GIUDA kommen aus Italien und spielen alten englischen Punk- und Glamrock. Sie sehen aus, als wären sie den Siebziger Jahren entsprungen. Und sie besingen die Working Class in einer Zeit, in der die Working Class langsam verschwindet. Sind GIUDA hoffnungslos nostalgisch? Frontmann Lorenzo Moretti erklärt sich.
Lorenzo, eure Heimat Italien ist im Ausland heutzutage nicht unbedingt bekannt für Punkrock. Es gibt LOS FASTIDIOS, THE OFFENDERS oder KLASSE KRIMINALE, aber das war es auch schon. Wie kommt man in solch einer Umgebung zum Punkrock?
Von den Bands, die du genannt hast, habe ich mir noch keine angehört, haha. Aber ich kann dir versichern: Von den Siebziger Jahren an bis heute gab und gibt es in Italien – genauso wie in Spanien oder den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens – Hunderte von Punkbands!
Ihr versucht, durch die Verbindung von Aussehen – Uralt-Polohemden, Jeans – und eurer zwischen Punk, Rock’n’Roll und Glamrock angesiedelten Musik besonders authentisch Oldschool zu sein. Sind GIUDA eine nostalgische Band oder eine sehr moderne, die eben nur von sehr alten Bands inspiriert wurde?
Ich würde sagen, wir sind eine moderne Rockband, die – wie viele andere Künstler aller Sparten auch – eben Vorbilder aus der Vergangenheit hat. Neue Ideen in der Musik vollziehen sich immer in kleinen Schritten und münden immer erst nach und nach in neuen Trends. Und genau so gehen wir auch vor: Wir machen unser Ding und versuchen, damit etwas zu bewirken. Es gibt schließlich nur sehr wenige Bands, die die Musikhistorie wirklich radikal und auf einen Schlag verändert haben.
Bei der Recherche im Internet fand ich das Zitat eines GIUDA-Fans, der sagte: „GIUDA live, das ist wie 1977. Und das ist gut so!“ Das klingt schon extrem nostalgisch, oder?
Ja, und? Warum nicht gleich 1973? Ernsthaft: Wenn ein Fan das denkt, dann ist das vollkommen in Ordnung. Wir selber halten uns aber nicht für eine Nostalgieveranstaltung. Das wäre ja so, als würde man sagen: SLADE spielten 1973 genau so wie in den Fünfziger Jahren Little Richard spielte. Und das war definitiv nicht der Fall!
Gibt es eine erwähnenswerte Szene für Glamrock und frühen Punk in Italien?
Zumindest gab es zuletzt, auch durch diverse Musik-Compilations auf CD oder LP sowie einige Internetblogs, ein erhöhtes Interesse an diesem Sound. Und ich möchte ganz sicher nicht arrogant klingen, aber ich würde sagen, GIUDA haben dieses Interesse mit geschürt und durchaus eine große Rolle bei dieser musikalischen Welle gespielt.
Punk ist letztlich eine Jugendkultur, in deren Umfeld man von Teenagertagen an aufwächst. Wie war es bei euch, seid ihr damals als Schüler schon Außenseiter gewesen?
Ja sicher!
Und wie ist es heutzutage: Tragen die Musiker von GIUDA ihre Oldschool-Klamotten auch im Alltag, abseits der Musik?
Ja. Wobei man sagen muss, dass die Band seit einiger Zeit quasi unser Beruf und unser Alltag ist. Letztlich ziehe ich meine Jeans nur vor dem Schlafengehen aus, haha.
Welche Bands haben dich musikalisch sozialisiert?
Ich bekam im Alter von elf Jahren meine ersten Tapes von den SEX PISTOLS und den RAMONES. Ein Jahr später habe ich schon mit meinen GIUDA-Kollegen Tenda und Danilo eine Band gegründet. Und dann kamen immer mehr Bands dazu, die ich entdeckte und rauf und runter hörte: X-RAY SPEX, SLAUGHTER & THE DOGS und zig obskure Gruppen aus aller Welt, auf die man über Freunde und Bekannte – nicht über das Internet wie heute – nach und nach stieß. Letztlich hat vor allem die englische Popkultur auch die Kids in Italien immer schon extrem stark beeinflusst.
Gianna Nannini, Eros Ramazotti, Zucchero oder Adriano Celentano sind die bekanntesten Musikexporte Italiens und in Deutschland in der Altersstufe, die auch alten Punk hört, immer noch populär. Hierzulande glauben wohl viele, dass auch die Italiener ständig deren Musik hören. Kannst du das bestätigen?
