Es gibt Musik, die fesselt einen vom ersten Ton an und begleitet einen dann sein ganzes Leben. Es gibt wirklich nicht viele Bands/Projekte, die mich so nachhaltig beeindruckt haben, und ich kann sie an meinen zehn Fingern abzählen. DAS M ist eine davon! Was man am besten als Post-NDW-meets-Minimal-Synthie-Pop beschreiben kann, ist für mich die Essenz aus allen klassischen NDW Tonträgern, die vorher veröffentlicht wurden, und wirklich jeder Song ist ein potenzieller Hit. Für eine kurze Zeit hatte ich auch mal persönlichen Briefkontakt mit Martin und wollte sogar ein DAS M-Tape auf meinem damaligen Kassettenlabel Cat Killer herausbringen. Aber wie das in stürmischen Zeiten so ist, brach der Kontakt ab und wir hörten nie wieder etwas voneinander. In den meisten Fällen verstauben solche seltenen Perlen in Sammlerregalen oder verschwinden auf Nimmerwiedersehen bei Umzügen. Ich habe die ganzen Jahre meine DAS M-Veröffentlichungen gepflegt und gehört. Jeder, den ich auf dieses Projekt ansprach, zuckte nur mit den Schultern und konnte mir keine weiteren Auskünfte geben. Ich hatte die Suche eigentlich schon aufgegeben, als ich Jörg von Kernkrach traf, den ich dann auch sofort darauf ansprach und dessen Augen auf eimal anfingen, seltsam zu leuchten. Wir hatten uns gefunden. Zwei Bekloppte. Mitten in Deutschland. Zwei DAS M-Fans trafen sich ohne jede Vorwarnung. Und so werden jetzt auf Kernkrach-Schallplatten endlich alle erhältlichen Songs nach und nach auf heiligem Vinyl veröffentlicht. Wem das alles einwenig zu durcheinander erscheint, der sollte jetzt bitte einfach weiterlesen, denn alle offenen Fragen werden im folgenden ersten und weltweit exklusiven DAS M-Interview ausführlich beantwortet.
Den meisten Lesern wird der Name DAS M nicht allzu viel sagen und das gilt selbst für eingefleischte NDW-Fans und Sammler. Stell dich deshalb bitte erst mal vor.
Mein Name ist Martin Haidinger und ich lebe derzeit in Österreich. Hier und da mache ich ein bisschen elektronische Musik, die je nach Stil unter verschiedenen Projektnamen veröffentlicht wird, oder auch nicht. Im aktuellsten Fall wurde das Ergebnis mit großer Unterstützung von Dr. Kernkrach bei Kernkrach Records unter dem Titel „Leidenschaft und Produktion“ veröffentlicht. Hauptberuflich bin ich derzeit selbständiger Grafiker.
Ist es dir recht, wenn man bei DAS M direkt an die NDW denkt, obwohl die ersten offiziellen Veröffentlichungen ja erst 1992 erschienen sind, also schon lange nach dem endgültigen Aus, als NDW nur noch mit schlechtem deutschen Pop und Partymusik für über Dreißigjährige gleichgesetzt wurde?
Das ist schon in Ordnung. Diese ganze Diskussion um den Aufkleber NDW gibt es ja nun schon seit der ersten Nennung dieses Begriffs. Das kann jeder betiteln, wie er mag. Irgendeine Benennung muss ja immer stattfinden.
Was war der Auslöser für dich, eigene Musik zu produzieren, und dann genau solche, die man heute als Retro-Elektronik bezeichnet?
Das war Mitte 1988, also schon einige Jahre nach Ende der Welle. Ich habe auf Plattenbörsen alles gekauft, was deutsch und aus den frühen 80ern war. Zu diesem Zeitpunkt waren diese Platten sehr günstig. Es galt als rückschrittlich, so etwas zu hören. Frühe No Fun- und ZickZack-Platten für fünf DM waren da keine Seltenheit. Platten zu kaufen reichte mir dann aber nicht mehr, ich wollte unbedingt auch so etwas machen. Außer einer E-Gitarre und einem Verstärker hatte ich aber keine Instrumente. Es gab in meiner Umgebung allerdings einen Synthesizer, den ich mir ausleihen konnte, und das war glücklicherweise ausgerechnet ein JX-3P. Der Synthesizer wurde 1983 von der japanischen Firma Roland produziert und das 3P im Namen steht für „Preset“, „Programmable“ und „Polyphonic“. Die Maschine bietet die typischen fetten Analogsounds, die man von den großen Brüdern wie Jupiter 8 oder Jupiter 6 kennt. Der JX3P ist analog aufgebaut, und hat eben diesen Sound, den man von den ganzen alten Produktionen her kennt. Zusätzlich hat das Gerät einen einfachen Stepsequenzer. Etwas später stand mir noch eine TR-606 zur Verfügung, das ist ein Drumcomputer aus derselben Zeit. Die 606 ist sehr einfach zu programmieren, weil du nichts in Echtzeit einspielen musst. Plötzlich konnte ich meine Ideen im Alleingang realisieren.
