Die DWARVES sind eine der kuriosesten Erscheinungen des Punkrocks. Mitte der Achtziger in Chicago gegründet, spielten sie in ihren frühen Jahren klassischen Sixties-Garage-Punk, dokumentiert auf ihrem Voxx-Debüt „Horror Stories“ von 1986. Ende der Achtziger hatten sie sich mehr dem melodiösen Pöbel-Punk zugewandt und veröffentlichten mit „Blood Guts & Pussy“ und „Thank Heaven For Little Girls“ 1990 respektive 1991 ihr drittes und viertes Album auf Sub Pop – und die Saat der Provokation ging auf, denn das Coverartwork von „Blood ...“ mit nackten, blutbespritzten Frauen und auch der Titel von „Thank Heaven ...“ trafen nicht den Geschmack aller. Mit der Verkündung des angeblichen Tods von Gitarrist HeWhoCannotBeNamed wurde 1993 zum Erscheinen des „Sugarfix“-Albums der Bogen überspannt, Label wie Presse reagierten mit dem Fallenlassen der Band, und so dauerte es bis 1997, dass mit „The Dwarves Are Young And Good Looking“ ein neues Album erscheinen konnte. Ein Album auf Recess („Lick It“, 1999) folgte, mit „The Dwarves Come Clean“ dann 2000 der Deal mit Epitaph, der international wieder für große Aufmerksamkeit sorgte – echter kommerzieller Erfolg blieb trotz eines „kommerziellen“ Albums aus, die DWARVES waren und sind eben Freaks mit ebensolchen Fans. Auch das nächste Jahrzehnt überlebten die „Zwerge“, mit „How To Win Friends And Influence People“ (Reptilian Records, 2001) und „The Dwarves Must Die“ (SFTRI, 2004) erschienen zwei weitere Alben, doch dann folgte eine jahrelange Pause mit nur wenigen Lebenszeichen und Shows, in denen Blag einer Tätigkeit als Produzent nachging. „The Dwarves Are Born Again“ (MVD, 2011) ist nun das neueste Werk, das ich zum Anlass nahm, Blag im Backstage-Container des Ruhrpott-Rodeo-Festivals zu besuchen und zu befragen.
Blag, „The Dwarves are still the best band ever“ postulierst du auf dem neuen Album in aller Bescheidenheit.
So ist es. Sorry, ich muss leise reden, meine Stimme ist im Arsch, aber ich werde trotzdem versuchen, lustig zu sein. Und scheiß auf Bescheidenheit – die DWARVES sind immer noch die beste Band der Welt. Das ist die reine Wahrheit – wir sind eine Rock-Legende und die einzige Punkband, die mit jedem Jahr noch besser wird, das hat mit unserer DNA zu tun. Die anderen Bands dagegen werden nur älter und schlechter.
„The Dwarves Are Born Again“ heißt das Album. Waren die DWARVES zwischenzeitlich tot?
Na ja, „The Dwarves Must Die“ hieß unser letztes Album, wir mussten also den Tod überwinden – und hier sind wir wieder. Aber wir hatten damit ja schon gewisse Erfahrung. Als HeWhoCannotBeNamed damals starb ...
Ich erinnere mich, 1993 wurde verkündet, euer Gitarrist sei erstochen worden. Alle Fans und euer Label SubPop waren betrübt – und sauer, als sich das als Scherz herausstellte. SubPop kickte euch sogar vom Label.
Ja, aber wie man sieht, wurde er wieder zum Leben erweckt, er ist auferstanden – und so wurde jetzt auch die Band wiedergeboren.
Hallelujah! Erinnert mich irgendwie an Jesus Christus.
Wir sind der Antichrist! Wir sind der Zombie-Christ, der den Stein vor der Höhle weggerollt hat und wieder rausgekrochen ist, wie es in diesem komischen Buch steht. Wir haben gelitten, sind gestorben, wurden begraben und sind auferstanden. Aber mal was ganz anderes: Warum müssen einen die Mädels hier in Deutschland immer beißen?
Beißen? Bei was, in was?
Beißen halt, immer, ständig. Ich verstehe das nicht. Die sind total oralfixiert.
Was man mag, will man essen.
