GANG OF FOUR

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Send me evenings and weekends

Legenden aufleben zu lassen, ist nicht einfach. Wo also beginnen? Vermutlich im Hier und Jetzt: Gegenwärtig wird das Referenzmodell GANG Of FOUR (Go4) fast inflationär bemüht, wenn es darum geht, die musikalischen Wurzeln oder Einflüsse aktueller Bands auszuloten wie RADIO 4, IKARA COLT, THE RAPTURE, KICK JONSES oder INTERPOL. Aber was ist es, was die Band aus Leeds für Musiker der Gegenwart so interessant erscheinen lässt?

Jeder wird andere Motivationen verspüren, sich auf dieses Soundkonstrukt aus prägnanter Gitarre und trockenen Bassläufen zu berufen. Oder, um es mit den Worten von Gitarrist Andy Gill zu sagen: „Go4 are like the VELVET UNDERGROUND in this respect“. In Anlehnung an ein Zitat von Brian Eno über Velvet Underground: „THE VELVET UNDERGROUND didn‘t sell a huge number of records, but almost everyone who bought one went out and formed a band.“ Definitiv gilt dies nach eigenem Bekunden für Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS, der über das Go4-Album „Entertainment!“ von 1979 zu dem geführt wurde, was er heute am Bass ist. Groß war der Einfluss von Go4 auf Musiker, die später zu größerer Popularität gelangen sollten: „‚Solid Gold‘ took no prisoners. It was art meets the devil via James Brown.“ (Michael Hutchence, INXS). - „‚Entertainment!’ shredded everything that came before it. The GANG Of FOUR know how to swing. I stole a lot of them“ (Michael Stipe, R.E.M.). Und FUGAZI und RAGE AGAINST THE MACHINE haben sicherlich auch ihre Lektion Go4 gelernt. Erstaunlicherweise findet sich auf MASSIVE ATTACKs Album „Mezzanine“ eine Textpassage aus dem Go4-Song „Return the gift“ vom Album „Entertainment!“: „Send me evenings and weekends.“

Go4 wurden 1977 in Leeds gegründet. Umfeld: Industriestadt, Arbeiterklasse, Gewerkschaften, Straßenunruhen und Unmengen kreativen Potenzials bei den Absolventen der Leeds University. So mag dann auch der Bandname Sinn machen, benannt nach der „Viererbande“, der Gruppe der vier Anführer der chinesischen Kulturrevolution. Die Urbesetzung bestand aus Dave Allen (Bass), Andy Gill (Gitarre), Hugo Burnham (Drums) sowie Jon King (Melodica). Allen kam übrigens über eine Anzeige zur Band, in der man nach einem Bassisten für eine „fast R&B band“ suchte, und Allen war auch der Einzige, der wirklich der Arbeiterklasse entstammte. Auf sein Bassspiel hatten z.B. die Nightshows des kürzlich verstorbenen John Peel einen erheblichen Einfluss: „... he was playing a lot of reggae, which inspired me as a muscian.“ Der Gesang war bei Go4 nie wirklich in fester Hand: „How we used (the vocal technique) depended on the song ... sometimes it was like a narrator slips in and passes comment“ (Andy Gill). Dieser eindringliche Erzählduktus und Gesang stand nachhaltig für das musikalische Konzept der Band.

Leeds steckte mit sämtlichen Parametern, die die Stadt prägten, das Umfeld und die Einflüsse der Band ab. Zum einen eine deutliche Art School-Provenienz („the impressionist period had many parallels with now: Manet was using formulae and icongraphy from a tradition, but he put it together in a way that was uncomfortable“, Andy Gill), P-Funk-Einflüsse eines George Clintons (PARLIAMENT, FUNKADELIC) und nicht zuletzt die politischen und gesellschaftlichen Lebensumstände in Leeds: Demonstrationen gegen die National Front, Straßenschlachten mit der Polizei, Übergriffe der National Front auf Pubs, in denen auch Geistesverwandte wie die MEKONS und DELTA 5 auftraten. Man vergegenwärtige sich, dass zu dieser Zeit neben DELTA 5 auch schon mal David Thomas und seine Band PERE UBU im Vorprogramm von Go4 auftraten. Eine Zeit, in der auch ein junger Fotograf namens Anton Corbijn mit im Tourbus von Go4 und PERE UBU unterwegs war. Es folgten Konzerte mit THE FALL, THE AU PAIRS, STIFF LITTLE FINGERS, HUMAN LEAGUE und THE MEKONS. Mit den Mitgliedern von den MEKONS gingen Gill and King bereits gemeinsam zur Schule.

