EL MARIACHI sind zurück. Sie gründeten sich 1997 in Göttingen und waren weit vor anderen Bands dieser Art wie TURBOSTAAT oder DUESENJAEGER stilprägend mit ihrem dynamisch melancholischen Sound. Nach der zwischenzeitlichen Auflösung spielen EL MARIACHI seit 2018 wieder Konzerte. Mit „Crux“ erscheint jetzt ein neues Album auf dem Bremer Label Sabotage Records. Über die Beweggründe spreche ich mit Tobi, Volki, Ralf und Stevie.
Wie und warum kam es zur Reunion von EL MARIACHI? Was ist eure Motivation, noch mal zusammen Musik zu machen?
Tobi: Weil wir Freunde sind. Nach unserer sogenannten Auflösung hatten wir alle mitunter eher losen Kontakt. Wir wohnen mittlerweile in drei verschiedenen Orten. Irgendwie war uns das dann aber zu wenig und wir haben uns 2015 das erste Mal wieder gezielt zu fünft getroffen, um zu proben und Bier zu trinken. 2016 gab es wieder eine Probe, 2017 gar nicht. Irgendwann hat eine Freundin uns gefragt, ob wir auf ihrem runden Geburtstag spielen wollen. Also haben wir 2018 angefangen, ein paar Wochenenden zu proben, und waren Mitte 2018 fit genug für das Konzert. Stevie hatte sich aber leider im Jahr vertan. Unsere Freundin feierte erst 2019 ihren runden Geburtstag ... tja. Darum haben wir 2018/19 einfach ein paar Konzerte gespielt. Weil wir es konnten. Irgendwann kam die Frage auf, wie es weitergehen soll. Nur die alten Songs zu spielen, war ja auch irgendwie doof. Einen kleinen Anspruch an Kreativität haben wir dann ja doch noch. Also haben wir uns im Januar 2019 ein Jahr gegeben, um zu gucken, ob wir auch neue Songs hinbekommen. Hat geklappt.
Was hat euch 2006 eigentlich dazu bewogen, die Band aufzulösen?
Ralf: Dies und das. Ehrlich gesagt alles Kleinigkeiten. Also auch irgendwie egal, weil Schnee von gestern.
Wie sieht die Besetzung von EL MARIACHI im Jahr 2021 aus? Wer ist noch, wieder oder neu dabei?
Tobi: Wir hatten in der Band nur einmal ganz zu Beginn einen Besetzungswechsel. 1998 kam Volki dazu. Seitdem sind wir zusammen. Matto, Ralfi, Stevie Beat, Volki und ich. Ich glaube, EL MARIACHI würde in einer anderen Konstellation auch nicht funktionieren.
Euer neues Album trägt den Titel „Crux“. Welches Leid und welche Schwierigkeiten sind mit dem Album verbunden? Warum dieser Titel?
Ralf: Die Bedeutung des Plattentitels bleibt geheim. Wir leben ja augenscheinlich in einer sich zunehmend extremer gestaltenden Welt. Für relativ Privilegierte wie uns bedeutet das eher, dass der Alltag bizarrer wird; für marginalisierte Personen oder Gruppen hingegen steigt die Lebensgefahr. Die Songs sind zwischen Januar 2019 und April 2020 entstanden. Worum es textlich geht, ist bei uns ja nicht allzu schwer mitzubekommen. Auf „Crux“ sind unsere Kommentare zum Zeitgeist versammelt. By the way: Eine widerwärtige Kreatur, dieser Zeitgeist. Uns geht eben einiges gehörig gegen den Strich. Außer Solidarität haben wir allerdings keine Lösungen anzubieten.
Volki: Stevie ist katholisch aufgewachsen und ist daher randvoll mit Hass auf Christen und deren Heuchelei. Darum bestand er auch auf das umgedrehte Kreuz. Ich hingegen bin nicht so voll von Hass, sondern eher von Bedenken. Religiöser Glaube und auch anderer Hokuspokus sowie Esoterik und Verschwörungsdenken haben viel zu starken Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse und auf das politische Denken und Handeln vieler. Das finde ich beängstigend. Die Metapher des zu tragenden Kreuzes passt zu unseren Texten und auch zu uns als Individuen.
Tobi, was hat sich mit dem neuen Album noch mal verändert seit eurem letzten Release „Wir, wohin und wann“ vor 17 Jahren? Inwiefern unterscheidet sich das von BALBOA BURNOUT und DRUNK MOTORCYCLE BOY, wo du nach der Auflösung von EL MARIACHI gespielt hast?
