIC FRONT mag ich auch sehr. Viele Leute aus dieser Szene kommen auch zu unseren Shows. Manche finden das komisch, aber für mich ist das überhaupt nicht verwunderlich. Die Intensität und die Ehrlichkeit ist die verbindende Qualität.

Hattest du damals schon den Plan, dass es irgendwann GOGOL BORDELLO geben würde?

Nein, also Plan würde ich das nicht nennen. Als Columbus in See stach, hatte er ja auch irgendeinen Plan, aber er wusste nicht, worauf das alles hinauslaufen würde. Irgendwie war es bei mir genauso. Ich hab mein ganzes Leben in Bands gespielt. Als ich fünfzehn war, habe ich angefangen, Schlagzeug in einer SLAYER-Coverband zu spielen, und habe das wohl auch ganz gut gemacht. Später habe ich dann bemerkt, dass ich was zu sagen habe, und habe angefangen, Texte zu schreiben. Das ist die typische Story vieler Drummer, die später zu Frontmännern wurden. Sie starten als Schlagzeuger, nimm James Brown zum Beispiel, und stellen dann fest, dass sie eigentlich vorne stehen wollen. Ich habe irgendwie immer die Bands geleitet, in denen ich gespielt habe. Es gab drei Bands vor GOGOL BORDELLO, eine in der Ukraine und zwei in den Staaten. Vieles, was ich in diesen Bands ausprobiert habe, findet sich auch in GOGOL BORDELLO wieder. Im Vorfeld gab es viele Experimentierphasen, in denen ich alles gespielt habe, von Industrial über Folk bis zu Metal. Aber mein hauptsächliches Interesse war immer, meine eigenen Songs zu schreiben.

Woher kommt die Inspiration für neue Songs?

Das kann eigentlich alles sein. Ich will das aber gern etwas spezieller ausführen, um nicht nur sinnlos-abstrakt zu bleiben. Wir sind ja alle mehr oder weniger gelangweilt oder im Widerspruch mit der Welt um uns herum. Diese Widersprüche sind es, die alle diese Songs entstehen lassen. Es geht eigentlich darum, sich sinnlich zu Hause zu fühlen, und ich glaube, ich habe eine Fähigkeit entwickelt, mich zu Hause zu fühlen. Aber dafür war tatsächlich eine ganze Menge Aufwand erforderlich, das kam nicht einfach so von alleine. Wenn ich einen Song schreibe, dann fühle ich, dass ich diese Taktik, um sich zu Hause zu fühlen, mit anderen teilen kann. Deshalb ist es für mich das größte Kompliment, das mich sehr dankbar sein lässt, wenn Menschen zu mir kommen und sagen: „Ich komme aus Serbien“ oder „aus Mazedonien“ oder „Ich komme aus Sibirien, aber ich lebe in England“ oder „Kanada“ oder „den Staaten“, und „Durch eure Musik fühle ich mich dort zu Hause.“ Denn jetzt gibt es das erste Mal in der Geschichte so etwas wie Entscheidungsfreiheit, normalerweise waren die Gründe für Migration immer Krieg oder es waren die privilegierten Klassen, die es sich leisten konnten. Heute ist es generationsbezogen. In Rio treffe ich Kids, die in der Ukraine geboren wurden und aus eigenem Antrieb dorthin gezogen sind und erst 23 Jahre alt sind. Das war vor zehn bis 15 Jahren undenkbar. Die sind ihren Weg gegangen und das ist eine total neue Vision von der Welt. Diese Generation hat ihre ganz eigene Interpretation der Dinge und ich glaube, dazu können wir als Band etwas beisteuern.

Also inspiriert dich vor allem der Kontakt mit anderen Kulturen ...

Na ja, wirkliche Künstler ziehen ihre Inspiration aus sich selbst, die müssen nicht wirklich irgendwo hingehen. Es gibt Künstler, die ihr ganzes Leben in einem Dorf in Weißrussland gelebt haben und trotzdem Dschungel, Ozeane und Vulkane in einer einzigartigen Qualität gemalt haben. Das sollte mal erwähnt werden, ich jedenfalls war von solchen Leuten immer fasziniert. Vielleicht könnte ich das auch schaffen ... Reisen ist aber eine sehr sinnliche Sache, die für meinen Inspirationsfluss wichtig ist, denn ich mag dokumentarische, verträumte Sachen. Ich nenne das Erlebnisträumerei. Wir sind Erlebnisjunkies und das ist der große Unterschied zwischen Bands wie STOOGES, MC5, DEAD KENNEDYS und den vielen namenlosen neuen Bands, die heute einfach deren Platz eingenommen haben. Diese Typen sammelten früher tatsächlich noch Erfahrungen, während andere Jungs Punkrock im Einkaufszentrum an der Ecke entdecken. Und das ist der Grund, warum zum Beispiel Musik wie Favela Baile Funk aus Rio total verrückt und absolut extrem ist. So unmoralisch diese Musik ist, so viel glaubwürdiger ist sie für mich als moderner Punk. Völlig egal, wie geschmacklos die Keyboards dabei eingesetzt werden ... Das ist einfach „Tod dem verdammten Punkrock“. Davon mal abgesehen: Vom Flirten kommt natürlich auch eine Menge Inspiration. In dieser Situation sind Menschen eigentlich immer am besten. Da werden sie gesprächig, kommen ins Plaudern und versuchen zu glänzen. Das ist schon eine sehr zuverlässige Quelle.