Alle deine Veröffentlichungen erschienen auf deinem eigenen Tapelabel Tonträger. Wie kam es dazu, dass du ein eigenes Label gründet hast? Diese Eigeninitiative steht ja offenbar auch in der Tradition von Punk oder der NDW.
Das hat mir einfach sehr viel Spaß gemacht, da stand kein Konzept dahinter. Musik aufnehmen, Cover entwerfen, das mache ich halt gerne, so wie andere gerne Fahrrad fahren oder Playstation spielen. Ein 18-Jähriger sitzt in seinem Zimmer und bastelt mit einer Vierspurmaschine und einer Hand voll Elektronik ein paar Nummern zusammen, um nicht an Langeweile zu ersticken, mehr war das nicht.
Nur ein Tape und das auch nicht exklusiv, sondern in Lizenz mit einem abweichenden Cover, wurde von Ebus Music von Carsten Olbrich aus Frankfurt veröffentlicht. Wie kam es dazu? Habt ihr noch Kontakt?
Die Adresse von Carsten bekam ich damals vom Frank Fenstermacher, nachdem ich meine Tapes nach Düsseldorf an Ata Tak geschickt habe. Für Ata Tak und andere Labels war ich mit meinem Sound einfach einige Jahre zu spät dran und Frank meinte, der Ebu wäre genau der richtige für mich. Das hat dann ja auch geklappt, aber Kontakt haben wir schon seit 1997 nicht mehr.
Warum gibt es so wenig Veröffentlichungen auf anderen Labels? Wolltest du die totale Kontrolle haben oder hat sich wie es oft ist niemand für deine Musik interessiert?
Es hat sich einfach niemand dafür interessiert, aber die Idee mit der Kontrolle wäre eine schöne Ausrede. Ich habe auch gar nicht besonders viel versucht. Ein paar Tapes habe ich verschickt, dann habe ich es auch gut sein lassen. Es ist ja auch offensichtlich, dass ich mit DAS M in einer musikalischen Nische stehe. Alles andere wäre Größenwahn und eine Beleidigung gegenüber allen richtigen Musikern.
Das Label-Logo von Tonträger ist ja eindeutig an das von Welt-Rekord angelehnt, auf dem ja auch GRAUZONE oder die FEHLFARBEN veröffentlichten. Sind das musikalische Einflüsse?
Damals waren das die ganz offensichtlichen Bands, an die man denkt, wenn man die alten DAS M-Bänder hört. Ich habe aber immer Musik aus allen Stilbereichen gerne gehört. Da gibt es einfach überall so viel zu entdecken! Wenn man sich nur auf die Indie-Schiene begrenzt dann verpasst man einfach unglaublich viel. Das Logo ist nicht nur angelehnt, sondern schlichtweg geklaut! Das Welt-Rekord-Logo fand ich immer schon gut. Mir hat einfach die Grafik gefallen. Und wie stellt man das Wort Tonträger am besten grafisch dar? So habe ich die Weltkugel wegretuschiert und eine Kassette reingezeichnet. Damals noch in Tusche! Später kam mir dazu ein bessere Idee. Das spätere Logo ist auf der Innenseite vom „Hertz 023“-Cover zu sehen.
Warum hast du deine Veröffentlichungen so extrem limitiert?
Mehr Absatz hätte einfach viel mehr Arbeit und Kostenaufwand bedeutet, und dazu war ich einfach zu faul. Die Kassetten mit nur einem Tapedeck vervielfältigen, Cover ausschneiden und falten, Aufkleber aufkleben, zur Post laufen und verpacken und verschicken, und das dann vielleicht noch hundertmal pro Tape, wovon dann 80 Prozent liegen bleiben, nein, danke! Da habe ich lieber neue Stücke eingespielt, als stundenlang Cover auszuschneiden. Tonträger war mehr ein reines Freundeskreis-Label. Hauptsächlich habe ich das für mich selber getan, einfach, weil es Spaß macht.
Das Artwork/Layout deiner Tape-Veröffentlichungen war immer exzellent! Wie wichtig waren dir Cover und Präsentation?
