Der erste Song, den ich von FLANDERS 72 hörte, war eine Coverversion des RAMONES-Hits „The KKK took my baby away“. Beim ersten Anhören wäre ich bereit gewesen, einen größeren Geldbetrag darauf zu verwetten, dass es sich bei FLANDERS 72 um die Mannen von GREEN DAY handelt, die sich einen Spaß daraus machen, unter Pseudonym Songs der RAMONES nachzuspielen. Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass es sich bei FLANDERS 72 um eine junge brasilianische Band handelt, die es trotz ihrer Klasse bisher noch nicht geschafft hat, außerhalb von Brasilien zu spielen oder größere Bekanntheit zu erlangen. 2011 ist das erste FLANDERS 72-Album „South American Punk Rockers“ erschienen, im Dezember 2013 folgte das zweite. Paulinho Tscherniak, Frontmann des brasilianischen Trios, beantwortete meine Fragen zur Band und zur aktuellen Situation in Brasilien.
Seid ihr „Die Simpsons“-Fans?
Klar. Unser Bandname ist angelehnt an Ned Flanders. Und der Zusatz „72“ stammt aus der mexikanischen Fernsehserie „El Chavo“, die in Brasilien total populär ist. Dort ist es ein Running Gag, dass eine der Haupfiguren, Don Ramón, immer wieder darauf hinweist, dass er in Apartement Nr. 72 wohnt.
Wer gehört neben dir noch zu FLANDERS 72?
Uns gibt es seit 2004 als Trio, wobei nur ich als Sänger und Gitarrist durchgehend der Band angehöre. Insgesamt hat es vier Umbesetzungen gegeben. Aktuell gehören noch Lemon als Bassist und Gio als Drummer zur Band. Gio ist bereits unser vierter Drummer und erst seit kurzem bei uns, bisher hat er hauptsächlich in diversen Screamo- und Hardcore-Bands gespielt. Und Lemon ist bis jetzt unser zweiter Bassist. FLANDERS 72 sind meine erste Band und genau das, was ich immer machen wollte.
Aus welcher Ecke von Brasilien kommt ihr?
Unsere Heimatstadt ist São Leopoldo, ein Ort mit ungefähr 210.000 Einwohnern im Ballungsraum von Porto Alegre im südlichsten Bundesstaat Brasiliens. Ein Ort übrigens, der von deutschen Einwanderern gegründet wurde. Deshalb gibt es hier auch jedes Jahr ein Oktoberfest.
Auf eurer Homepage zitiert ihr Joe Queer, der von Brasilien total fasziniert ist, weil hier fast jeder die RAMONES kennt, während viele US-Amerikaner glauben, dass es Punkrock erst seit BLINK-182 gibt.
Da ist was dran. Jeder hier in Brasilien, der Rock’n’Roll mag, liebt die RAMONES. Sie sind hier immer noch total populär. RAMONES-T-Shirts begegnen einem hier auf Schritt und Tritt, natürlich auch mit der Gefahr, dass das T-Shirt zum reinen Modeartikel verkommt. Auf alle Fälle gibt es hier noch viele fanatische RAMONES-Fans. Ich glaube, dass wir da nur noch von Argentinien getoppt werden, da ist die RAMONES-Mania sogar noch ausgeprägter.
Joe Queer lobt auch ausdrücklich, dass ihr den Geist der RAMONES am Leben erhaltet. Damit steht ihr aber doch bestimmt nicht alleine da, oder?
Natürlich gibt es hier eine ganze Menge gleichgesinnter brasilianische Punkrock-Bands, die das Erbe der RAMONES angetreten sind. Beispielhaft kann ich da CARBONA, HOLLY TREE, MAGAIVERS, TEQUILA BABY, LOMBA RAIVOSA, NO FUTURE und GRAMOFOCAS nennen. Wir haben übrigens sogar schon mit den RAMONES die Bühne geteilt. Na ja, natürlich nicht mit den Original-RAMONES, aber wir haben schon zwei Mal mit CJ Ramone und einmal mit Richie Ramone gespielt. Es war großartig. Wir sind Riesenfans der RAMONES und dann spielen wir mit zwei von ihnen und sie lassen sich hinterher noch in T-Shirts von FLANDERS 72 fotografieren. Echt verrückt.
