GANG OF FOUR

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Capital (it fails us now)

„If THE CLASH were the urban guerrillas of rock’n’roll, Leeds’ GANG OF FOUR were its revolutionary theoreticians.” (Scott Isler, Trouser Press). GANG OF FOUR wurden 1977 in Leeds gegründet, in einem Umfeld, das sehr prägend für ihren Sound und ihre Attitüde gewesen ist: Industriestadt, Arbeiterklasse, Gewerkschaften, Straßenunruhen und eine Unmenge kreativen Potenzials bei den Absolventen der Leeds University. Leeds steckte mit sämtlichen Parametern, welche die Stadt prägten, die Eckpfeiler der Einflüsse der Band ab. Zum einen eine deutliche Art School-Provenienz („The impressionist period had many parallels with now: Manet was using formulae and icongraphy from a tradition, but he put it together in a way that was uncomfortable“, so einst Gitarrist Andy Gill), P-Funk-Einflüsse eines George Clinton (PARLIAMENT, FUNKADELIC) und nicht zuletzt die politischen und gesellschaftlichen Lebensumstände: Demonstrationen gegen die National Front, Straßenschlachten mit der Polizei, Übergriffe der National Front auf Pubs, in denen auch geistesverwandte Bands wie die MEKONS und DELTA 5 spielten. 1978 erschien die erste EP „Damaged Goods“ von GANG OF FOUR. Die Frustration und Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen kanalisierte sich in der Mehrzahl der Texte: „What was on their mind was the notion that everyday life-wage labor, official propaganda, the community system, but also how you bought a shirt, how you made love, the feeling you had as you watched the night news or turned away from it was not ‚natural‘, but the product of an invisible hand“, resümierte der renommierte amerikanische Musikjournalist Greil Marcus in einem CD-Booklet über die Band.

„Damaged Goods“ katapultierte die Band in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. 1979 unterschrieben GANG OF FOUR einen (nicht ganz unumstrittenen) Vertrag bei EMI. Im gleichen Jahr erschien das Debütalbum „Entertainment!“. Ohne Frage ein Monolith in Sachen Post-Punk. Keine persönliche Bestenliste, in der diese genreprägende Veröffentlichung nicht zu finden wäre: „I remember the first time I heard the ‚Entertainment!‘ record. Listening to the razor-sharp rhythm, the little Flea’s mind was blown“, kommentierte es Bassist Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS. GANG OF FOUR trennte sich 1984 (1991 veröffentlichte die Band noch das Album „Mall“ und 1995 „Shrinkwrapped“, die beide etwas an der breiten Öffentlichkeit vorbeiliefen), fand aber 2005 für einige Konzerte in der Originalbesetzung wieder zusammen. Im Sommer 2008 ist das Lennon/McCartney-Duo des Agit-Punk-Funk mit Sänger Jon King und Gitarrist Andy Gill mit einer neuen Single („Second Life“) dreißig Jahre nach der Veröffentlichung ihrer legendären „Damaged Goods“-EP zurückgekehrt. Erstaunlicherweise haben die frühen Texte von GANG OF FOUR einen sehr aktuellen Bezug zur gegenwärtigen Realität wie im Song „Capital (It fails us now)“ von 1982: „One day all will be living on credit / Bankrupt, I’m still in credit / Just one day all men are living on credit.“ So war „Capital (It fails us now)“ im Jahr 2006 das Motto für die Ausstellung einer Künstlergruppe in Tallinn, Estland, welche die negativen Aspekte des ökonomischen und kapitalgetriebenen Strukturwandels in einigen westlichen Zivilisationen kritisch beleuchtete. Sänger Jon King vertritt bis heute zu diesen Themen eine dezidierte Position und beantwortete einige Fragen.

Das Artwork eurer Single „Second Life“ erinnert stark an die „To Hell With Poverty“-Single von 1981. Es hat den Anschein, dass – wie ihr es bereits zu Beginn der achtziger Jahre proklamiert habt – sich die Geschichte wiederholt und die gegenwärtige globale finanz- und realwirtschaftliche Krise eine Neuauflage eurer Fundamentalkritik am neoliberalen Thatcherismus und der Reaganomics bestätigt. Seht ihr euch in dieser ursprünglichen Systemkritik bestärkt und würdet ihr es als probaten Zeitpunkt für eine Wiederbelebung marxistischer Grundideen erachten?

