Alternative Tentacles mag in den letzten Jahren vielen eher durch komische Schlagzeilen aufgefallen sein, bedingt durch den Rechtsstreit um das Erbe der DEAD KENNEDYS. Viel erfreulicher ist aber die Tatsache, dass eigentlich bis heute jeder Release des Labels ein Volltreffer ist. Und so war auch “Kill The Dreamer’s Dream”, das erste Album der FLESHIES, schon eine sehr feine Sache. Jetzt, kurz vor ihrer ersten Europatour, ist mit “The Sicilian” das zweite Album raus, nachdem kürzlich noch auf Adeline eine Picture-EP erschienen war. Und weil mir die Mischung aus AC/DC-Rock und Achtziger-Hardcore so gut gefällt, habe ich die Jungs per eMail interviewt. Die FLESHIES sind Mr. Kavetski (bass, vocals), Johnny Max Hench (vocals), Mattowar (guitar, vocals) und Hamiltron (drums, vocals).
Im Jahresendnewsletter von Alternative Tentacles fand sich folgende Top 10-Liste von Johnny, die nicht gerade Ausdruck positiven Denkens ist: “Johnny’s Top 10 things you can do to save the planet in 2003: 1. Absolutely nothing. 2. - 3. - 4. - 5. - 6. - 7. - 8. - 9. - 10. Kill yourself now.”
Johnny: Das bezieht sich auf das Buch ‚50 things YOU can do to Save the Planet!’, einem Bestseller in Sachen inhaltleeren Geschwätzes. Ein Hochglanz-Wälzer, den sich die Neoliberalen griffbereit auf ihren Schreibtisch stellen, um den Eindruck zu erwecken, an vorderster Front für die Umwelt zu kämpfen. Für mich bedeutet die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen alles, aber ich gebe mich nicht der Täuschung hin, dass etwa die Entscheidung, ob man seine Fenster mit Essig statt mit Fensterputzmittel reinigt, etwas mit der ‚Rettung unseres Planeten’ zu tun hat. Um den wirklich zu retten braucht es etwas ganz anderes, nämlich eine Revolutionäre Front, die sowohl spontan als auch gebildet, nicht reaktionär, als Kollektiv organisiert, nicht auf Vorherrschaft bedacht, vom Volk unterstützt und international ist und zudem genug Stoßkraft und gleichmäßig verteilte Feuerkraft aufweist, um die Strukturen der multinationalen Konzerne zerstören zu können. Außerdem muss der Handel auf Basis der bisherigen monetären Systeme ersetzt werden durch eines, das auf Arbeit und Ressourcen basiert. Natürlich muss dieses System ausreichend Kontrollmechanismen aufweisen um zu verhindern, dass die Führer zu viel Macht ansammeln. Oder, um es mit anderen Worten auszudrücken: Es wird nie soweit kommen. Vielleicht sollte das Buch ja auch besser ‚50 things YOU can do to make yourself a better person’ heißen. Und ja, ich mag in gewisser Hinsicht ein Pessimist sein, aber auf meiner Liste kann von zwei bis neun alles stehen, was du dir vorstellen kannst. Und man kann ein wunderbares, erfülltes Leben führen, sich für diese Nummern Einträge auszudenken. Oder, um es mit den Worten Nick Caves zu sagen: ‚Denk einfach immer daran, der Tod ist nicht das Ende’.
Was geht mit AC/DC? Vom klassischen US-Hardcore der Achtziger mal abgesehen scheinen euch gerade die beeinflusst zu haben.
Mr. Kavetski: Also, ich liebe AC/DC.
Mattowar: Ich auch. Und 80er-Hardcore. Das sind zwar zwei grundverschiedene Stile, aber beide sind großartig.
Hamiltron: Mein Bruder Jeff hat mich vor Ewigkeiten mal zu einem AC/DC-Konzert mitgenommen.
Johnny: Ich finde ja, dass AC/DC damals nach ihrer Split-12” mit TERVEET KÄDET richtig schlecht geworden sind... Ehrlich gesagt höre ich mir so 70er-Rock überhaupt nicht an. Ich bin ein junger Hüpfer, der vor allem diese verrückten Acid-Punk-Bands aus dem Mission District von San Francisco bzw. der Gilman Street-Szene aus Berkeley hört, die sich allerdings schon vor Jahren aufgelöst haben: BLATZ, HICKEY, 50 MILLION und so weiter. Hört euch die mal an, auch wenn ihre Platten schwer zu kriegen sind.
Wieso hat euch Biafra auf Alternative Tentacles geholt?
