EGOTRONIC

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Antideutsche Punk-Bürgerlichkeit

Es ist Dienstag, Torsun hat schon sechs andere Medien verarztet, die vermutlich alle schon brav alles zum neuen EGOTRONIC-Album „C’est Moi!“ gefragt haben. 2014 erschien das letzte Album „Die Natur ist dein Feind“ – ein Verweis auf Torsuns Autoimmunerkrankung Rheumatoide Arthritis – und ich freue mich, dass die feindselige Seite der Natur den Kampf gegen das Lustprinzip nicht gewonnen hat. 2007, als das zweite Album „Lustprinzip“ veröffentlicht wurde, saß ich zusammen mit Ox-Schreiber Timbo Jones und Torsun im Hafenklang Exil. So haben wir uns kennen und schätzen gelernt. Wir haben uns jetzt lange nicht gesehen und es gibt einiges zu erzählen

Torsun, Gitarren auf dem neuen Album? Was ist passiert?


Eigentlich das, worauf ich schon lange hingearbeitet habe, und nun, nach zwei Alben Übergang ist es beim dritten endlich soweit, die elektronischen Anteile sind raus. Das war ja umgekehrt am Anfang: Bei der ersten Platte habe ich mir ganz oft Punkrock-Stücke ausgedacht und mich gefragt: Wie würde ich die elektronisch machen? Jetzt haben wir sie zurückübersetzt und nun klingen sie so, wie ich sie mir eigentlich damals gedacht habe. Und manche Stücke, so wie „Die richtige Einstellung“, hätten schon damals so klingen sollen.

Sind alle mitgegangen beim Soundwechsel?

Nee, nicht alle und ganz im Ernst, ich wäre auch fast ein bisschen enttäuscht oder zumindest überrascht, wenn alle mitgegangen wären. Aber die neue Platte ist wirklich am nächsten an dem Live-Ding dran. Die Leute meinten immer: „Live seid ihr ’ne Punkband, und auf Platte kam das nie so rüber.“ Jetzt schon! Viele haben gesagt, dieser Wechsel ist mutig. Aber Lars von Audiolith vertraut mir da, auch wenn er zunächst skeptisch war. Ich liebe den Mann einfach, der schickt uns nach Brighton, um eine Platte aufzunehmen. Nächstes Jahr wollen wir öfter in England spielen und ich überlege sogar, nach Brighton zu ziehen.

Warum Brighton?

Ich finde die Stadt einfach unfassbar schön, ich habe mich echt verliebt.

Du wohnst doch im „internationalen“ Berlin.

Es ist trotzdem so deutsch. Brighton ist klein. Na ja, mein Leben hat sich echt rabiat verändert. Ich nehme nicht mal mehr ansatzweise so viele Drogen.

Wegen der Autoimmunerkrankung, an der du leidest?

Ja, auch, es wurde mir aber auch schlicht langweilig.

Du bist einer der wenigen, der alles auf eine Karte gesetzt hat.

Kein Job oder Studium. Habe ich nie gemacht. Ich war so lange arbeitslos, ich kenne keinen, der so lange arbeitslos war wie ich. Ich habe mich wirklich vor allem gedrückt.

Wärst du für ein Grundeinkommen?

Prinzipiell ja. Ich war selbst Hartz IV, das ist so kacke. Hätte ich nicht schwarz gearbeitet oder manchmal Drogen verkauft ... Man muss ja fast illegale Sachen machen, um klarzukommen.

Neues Album, noch eine Band, neue Tour, Buch geschrieben. Pennst du überhaupt mal?

Im Moment schon, aber ich schlafe nicht viel. Ich wache früher auf. Meine Freundin ist auch Frühaufsteherin, das passt dann gut, Ich bin morgens kreativer, deshalb habe ich darauf bestanden, die neue Platte morgens aufzunehmen, das klappt viel besser. Wir haben es einmal abends versucht mit JENNIFER ROSTOCK, das hat gar nicht geklappt, aber Bier haben wir getrunken.

Bist du in so einer Art Punk-Bürgerlichkeit angekommen?

Ja, irgendwie schon, ich bin glücklich. Auch weil ich alles andere bis zum Abwinken gemacht und gehabt habe. Mein Traum, von der Musik zu leben, ist wahr geworden. Ich fühle mich angekommen. Wir leben zusammen, insofern führen wir schon ein bürgerliches Leben.

Kannst du mit einem Konzept wie Ehe etwas anfangen?

Konnte ich früher nie, wirklich überhaupt nicht. Mittlerweile geht das sogar, hat ja steuerliche Vorteile, haha.

Diese Frage hätte ich mir bei dir vor sieben Jahren allerdings noch nicht vorstellen können.

Obwohl ich 2003 ja schon einen Song darüber gemacht habe: „Manche gründen Pärchen und machen richtig Kasse, denn manchmal wird aus Liebe eine neue Steuerklasse.“ Ich habe keine Angst mehr, eine Party zu verpassen, das kann jetzt meine Tochter machen. Sie ist jetzt 18 und so cool. Die sieht viele Dinge ganz differenziert, macht ihr eigenes Ding.

