So richtig Zugang zum Werk von EGOTRONIC habe ich lange nicht gefunden. Das änderte sich erst mit Veröffentlichung ihres aktuellen Albums „Ihr seid doch auch nicht besser“. Bei einem meiner Besuche in der Hauptstadt unterhielt ich mich am 5. März mit Torsun Burkhardt bei Burger und Pommes über EGOTRONIC, Punk, Politik und die besten Burger-Läden der Stadt.
Morgen setzt ihr eure „Linksversiffte Unkultour“ fort. Wie läuft die Tour bis jetzt?
Ich bin sehr, sehr zufrieden. Es gab nur zwei Shows, die waren nicht ganz ausverkauft. Ansonsten waren die Läden voll und die Stimmung war wirklich jedes Mal phänomenal. Es läuft richtig gut und macht super viel Spaß. Ich bin überrascht, dass die Leute auch die Songs der neuen Platte von Anfang an mitgesungen haben. Das Publikum ist richtig laut. Wir haben eine tolle Unterstützung. Es ist mit eine der schönsten Touren, die ich bislang als Musiker gemacht habe. Jede Stadt ist ein Fest.
Und wo sind all die Linksradikalen? Die sind wahrscheinlich auf euren Konzerten oder wo verstecken die sich alle?
Bei unseren Konzerten treffen sich schon sehr viele Linke, was es sehr angenehm macht. Wenn ich mir anhöre, welche Texte besonders laut mitgesungen werden, gehen ich davon aus, dass viele Linksradikale bei uns am Start sind, haha. Wir haben überhaupt ein tolles Publikum und mussten erst ein einziges Mal einen Typen rausschmeißen.
Es läuft offensichtlich bei euch im Augenblick?
Ja, ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Ich bin sehr glücklich. Die Stimmung in der Band ist auch sehr gut.
Ihr hattet ein paar Umbesetzungen ...
Ja, genau. Bei EGOTRONIC gehören Umbesetzungen einfach zur Idee dazu. EGOTRONIC ist gewissermaßen mein Baby. Ich habe 90% der Songs geschrieben, und es kommen immer Musiker dazu, die uns eine Zeit lang begleiten. Die aktuelle Besetzung macht uns viel Freude. Wir verstehen uns untereinander gut und alle hängen sich voll rein. Wir haben jetzt auch einen Bassisten dabei. Die Basslinie kommt also nicht mehr vom Band. Alles wird live gespielt.
Und das merkt man dem Album auch an. Es rockt wieder.
Ja. Im Unterschied zu den Platten davor haben wir uns dieses Mal Zeit gelassen. Wir hatten keinen Druck. Kilian und ich habe die meisten Songs ganz in Ruhe gemeinsam geschrieben und ich hatte auch mal wieder längere Phasen des individuellen Songwritings. Wir haben ein Jahr an den Songs geschrieben und mit der Band drei Monate geprobt, bevor wir ins Studio gegangen sind. So hat es richtig Spaß gemacht.
Auf dem aktuellen Album spielt ihr auf gegen die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz autoritärer rechter Formationen und den Unwillen der politisch Herrschenden, sich endlich vom fatalen rechts und links gleichsetzenden Extremismus-Dogma freizumachen. Was macht diese Ideologie in deinen Augen so wirkmächtig?
Dieses Dogma begleitet mich, seitdem ich politisch aktiv bin, also seit den frühen Neunziger Jahren. Rechte Gewalt wurde immer schon mit linker Politik gleichgesetzt. Wer erinnert sich nicht an den legendären Ausspruch des damaligen Bundesinnenministers Rudolf Seiters zu Rostock-Lichtenhagen, der 1992 behauptete, dass Rechtsradikale und linke Autonome gemeinsam das Pogrom begangen hätten. Diese Lüge hat schon immer funktioniert. Auch heute wird tatsächliche rechte Gewalt, werden rechte Morde mit angeblichen Gefahrenpotenzialen von Linken relativiert und gleichgesetzt; nimm nur den Mord an Walter Lübcke letztes Jahr: Immer die gleichen Reflexe in der Politik. Das Dogma ist, glaube ich, deshalb so wirkungsmächtig, weil der Kapitalismus, in dem wir leben, seine Gegner, die das kapitalistische System überwinden wollen, natürlich zu Recht auf der linken Seite sieht. Die Rechten geben sich zwar antikapitalistisch, sind es aber nicht. Kapitalismus braucht nicht zwingend Demokratie, um funktionieren zu können, wie die Geschichte gelehrt hat. Also werden linke Ideen und Menschen diskreditiert. Das macht mich richtig wütend, wie rechte und linke Weltanschauungen, die ja nicht gegensätzlicher sein könnten, in einen Topf geworfen und als gleichartig erklärt werden. Deshalb haben wir auch gleich zwei Songs zum Thema auf dem neuen Album, um denen, die dem Dogma folgen, einen Spiegel vorzuhalten.
