Fat Wreck Chords - das Label von NoFX-Sänger Fat Mike hat sich seit seiner Gründung im Jahre 1991 zum neben Epitaph wohl bekanntesten Punklabel der Welt entwickelt. Dass so ein Erfolg immer auch Neider auf den Plan ruft und Kritik provoziert, überrascht da nicht weiter, obwohl man natürlich durchaus gespaltener Meinung sein kann über den bisherigen Output des in San Francisco ansässigen Labels. Doch von der Grundlinie, nur melodischen, etwas gleichförmigen California-Punk (oder meinetwegen auch "Melodycore") zu veröffentlichen, haben sich Fat Mike und seine fleissigen Helfer in den letzten zwei Jahren auch das eine oder andere Mal entfernt, gerade auch durch die Releases des Sublabels Honest Don´s. Dieser Trend wird sich wohl auch noch weiter verstärken, und abgesehen davon weist das Label mit einer von Ska (MAD CADDIES) über Mod-Punk (SNUFF), Pop-Punk (demnächst THE MUFFS) und Old School-Hardcore (SUBMISSIVES, demnächst SICK OF IT ALL) bis hin zum klassischen Labelprogramm wie LAG WAGON oder NO USE FOR A NAME reichenden musikalischen Palette heute schon eine ziemliche stilistische Bandbreite auf.
Ich sprach nach dem Konzert in Essen mit einem ziemlich angetrunkenen Fat Mike, der sich schon im Vorfeld entschuldigt:
Hey, ich bin besoffen, also sorry, wenn ich etwas Blödsinn erzähle.
Wie läuft´s so mit Fat Wreck?
Ich kann nicht klagen. Von Zeit zu Zeit mache ich eine neue Band, aber ich versuche, das bisherige Level zu halten. Es ist heute nicht mehr so einfach Platten zu verkaufen, ich stelle niemanden neu ein.
Es ist also auch für dich bzw. Fat Wreck schwieriger geworden Punkrock zu verkaufen?
Sicher, ganz klar, aber ehrlich gesagt mache ich mir darüber nicht zu viele Gedanken. Unsere Bands verkaufen immer noch genug Platten, auch wenn es nicht mehr so viele sind wie noch vor ein paar Jahren. Sie können immer noch auf Tour gehen, ohne draufzuzahlen, also passt das schon. Und für GOOD RIDDANCE war die letzte Europatour sogar ihre bisher beste.
Kannst du die Geschichte von Fat Wreck mal eben kurz erzählen?
O.k. Wenn ich mit NoFX auf Tour bin, sehe und treffe ich immer viele gute Bands. Und da lag der Gedanke natürlich nahe, mit der einen oder anderen einfach mal eine Platte zu machen - Fat Wreck Chords war geboren. Die ersten Releases ´91/´92 auf Fat Wreck waren dann LAG WAGON, NO USE FOR A NAME und PROPAGANDHI. Die Idee war damals, ein paar wenige Platten von guten Bands zu veröffentlichen, und so ist das bis heute. Wir kümmern uns nicht darum, ständig neue Bands aufzugabeln, sondern schauen, was so daherkommt, ganz ohne Ehrgeiz. Das hat zur Konsequenz, das Fat Wreck sicher nie eine Hit-Platte im Sinne eines Charterfolges haben wird - das will ich gar nicht, und das erzähle ich auch jeder Band, die bei mir unterschreiben will: ,If you sign to our label, don´t expect to have a hit record'. Das ist auch der wichtigste Unterschied zu Epitaph, denn die haben diesen Ehrgeiz. Mir reicht es eigentlich, wenn ich das Gefühl habe, eine gute Platte rausgebracht zu haben und diese überall auf der Welt zu kaufen ist.
Der Unterschied zwischen Epitaph und Fat Wreck - und das wird oft übersehen - ist ja in der Tat immens: Epitaph ist eine richtig grosse Plattenfirma mit über 100 Leuten, während Fat Wreck ein recht kleiner Laden mit nicht mal zehn Leuten ist.