Hm, so habe ich das noch nicht gesehen. Da ist natürlich auch wieder sehr christlich ... Wenn die Mädels mich beißen, ist das also so was wie die Einnahme der Kommunion mittels der DWARVES ... Ja, das macht Sinn. Ich bedanke mich bei den deutschen Mädels fürs Beißen. Wie du siehst, geht es bei den DWARVES um die großen, biblischen Themen.
Bist du getauft?
Ja, meine Familie kommt aus Italien, ich wurde katholisch erzogen. Sex ist für mich was Schmutziges.
Dieser Hintergrund erklärt die christliche Symbolik. Unvergessen das Cover von „The Dwarves Must Die“, auf dem drei nackte Frauen um euren legendären kleinwüchsigen Coverhelden trauern, der hier ans Kreuz genagelt zu sehen ist. Hast du keine Angst davor, für diese Blasphemie eines Tages in der Hölle schmoren zu müssen?
Ach, wenn ich in der Hölle schmoren muss, habe ich wenigstens interessante Menschen um mich herum. Jeder, der was taugt, landet doch dort.
Leben eigentlich deine Eltern noch und wissen die, was du so treibst?
Ja, die leben noch, und die waren letztes Jahr in New York auf ihrem ersten DWARVES-Konzert. Die hatten das bislang nie geschafft, das war für mich ein schöner Moment – endlich haben sie mich mal in meiner natürlichen Umgebung gesehen, hahaha.
Und, hat es ihnen gefallen?
Und wie! Allerdings sind die nicht gerade das, was man als typische Rock’n’Roll-Fans bezeichnet. Und sie haben auch schon mal die DWARVES-Plattencover gesehen – und das ist der Aspekt an der Band, der ihnen nicht gefällt. Aber egal, Rock’n’Roll macht keinen Spaß, wenn er deinen Eltern gefällt. Die sind jetzt über 80, die mussten jetzt einfach mal eine DWARVES-Show sehen, bevor alles vorbei ist. An dem Abend in New York blieb ausnahmsweise auch mal alles friedlich, oft arten DWARVES-Shows auch mal in Gewalt aus. Aber an dem Abend war da nur Liebe.
Ja, euch eilt ein gewisser Ruf voraus. Speziell in den Neunzigern wurde das Publikum auch mal mit den Instrumenten attackiert. Ich erinnere mich an eine Show in Oberhausen, wo das Publikum respektvoll zwei Meter Abstand von der Bühne hielt.
Hahahaha, schön. Deshalb nennt man mich den „Wizard of Osnabrück“.
Was war in Osnabrück?
Nicht der Rede wert. Gewalt ist gut – solange du gewinnst. Verlierst du, macht Gewalt keinen Spaß.
Eine sehr amerikanische Sichtweise.
Wir sind ja auch eine sehr amerikanische Band: Wir sind laut, seltsam und geistig zurückgeblieben – wie kann man denn noch amerikanischer sein?
Ihr könntet auch noch fett sein.
Stimmt, wir sind nicht fett. Aber wir arbeiten dran.
Deine Bandkollegen sitzen etwas eingeschüchtert und still da drüben in der Ecke. Wie ist der Umgang untereinander, was braucht es, um klarzukommen?
Eine starke Persönlichkeit. Und Humor. Hier fängt man sich schnell mal einen dummen Spruch ein, und wir kennen unsere Schwächen ganz genau. Wenn man da was persönlich nimmt, hat man nicht viel Spaß.
Gibt es Grenzen, die selbst die DWARVES nicht überschreiten würden? Es scheint, das Spiel mit religiösen Symbolen taugt immer dazu, gewisse Grenzen aufgezeigt zu bekommen.
Oh ja, vor ein paar Jahren ging uns ein Auftritt in der Schweiz flöten, weil wir an der Grenze aufgehalten wurden. Die kontrollierten unser Gepäck und das Cover von „The Dwarves Must Die“ gefiel ihnen nicht – Einreise verweigert. Der Club in Zürich hat letzten Endes wegen der ausgefallenen Show und der damit verbundenen Kosten die Grenzpolizei verklagt, und es stellte sich raus, dass der Grenzpolizist, der uns nicht reingelassen hat, ein sehr gläubiger Christ war. Von wegen „neutrale Schweiz“ und so – die waren im Zweiten Weltkrieg Arschlöcher und sind es noch heute. Abgesehen davon gab es früher mehr Theater, da waren wir einfach bekannter. Heute können wir machen, was wir wollen.