1978 erschien „Damaged Goods“, die erste EP von Go4 auf dem Label Fast Product. Die Tristesse und Kühle der Fotos, die während der Aufnahmen in den Cargo Studios gemacht wurden, korrespondieren mit den grauen und trostlosen Straßenzügen der Stadt. Die Frustration und Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen kanalisierte sich in der Mehrzahl der Texte: „What was on their mind was the notion that everyday life-wage labor, offical propaganda, the community system, but also you bought a shirt, how you made love, the feeling you had as you watched the night news or turned away from it was not ‚natural‘, but the product of an invisible hand“ (Greil Marcus, 1990). „Damaged Goods“ katapultierte die Band in das Licht der Öffentlichkeit. 1979 unterschrieb Go4 einen Vertrag bei der EMI: „The gave us money, we gave them the tapes. We had the total control over the packaging and the production of the records“ (Andy Gill). Über die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Konzerns EMI – bis hin zu dessen Vernetzungen in die Produktion von Waffen – war sich die Band bewusst. Man kann an ein Unterfangen im Sinne des trojanischen Pferdes denken. Das Cover von „Entertainment!“ soll dies auch vermitteln – ein Indianer, der einem Cowboy die Hand schüttelt: „The indian smiles, he thinks that the cowboy is his friend. The cowboy smiles, he is glad, that the indian is faded. Now he can exploit him“ (Andy Gill).

1979 erschien „Entertainment!“. Ein Monolith. Undiskutierbar. Keine persönliche oder semi-amtliche Bestenliste, in der diese Platte nicht auftaucht. „I remember the first time I heard the ‚Entertainment!‘ record. Listening to the razor-sharp rhythms ... the little Flea’s mind was blown“ (Flea, RED HOT CHILI PEPPERS). Im Juli 2004 erschien im englischen Mojo Magazin als Beilage eine CD, die unter dem Titel „Chili Peppers Juke Box“ die wesentlichen musikalischen Einflüsse der Band wiedergeben sollte – eröffnet wurde mit Go4. „‚Entertainment‘ changed my life. It did for Kurt Cobain too“ (Tad Doyle, TAD). Die erste Singelauskoppelung „At home he’s a tourist“, im Januar 1979 für eine John Peel-Session eingespielt, schaffte es in die UK Top 40. Ein Auftritt bei „Top of the Pops“ scheiterte an dem Umstand, dass sich die Band weigerte, eine für das Vorabendprogramm nicht kompatible Textzeile zu ändern. Das hätte auch nicht zum Etikett „neo-Marxist-Funk“ gepasst. Auf diese Weise beflügelte man ungewollt den Erfolg einer anderen Band – anstatt Go4 spielten die DIRE STRAITS. Go4 gingen anschließend auf US-Tour, im Vorprogramm der BUZZCOCKS: „It was the hottest night in the city for about 20 years. The place [Anm.: Geary Temple in San Francisco] had a 1.600 capacity, but there where over 2.000 people in there ... People still come up to me and talk about how that show changed their lives“ (Hugo Burnham).

1981, zwei Jahre später, erschien „Solid Gold“, aufgenommen in den Abbey Road Studios der EMI. Jon King beschrieb das Album im nachhinein als „more danceable“ – der sozialkritische Duktus blieb vorhanden. Gesellschaftlich vorherrschende sozialdarwinistische Paradigmen wurden beispielsweise in „Paralysed“ angeprangert: „Everyman is for himself, wealth is for the one that wants it, paradise – if you can earn it“. Punkt! No Fun! Man hatte nicht an Schärfe verloren. Das Gewissen der Arbeiterklasse prägt weiter die Songs – EMI hin oder her, bei denen man weiterhin unter Vertrag war. „Solid Gold“ sollte das letzte Album für Dave Allen sein. Allen wird sich später mit Ex-XTC-Mitglied Barry Andrews zu SHRIEKBACK formieren. Tragendes Element dieses Konstruktes war zunächst wieder der Bass. Songs wie „My spine is the bassline“ manifestieren das deutlich. Die Musik – die später immer stärker durch den Einsatz von Keyboards und elektronischen Versatzstücken erweitert wurde – erinnert teilweise an CLOCK DVA, Thomas Leer und die TALKING HEADS. Zwischenzeitlich gründete Allen sein eigenes Label World Domination. Etwas merkwürdig und befremdlich musste allerdings 1993 der Versuch von Allen wirken, unter dem Namen LOW POP SUICIDE mit „On The Cross Of Commerce“ ein sich stilistisch an den zu dieser Zeit dominierenden Grunge-Rock anbiederndes Album abzuliefern. Das hatte mit seinen Wurzeln nichts mehr zu tun. Später komponierte Allen auch Filmmusik u.a. für den Film „The Harvest“.