Wenn man euch hört, kommen einem sofort GREEN DAY in den Sinn. Habt ihr ganz gezielt versucht, wie Billie Joe und Co. zu klingen?
Ich bin Fan von GREEN DAY, seit ich zwölf Jahre alt bin. Aber dass wir so klingen wie Billie Joe, darauf haben wir es nicht angelegt. Das kam ganz automatisch. Wir haben nicht versucht, sie gezielt zu kopieren. Es ist halt so, dass ich wie Billie Joe Armstrong klinge und nicht wie Joey Ramone, wenn ich singe. Bei jedem Gig spielen wir ein oder zwei Songs von ihnen. Wir haben jede Menge Songs von ihnen im Repertoire, allerdings keine von den neuen Alben. Wir bevorzugen die alten Hits von „Kerplunk!“, „Dookie“, „Nimrod“ und „Warning“.
Vor einigen Jahren haben einige Pop-Punk-Bands wie die QUEERS oder die PARASITES ganze RAMONES-Alben gecovert. Kannst du dir vorstellen, mit FLANDERS 72 mal ein GREEN DAY-Album komplett zu covern?
Eigentlich nicht. Die Idee ist ganz gut, aber wir haben zusammen mit ein paar Freunden eine GREEN DAY-Coverband am Start, die GREEN DAY 7 heißt. Mit der Coverband könnte ich mir das durchaus vorstellen.
Einige alte GREEN DAY-Fans haben sich inzwischen von der Band abgewandt, weil sie nach deren Meinung zu mainstreamig geworden ist. Ist es ein Problem für euch, mit GREEN DAY verglichen zu werden?
Überhaupt nicht. Ein Problem hätte ich, wenn man uns mit Justin Bieber vergleichen würde, haha. Sicher haben sich GREEN DAY weiterentwickelt und natürlich finden wir die alten Sachen auch besser, aber es ist immer noch eine tolle Band. Ich habe sie zweimal live gesehen, einmal in Rio und einmal in Porto Alegre, und es waren jeweils grandiose Drei-Stunden-Shows. Leider hatte ich bis heute noch keinen Kontakt mit GREEN DAY, das wäre auch ein absoluter Traum. Mal sehen, vielleicht klappt das ja auch irgendwann noch mal. Aber generell gilt: GREEN DAY sind GREEN DAY und FLANDERS 72 sind FLANDERS 72. Wer GREEN DAY liebt oder hasst, muss nicht automatisch auch uns lieben oder hassen.
Eure Songs klingen, als ob ihr damit große Konzerthallen in den USA füllen könntet. Wie bekannt seid ihr überhaupt in den USA?
Ich befürchte, dass uns außerhalb von Brasilien kaum jemand kennt. Dieses Interview ist auch unser erstes, das wir mit jemandem außerhalb von Brasilien führen. Wir haben bis heute auch noch kein Konzert im Ausland gespielt. Wir haben keine Statistik geführt, aber wir spielen seit 2004 fast jedes Wochenende eine Live-Show, so dass wir bis jetzt bestimmt auf fast 500 gespielte Konzerte kommen. Und die fanden bisher alle in Brasilien statt. Seit ich sechs Jahre alt bin, träume ich davon, mal nach New York zu kommen. Und seitdem ich Musik mache, ist es mein größter Wunsch, auch mal in den USA zu spielen. Jetzt scheint sich abzuzeichnen, dass dieser Traum nicht völlig unrealistisch ist. Wir haben ein paar Kontakte geknüpft und hoffen, dass es 2014 endlich klappt. Auf unserem neuen Album haben wir auch einen Song zusammen mit Joe Queer aufgenommen. Wir sind zuversichtlich, dass wir damit auch in den USA deutlich an Bekanntheit zulegen können. Ich habe da immer das Beispiel der MANGES aus Italien vor Augen. Seit sie mit Joe Queer zusammengearbeitet haben, sind sie in den USA deutlich populärer geworden.
