Gern Blandsten ist derzeit eines der interessantesten Labels für, nun, "post-hardcorige" Musik. Bands wie THE VAN PELT, CHISEL (leider mittlerweile aufgelöst, der Sänger hat eine neue Band namens THE SIN-EATERS), THE IMPOSSIBLE FIVE oder THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY zählen schon seit einer ganzen Weile zu meinen Favoriten, und so machte ich mich daran, ein Interview über das immerhin schon seit rund sieben Jahren existierende Label anzuleiern. Das folgende Interview führte ich im Dezember und Januar per eMail mit Labelboss Charles Maggio, der einst bei RORSCHACH spielte und heute in einer Band namens COMPUTER COUGAR den Bass zupft und singt.
Gib uns mal einen kurzen Abriss über die Geschichte deines Labels: Wer, wann, wo, wieso?
Gern Blandsten wurde im Sommer ´91 ins Leben gerufen, als ich mit meiner Band RORSCHACH in Kanada und den USA auf Tour war. Wir sahen all diese coolen Bands und stellten fest, dass kaum eine von denen ein Label hatte. Also beschlossen wir, ein Plattenlabel zu gründen, einfach nur um diesen ganzen Bands zu helfen. Die erste waren ONE BLOOD aus Kanada, mit denen wir ein paar Konzerte in Kanada gespielt hatten. Ihre LP erschien dann im Februar ´92. Anfangs standen hinter Gern Blandsten noch drei Leute, nämlich ich sowie Jon Hiltz, der damals bei BORN AGAINST Schlagzeug spielte, und Dave Nathanson, ein guter Freund. Naja, und wie es halt so läuft, nach ein paar Monaten war nur noch ich übrig und nahm die Zügel in die Hand, und so ist das bis heute geblieben.
Wie hat sich das Label in den letzten fünf Jahren entwickelt? Ich meine, anfangs kamen doch Platten raus, die ziemlich typischer Hardcore waren, während man das von Bands wie THE VAN PELT, WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY oder CHISEL nicht mehr behaupten kann.
Ich denke, es ist nicht so, dass der Labelsound sich zu einem bestimmten Zeitpunkt grundlegend geändert hat. Die frühen Sachen spiegelten einfach die Musik wieder, die zu dieser Zeit von einem gewissen Kreis von Leuten in der Szene, in der wir uns bewegten, gespielt wurde. Eigentlich denke ich nicht, dass der Labelsound jemals irgendwelche dramatischen Änderungen erfahren hat. Das ältere Zeug spiegelt eben das wieder, was damals an Musik gemacht wurde, und es ist in den meisten Fällen so, dass die gleichen Leute heute in anderen Bands etwas andere Musik spielen. Unser vierter Release war zum Beispiel die NATIVE NOD-7", die #10 GARDEN VARIETY, dann kamen WESTON, CHISEL und VAN PELT. Der Sound der Bands war mal so, mal so. Mein musikalischer Geschmack hat sich aber schon verändert, doch das hatte keine so grossen Auswirkungen auf die Musik, die ich rausgebracht habe.
Würdest du GERN BLANDSTEN immer noch als Hardcore-Label betrachten?
Da weiss ich nicht, wie ich das jetzt beantworten soll. Ich betrachte es als ein Independent-Label, das Musik von Bands veröffentlicht, die alle möglichen Arten von Musik spielen. Ich mochte es noch nie kategorisiert zu werden oder einfach einen Stempel aufgedrückt zu bekommen für die Musik, die ich rausbringe. Ich mag es, die Leute immer wieder mit meinen Platten zu überraschen.
Aber würdest du heute noch eine Hardcoreband wie RORSCHACH rausbringen?
Absolut, warte bis die THE YAH MOS-LP rauskommt und du wirst hören, was ich meine.
Und welche Bands, Labels und Platten gefallen dir zur Zeit am Besten?
Die Bands auf meinem Label natürlich. Andere aktuelle Bands, die ich gutfinde, sind THE MONORCHID, (YOUNG) PIONEERS, THE LILYS, THE TRANS MEGETTI, und was Labels anbelangt, so gefallen mir DISCHORD, TOUCH & GO sowie ART MONK.
Du hast eben DISCHORD and TOUCH & GO als Lieblingslabels erwähnt. Versuchst du dein Label auf ähnliche Art und Weise zu organisieren, insofern als dass du darauf achtest, dass GERN BLANDSTEN ein Label mit eigener Persönlichkeit ist und nicht nur ein rein kommerzorientiertes Unternehmen?
Ich denke, was ich am meisten an diesen beiden Labels bewundere, ist ihre Fähigkeit allem einen persönlichen Touch zu geben, egal was sie machen. Und sie haben niemals ihr Label aus den Händen gegeben. Nichts was diese Labels machen, wird von Verkäufen und Geld diktiert, sondern basiert auf Freundschaft und guter Musik. Und wie sie versuche ich meinen Releases einen gewissen persönlichen Touch zu geben.
Welche Erwartungen hast du an eine Band, wenn du sie signst? Machst du überhaupt Verträge? Und wie sieht deine Labelpolitik aus, bist du mit den jeweiligen Leuten in persönlichem Kontakt oder ist das mehr eine rein wirtschaftliche Beziehung?
