Dass ihr neues Label Recess Records das vierte Album der FLESHIES, „Brown Flag“, nur in einer auf 500 Stück limitierten Auflage veröffentlicht, ist weniger eine Respektlosigkeit als Realismus. Denn selbst ein Label wie Alternative Tentacles, bei dem die drei Vorgänger erschienen und von dem man sich im Guten trennte, scheint heute kein Garant mehr für gute Plattenverkäufe zu sein. Nun geht es der 1999 in San Francisco gegründeten Band bei ihrer Musik nicht ums Geldverdienen, dafür sind sowohl sie selbst aus auch ihre Platten zu skurril und ihre Form des Anachronismus zu uncool, etwas mehr Aufmerksamkeit hätten sie aber verdient. Aber du hast es schwer, wenn deine Definition von Punkrock eine einzigartige ist, ein großer Teil deines potentiellen Publikums aber nach Altbekanntem oder nach ewig gleichen Schemata verlangt. Sie hätten somit eher in die Anfangstage des Hardcore gepasst, als Originalität noch wesentliches Merkmal einer Band sein durfte, aber sie existieren nunmal hier und jetzt, was wiederum den Vorteil einer flotten, schriftlichen Kommunikation hat. Sänger Johnny Mink und Gitarrist Mattowar ließen sich darauf ein, alberne Fragen zu beantworten, die um die Songtitel von „Brown Flag“ konstruiert wurden.
„Aphids“: „Aphids“ sind Blattläuse, also Pflanzenfresser. Trifft das auch auf die FLESHIES zu oder ist der Bandname bezeichnend?
Mattowar: Ich mag den Geschmack von rohem Menschenfleisch auf meiner Gabel.
Johnny: Ich esse alles, das verdient hat, gegessen zu werden. Aber wenn man mich zwänge, Vegetarier oder Veganer zu werden – was nicht so schlimm wäre, ich mag veganes Essen sehr – würde ich nur Gerichte zubereiten, bei denen wie auch immer behandelte Sojaprodukte keine Rolle spielen. Mal von Bio-Tempeh abgesehen, der nachhaltig produziert sowie fermentiert wird und somit gesund ist, ist Soja einfach eine üble Sache: Texturiertes Soja wird mit hydrierten Ölen hergestellt, Sojabohnen sind giftig, wenn sie nicht fermentiert werden, die Regenwälder werden für den Soja-Anbau mittlerweile in einem Ausmaß zerstört, das schon beinahe höher ist, als das für Rinderhaltung. Haltet euch lieber an Kichererbsen und Linsen.
„Over the raindro“: Ich habe keinen Schimmer davon, was ein „raindro“ sein soll. Und warum muss man darüber hinwegkommen?
Mattowar: Das geht mir ähnlich, ich weiß auch nicht, wo das Wort „dro“ herkommt. Vielleicht ist es eine Mischung aus den beiden, ehemals in der „schwarzen“ Sprache beliebten Wörtern „dre“ und „bro“, die beide schon recht gut klingen, zusammen aber magisch.
Johnny: „Raindro“ ist unsere eigene Wortschöpfung und das hat etwas mit „dro pops“ zu tun, die eine kandierte Mischung aus PCP und THC in Totenkopfform auf einem Lolli-Stiel sind. Ich habe mal versehentlich einen gegessen, in der Annahme, er wäre bloß aus Cannabis. Acht elende und inhaltsleere, im Regen verbrachte Stunden später habe ich entschieden, über diesen „rain dro“ hinweg zu sein.
„Fire it up“: Gibt es etwas, das ihr gerne anzünden würdet? Oder, pathetischer gefragt: inwiefern bemüht ihr euch, diese Welt zu ändern und in was?
Mattowar: Ich würde gerne die ganze Welt in Feuer verwandeln, meine Bemühungen, etwas zu ändern, bringen mir eh nur Ärger ein.
Johnny: Ich möchte die Welt nicht brennen sehen, nur eine kleine Flamme in deinem Herzen entzünden.
„Now she is a cop“: Johnny, du bist Archäologe. Was ist so faszinierend an „digging up dead people, and their stuff“, wie du es selbst ausdrückst.
Johnny: Ich habe zwar ausgiebig Archäologie studiert, sitze jetzt aber bloß vor einem Computer und schreibe für ein angesehenes Non-Profit-Unternehmen, das wichtige Ausgrabungsstellen mittels eines 3D-Laser-Scans dokumentiert und dann den Menschen erklärt, was sie denn da sehen. Die meisten Leute, die sich für einen solchen akademischen Zweig entschieden haben, arbeiten zum Geldverdienen leider nur als Autoren.