Richtig, aber abgesehen davon haben Epitaph in den USA unlängst fast die Hälfte der Leute rausgeschmissen. Mir ist es wichtig, dass ich persönlich noch alles unter Kontrolle habe. Ich bin dafür verantwortlich die Bands unter Vertrag zu nehmen, kontrolliere die Anzeigenvorlagen, bevor sie das Haus verlassen, passe auf, dass alles nach meinen Vorstellungen passiert.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Meist schaue ich nur zwei oder drei Stunden im Büro vorbei, beantworte meine Anrufe, Faxe, Briefe und eMails und treffe die nötigen Entscheidungen. Ich habe keine Lust, den ganzen Tag zu arbeiten, denn ich habe ja noch die Band, mit der ich ständig auf Tour bin, da brauche ich zuhause etwas Erholung. Ich muss eben klar sehen, dass ich nicht alles selber machen kann, also delegiere ich die Arbeit. Der eigentliche Boss bei Fat Wreck ist meine Frau Erin, die kümmert sich um die Alltagsarbeit. Ausser uns beiden arbeiten dort noch sieben andere Leute - das sind alles gute Freunde von mir.
Fat Wreck - ein Familienbetrieb?
Absolut. Und weisst du was? Ich warte seit Jahren drauf, dass eine Band das Label verlässt. Das würde mich nicht weiter aufregen, glaube ich. Ich meine, auch mit den Bands bin ich gut befreundet, aber man möchte doch annehmen, das da mal ein Angebot von einem Majorlabel kommt und eine Band dann von Fat Wreck weggeht. Ich wünsche mir das nicht, aber wenn es passiert, würde ich die Band gehen lassen, ohne sie dafür zu hassen. Bisher ist das nur einmal passiert, nämlich bei FACE TO FACE, was aber nicht richtig zählt, denn die waren nicht richtig auf Fat Wreck. Und so bin ich schon ziemlich stolz darauf, dass mir meine Bands über Jahre treubleiben, denn es ist wie eine Familie für mich.
Was ist das Geheimnis dieses Erfolges, warum bleiben dir die Bands treu?
Ich werde es dir verraten: ich habe nicht den Ehrgeiz, mit den Bands Unmengen von Platten zu verkaufen und fett Geld zu verdienen. Das interessiert mich nicht, und so gibt es Bands auf dem Label, die 5.000 Platten verkaufen, und bei anderen sind es 100.000. Es sind nicht die Verkaufszahlen, auf die es ankommt, sondern die Musik und die Bands, und deshalb habe ich auch noch nie eine Band gefeuert, weil sich ihre Platten nicht gut verkaufen.
Wenn wir beim Thema sind: welche Band verkauft sich am schlechtesten?
Es sind leider BRACKET. Ich finde sie richtig gut, aber die Kids können sie nicht leiden.
Andererseits hast du natürlich auch monatliche Kosten für Gehälter, Miete, etc., also brauchst du Bands, die gut verkaufen.
Richtig, und wir sind eben in der glücklichen Lage, dass viele unserer Bands richtig gut verkaufen, etwa LAG WAGON, NO USE FOR A NAME, STRUNG OUT, PROPAGANDHI, SCREECHING WEASEL oder GOOD RIDDANCE.
Und du hast kürzlich die MUFFS sowie SICK OF IT ALL unter Vertrag genommen - beides Bands, die bislang bei einem Major waren.
Richtig. SICK OF IT ALL sind ein Phänomen: sie haben auf der ganzen Welt eingeschworene Fans, waren lange auf einem Majorlabel und haben dort kaum Geld verdient, obwohl sie sehr viele Platten verkauft haben. Warum? Weil sie von ihrem Label verarscht werden: they get screwed, they get the dick.
Das haben sie mir auch erzählt: über 150.000 verkaufte Platten und kaum Geld daran verdient.