Yari ist nicht dein leibliches Kind. Du willst aber kein eigenes?

Nee, das war für mich nie eine Option. Yari und ich haben uns füreinander entschieden. Ich brauche nicht noch jemanden. Ich selbst bin sehr frei aufgewachsen, auch drogenmäßig. Das habe ich auch bei meiner Tochter so leben können, aber ich bin froh, dass sie nie in die Gefahr gekommen ist, nicht klarzukommen. Ich habe alles genommen, was es gab, völlig uferlos. Gerade 2007 haben wir uns am Wochenende so viele Dinger reingehauen, die gab’s für 90 Cent. Da ist dann fast nichts mehr passiert. Heute reicht eins und ich bin total dicht. Deshalb musste ich im Schmerzzentrum auch sagen: Leute, das ist wirklich eine Ironie, wie ich immer darauf geachtet habe, nicht süchtig zu werden, und jetzt habt ihr mich mit Schmerzmitteln abhängig gemacht. Seit einer Weile haben wir meine Rheumatische Arthritis medikamentös im Griff und ich platze förmlich vor Kreativität. Deswegen noch eine Band. Ich trank nicht mehr, ich kam am Sonntag nach den Shows nach Hause und habe mich sofort an den Rechner gesetzt. Zu viel knallt zu wenig.

Dafür bereitet euch eure propagierte Solidarität mit Israel nach wie vor Probleme, das Fusion-Festival sprach ja sogar einen Bann aus.

Ja, und das ist einfach nicht nachvollziehbar. Eule, der Veranstalter, wirft mir vor, ein Kriegstreiber zu sein, und lässt FETTES BROT da aufmarschieren, die kurz vorher noch für die Bundeswehr gespielt haben. Ich sollte letztes Jahr auf einem Literaturfest auf dem Fusion-Gelände lesen, das hat der persönlich verhindert. Ich habe mich mit Israel solidarisch erklärt und bin antideutsch, aber deshalb spiele ich doch nicht für die Israelische Armee. Aber wenn Jan Delay da sein Deutschlandfähnchen schwenkt, scheint das kein Problem zu sein. Nur mit Israel solidarisch sein, das ist nicht okay.

Wo gerade der Antisemitismus so massiv sichtbar geworden ist im letzten Jahr.

Ja, es ist unglaublich, was da überall passiert ist, so massiv. Da war ich auch so angepisst. Niemand, aber wirklich niemand hat sein Maul aufgemacht. Eine brennende Synagoge, in Deutschland, und das hat keinen politischen Hintergrund? Ist klar. Ja, unglaublich oder? Aber seitdem habe ich wieder intensiven Kontakt zu Alec Empire, weil der als Einziger etwas dazu gesagt hat. Wir haben hier gerade die härtesten antisemitischen Aufmärsche, ich ging im Sommer eigentlich nur noch mit Davidstern auf die Bühne. Dafür bin ich richtig hart angegangen worden. Auf der EGOTRONIC-Site gab es einen Shitstorm nach dem anderen, aber das war und ist einfach zu wichtig. Ich kenne Juden in Deutschland, die neben gepackten Koffern schlafen. Bei Rassismus melden sich alle, bei antisemitischen Angriffen sagt keiner was. Das hat auch meine Freundesliste bei Facebook sehr ausgedünnt. Aber ich finde es richtig, dazu Stellung zu beziehen, dafür kämpfe ich.

Ehrlich gesagt, habe ich beim Thema Israel oft das Gefühl, viel zu wenig zu wissen.

Das ist auch total kompliziert, und es ist auch gut, wenn das so ist, es ist nun mal nicht alles schwarzweiß. Wenn du zum Beispiel an den Song „Möllewahn“ denkst, der hat ja nicht Israel zum Thema, sondern die deutsche Sicht auf Israel, darum ging es mir immer. Ich meine, hey, Israel ist ein Nationalstaat, da gibt’s Rassismus. Es geht nicht darum, Israel von irgendetwas reinzuwaschen. Aber du musst dir vorstellen, nur in Deutschland gibt es das Wort Israelkritik. Es gibt nicht Ugandakritik, Norwegenkritik, es gibt nicht mal Irankritik. Es ging immer nur um die Projektionen der Deutschen auf Israel.

Was würdest du jemandem wie mir empfehlen, der sich dauernd schlecht informiert fühlt?

„Hat Israel noch eine Chance?“ vom Konkret Verlag. Das sind verschiedene Texte. Beginnend mit einem von Jean Améry, der sich der Linken sehr nah gefühlt hat und sehr frustriert war, als diese die Ersten waren, die angefangen haben, Israel wieder zu hassen. Erschreckender ist eigentlich, dass zur Zeit Springers Die Welt das einzige Medium ist, das sich nicht der antisemitisch gefärbten Berichterstattung anschließt. Schlimm, dass ich das mal sagen muss.

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