Das Ambiente hätte schöner nicht gemalt werden können. Pünktlich zum Anstoß des EM-Achtelfinal-Spieles zwischen England und Deutschland treffe ich mich mit Torsun Burkhardt in einem Videocall und wir sprechen über zwanzig Jahre EGOTRONIC, das neue Album „Stresz“ und die Initiative „Artists against Antisemitism“. Dass wir auch über Fußball reden, lässt sich nicht verhindern.
Zu Beginn eine komplexe Frage mit der Bitte um knappe Antwort: Zwanzig Jahre EGOTRONIC in drei Worten?
Es ... war ... geil.
Die größten Momente?
Einer war 2005 in Dresden bei dieser Gedenkveranstaltung anlässlich der alliierten Luftangriffe gegen Nazi-Deutschland, wo die Deutschen so „rumgeopftert“ haben. Es gab in dem Jahr zum ersten Mal eine linke Gegendemonstration gegen diesen Geschichtsrevisionismus. Unter anderem fand eine antifaschistische Kundgebung an der Synagoge statt. Dort sind wir aufgetreten. Wir spielen gerade „Exportschlager Leitkultur“, ich schaue hoch ins Publikum – und plötzlich sind die tanzenden Leute weg. Ich denke, was ist jetzt passiert? Genau in dem Moment ist ein Bus mit Nazis vorbeigefahren und die Leute sind hingerannt und haben den Bus entglast, während wir dazu gespielt haben. Dann kamen die Leute zurück und haben weitergetanzt. Wir hätten da eigentlich mit der Band Schluss machen können, weil ich dachte, besser wird es für dich in diesem Leben nicht mehr. Das war mein wahrscheinlich schönster EGOTRONIC-Moment. Das erste Mal auf dem Hurricane-Festival vor 11.000 Leuten zu spielen, war auch ein großer Moment. Nach der Show habe ich geweint, weil ich so aufgewühlt war. So viele Leute, die uns gefeiert haben, das war ein ganz großer Moment. Der dritte große Moment dauert gerade an: mit Andreas Dorau auf dem neuen Album zusammen Musik gemacht zu haben. Ohne Andreas Dorau hätte es EGOTRONIC vielleicht nie gegeben. Es war ein Konzert von ihm 1996, das mich bewogen hatte, elektronische Musik zu machen. Dorau ist für mich deshalb so etwas wie ein ideelles Gründungsmitglied von EGOTRONIC. Auf der neuen Platte haben wir zwei Songs zusammen gemacht und das ist ein absoluter Höhepunkt für mich.
Die heftigsten Kontroversen, in die ihr involviert wart?
Israel war von Beginn an ein Thema mit großem Konfliktpotenzial. Wir galten als anti-deutsche Band. Da gab es immer mal wieder Auseinandersetzungen. Es gab zum Bespiel einige Läden, die uns nicht spielen ließen. Das ging aber auch so weit, dass uns einmal der Tourbus abgefackelt wurde und zuvor mal ein „Free Palestine“-Slogan in den Lack geritzt wurde. Wir standen noch auf der Bühne, da kam unsere Fahrerin zu mir und sagte, dass unser Auto brennt. Ich dachte noch, dass jetzt ein schlechter Zeitpunkt für einen Witz sei. Da fuhr auch schon die Feuerwehr vor. Das war zwar insofern kein Problem für uns, als dass es sich um einen Mietwagen handelte und wir am nächsten Tag ein neues Fahrzeug bekamen. Allerdings hatten die Täter:innen uns zu verstehen gegeben, dass sie wussten, wo wir übernachten würden, und so hatte uns der Veranstalter noch schnell umquartiert und wir wurden von der Polizei in ein anderes Hotel eskortiert. Es war eine krasse Erfahrung, auch wenn wir so wenigstens etwas zu erzählen hatten von der Tour. Im Zusammenhang damit, dass wir anti-deutsch seien, sind die übelsten Gerüchte aufgetaucht. Es hieß, wir hätten israelische Pässe, seien israelische Nationalisten und noch heute lese ich gelegentlich, dass wir Soli-Konzerte unter dem Motto „Waffen für die für israelischen Streitkräfte“ gespielt hätten. All so ein Irrsinn wurde behauptet. Der aber reale Auswirkungen hatte. Bei einem Konzert in