Mr. Kavetski: Irgendwann hat er mich mal nach einem Konzert in San Francisco angesprochen, was denn mit unserer Band so läuft, und ich meinte dann, wir würden gerade einen Kredit aufnehmen, um mit dem Geld ein Album zu finanzieren. Er meinte dann, wir sollten uns vielleicht mal unterhalten, und so ging das dann seinen Gang.
Mattowar: Zwei unserer Freunde, Michelle und John The Baker, hatten Biafra gesteckt, er solle sich uns mal anschauen, und natürlich haben wir an dem Abend unser schlechtestes Konzert überhaupt gespielt, aber es gefiel ihm immer noch so gut, dass er unsere Platte rausbringen wollte.
Johnny: Es war aber auch seine einzige Chance uns davon abzuhalten, bei den ‚reunited’ DEAD KENNEDYS einzusteigen, was aus denen eine Supergroup mit zwei Gitarren, zwei Bässen, zwei Drumsets und zwei Sängern gemacht hätte, die mit IRON MAIDEN auf Tour gegangen wäre und nur BLACK FLAG-Songs gespielt hätte.
Ihr kommt aus San Francisco bzw. der Bay Area. Wie sieht’s derzeit mit der Szene da aus?
Mattowar: In der Bay Area gibt es ungefähr 50 verschiedene Punk-Szenen, die wiederum aus 50 Leuten oder so bestehen. Von daher wäre es ganz schön, wenn da etwas mehr ‚Unity’ vorhanden wäre.
Mr. Kavetski: Gerade in Oakland gibt es derzeit eine ganze Menge erfreulich rockender Bands wie etwa THE PHANTOM LIMBS, SEXY, DORY TOURETTE AND THE SKIRTHEADS, NIGEL PEPPERCOCK, BRAINOIL und so weiter. Und die ganzen Sachen auf S.P.A.M. Records sind auch einen Versuch wert.
Johnny: Die Musikszene in der Bay Area ist derzeit so gut wie seit Jahren nicht mehr, mit Bands wie ERASE ERRATA, CLAN OF THE BLEEDING EYE, ENEMIES, LOS RABBIS, TOMMY LASORDA, POSER POSSE, SHOTWELL, ALLERGIC TO BULLSHIT, BOTTLES AND SKULLS, GRAVY TRAIN, PITCH BLACK, DRUNK HORSE, DEAD AND GONE, ARTIMUS PYLE, BARFEEDERS, LUDICRA, PANTY RAID, DUCKBUTTERS, SEXY, TOTAL SHUTDOWN – die Liste könnte noch endlos weiter gehen. Irgendwie spielt heute jeder in einer Band, und wie so oft lernt man die Bands erst zu schätzen, wenn sie mal auf Tour gehen und sich Zuhause etwas rar machen.
Wer, wann, wo, was, warum?
Johnny: Mr. Kavetski und ich machen schon seit Jahren zusammen Musik und wir haben schon in einer ganzen Reihe Bands gespielt, immer mit dem Ziel, dabei Extreme auszuprobieren. Die Sache war aber zugegeben etwas seelenlos und zu mathematisch. Die FLESHIES haben wir dann im Sommer 1999 gegründet, weil wir dann doch auch mal eine Band wollten, deren Musik wir auch selbst gerne anhören würden. Unser Ding war und ist schnelle, verrückte Musik, die sich immer knapp an der Grenze zum ‚Crash & Burn’ bewegt, ohne diese Grenze jedoch zu überschreiten. Scheiß auf alles cleane Zeug.
Mr. Kavetski: Ich habe vor den FLESHIES schon in Bands gespielt, aber in keiner wie dieser. Bei uns schreibt nämlich jeder Songs, jeder bringt sich ein und das macht verdammt viel Spaß und erhöht die Lebensdauer einer Band erheblich.
Mattowar: Ich hatte auch verschiedene Bands, aber das ist die erste, bei der es richtig klappt. Und es hat geholfen, dass wir uns vorher nicht kannten. Nachdem ich auf mehreren Touren die Fürze der anderen reichlich kennenlernen durfte, sind wir so was wie eine Familie geworden.
Euer neues Album heißt “The Sicilian”. Geht’s da um Pizza oder die Mafia?
Mattowar: Der Titel hat was mit einem Gespräch zu tun, das ich mit Jello führte. Ich sagte ihm, wir würden unser Album gerne auf 800g-Vinyl pressen. Er meinte daraufhin, wir sollten das dann gleich als Picture Disc machen, mit dem Bild einer Pfannenpizza – und uns ein anderes Label suchen. Das war dann wohl auch eine Anspielung auf unsere Picture Disc auf Adeline, ‚The Game Of Futbol’. Jello ist ein witziger Typ, und wir fühlen uns geehrt, auf seinem Label sein zu können.