Angesichts waffenhortender und enthemmt mordender Neonazis: Empfindest du Angst, dich öffentlich antifaschistisch und nationalismuskritisch zu positionieren?
Nein, das nicht, sonst hätte ich gewiss schon längst aufgehört damit. Ich war als junger Mensch schon radikal links und hatte leider auch körperlich ständig mit Nazis zu tun. EGOTRONIC nahmen die Nazis auch schnell in den Blick. Spätestens als 2006 „Ten German Bombers“ von mir erschienen war, seitdem stehe ich mit der Band im rechten Shitstorm. Aber Angst macht mir das nicht. Heute pflege ich allerdings andere Formen der Auseinandersetzung. Ich bin nicht mehr der Jüngste, aber wüsste mir schon zu helfen, haha.
Lass uns kurz beim Thema bleiben: Wo ist nach dem NSU, nach Kassel, nach Hanau der Widerstand, der über präsidiale Empörung und über mahnendes Gedenken hinausreicht? Wo ist der Ruck in der radikalen Linken?
Ja, das frage ich mich auch. Früher haben wir uns über Lichterketten lustig gemacht, heute wäre ich froh, es gäbe sie noch. Wann hatten wir zuletzt hunderttausend Leute auf der Straße, die gegen Rassismus aufstehen? Das hat in den frühen Neunziger Jahre mit den Lichterketten funktioniert. Heute, habe ich den Eindruck, kommt aus der Zivilgesellschaft, sofern sie nicht sowieso schon politisch engagiert ist, gar nichts mehr. Ich vermisse den aktiven breiten und auch robusten Widerstand gegen Rechts. Den Nazis wird allgemein und viel zu oft der öffentliche Raum fast unwidersprochen überlassen. Die Linken sind kaum noch in der Lage, diesen Raum längerfristig kulturell zu besetzen oder zu prägen. Wo wir gerade in Friedrichshain sitzen, den Stadtteil gäbe es in der Form ohne erfolgreiche linke Kämpfe in der Vergangenheit gar nicht. Auch in der Kleinstadt, wo ich aufwuchs, haben sich die Nazis nicht auf die Straße getraut, weil sie wussten, dass wir ihnen den Raum streitigmachen. Heute fehlt es zu oft an Zivilcourage, auch mal körperlich einzuschreiten, wenn Nazis andere terrorisieren. Mit freundlicher Ansprache ist es eben meist nicht getan.
Zurück zur Musik: Du hast 2016 einen Beitrag zum Lieblingsplatten-Sammelband „Damaged Goods“ beigesteuert und ANGESCHISSEN porträtiert. In dem Buch feiern dutzende Autor*innen vierzig Jahre Punkrock. Welche Bands waren für deine musikalische Sozialisation wichtig? Hat dich Jens Rachut zum Punk gemacht?
Nein, Rachut hat mich nicht zum Punk gemacht. Ich hatte schon vor ANGESCHISSEN Punk gehört. Mein erstes Konzert überhaupt waren DIE ÄRZTE 1987 in Ludwigshafen, da war ich 13. In der Zeit hatte ich auch erste Tonträger von Punkbands wie SLIME und NORMAHL, TOXOPLASMA und CANAL TERROR bekommen. Das war mein Einstieg oder auch die RAMONES, WIPERS oder die SEX PISTOLS. Auf Rachut wurde ich zu einer Zeit aufmerksam, da war ich schon voll auf Hardcore. Die erste ANGESCHISSEN-Platte 1988 hat mich dann zum Punkrock zurückgeführt, wenn du so willst. ANGESCHISSEN hatten mir richtig gut gefallen. Seitdem haben mir Rachut-Bands immer viel bedeutet.
Der Blick in „Damaged Goods“ ist überwiegend in die Geschichte gerichtet. Was bedeutet Punk für dich heute?