Es gab doch so etwas wie einen kollektiven Traum, dass sich die Welt geändert hätte, nun aber die Hegemonie verschiedener politischer Ideen wieder wie Fliegen um einen Misthaufen kreisen. Was wir in jüngster Vergangenheit gesehen haben, ist doch das Ende des unkontrollierten Kapitalismus, der uns ursprünglich eine Art „Garten Eden“ versprochen hatte, in dem wir angeblich alle reich werden könnten, wenn wir nur wirklich daran glauben würden, und dass es Klassenunterschiede nicht geben würde. Wohlstand und Reichtum wurden so zu den unantastbaren und unreflektierten Ikonen der Gesellschaft. Und um dies zu erreichen, wurde die schlichte Devise propagiert, die Wohlhabenden sind in ihrem Reichtum zu „verehren“ und die armen Schichten letztlich zu „verachten“. Unglücklicherweise empfinden diese Opfer der Gesellschaft oft eine gewisse Bewunderung für die Schichten, die sie ausbeuten. Um es in den Worten von Karl Marx zu sagen: „Everything solid melts in the air“. Und um ebenfalls, zugegeben etwas aus dem Kontext gerissen, ich kann mir das als Atheist aber erlauben, die Bibel zu zitieren: „Jenen, denen bereits alles gehört, soll weiterer Reichtum beschert sein, denen aber, die in Armut leben, soll Verzicht auferlegt werden.“ Letztlich beschreibt das doch signifikant unsere gegenwärtige Situation. Ich sollte aber hinzufügen, dass es GANG OF FOUR nicht um das Propagieren einer belehrenden Haltung geht und das etwa aus der Position dessen, der es vermeintlich besser weiß als der Rest. Vielmehr müssen wir doch alle irgendwie mit diesen unbefriedigenden Verhältnissen fertig werden.

Eure Single-Veröffentlichung weckt natürlich Hoffnung auf mehr neues Material von GANG OF FOUR. Was kann man erwarten?

Wir arbeiten an einigen Sachen. Wir spielen großartige Live-Shows und erfreuen uns einer wunderbaren Fanbase. Wir werden ihnen also in naher Zukunft etwas geben, womit sie glücklich sein werden.

Glaubst du, dass gegenwärtig im Musikbusiness ein Defizit wirklich radikaler politischer Denkmodelle besteht? Anders formuliert: Ist es nicht befremdlich, dass fünf Jahre nach dem Ausbruch des Irak-Kriegs Bands wie METALLICA – die natürlich mit „One“ bereits vor diesem Krieg ein starkes Anti-Kriegs-Statement abgegeben haben – oder Musiker wie EVERLAST dieses Thema für sich entdecken und generell darin die Gefahr einer Marketingstrategie im Sinne von „We sell political correctness“ besteht?

Tatsächlich sehe ich wirklich eine Art Defizit an wirklich großen politischen Ideen und Gedankenmodellen. Natürlich, viele Musiker reduzieren sich selbst auf so „großartige“ Themen wie die verlorene Liebe, das Lamentieren über die negativen Nebenerscheinungen des Erfolgs, Frauen und Partys, schnelle Autos und andere immens wichtige Sachen. Letztlich sind das nicht die wirklich relevanten Themen, um die es geht. Deshalb denke ich nicht, dass es sinnvoll ist, den moralischen Zeigefinger zu erheben, um Kritik an Musikern zu üben, die einen vermeintlich späten Zeitpunkt für ihre Kritik gewählt haben. Letztlich geht es nur darum, dass sie überhaupt massiv Kritik an diesem irrsinnigen Krieg üben. Wie und wann ist doch letztlich von untergeordneter Bedeutung: besser spät als nie.

Dave Allen – ehemaliger Bassist und Gründungsmitglied von GANG OF FOUR – hat mit seiner Band LOW POP SUICIDE in den neunziger Jahren ein Album mit dem Titel „On The Cross Of Commerce“ aufgenommen. Was muss deiner Auffassung nach ein Musiker heute im Business opfern, um zu überleben? Was bedeutet es für dich ganz persönlich, Kompromisse einzugehen?