Tobi: Der Sound auf „Crux“ ist natürlich um einiges besser als auf „Wir, wohin und wann“. Wäre ja auch komisch, wenn nicht. Danke noch mal an Ole und Claas für ihre Geduld. Ole musste beim Mixen ziemlich viel aushalten. Da hat sich bei uns recht wenig verändert. Die Leute müssen gute Nerven haben, wenn sie mit uns was machen. Bei BALBOA BURNOUT war ja auch Matto von EL MARIACHI dabei. So groß fand ich den Unterschied da eigentlich nicht. Die eine Platte, die wir auf Twisted Chords rausgebracht haben, leidet leider total unter der Aufnahmequalität. Wir hatten damals alles selbst aufgenommen und irgendwann den Faden verloren. Aber egal. Es waren sieben total coole Jahre. Schade, dass die zweite Platte nicht mehr offiziell erschienen ist. Roman, der KAPUT KRAUTS-Bassist, hat bei BALBOA BURNOUT Gitarre gespielt. Das macht er jetzt auch bei DRUNK MOTORCYCLE BOY, die es immer noch gibt. Ist eher rockig. Richtung HÜSKER DÜ und FOO FIGHTERS. Wir haben gerade neue Songs aufgenommen und sind auf Labelsuche. Mal gucken, was da noch so passiert.
Wo und unter welchen Bedingungen habt ihr das Album aufgenommen?
Volki: Über Matto kam der Kontakt zu Claas zustande. Der hatte sich gerade ein mega fettes Studio namens Rockmöhre gebaut. Matto hatte für Claas mal was Nettes arrangiert und da Claas fürs Studio eine Probedurchlaufband brauchte, machte er uns das tolle und großzügige Angebot, uns für lau für eine Woche bei ihm einzuzecken und aufzunehmen. Ole kam dann mit und hat die Sachen mit aufgenommen, weil der uns und unsere Soundvorstellungen kennt. Leider waren wir aufgrund des Lockdowns und anderer Widrigkeiten alles andere als gut vorbereitet, da mussten Ole und Claas – die beiden Supertypen – viel aushalten. Danke noch mal!
Euer neues Album erscheint auf Sabotage Records. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ralf: Franz ist schon lange unser Wegbegleiter.
Tobi: Ich kenne Sabotage-Franz seit 1995, damals noch per Briefkontakt, über meine Band vor EL MARIACHI. Wir sollten damals auch irgendwo bei Franz in Altötting spielen. Als unserem damaligen Gitarristen dann aufgefallen ist, wie weit das weg ist, hat er bei Franz angerufen und ihm gesagt, dass er sich den Arm gebrochen hat ... witzig. Wir hatten danach immer wieder Kontakt. Franz wohnt auch schon lange in Bremen, genau wie einige von uns. An der letzten EL MARIACHI-Platte war Sabotage als Label auch schon beteiligt. Als wir dann ein Label für die „Crux“-Platte gesucht haben, gab es ein paar Optionen. Aber nach dem ersten Quatschen mit Franz war allen wieder mal klar, dass er die Platte veröffentlichen soll. Weil er ein Punk ist. Ein echter!
Während der Pandemie entstand mit NIGHTJET ein weiteres musikalisches Projekt, an dem du beteiligt gewesen bist. Was hat es damit auf sich?
Tobi: Ach, es war ja alles so langweilig zu der Zeit. Irgendwann im Dezember 2020 hab ich Stevie angehauen, ob wir nicht so Achtziger-Hardrock mit Keyboards machen wollen. JOURNEY und LOVERBOY haben mir da vorgeschwebt. Mir war nur wichtig, dass ich mir bei den englischen Texten keine Mühe in Sachen Grammatik geben musste. Darauf habe ich nämlich keinen Bock. Ende Dezember hatte Stevie drei oder vier Songs geschrieben. Ich habe den Gesang dann mit K. Earnest, dem Drummer von DRUNK MOTORCYCLE BOY, aufgenommen und ihn gefragt, ob er Teil von NIGHTJET sein möchte. Wer will das nicht? Rosi hatte Bock, die Songs als Single rauszubringen. Vier Monate nach der Idee ging der Krams dann ins Presswerk. Ein Video zum Song ,,Warrior of love‘‘ gibt es auch schon. Überlegenes Material. Ende 2021wird die gleichnamige Platte dann auf My Ruin veröffentlicht. Bis dahin haben wir hoffentlich auch das erste Mal zusammen geprobt.