Das ist unglaublich, ja. Wenn eine Band bei mir 20.000 Platten verkauft, verdient sie schon richtig gutes Geld. Bei mir sind die Royalties, also das Geld, das die Band pro verkaufter Platte bekommt, doppelt so hoch wie bei einem Majorlabel. Und dann schuldet mir die Band auch nur das Geld für das Studio, während bei den Majors jeder Handgriff dem Bandkonto in Rechnung gestellt wird. Das Majorsystem ist vollkommen beschissen: da kriegt jede dahergelaufene und am Ende erfolglose Band einen dicken Vorschuss, denn sie verballern kann, und dafür müssen dann die Bands bluten, die sich gut verkaufen. Bei mir dagegen bezahlen nicht LAG WAGON für BRACKET, warum auch, das wäre ja unfair.
Bedeutet eine Band wie SICK OF IT ALL nicht ein ganz anderes Level für Fat Wreck?
Nein, wieso denn? Auch NO USE FOR A NAME haben 150.000 Stück von "Leche con carne" verkauft. Wir können das auf jeden Fall handhaben, das überfordert Fat Wreck nicht.
Und was wäre, wenn eine deiner Bands mal richtig durchstartet?
Diese Möglichkeit sehe ich nicht, denn ich weigere mich seit Jahren, mit MTV und den kommerziellen Radiosendern zusammenzuarbeiten. Die von MTV mögen mich nicht, und ich kann sie nicht leiden, also stehen die Chancen für richtigen Hitparadenerfolg recht schlecht, denn sie spielen auch die Videos unserer Bands nicht.
Deine Bands haben damit keine Probleme?
Ich denke nicht, denn wenn SOIA bei mir "nur" 80.000 Platten verkaufen, verdienen sie schon mehr Geld, als sie je von einem Major bekommen haben.
Was hältst du von der These, dass viele Leute ihre Platten nach Labels kaufen?
Ich denke, das spielt nur eine geringe Rolle. Nach einer Weile kauft niemand mehr die Platte einer Band, nur weil sie auf Epitaph ist. Und irgendwann hören die Leute auch auf, jede Fat Wreck-Platte zu kaufen.
...wenn sie feststellen, dass sich der "Sound" des Labels verändert.
Ja, aber der hat sich in den letzten Jahren doch schon verändert. Es waren die ersten sechs Bands, die ich unter Vertrag nahm, die diesen "typischen" "Fat Wreck-Sound" hatten. Heute gibt es SCREECHING WEASEL, SICK OF IT ALL, BRACKET, MAD CADDIES, SWINGING UTTERS... - die klingen alle anders, DEN "Fat Wreck-Sound" gibt es nicht mehr.
Was hat´s mit Honest Don´s auf sich?
Das ist ein Sublabel, auf dem ganz allgemein eher poppige Sachen rauskommen, aber alles in allem auch recht unterschiedliche Musik. Ich benütze das Label, um zum Beispiel Platten von Bands meiner Freunde zu veröffentlichen, von denen ich nicht glaube, viel verkaufen zu können. Ich tue ihnen den Gefallen, auf Fat Wreck würde es nicht passen, und so sind sie auf Honest Don´s. Ich kann da alles rausbringen, ohne mir viele Gedanken um die Verkäufe zu machen, denn wir stecken in diese Releases nicht viel Geld. Und wenn sich eine Band gut verkauft, nehme ich sie später auf Fat Wreck, wie etwa die MAD CADDIES.
Ich schätze mal, dass du immer wieder mal blöde Sprüche über Fat Wreck oder NoFX hören bzw. lesen musst - regt dich das noch auf?
Manchmal schon: erst neulich habe ich ein T-Shirt von den Profane Existence-Leuten gesehen, das mich wirklich ankotzt: " Fuck OFFSPRING, GREEN DAY & NoFX". Das ist so scheisse! Ich hätte kein Problem mit einem "Fuck NoFX!"-T-Shirt, aber auf einem T-Shirt mit GREEN DAY und OFFSPRING zu sein, das kotzt mich an, weil NoFX mit diesen Bands nichts gemeinsam haben.
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