Ich bin Vegetarier, mag die FLESHIES aber trotzdem. Was hat’s mit dem Namen auf sich – und kennt ihr die MEATLES?
Mattowar: Ich bin auch Vegetarier, und nein, die MEATLES kenne ich nicht. Aber ich mag die MEATMEN und die MEAT PUPPETS.
Mr. Kavetski: Johnny und ich wollten schon immer mal eine Band so nennen, aber vorher hatten die Anderen nie Lust darauf. Bei dieser Band versuchten wir es dann noch mal, Mattowar und Hamiltron gefiel er, und das war’s dann. Was die Bedeutung des Wortes anbelangt, so gibt es da verschiedene, ähem...
Johnny: ...zum Beispiel heißt das soviel wie ‚große Brüste’, und www.flesh.com ist die Adresse einer Porno-Website. Ich frage mich übrigens, warum es bis heute keine Skinhead-Band gibt, die sich THE VEGET-ARYANS nennt....
Johnny, man liest immer wieder mal, dass du extrem wild auf der Bühne herumtobst und dich gerne mal ausziehst.
Johnny: Kennst du ‚Young Frankenstein’ von Mel Brooks? Da gibt es eine Szene, wo Dr. Frankenstein das Monster auf eine Bühne bringt und es dort zum Broadway-Klassiker “Puttin’ on the Ritz’ steppen soll. Das Publikum reagiert mit einer Mischung aus Schock und Horror und rastet völlig aus. Dann setzt die Musik ein, das Monster steppt wie ein Profi und erntet Beifallsstürme. Bei den letzten Takten der Musik platzt eine Glühbirne, das Monster rastet aus, springt ins Publikum, erwürgt ein paar Leute und wird von den Cops niedergerungen, die es wie einen Crowdsurfer aus dem Raum tragen. Und genau das, genau so ist Rock’n’Fuckin’Roll!
Eure Texte scheinen euch, bei aller Wildheit der Konzerte, sehr wichtig zu sein.
Johnny: Da wir alle Musik und Texte schreiben, ist es uns wichtig, dass wir immer alle hinter einem Songtext stehen können. Und ich habe das Gefühl, dass wir auch sehr oft missverstanden werden, dass uns die Leute für völlig dumm oder einfach nur reaktionär halten – oder für bloße Faxenmacher. Klar, wir sind dumm, aber das tut ja nichts zur Sache. Und nur weil etwas witzig ist, heißt das ja noch lange nicht, dass es ein Scherz ist, oder? Dann beschäftigen sich viele unserer Texte mit Ansichten, die eindeutig reaktionär sind, und das hat etwas damit zu tun, dass mich solche Meinungen und ihr verstärktes Aufkommen in den letzten Jahren eben fasziniert, inspiriert und erschreckt. Und wenn man selbst solche Gefühle hat, kann man die ja auch durchaus äußern, solange man weiß, aus welcher dunklen Ecke der Psyche sie kommen. Besser geworden ist die Situation sowieso nicht, seit wir angefangen hatten Songs für das neue Album zu schreiben, mit Reaktionären wie George Bush, die sich immer stärker an ihre Macht klammern und dabei mit Mob-Gefühlen spielen, die Leuten wie Hitler oder den Hutus in Ruanda erlaubten, ihre Grausamkeiten zu veranstalten. Ich denke, ein Song wie ‚There will be no apocalypse’ macht ganz gut klar, wo wir stehen – all diese fundamentalistischen Bastarde auf allen Seiten spielen nämlich mit diesem Konzept. Andere Texte beschäftigen sich mit einem zukünftigen Klassenkampf, dem unauslöschbaren Bild vor Augen von Menschen, die aus dem 110. Stock eines brennenden Hauses springen, was eine Adaption aus einem Buch von Joan Didion ist, mit dem Älter- und Ärmerwerden, mit der Ungleichbehandlung von Frauen, und so weiter. Und dann ist da der Song ‚The stuff’, in dem es um überhaupt nichts geht.
Ihr kommt in Kürze auf Europatour – eure erste. Was habt ihr für Erwartungen?
Mattowar: Vor allem freue ich mich auf das Bier! Ansonsten wollen wir viel Spaß haben.
Johnny: Ich schätze, wir werden uns so richtig besaufen, irgendwo unsere Pässe verlieren und in einer dreckigen polnischen Gefängniszelle landen, mit nichts anderem zu essen als gammligem Kohl und schimmligem Pumpernickel. Ich freue mich schon darauf.
Hamiltron: Bier!!!
Sonst noch was?
Johnny: Was muss man in Polen an Kaution bezahlen?
Keine Ahnung, aber trotzdem vielen Dank für das Interview.
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