Allen wurde bei Go4 durch Busta Jones (Ex-TALKING HEADS) ersetzt. Langfristig nahm Sara Lee seinen Platz in der Band ein, die zuvor mit Robert Fripps LEAGUE Of GENTLEMEN zusammengearbeitet hatte. Das eröffnete Wege, sich dem damals aufkommenden tanzbaren Rock zu öffnen. „I love a man in a uniform“ vom dritten Album „Songs Of The Free“ (1982) war einer der ersten Songs auf dem Album, die mich aufgrund ihrer Catchyness fesselten, so untypisch er auch in Bezug auf die beiden Vorgängeralben war – „a subversive dancerock masterpiece, a club smash ...“ (Jon Savage). Go4 eroberten in gewissem Sinn den Dancefloor und wurden Clubkracher in den frühen Jahren des legendären Hacienda-Clubs in Manchester. Der Erfolg zog sie erneut in die USA – die Band spielte auf Festivals mit vorher undenkbar gewesenen Zuschauerzahlen.
Dann kam der zweite Einbruch: April 1983, Hugo Burnham verlässt nach langen Auseinandersetzungen mit dem Songschreiberduo Gill/King die Band. Man war des unter anderem als Tourmanager, Promoter und Bindeglied zu den diversen Rechtsabteilungen fungierenden Burnham überdrüssig geworden. Der Rest stürzte sich in die Aufnahmen zu „Hard“ (1983) – der Anfang vom Ende. Gill programmierte fortan den Drumcomputer. Das war die erste harte Prüfung für alte Fans – zuviel Dancefloor und Konsens für den Puristen. Die konsequente Verweigerungshaltung mit sperrigen Songstrukturen wich mitunter einer massenkompatibleren, tanzbaren Rockattitüde. Ein Terrain, das im Jahr zuvor bereits THE CLASH mit Songs wie „Rock the Cashbah“ besetzt hatten. „The album got a mixed reception. Some fans where pissed off that there where some songs that weren’t as raw and angular as before“ (Andy Gill). Mir gefiel indes auch „Hard“ – was Dave Allen parallel mit SHRIEKBACK betrieb, spielte sich auf einer ähnlichen Ebene auch auf diesem Album ab. Im November 1984 erschien noch „At the palace“, ein Livemitschnitt aus dem Frühjahr dieses Jahres aus dem Palace in Hollywood u.a. mit dem Live-Schlagzeuger Steve Goulding, der auch für die MEKONS, Lene Lovich, Elvis Costello und THE CURE arbeitete.

Nach der Trennung im selben Jahr arbeitete Gill als Produzent u.a. für die RED HOT CHILI PEPPERS und veröffentlichte 1987 noch eine Solo-Single („Dispossession“). Und er arbeitete mit Michael Hutchence (INXS) zusammen, schrieb gemeinsam mit ihm Songs und produzierte das Soloabum von Hutchence im Jahre 1999. Nebenbei wirkte er an zahlreichen Filmmusiken mit.
Hugo Burnham spielte u.a. mit ABC und Nona Hendryx zusammen und gründete mit seinem Bruder das Huge & Jolly Management, welches sich z.B. für Julian Cope, TRASHING DOVES und Neil Arthur von BLANCMANGE verantwortlich zeichnete. Anschließend zog es ihn als A&R Manager zu Island Records und später zur EMI.

Jon King gründete MECHANICAL PREACHER zusammen mit Steve Goulding und spielte u.a. im Vorprogramm einer US-Tournee von SIOUXSIE AND THE BANSHEES. Veröffentlichungen der Band soll es nicht gegeben haben.
1990 reformierten sich Go4 – allerdings ohne Allen und Burnham. Die Alben „Mall“ (1991) und „Shrinkwrapped“ (1995) waren das Ergebnis. Begeistern konnte das Ganze nicht, obgleich „Shrinkwrapped“ für Gill das Album gewesen ist, dass ihm nach „Entertainment!“ und „Solid Gold“ am wichtigsten und durchaus ebenbürtig erschien. „Mall“ wurde 1991 im Rahmen der US-Tournee mit PUBLIC ENEMY und den SISTERS OF MERCY zum Besten gegeben – „capital (it fails us now)/ another day/ another dollar“.
Im Januar 2005 spielten GANG OF FOUR einige Reunion-Gigs in England, neues Studiomaterial soll es auch geben.

Epilog: „In short, ‚Entertainment!‘ was an impossibley hard act to follow. Yet if it is any consolation, in the the 21 years since it was first released, few bands have been able to boast such a near flawless first offering in terms of bite, spontaneity and blood-minded courage. GANG OF FOUR‘s debut is, even by today’s standards, an unparalled sensory assault. It still rages. God forbid, it still entertains.“