Musik und Artwork gehören zusammen. Grafik macht mir genauso viel Spaß wie das Musikmachen. Schau dir mal den Factory-Katalog an. Was hat Peter Saville nicht für geniale Coverkonzepte entworfen! Das hat mich stark beeinflusst. Ich habe auch schon oft Platten nur wegen des Covers gekauft, auch wenn die Musik nicht so mein Ding war. Richtig reingehängt habe ich mich allerdings erst bei Toytronic, als die TDR-Welle aufkam.
Wie wichtig war dir die klangliche Qualität deiner Musik? Alle Kassetten waren ja auch technisch hervorragend produziert.
Findest du? Nun, das sehe ich anders. Mit den Originalaufnahmen war ich schon damals nicht zufrieden. Die meisten kennen DAS M nur von einem Bootleg. Das ist so ein selbstgebranntes Ding in Form einer Doppel-CD. Das Bootleg selbst stört mich gar nicht, im Gegenteil, das ist eher schmeichelhaft. Die Soundqualität ist aber ärgerlich, weil das Bootleg noch um einiges schlechter klingt als die Originaltapes! Als ich das Ding erhalten habe, war ich doch stark verwundert. Wer macht sich denn die Arbeit und macht freiwillig ein Bootleg von DAS M? Wer kennt die Kassetten? Wer will das in dieser erbärmlichen Soundqualität hören? Wer will das überhaupt hören? Wo kommen die Aufnahmen her? In Deutschland gab es doch nur „Die Zeit im Irrtum“ über EBU und die Kassette hat ja nur 45 Minuten Spielzeit. Wie wurden da zwei CDs gefüllt? Sehr merkwürdig! Aufgrund der kleinen Auflagen sind die Tapes ja nie aus Österreich rausgekommen. Doch zurück zum Sound. Die Aufnahmequalität wurde erst mit meinem Tontechnik-Studium besser. Bei den ersten fünf Tapes hatte ich einfach keine Ahnung. Die klangliche Qualität ist mir jedoch sehr wichtig. An „Hertz 023“ habe ich auch sehr lange rumgebastelt, bis ich den Sound so hatte, wie ich ihn haben wollte. Mastering aus einem teueren und professionellen Studio gab es ja bei keiner einzigen Veröffentlichung von DAS M.
Du warst ja nach dem Ende von Tonträger und DAS M auch nicht untätig, man kann sagen, mit dem Vinyl/CD-Label Toytronic, das du mit Chris Cunningham (nicht der gleichnamige Videoclip-Regisseur) gegründet hast, ging der Wahnsinn übergangslos weiter. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Gegründet habe ich das Label mit Tony Douglas. Chris kam später, als Tony keine Zeit mehr hatte. Wir haben uns in einem Plattenladen in London – Sister Ray, Berwick Street, Soho – kennen gelernt. Chris hat dort gearbeitet und kannte Toytronic aus dem Laden. Er mochte die GIMMIK-Sachen und hat mir seine Demos vorgespielt. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, und haben auch heute noch eine fast brüderliche Beziehung. Chris ist ein großartiger Musiker, ein ausgebildeter Pianist und Gitarrist, der kann richtig was. Er hat sich auch um die ganze finanzielle Seite des Labels gekümmert.
Mit Chris Cunningham spielst du ja auch bei der Gruppe ABFAHRT HINWIL und NUM NUM ist ja angeblich auch eure Band, obwohl du die ganze Musik gemacht hast.
Ich hatte, ohne es zu bemerken, einen Knebelvertrag bei Worm Interface unterschrieben, so etwas gibt es leider auch bei kleinen Labels: Alle neuen Stücke durften nur exklusiv auf diesem Label erscheinen. Wir wollten diese EP aber unbedingt bei uns veröffentlichen, und so haben wir einfach einen neuen Namen benutzt und überall herumerzählt, es wären Stücke von Chris und mir. Sind aber eigentlich alles GIMMIK-Nummern. Der Name NUM NUM stammt übrigens aus dem Film „Der Partyschreck“ mit Peter Sellers.
Es scheint fast so, als würdest du Toytronic komplett mit deiner Musik beliefern.
Na ja, nicht ganz. Neben Toytronic gab es Veröffentlichungen auf Expanding Records/England, N5MD Records/USA, Worm Interface/England, Kanzleramt Records/Deutschland, Ata Tak/Deutschland, Eat This Records/Holland, Millennium Records/Deutschland, Jip Records/Holland und jetzt Kernkrach. Nähere Informationen findet man bei discogs.com/artist/Gimmik.
Wie sieht also die wahre Geschichte und der Werdegang dieses Labels aus?