Joe ist auch auf eurem neuen Album zu hören.
Ja, bei dem Song „Totally right“ singt er. Von unserer ersten EP haben wir ihm ein Exemplar geschickt und er fand sie klasse. Als wir ihn dann anfragten, ob er einen Song für uns einsingen möchte, war er sofort mit dabei. Seinen Part hat er zu Hause in seinem Studio eingesungen und uns dann den fertigen Song zugeschickt. Die Zusammenarbeit war total unkompliziert, wir haben Joe als angenehmen Burschen kennengelernt. Er ist hier in Brasilien auch total beliebt. Und bei dem Song „Growing up is a trap“ haben wir noch Unterstützung von Rafael Malenotti erhalten. Rafael sieht aus wie Dexter Holland von OFFSPRING, spielt aber für die Band ACÚSTICOS & VALVULADOS. Die spielen keinen Punkrock, sondern eher poppigen Rock’n’Roll, sind bei uns in Brasilien aber sehr bekannt und schwer angesagt. Da er uns auch gut findet, war er ebenfalls sofort bereit, einen Song für uns zu singen.
Wenn ihr so regelmäßig live spielt, könnt ihr mit der Musik Geld verdienen?
Die Musik ist für uns reines Hobby. Gerne würden wir damit unseren Lebensunterhalt bestreiten, aber das ist nicht realistisch. Viele Konzerte spielen wir kostenlos. Wir müssen alle einem normalen Beruf nachgehen. Gio arbeitet in einem Fahrradladen, Lemon wartet Kaffeeautomaten,.und ich arbeite als freier Illustrator. Das hat den Vorteil, dass ich die ganzen grafischen Arbeiten für die Band selbst durchführen kann. So stammt beispielsweise auch das Cover unseres neuen Albums von mir. Und auch unsere zahlreichen Videos habe ich alle selbst produziert.
Kurz vor Weihnachten 2013 ist euer zweites Album „Dummyland“ erschienen. Was hat es mit dem Titel auf sich?
„Dummyland“ beschreibt die aktuelle Situation Brasiliens. Wir leben in einer Art Disneyland für Dummköpfe. Es ist schon sehr seltsam. Brasilien ist ein aufstrebendes Land, aber hat riesige Probleme mit Gewalt, Korruption, und vor allem mit unfähigen, verdorbenen und gewissenlosen Politikern. Es ist wirklich beschämend. 2014 haben wir hier die Fußball-WM, dafür werden richtige Prachtstadien gebaut, jedes Stadion ist mindestens doppelt so teuer geworden, wie ursprünglich geplant. Und gleichzeitig fehlt das Geld für dringend benötigte Schulen und Krankenhäuser. Die Regierung ist um eine möglichst positive Außenwirkung bemüht, vergisst aber gleichzeitig die Bedürfnisse des eigenen Volkes. Dagegen haben wir auch schon mehrfach demonstriert.
Habt ihr mit Fußball nichts am Hut?
Ganz im Gegenteil, wir lieben Fußball. Jeden Dienstag proben wir und meistens geht es nach den Proben direkt auf den Fußballplatz zum Kicken, das aber nur zum Spaß und nicht in einer Vereinsmannschaft. Porto Alegre ist ungefähr dreißig Minuten entfernt, dort werden auch WM-Spiele ausgetragen. Eigentlich wollte ich mir auch mal ein Spiel anschauen, aber die Eintrittskarten sind ungefähr zehnmal teurer als sonst üblich. Das werden wir uns nicht antun. Es reicht schon, dass durch die Fußball-WM wahrscheinlich alle Preise deutlich anziehen werden.
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