einem total linken Laden zum Beispiel waren wir einmal so alarmiert, dass wir zur Sicherheit ein paar Knüppel auf der Bühne deponiert hatten, falls es Ärger gegeben hätte. Inzwischen hat sich das diesbezüglich alles beruhigt und wir können tolle Shows spielen ohne Ärger. Die Songs „Linksradikale“ und „Kantholz“ auf dem letzten Album hatten auch für heftige Kontroversen gesorgt. Da sind die Faschos richtig auf uns losgegangen. Es war ein riesiger Shitstorm, der über uns hereinbrach. Zuerst hatte die AfD gegen uns gewettert. Dann hat auch die Junge Union gegen uns geschossen, da hat sich also die Jugendorganisation einer demokratischen Partei der rechten Hetze gegen uns angeschlossen. Vor allem die JU-Ortsgruppe aus Walter Lübckes Wohnbezirk, der ja von einem Nazi ermordet wurde, griff uns hart an. Das war schon fast skurril, wie die hier gegen angeblichen Linksradikalismus polemisiert haben. Und wo gerade Fußball-EM ist, eine letzte Kontroverse noch. Bei der WM 2006 hatte ich diese Scooter-mäßige Coverversion von „Ten German bombers“ gemacht. Der Song erschien auf so einem Ballermann-Fußball-Hits-Album zur WM. Damit habe ich wohl den ersten Shitstorm gegen uns ausgelöst. Das reichte bis hin zu Morddrohungen und Vergasungs-Fantasien gegen uns. Britische Zeitungen und „Spiegel TV“ haben damals darüber berichtet. Das war, wenn ich es recht überlege, die erste große Kontroverse um EGOTRONIC, die weit über die linke Szene hinaus Kreise zog.
Auf welche Erfahrungen hättest du gerne verzichtet?
Alles in allem war die Geschichte bisher ganz okay. Ganz im Ernst: Ich möchte keine Erfahrung missen, auch die schlechten Momente nicht.
Zum zwanzigsten Geburtstag habt ihr euch und uns mit „Stresz“ ein neues Album geschenkt, das im Juli erschienen ist. Beim ersten Hören fühlte ich mich an Hilsberg frühe ZickZack-Veröffentlichungen erinnert. Habt ihr das Songwriting im Vergleich zum Vorgänger bewusst verändert?
ZickZack, das passt ganz gut, finde ich. „Stresz“ ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Corona-Platte. Alle Songs sind während der Pandemie entstanden. Es ist ein komplettes DIY-Album. Wir haben alles selbst gemacht. Wir haben uns während der Produktion nicht getroffen. Mit Ausnahme von zwei oder drei Songs habe ich die Songs zu Hause geschrieben und die Demos gemacht. Die Einzelspuren habe ich dann an meine Bandkollegen geschickt. So konnte jeder von uns zu Hause seinen Part entwickeln und die Songs verbessern. Christian, unser neuer Gitarrist, hat im Studio schließlich alles zusammengefügt. Am Ende sind wir beide noch einmal alle Songs durchgegangen und ich habe den Gesang aufgenommen. Das ist der entscheidende Punkt, warum die Platte anders klingt als das vorherige Album: Es wurde nicht gemeinsam geprobt und live eingespielt. Es war außerdem von vornherein klar, dass dieses Mal jeder Song nur eine Gitarrenspur, eine Bassspur, eine Drumspur und zwei Synthesizerspuren haben sollte. Fertig! Wir haben es sehr reduziert und den elektronischen Klängen wieder mehr Raum gegeben. Wir haben versucht, den Bogen zur ersten Platte zu schlagen. Die Songs hätten genauso auch auf dem ersten Album sein können. Wir wollten den alten EGOTRONIC-Sound mit dem neuen verknüpfen. Wenn du dich also an ZickZack-Veröffentlichungen erinnert fühlst, finde ich, passt das. Verstärkt wird dieses Flair noch durch die Mitwirkung von Andreas Dorau. Außerdem war der erste EGOTRONIC-Release auf ZickZack erschienen, auf dem Sampler „Geräusche für den Tag danach“.
Ihr geht im kommenden Jahr mit der neuen Platte auf Tour. Mit Andreas Dorau? Auf was dürfen wir uns freuen?
