Nachdem DILLINGER ESCAPE PLAN ihren Vertrag bei Relapse Records nicht verlängert hatten, gründeten sie im vergangenen Jahr ihre eigene Plattenfirma Party Smasher Inc. Über diese veröffentlichte die Band aus Morris Plains, New Jersey in Kooperation mit dem französischen Metal-Label Season of Mist kürzlich ihr viertes Studioalbum „Option Paralysis“. Wieder gibt es komplex-brutalen Mathcore zu hören, der mit konventionellen Songstrukturen nichts zu tun haben will und der DILLINGER ESCAPE PLAN seit nunmehr 13 Jahren Bandgeschichte auszeichnet. Ich sprach mit Sänger Greg Puciato und Gitarrist Ben Weinman.
Im Vorfeld der Veröffentlichung eures neuen Albums „Option Paralysis“ habt ihr mehrmals verkündet, dass der „Metal-Faktor“ diesmal deutlich höher sein wird als bei eurem früheren Material. Ehrlich gesagt, habe ich davon nicht viel hören können ...
Ben: Du bist nicht der Erste, der das so empfindet. Uns haben schon viele Leute gesagt: „Hey, was redet ihr da? Ihr klingt doch genauso wie immer.“ Selbst- und Fremdwahrnehmung waren eben schon immer zwei Paar Schuhe. Als wir anfingen, die Songs für das neue Album zu schreiben, hat es sich für mich so angefühlt, als ob die Gitarrenriffs tatsächlich metallischer wären als früher, und dass sich der Sound signifikant von unseren vorherigen Alben unterscheidet. Aber offenbar sehen das die meisten Leute anders.
Wie kann der Anspruch für eine Band wie DILLINGER ESCAPE PLAN lauten? Immerhin geltet ihr als eine der einflussreichsten Mathcore-Bands, als eine, die seit jeher komplexe und extreme Musik geschrieben hat. Kann man in eurem Genre überhaupt noch davon sprechen, auf einem neuen Album nun noch „vertrackter“ und „härter“ zu werden? Und besteht nicht auch die Gefahr, dass so eine Entwicklung nur noch zum reinen Selbstzweck verkommt?
Ben: Es lag nie in unserem Kalkül, zwanghaft zu versuchen, unseren Stil auf die Spitze zu treiben. Irgendein Typ hat vor ein paar Jahren mal ein sehr merkwürdiges Gerücht über uns verbreitet: Angeblich würden wir im Proberaum sitzen und mit zwei Würfeln willkürlich die Taktarten festlegen, die wir in unseren Songs verwenden. Das ist natürlich Quatsch. Wir können letztlich nur die Musik, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aus uns heraussprudelt, so gut wie es uns möglich ist auf Platte bannen und mit organischen Veränderungen versuchen spannend zu bleiben. In Bezug auf „Option Paralysis“ heißt das, dass wir diesmal innerhalb eines Monats die Songs geschrieben und aufgenommen haben. Wir hoffen, dass das Album dadurch runder und in sich geschlossener wirkt. Bei unseren früheren Aufnahmen war das anders, da wir immer zwischen den Touren unsere Stücke entwickelt haben und die Zeitspanne zwischen Songidee und Studiotermin mitunter recht groß war.
Eines der interessantesten Stücke auf der Platte ist „Widower“, in dem Mike Garson zu hören ist, der Pianist in Band von David Bowie. Wo habt ihr den denn aufgegabelt?
Greg: Beim Southwave Festival in Australien haben wir im vergangenen Jahr zusammen mit NINE INCH NAILS ihren Song „Wish“ gespielt. Und Trent Reznor, deren Sänger, hatte schon einige Male mit Mike zusammengearbeitet und so hat er uns einander nach dem Konzert vorgestellt. Seitdem hatten wir weiter losen Kontakt zu ihm.
Ben: „Widower“ war das letzte Stück, das wir für die Platte aufgenommen hatten. Als wir Mike fragten, ob er bei dem Song das Klavier spielen möchte, wollte er nicht einmal unser Demo hören, sondern kam einfach drei Tage später ins Studio. Für den Song hat er dann nur zwei Takes gebraucht und es hat sofort gepasst. Das war einfach nur unglaublich.