Ich mache keine Verträge, das wird alles mündlich geregelt und basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, sind seit Jahren meine Freunde und ich sehe nicht die Notwendigkeit, sie jetzt rechtlich an mich zu binden um Sachen auf dem Label zu machen. Meine Erwartungen sind ganz simpel: Ich bitte die Bands soviel wie möglich zu touren, damit sich die Platten auch verkaufen. Insgesamt verbringe ich einen Grossteil meiner Zeit damit zu checken, ob die Touren auch einigermaßen laufen und versuche natürlich so viele Platten zu verkaufen, soweit es mir möglich ist.
Ist GERN BLANDSTEN ein "regionales" Label in dem Sinne, dass du mit Bands auf einem persönlichen Level arbeitest und nicht nur eine Geschäftsbeziehung hast, also mit Leuten, die du jederzeit besuchen kannst oder öfter auf Konzerten triffst?
Ich versuche nur mit Bands zu arbeiten, die ich auch persönlich kenne, die müssen aber nicht zwangsläufig in meiner Gegend wohnen. Ich habe z.B. Platten von Bands aus Washington D.C., Kalifornien, New Jersey, New York und England released. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich die Leute kenne, deren Platten ich rausbringe. Wenn du alles auf einer freundschaftlichen Ebene regelst, ist es einfacher ohne Verträge zu kooperieren.
Hast du nicht Angst, dass Bands zu einem Major-Label wechseln könnten, dass sie durch GERN BLANDSTEN bekannt werden und dann wechseln oder zumindest Angebote bekommen?
Ich sehe dieses Problem mit dem Programm, dass ich zur Zeit habe, durchaus. Es war bis jetzt kein grosses Problem, aber ich bin ziemlich auf Draht bezüglich dem, was die meisten Bands von ihrm Label wollen, und Majors sind für die meisten Bands auf meinem Label nicht wirklich attraktiv. Die wissen um die üblen Seiten der Majors und sie haben kein Interesse mit der Industrie ins Geschäft zu kommen. Die meisten Bands wollen nur ihre Musik machen und halbwegs geregelte Touren spielen. Wenn aber ein Major-Label eine meiner Bands signen will und die Band will das auch, werde ich ihnen meinen Segen geben und das Beste für sie hoffen, aber bis jetzt ist das nicht passiert.
Wieviel verkaufst du so von den aktuellen Releases?
Das kommt auf die Band an, aber eigentlich immer so zwischen 3.000 und 12.000.
Wie unterscheidet sich die Situation für GERN BLANDSTEN in Europa und den USA? Wie seid ihr eigentlich mit X-MIST in Kontakt gekommen und hilft euch der Deal mit denen?
X-MIST haben von Anfang an mein Zeug in Europa vertrieben. Als ich mit RORSCHACH 1992 in Europa auf Tour war, habe ich Armin und Ute getroffen und wir sind seitdem gute Freunde. Ich bin vor Kurzem in Deutschland gewesen und habe beide wiedergesehen, das war echt schön. Sie sind wunderbare Menschen mit dem Herz am rechten Fleck. Ich hab eigentlich gar keinen richtigen "Deal" mit ihnen, ausser das sie halt meine Sachen hier vertreiben. Ich vertraue wirklich keinem auf der Welt mehr als ihnen. Ausserdem verkaufen sich meine Sachen in Deutschland und Europa wirklich gut. Einige meiner Bands haben hier schon getourt, und einige andere wollen dieses Jahr zum ersten Mal rüberkommen.
Verkaufst du denn mehr Vinyl oder mehr CDs?
In den Staaten verkaufe ich mehr CDs, dagegen in Europa mehr Vinyl.
Ich habe gesehen, dass deine Releases keine Barcodes haben. Was sind deine Beweggründe dafür? Andererseits unterlaufen ja auch viele Vertriebe so einen "Barcode-Boykott" dadurch, dass sie selbst Barcode-Sticker aufkleben, so auch bei dir.
Ich werde niemals Barcodes auf die Platten drucken, die ich veröffentliche. Aber ich habe durchaus eine UPC-Nummer und ich benutze diese Sticker, wenn Grossabnehmer darauf bestehen. Barcodes sind ein notwendiges Übel, und ich denke nicht, dass sie irgendwas "beschädigen", solange sie vor dem Spielen der Platte entfernt werden können und sie auch nicht das Arwork beeinträchtigen. Ich denke, sie sind ein notwendiges Übel, um in grossen Läden und bei Vertrieben die Kontrolle über die Bestände einfacher handhaben zu können.
Würdest du sagen, dass die D.I.Y.-Idee für das was du tust, das Fundament ist?
Nun, es kommt darauf an, wie du es definierst, aber ich denke schon , denn schliesslich mache ich hier alles selbst.
Zum Abschluss noch die schlaue Frage, wer oder was GERN BLANDSTEN eigentlich ist?
Da musst du dir die STEVE MARTIN-LP "Comedy Isn't Pretty" besorgen und du weisst worum es geht.
Joachim Hiller, David Häussinger
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #30 I 1998 und