Toytronic wurde acht Monate nach meinem Umzug nach London gegründet – die ganzen fetten Elektronikproduktionen der 90er kommen aus London, da wollte ich einfach hin! Wir hatten da zwar noch keinen Vertrieb, haben es aber trotzdem geschafft, eine Tausender-Auflage innerhalb von 14 Tagen zu verkaufen. Damals haben wir die Platten mit Rucksäcken durch London geschleppt und so die Plattenläden beliefert. Plötzlich war Geld da, um die nächste Platte zu machen. Mit „Neurokinetic“ sind wir dann bei Southern Records, dem größten Vertrieb für unabhängige Musik in England, gelandet. Die Verkaufszahlen sind dann ständig gestiegen und nachdem der deutsche Vertrieb EFA eingegangen ist, auch wieder rapide gefallen, mp3 hat uns dann ausgeknipst.
Wie würdest du selber den Musikstil, den ihr dort veröffentlicht habt, beschreiben?
REPHLEX hat diesen Stil als „Electronic Braindance“ betitelt, die Amerikaner nennen es gerne IDM. Im Plattenregal standen unsere Sachen immer unter „Electronica“. Chris hat diesen Begriff dann später in „Toytronica“ abgewandelt. Beschreiben möchte ich das nicht, weil das immer schief geht. Wen es interessiert, der kann auf twotoy.co.uk in der Rubrik Releases mal reinhören.
Wie waren die Reaktionen?
2000er-Auflagen waren immer alle in maximal vier Wochen weg. Die Kritiken in den Zeitschriften waren immer sehr gut. Alles in allem lief das ganz gut.
Auch bei Toytronic bist du deiner Vorliebe für Pseudonyme treu geblieben. Wäre es nicht sinnvoller, um seine unbändige Kreativität und die dafür aufgewendete Zeit zu bündeln, alles konsequent unter einem Namen zu veröffentlichen?
Verschiedene Namen geben dir mehr Freiheit. Gleich nach der ersten Veröffentlichung wird ein Projektname vom Hörer sofort auf einen bestimmten Sound und Stil festgenagelt. Das mache ich selber ja auch. Wenn ich jetzt gerade Lust habe, eine BASIC CHANNEL-Platte zu machen, dann kann ich da nicht DAS M drauf schreiben. Wenn du also der Erwartungshaltung des Hörers entkommen willst, dann musst du das Synonym wechseln.
Ist das Projekt GIMMIK die übergangslose Weiterführung von DAS M?
Nein, das sind völlig unterschiedliche Konzepte. DAS M ist ein Minimal-Projekt mit dem typischen Sound der frühen 80er. Das Grundgerüst von jedem Stück muss in maximal zwei Stunden stehen. Rhythmik und Melodie werden immer ganz bewusst so stark reduziert wie möglich. Eine DAS M-Produktion bedeutet immer minimalen musikalischen Aufwand und das Ganze dann im Retrosound. GIMMIK stellt das genaue Gegenteil dar.
2008 ist endlich die erste DAS M-Vinylplatte erschienen. Wie kam es zum Kontakt mit Jörg von Kernkrach und wie konnte er dich überzeugen, die alten Aufnahmen von DAS M wieder zu veröffentlichen?
Bis vor kurzem hatte ich kein einziges DAS M-Stück auf CD oder einer anderer digitaler Form. Das alles zu überspielen, war mir zu aufwändig. Im Herbst 2007 habe ich aus Spaß mal meinen Titel „Channel-Surfer“ gegooglet. Einfach um zu sehen, ob ich das nicht irgendwo runterladen kann. Ich habe nicht erwartet, dass ich überhaupt irgendetwas finde. Trotzdem bin ich in ein Forum gestolpert in dem über DAS M diskutiert wurde. Ich war sehr verwundert, dass das überhaupt jemand kennt. Dort hat man mir dann den Tip gegeben, mich mit dem Jörg mal in Verbindung zu setzen, weil der den Urheber der DAS M-Kassetten sucht. Er war sofort begeistert und wollte gleich eine Platte machen. Die Zusammenarbeit war klasse, weil Jörg mir freie Hand gelassen hat. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Er musste mich da nicht groß überreden, denn ich fand die Idee auch super.
Was hörst du aktuell für eine Musik?
Oldies aus den 50ern und alte Rock’n’Roll-Sachen. Das aktuelle COLDPLAY Album „Viva La Vida“ läuft rauf und runter, vor allem der Titelsong mit den Streichern ist klasse, das hat was von Michael Nyman und Yann Tiersen. Außerdem stehe ich auf die Produktionen von Brian Eno, diese verwaschenen Hallräume machen einen sehr breiten Sound. Rein elektronische Produktionen höre ich bis auf alte APHEX TWIN-Aufnahmen gar nicht mehr.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Carsten Vollmer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Carsten Vollmer