Greg: Mike ist sowieso ein unfassbar cooler Typ. Er hat uns zahlreiche Geschichten von seinen Tourerlebnissen mit David Bowie erzählt. Und er hat uns mal gesagt: „Jungs, eure Musik ist verrückt. Ich habe so etwas noch nie gehört.“ Da haben wir uns natürlich sehr geschmeichelt gefühlt. Allerdings ist er sehr empfindlich, was sein Alter betrifft. Einmal habe ich ihn „unseren 70-jährigen Opa“ genannt. Daraufhin hat er mich angebrüllt: „Ich bin 64 und nicht 70, du Bastard!“, haha.
Worauf bezieht sich der Albumtitel „Option Paralysis“?
Ben: Er spielt mehr oder weniger auf die Mediengesellschaft an, in der wir alle leben und die uns massiv in unserem Alltag beeinflusst. Ein Leben ohne MySpace, Facebook oder Twitter ist für viele undenkbar geworden. Vor allem das Internet bietet einem heutzutage zahllose Möglichkeiten, deren Ausmaß und Konsequenzen man kaum noch richtig einschätzen kann. Man ist regelrecht verwirrt und überfordert von der ganzen Scheiße, ohne dass man es wahrhaben will. Dieses Motiv spiegelt sich auch in vielen Texten des Albums wider.
Greg: Ich glaube, im 21. Jahrhundert sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir innerhalb kurzer Zeitspannen tausende technische Neuerungen sehen. In dieser hohen Geschwindigkeit war das in der Geschichte der Menschheit bisher noch nicht der Fall und es scheint, als ob viele Leute mit dieser Entwicklung nicht klarkommen. Damit will ich nicht sagen, dass Technologie per se etwas Schlechtes ist. Aber ich sehe eben auch, dass wir Menschen uns von den Dingen, die wir selbst geschaffen haben, immer mehr beherrschen lassen, obwohl es doch eigentlich umgekehrt sein sollte. Wenn wir nicht hinter die Errungenschaften der Renaissance und der Aufklärung zurückfallen wollen, dann dürfen wir uns von Facebook und MySpace nicht das Denken abnehmen lassen.
Gleichzeitig profitiert ihr genau wie die meisten anderen Bands unheimlich von diesen Internetportalen.
Ben: Ja, klar. Aber sie bieten dir nicht wirklich Orientierung. Als ich das erste Mal in meinem Leben NAPALM DEATH gehört habe, wollte ich mehr über andere Bands erfahren, die so klingen. Mit Hilfe von Fanzines und auf Konzerten konnte ich dann immer mehr Musik dieser Art kennen lernen und hatte so immer einen Leitfaden. Wer sich heute über Hardcore informieren will, kriegt im Internet unzählige Bands aufgelistet, von denen mindestens 90 Prozent scheiße sind. Wie soll man sich bei diesem Überangebot auch zurechtfinden ...?
Findet so eine Reizüberflutung vielleicht auch auf einer anderen, persönlicheren Ebene statt? Wenn ihr auf Tour seid, lernt ihr doch sicherlich viele interessante Menschen kennen, mit denen ihr euch mangels Zeit nicht so intensiv beschäftigen könnt, wie sie es eigentlich verdient hätten. Kann das nicht auch ziemlich frustrierend sein?
Ben: Das ist gut möglich. Aber ehrlich gesagt, fällt mir auf Tour eher auf, was man zu Hause alles verpasst und im Alltag nicht so richtig zu schätzen weiß. Oft muss man erst nach Berlin oder London kommen, um festzustellen, was man eigentlich an seinen Freunden und an seiner Familie hat und was sie einem bedeuten. Und was auch oft unterschätzt wird: dein eigenes Bett. Ich meine, was nützen dir all die tollen Reisen, wenn du unterwegs kein vernünftiges Bett hast, in dem du sorglos einschlafen kannst?
In den USA habt ihr ja schon seit langem viele Klagen am Hals, meistens von Menschen, die sich auf euren Konzerten verletzt haben. Wie viel Schmerzensgeld musstet ihr da schon abdrücken?
Greg: Zu viel! Und offen gesagt, ist es für uns etwas unangenehm darüber zu sprechen, da wir uns schon zu oft über diese Idioten geärgert haben. Meistens sind es die Eltern von Kids, die sich auf irgendeinem unserer Konzerte mal die Hand verstaucht haben. Allerdings wurden wir schon wegen jedem möglichen Scheiß verklagt, nicht nur aufgrund von kleinen Verletzungen auf Konzerten. Die meisten Verfahren sind zum Glück aber wieder eingestellt worden. Im Allgemeinen habe ich jedoch das Gefühl, dass in den USA die Hemmschwelle, vor Gericht zu ziehen, niedriger ist als in Europa.
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