Vor der Pandemie habt ihr bereits erste Konzerte gespielt. Wie war das für euch?
Tobi: Astrein!
Volki: Riiiiesig!
Stevie: Toll!
Ralf: Mega!
Eure erste EP „Wenn Blicke töten“ erschien vor fast 25 Jahren. Wie hat sich die Punkrock-Szene aus eurer Sicht im Laufe der Jahre verändert und entwickelt?
Stevie: Für uns ist es erst mal ein Fest gewesen, Leute, die wir teilweise sehr lange nicht mehr getroffen hatten, endlich mal wiederzusehen, mit ihnen was auf die Beine zu stellen, sich auszutauschen und zu feiern. Vielen Dank, ihr seid die Besten! Beim Konzert im Juzi kamen Leute aus drei Dekaden zusammen, die sich so in diesem Setting ewig nicht mehr begegnet sind, und das ist für uns etwas sehr Besonderes gewesen. Ansonsten ist uns aufgefallen, dass die Shows in der ehemaligen BRD eher Ü30/40 waren, und dass alle jungen Punk/Hardcore-Kids im goldenen Osten leben.
Es wird derzeit viel über Geschlechterrollen im Punkrock diskutiert. Frauen und andere Geschlechter scheinen in der Szene unterrepräsentiert zu sein und Punkrock scheint gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hinterherzuhinken. Wie ist euer Eindruck und was müsste passieren, damit sich etwas ändert?
Stevie: Die Kritik an den Geschlechterrollen im Punkrock halte ich absolut für gerechtfertigt und es ist bedauerlich und unwiederbringlich, wenn Perspektiven und Ausdrucksformen von Menschen nicht gehört werden können. Ich finde es jedoch schwierig, von „dem Punk“ oder „der Szene“ zu reden. Die sind ja vielfältig. Unsere Sozialisation in Göttingen hat beispielsweise in einem linksautonomen Umfeld stattgefunden. Das macht uns jetzt nicht zu besseren Menschen, hat aber dazu geführt, in einer recht diversen Szene sozialisiert worden zu sein, die ich als politisch, soll heißen antifaschistisch, feministisch, nicht-rassistisch, nicht-sexistisch und zunehmend als genderbewusst und queer wahrgenommen habe. Und das gefällt mir. Wenn Leute aber Bock auf Deutsch-Sauf-Pimmelparaden-Punk haben, dann gibt es dafür wohl Gründe – in meiner Welt hat das bisher so wenig stattgefunden wie Helene Fischer oder Herbert Grönemeyer. Ich kenne die Diskussionen um das Ruhrpott Rodeo-Festival. Euch oder andere Akteure und die Kritik kann ich größtenteils nachvollziehen, auch wenn mir die Art, wie sie manchmal zum Ausdruck gebracht wird, missfällt. Ich will mich vor einer Antwort auf deine Frage nicht drücken, aber mir Gedanken zu machen, wie beispielsweise das Ruhrpott Rodeo geschlechtergerechter werden kann? Support your local scene, ist meine Antwort und scheiß auf Punkbiz!
Volki: Armin Laschet hat letztens gesagt, dass er sich als Mann viel besser für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen könne als eine Frau. Das hört sich ja erst mal an wie genau der dämliche Blödsinn, den solche degenerierten Charaktere absondern. Jedoch würde ich sagen, dass es das Problem – auch in der Punk-Szene – ganz gut illustriert. Eine Szene, die ja übrigens auch nur einen Querschnitt der Gesellschaft darstellt, auch wenn sich das die meisten anders wünschen. Die Cis-Männer bewegen sich weiterhin im Vordergrund und hegen dann auch noch Ansprüche, diese Probleme analysieren und lösen zu können. Ich finde, dass Männer dazu auch einfach mal die Schnauze halten sollten. Es ist viel wichtiger, dass die Perspektiven der nicht Cis-Männer gehört werden. Es geht darum, das eigene alltägliche Handeln und die eigene Privilegiertheit zu reflektieren; die naheliegendste Konsequenz im Handeln ist wohl erst mal: Platz machen und daran mitarbeiten, dass innerhalb der Szene mehr Offenheit entsteht, und vor allem auch mal zu raffen, dass dazu auch gehört, von alten, tradierten und gelernten Idealvorstellungen und Ansprüchen Abstand zu nehmen.
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