Auf gewisse Weise fürchten sich doch alle Künstler vor Kompromissen in ihrem kreativen Schaffen. Aber im Wesentlichen resultiert das nur daraus, dass man sich die Frage stellen muss, wie man von seiner künstlerischen Tätigkeit leben kann. Für Konzerte und Plattenveröffentlichungen bezahlt zu werden ist kein Kompromiss. Künstler wurden doch stets im Wege verschiedener Rechtsstreitigkeiten von ihren Agenturen und Plattenlabels korrumpiert und ausgenommen. Bei GANG OF FOUR war das definitiv so. Es gibt da allerdings viele Facetten und Ausprägungen. Ein Kompromiss kann auch sein, dass viele Künstler die etwas subtilere Form der Ausbeutung ihrer künstlerischen Resultate durch die Industrie sogar akzeptieren und befürworten. Beispielsweise ist es für sie in Ordnung, wenn Apple ihre Musik als digitale Downloads vertreibt, weil das auf irgendeine Weise cool ist oder den Zeitgeist widerspiegelt. Als ob das besser wäre, als die etwas altmodischeren Vertriebswege von Warner oder der EMI. Ich ziehe ein Label wie EMI einer Veranstaltung wie Apple jederzeit vor, die viel in iTunes-Downloads investiert, aber sich einen Dreck um die Entwicklung neuer Talente kümmert. Es ist manchmal unfassbar, wohin sich das alles entwickelt hat. Dave ist allerdings der Überzeugung, dass im Internet vertriebene Musik eine gute Sache ist. Eine Art Herausforderung an die Musikindustrie alter Provenienz. Musiker sollten seiner Auffassung nach diese Realität akzeptieren und ebenso den Umstand, dass Musik kostenlos vertrieben wird, und demnach andere Wege suchen, wie sie mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten können, jedenfalls nicht über den traditionellen Verkauf von Tonträgern. Nun, ich respektiere seine Einstellung, aber ich bin absolut nicht seiner Auffassung. Um ehrlich zu sein, ich nehme das lediglich als ein etwas anderes Geschäftsmodell wahr, das nicht wirklich besser ist als die Form des traditionellen Musikvertriebs, nur dass die Protagonisten nun nicht mehr in Anzügen, sondern in Jeans und T-Shirts rumlaufen. Der Unterschied ist lediglich der, dass das haptisch erfahrbare Produkt durch ein virtuelles ersetzt wurde. Sämtliche Gewinne werden nun von einer sehr kleinen Gruppe von Profiteueren vereinnahmt, da sie in der alleinigen Verfügung der Schlüsseltechnologie sind, wie eben die verdammten Apple.

Deine Ressentiments gegenüber der Musikindustrie sind also nicht wirklich geringer geworden. Simon Goddard, Musikkritiker für das britische Uncut Magazine, hat noch viele Jahre nach dem Erscheinen eures Debütalbums „Entertainment!“ geschrieben: „It still rages“. Was füttert deine Wut heutzutage?

Im Wesentlichen das tatenlose Zusehen und Akzeptieren offensichtlicher Missstände. Der Umstand, dass wir den Film, der gerade läuft, lediglich anschauen, anstatt gestaltend an seinem Drehbuch mitzuwirken.

Bei GANG OF FOUR kommt man nicht umhin, auch das Thema Polemik aufzugreifen. Paul Lester vom Uncut Magazine hat über euch gesagt, dass ihr die perfekte Antwort auf die Frage seid, wie man polemisch sein kann, ohne den Eindruck zu vermitteln gleichzeitig hochnäsig, borniert oder gar banal zu sein. Besteht aber nicht die Gefahr, von der Polemik in einen Zustand stagnierender Frustration zu gleiten, wenn man erkennen muss, dass sich die Dinge nicht ändern, obgleich man sich lange für eine Änderung engagiert, aber eben erfolglos?

Es wäre doch ziemlich naiv zu glauben, dass sich Dinge schnell ändern, besonders wenn es um sehr komplexe gesellschaftliche Sachverhalte geht. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht immer wieder mit Nachdruck für unsere Ideale, Überzeugungen und Auffassungen einsetzen müssen. Und wir sollten auch stolz darauf sein. Nicht jeder von uns wird von der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit und Apathie eingelullt. Als Band werden wir immer versuchen, über die relevanten und interessanten Dinge zu schreiben, meinetwegen auch mit einer belustigenden Nuance, auch und gerade dann, wenn es eben nicht wirklich zum Lachen ist. Aber – wie bereits erwähnt – es geht uns nicht darum, die Leute zu belehren. Wir machen einfach noch großartige und laute Musik und da hilft es, einen so wunderbaren Gitarristen wie Andy Gill an seiner Seite zu haben.

Du hast einmal über die Musik von GANG OF FOUR gesagt: „We make music to dance to and shout and get drunk to.“ Das legt die Frage nahe, ob du eher ein Tänzer oder „Zuschauer“ bist? Was war denn überhaupt der erste Dance-Release, den du dir gekauft hast?

In der Tat, ich war ein sehr ausdauernder Tänzer und konnte Stunden auf dem Dancefloor verbringen, wenngleich ich zugeben muss, dass ich nicht zwingend ein begnadeter Tänzer gewesen bin. Musik ist aber definitiv eine sehr physische Sache. Als Teenager war ich sehr an Reggae-Musik interessiert. Ich glaube, die erste wirkliche „Tanzplatte“, die ich mir zugelegt habe, war „Double Barrel“ vom jamaikanischen Reggae-Duo DAVE & ANSELL COLLINS von 1970. Im Übrigen ist das wirklich ein brillanter Track.