Nein, Andreas wird uns nicht auf Tour begleiten, aber ich hoffe, dass er bei unserer Show in Hamburg mit von der Partie sein wird. Und sollte es noch zu einer großen Release-Show im nächsten Jahr kommen, hätte ich Andreas auch gerne dabei. Bisher sind rund 15 Konzerte für 2022 fix und es sind noch weitere Termine in Vorbereitung. Nach der langen Zeit werden das bestimmt krasse Konzerte. Wir werden ausflippen vor Freude. Inzwischen sind wir alle geimpft und hoffen, dass sich die Lage weiter entspannt und die Shows stattfinden können.
Im Kontext des aktuellen Albums entstand der sympathisch aus der Zeit gefallene Sidekick EGOTRONIC INCH PUNCH. Welcher Teufel hat dich geritten, zehn C64-Hardcore-Punk-Songs durch weniger als fünf Minuten Spielzeit zu prügeln? Oder welchen Dämon hast du mit „Einzelkampf“ ausgetrieben?
Zu Beginn der Pandemie war ich wie gelähmt. Es war bedrückend. Ich saß zu Hause und bin irgendwann kreativ explodiert. Und als die neue Platte eigentlich fertig war, war ich noch längst nicht fertig. Ich habe zu der Zeit oft die erste D.R.I.-Platte gehört und CRYPTIC SLAUGHTER, also viel Geknüppel. Ich wollte dann schnell noch einen Song in dem Stil für das neue Album einspielen. Ich habe aber bald festgestellt, dass sich der Song „Scheisz Deutsche Mitte“ so gar nicht in das Album einfügt. Schließlich habe ich mir gedacht, mach noch ein paar mehr Songs in dem Stil und mach eine eigene Platte draus. Die EP habe ich in zwei Wochen komplett allein zu Hause eingespielt. Christian hat die Songs dann gemixt und gemastert und sie nach D.R.I. klingen lassen. Die EP erschien als 7“ in kleiner Auflage und war sehr schnell ausverkauft. Ich liebe diese Songs. Ich habe damit meinem Teenager-Ich ein Geschenk gemacht, das voll auf Hardcore und Punk war. Ich freue mich auch über die positiven Reaktionen auf die „Inch Punch“, die wir übrigens auch live spielen werden. Die EP zu machen, hat mich echt glücklich gemacht und befreit. Ganz im Ernst: Ich bin so angefixt, dass ich in diesem Stil noch mehr Songs schreiben werde, sobald ich die Zeit dazu finde. Ich überlege, ob es vielleicht sogar ein Longplayer wird. Also so fünfzig Songs müssten es dann werden.
Antisemitismus und Antisemitismuskritik sind wiederkehrende Themen bei EGOTRONIC. Jetzt hast du gemeinsam mit Björn Peng die Initiative „Artists against Antisemitism“ ins Leben gerufen. Was war der konkrete Anlass? Was ist geplant?
Zwei Ereignisse sind für die Gründung der Initiative ausschlaggebend gewesen. Zum einen das kriegerische Wiederaufflammen des Konfliktes zwischen Israel und Palästina im Frühjahr und die darauffolgenden harten anti-israelischen Demonstrationen in Deutschland, wo auch üble antisemitische Sprechchöre zu hören waren. Auf der anderen Seite äußerte sich ein Spitzenpolitiker der CDU wiederholt klar antisemitisch, indem er eindeutige Codes in seinen Äußerungen verwendete. Ich fühlte mich demgegenüber hilflos und dachte mir, dass ich jetzt was dagegen unternehmen müsse. Ich habe Björn Peng gefragt, ob er die Initiative mit mir initiieren möchte und er hatte sofort ja gesagt. Unser Aufruf wurde inzwischen von über eintausend Artists unterzeichnet, auch TOCOTRONIC sind dabei. Es sind populäre Musiker:innen, Schauspieler:innen und Künstler:innen aus ganz unterschiedlichen Genres und aus verschiedenen Teilen der Welt vertreten. Das ist schon großartig, was sich da gerade entwickelt. Wir wollen zunächst einmal laut sein gegen Antisemitismus und Gesicht zeigen. Wir wollen uns weiter vernetzen und über Antisemitismus aufklären. Wir wollen die Initiative verstetigen, Infomaterialien erstellen und Künstler:innen zu entsprechenden Veranstaltungen vermitteln. Wir wollen politische Bildungsveranstaltungen organisieren zum Beispiel im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus. Mittelfristig soll aus der Initiative und unseren Kampagnen eine Organisation hervorgehen, die sich einmischt.
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