Enttäuschend, oder?
Oh ja! Mir gefiel es besser, wenn richtiger Hass aufkam – und Gewalt! Wir geben uns heute große Mühe, böse rüberzukommen, aber so leicht ist das nicht, haha.
War es in den frühen Neunzigern einfacher zu provozieren?
Auf jeden Fall. Da wusste man weniger von uns –heute hingegen kann sich jeder im Internet Videos anschauen, wo ein Pferd eine tote Frau fickt, wie soll man da noch provozieren? Da wirkt das, was wir machen, nicht mehr so richtig extrem.
Gab es mal einen Punkt, an dem euch eine Aktion selbst zu krass vorkam?
Ja ... Hm ... Nein! Wir haben alles gebracht und gemacht, was wir wollten. Wir sind komplette Misanthropen, wir hassen alles und jeden, egal, ob Mann, Frau oder Kind. Wir hassen alle Rassen, alle Religionen, alle Nationen. Wir hassen jede andere Band! Die Band, die gerade spielt? Ich hasse sie, auch wenn ich sie gar nicht kenne.
Sprechen wir über euer neues Album. War das eine Gemeinschaftswerk oder hast doch du letztlich das Sagen?
Die Jungs haben durchaus ihren Beitrag zum Songwriting geleistet, Songideen wurden hin- und hergeschickt, aber letzten Endes bin ich ein wohlwollender Diktator. Demokratie ist gut, Faschismus ist besser. Haha, der Satz kommt hier in Deutschland sicher gut an.
Das Album ist im Vergleich zum Stilmischmasch des letzten recht straight und punkrockig.
Es gibt auch jetzt ein paar experimentelle Momente, aber du hast Recht, es ist ziemlich „back to the roots“.
Eine DVD mit einer Art Band-Doku liegt dem Album auch bei.
Ja, das hilft, die verschiedenen Versionen der Band in den letzten 25 Jahren kennen zu lernen und zu verstehen: Die aktuelle Version mit Chip Fracture, Gregory Pecker und Fresh Prince of Darkness, die mittlere Periode mit Wrecks Everything und Marky DeSade, und das alte Line-up, mit Vadge Moore, Sergeant Salt Peter und Whölley Smökkes. Wir fingen ja einst als Garage-Band an, mit starkem Sixties-Einschlag, woran sich heute kaum noch jemand erinnert. Die Doku hat Lloyd Nickell gemacht, ein kranker Typ, der auf Gore-Movies und anderes krankes Zeug steht. Der hat all den Scheiß, den wir über die Jahre gefilmt haben, zusammengeschnitten.
Schwer zu erinnern sein dürfte auch jeder Line-up-Wechsel, denn davon gab es Dutzende. Hast du irgendwo einen DWARVES-Stammbaum an der Wand hängen?
Ja, irgendwer in der Band macht das, wobei das gar nicht so einfach ist, denn oft bleibt die Person die gleiche, nur der Name ändert sich.
Gibt es so was wie ein DWARVES-Archiv?
Ja, ich habe so was, zumindest aus den späteren Jahren habe ich alles, viele frühe Sachen allerdings fehlen mir. Ich sehe immer wieder Zeug auf eBay, das mir fehlt, aber das ist viel zu teuer. Aber so ist das eben bei Rock-Legenden.
Alle Rock-Legenden haben auf dem Walk of Fame in Hollywood einen Stern. Du auch?
Äh ... noch nicht. Die Kommission konnte sich bislang nicht entscheiden, ob man mir den für meine Musik, meine TV-Produktionen, meine Filme oder meine Produzententätigkeit verleihen soll.
Na dann viel Glück, dass es bald klappt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Norbert Johannknecht
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #74 Oktober/November 2007 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #173 April/Mai 2024 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #27 II 1997 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #29 IV 1997 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #171 Dezember 2023/Januar 2024 2023 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #70 Februar/März 2007 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #118 Februar/März 2015 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #35 II 1999 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #136 Februar/März 2018 und Nadine Maas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #116 Oktober/November 2014 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Joachim Hiller