Nein! Es ist kurios, aber der italienische „Schlager“ war hierzulande niemals auch nur annähernd so populär wie bei euch, wo Ramazotti oder Zucchero nach wie vor ein Riesending sind.
Immerhin: Gianna Nannini sagte jüngst in einem Interview mit einer deutschen Tageszeitung, dass sie stark vom Punk beeinflusst worden sei. Das ist doch ehrbar. Also wer steht dir persönlich näher: Die Nannini – oder der Ramazzotti?
Haha, keiner von beiden! Gegenfrage: Wie sieht es mit dir aus? Fühlst du dich Heino oder Jürgen Drews mehr verbunden?
Okay, die Runde geht an dich ... Schneiden wir ein ernstes Thema an: Inwiefern spielt der Gegensatz zwischen dem armen italienischen Süden und dem reichen Norden eine Rolle in eurer Punk-Szene?
Na ja, Geld hilft immer. Insofern findest du die meisten Konzertorte, die meisten Veranstaltungen, die meisten Underground-Labels im Norden des Landes. Ich möchte hier keine Kontroverse entfachen, aber ich denke, das ist schon in Ordnung. Hauptsache, es wird generell etwas für die Musik getan. Nichtsdestotrotz würde ich es begrüßen, wenn in den kommenden Jahren auch im Süden mehr passieren, mehr investiert würde. Übrigens: Wir haben unsere ersten Alben bei einem Label aus Süditalien, White Zoo Records, herausgebracht.
Einer der Songs auf eurem neuen Album „Speaks Evil“ heißt „Working class“. Das erinnert an das ewige Klischee der Oi!- und 77er-Punkrock-Szene aus England, wo die Zugehörigkeit zur Working Class quasi eine Grundvoraussetzung für Glaubwürdigkeit, eine Lebenseinstellung war und ist. Wie wichtig ist es euch, ein Teil dieser arbeitenden Klasse zu sein?
Sehr wichtig! Ehe es die Band gab und wir mit ihr Geld verdienen konnten, hatten wir alle unsere normalen Jobs, in denen wir gearbeitet haben. Der Song selber dreht sich allerdings vor allem um den Film „Samstagnacht bis Sonntagmorgen“ von Regisseur Karel Reisz, basierend auf einem Roman von Alan Sillitoe. Darin geht es um einen Typen, der alles Geld, das er in der Woche verdient, an den Wochenenden in der Kneipe verprasst. Außerdem ist „Working class“ eine Erinnerung und Hommage an die Firma meines Vaters, in der ich jahrelang gearbeitet habe.
Welche Rolle kann der Arbeiterklasse heutzutage überhaupt noch zukommen – in einer Welt, in der es Jahr für Jahr weniger Jobs, mehr Armut und einen immer größeren Abstand zwischen Ober- und Unterschicht gibt?
Das ist ein gutes Thema. Aber auch ein sehr komplexes, das den Rahmen hier sprengen würde. Fakt ist: Wir alle müssen uns schleunigst ernsthafte Gedanken machen, wie wir in Zukunft mit diesem Problem umgehen wollen! Denn dieser Abstand, den du ansprichst, wird ja tatsächlich immer größer. Die Mittelschicht bricht weg – und übrig bleiben nur viele Arme und wenige Reiche.
Eine letzte Frage: Oi!- und 77er-Punkrock der englischen Machart – und damit auch eure Art der Musik – ist seit jeher leider auch für manche Menschen mit rechter Gesinnung attraktiv. Wie sieht das in Italien aus, wo rechtes Gedankengut und Faschismus ebenfalls ein Thema waren und sind?
Es war auch und gerade hierzulande immer schon absolut notwendig, politisch Stellung zu beziehen. Seit den Sechziger Jahren ist das schon so. Aus politischen Gründen wurden hierzulande zahlreiche Menschen erschossen. Denk nur an die „Anni die piombo“, die sogenannten „bleiernen Jahre“ zwischen 1960 und 1980, als es bei uns in Italien regelmäßig terroristische Anschläge von Linken wie von Rechten gab und beispielsweise die paramilitärische Guerillagruppe Brigate Rosse, die Roten Brigaden, den Premierminister Aldo Moro entführten und erschossen ... Wir selber haben eine klare Meinung zu derlei Dingen und ich kann dir versichern: Faschisten und ähnliche Leute sind bei unseren Konzerten absolut nicht willkommen! Aber das größte Problem heutzutage stellen ohnehin nicht diese klar positionierten Gruppen dar. Das Problem, das unsere Gesellschaft hat und am dem sie krankt, das sind die Engstirnigkeit und Ignoranz der Menschen, die immer weiter um sich greift. Und die findet man leider nicht nur bei Faschisten ...
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