„Onion of my eye“: Aufgrund seiner exzessiven Bühnenshow scheint zumindest Johnny ein Mensch zu sein, der seine Emotionen gerne rauslässt. Wann habt ihr zum letzten Mal geweint?
Johnny: Tja, die Traurigkeit des Clowns ist alles, was mir dazu einfällt.
Mattowar: Ich weine bloß, wenn ich kein Bier mehr habe – no tear ducts, only beer ducts.
„The chip“: Wie der direkte Vorgänger „Scrape The Walls“ ist auch „Brown Flag“ wieder sehr warm und authentisch produziert. Eine Seltenheit in Zeiten von Pro Tools. Waren überhaupt Computerchips bei der Produktion involviert?
Johnny: Unser Schlagzeuger Hamiltron hat viel Zeit damit verbracht, sein jetzt sehr eindrucksvolles, komplett analoges Studio namens Sugar Mountain zusammen zu plündern. Und obwohl die Möglichkeiten des digitalen Arbeitens für meine anderen musikalischen Projekte sehr wichtig sind, würde es bei den FLESHIES nicht funktionieren, digital aufzunehmen. Wir sind Anachronisten und fühlen uns wohl in unserer kleinen Nische. Ein eigenes Studio zur ständigen Verfügung zu haben, ist ein wichtiger Teil unserer Musik, da wir so völlige Freiheit besitzen.
Mattowar: Die CD-Version des Albums wurde natürlich mit einem Analog-Digital-Wandler hergestellt. Der wurde aber von einem Typen auf einem Fahrrad angetrieben.
„Grounded“: „Brown Flag“ klingt irgendwie „geerdet“. Die Platte ist eingängig, aber nicht banal, abwechslungsreich, aber dennoch straight. Eure Einflüsse sind erkennbar, in eine Schublade passt sie dennoch nicht. Simpel ausgedrückt: es ist „nur“ gute Punk/Rock-Musik. Wie sind eure Gefühle gegenüber „Brown Flag“?
Mattowar: Wir sind in der Tat sehr stolz auf das Album und froh, dass unsere Musik auch von anderen Menschen als nur von uns gehört wird. Anscheinend kommt die Platte überall sogar sehr gut an. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, an der nächsten zu arbeiten.
„Finger in the sky“: Benutzt ihr eher einen erhobenen Zeigefinger im Umgang mit anderen Menschen oder die schüttelnde Faust?
Johnny: Definitiv den Zeigefinger. Allerdings viel häufiger als eine Art „Aha!“, als um damit auf jemand zu zeigen, im Sinne ihn für etwas anzuklagen.
Mattowar: I’ve got my finger up this guy ...
„Forever’s gonna start tonight“: Die FLESHIES sind seit 1999 aktiv. Wie lange denkt ihr noch damit durchzukommen? Haben sich die Dinge so entwickelt, wie ihr wolltet?
Mattowar: Ich könnte nicht glücklicher sein als mit der Musik, wie wir sie gerade machen, wobei ich auch auf unsere älteren Platten stolz bin. Wir waren immer gut darin, mit den jeweiligen Aufnahmen genau den Punkt einzufangen, an dem wir uns musikalisch gerade befanden, was auch heißt, dass ich keine Ahnung haben, wie unsere zukünftigen Sachen klingen werden. Wir sollten aber auf jeden Fall hundert Songs auf unsere nächste Platte packen, bloß um Interviews wie dieses zu strecken.
Johnny: Jetzt ist der Beginn unserer goldenen Jahre. Wir sind sowohl als Band als auch als Menschen innerhalb der Band gewachsen und es fühlt sich wie eine Familie an. Das wird sicherlich so bleiben.
„You can be a star“: Nehmt es mir nicht übel, aber es scheint, als kennt euch kaum jemand in Europa. Liegt es daran, dass ihr hier zuletzt 2003 getourt seid oder ist eure Musik nur nicht hip genug?
Johnny: Es sieht momentan so aus, als würden wir es tatsächlich 2011 nach Europa schaffen. Auch wenn die FLESHIES etwas obskur sein mögen, glauben wir, dass es dort ein paar wenige Menschen mit Geschmack gibt, die uns kennen und uns sehen wollen, nicht zuletzt wegen solcher aktiven Fürsprecher wie dem Ox-Fanzine. Danke für eure Unterstützung über all die Jahre.
Keine Ursache.
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