Ich fühle mich der Szene nach wie vor verbunden. „Einmal Punk, immer Punk“ ist meine Überzeugung. Punk war und ist für mich immer auch politisch. Es ist ein Aufbegehren gegen Autoritäten. Mit denen kann ich auch heute noch nicht so besonders gut. Ich saufe nicht mehr so viel und die Haare färbe ich mir auch nicht mehr, haha. Ich freue mich immer, wenn ich junge oder auch ältere Punks in der Stadt sehe.
Mein aktueller Eindruck ist, dass Punk als musikalische und ästhetische Bewegung hierzulande inzwischen recht saturiert daherkommt, konservativ geworden ist, was den Ausschluss neuer musikalischer Einflüsse angeht. Mir fehlt die Öffnung für neue Einflüsse. Oder täusche ich mich?
Ja, da stimme ich dir zu. Ich streite mich oft mit Leuten, die Punk hören, weil ich ihnen sage, dass Punk musikalisch konservativ geworden ist. Andererseits trifft die Einschätzung nicht ganz. Es gibt zum Beispiel PISSE, die ein sehr kreatives und frisches Songwriting haben, das das Achtziger-Jahre-Deutschpunk-Feeling mit Elektro-Sound verbindet. Aber wirklich neue Einflüsse kann ich auch nicht ausmachen. Das ist vielleicht auch eine Generationenfrage. Diesen Stillstand beobachte ich aber nicht nur im Punk. Das betrifft die Gitarrenmusik ganz allgemein. Nach meiner Meinung sind die Zehner Jahre des 21. Jahrhunderts die erste Dekade, die keinen typischen Sound hervorgebracht hat außer im HipHop. Es scheint auch gar nicht mehr so einfach zu sein, Gitarren-Genres oder Musikstile überhaupt grundlegend neu miteinander zu verbinden, weil es offenkundig alles schon einmal gegeben hat. Mit EGOTRONIC versuche ich zumindest, die Mischung zwischen Punk und Elektronik immer besser hinzukriegen. Das Rad erfinde ich aber natürlich auch nicht neu.
Du bist Musiker und Autor. Ich hörte, dass du ein neues Buch in Arbeit hast? Worauf dürfen wir uns freuen?
Eigentlich wollte ich mit meinem neuen Buch längst viel weiter vorangekommen sein, musste das Projekt aber zurückstellen. Ich will euch nicht allzu viel verraten. Aber vielleicht so viel: Das Buch thematisiert die Geschichte der Linksautonomen in Süddeutschland. Es ist ein autobiografisch gefärbter fiktiver Roman, der in Mannheim in den frühen Neunziger Jahren spielt und der im so genannten „Raketen-Samstag“ einen Ausgangspunkt hat. Die recht aufwändigen Recherchen und die Materialauswertung, die für die Entwicklung der Geschichte nötig waren, sind inzwischen abgeschlossen.
Im kommenden Jahr feiern EGOTRONIC ihren zwanzigsten Geburtstag. Ein Anlass zum Feiern? Ist was geplant?
Aber ja, das wird natürlich gefeiert. Ich hatte ursprünglich geplant, die Tour mit der aktuellen Platte zu Ende zu spielen und dann ab Herbst erst mal wieder Pause zu machen. Dann aber schrieb mir Arthur von Audiolith, dass wir im nächsten Jahr zwanzigjähriges Jubiläum haben. Verdammt, ich hätte es tatsächlich beinahe total vergessen. Wir planen einen kleinen Release, kein Album, und ein paar Konzerte wird es auch geben an Orten, die für uns von besonderer Bedeutung sind.
Letzte Frage: Du hast früher einmal als eine Art Burger-Laden-Kritiker gearbeitet. Wo in Berlin bekomme ich den besten veganen Burger?
Wir hatten in einem Team von vier, fünf Leuten rund 200 Burger-Läden getestet und unsere Eindrücke in einem Blog veröffentlicht. Wo sich alle einig sind: Den besten Fleisch-Burger bekommst du bei Kumpel & Keule in Kreuzberg, deren Kompositionen sind seit Jahren ein Hochgenuss. Zu veganen Burgern kann ich nicht so viel sagen. Aber du kannst inzwischen zumindest in Friedrichshain und Kreuzberg in vielen Läden wirklich gute Beyond-Burger essen.
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