CHASTITY BELT

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Größere Pedalboards und Nebenjobs

Nach diversen Schicksalsschlägen und dem daraus resultierenden Tourabbruch 2018 schien das Seattler Damenquartett CHASTITY BELT nach etwas mehr als einem halben Jahrzehnt Bandgeschichte am Ende angelangt. Jetzt sind sie zurück auf der großen Bühne mit einem unbetitelten vierten Album, das neben dem gewohnt bittersüßen Post-Punk voller flirrender Gitarren mit einer dicken Schicht Synthie-Kitsch und Streichern überrascht. Was sich in der Zwischenzeit sonst noch so geändert hat, erzählt Drummerin Gretchen Grimm – und äußert sich überraschend politisch.

Eure letzte Tour vor zwei Jahren musstet ihr abbrechen, dieses Jahr habt ihr durchgehalten. Was ist anders gelaufen?

Wir haben inzwischen gelernt, unsere Kräfte sinnvoll einzuteilen. Wir wissen mittlerweile, wie wir Spaß haben können, ohne danach komplett erschöpft zu sein. Also haben wir jetzt eine kürzere Tour gespielt, zwischendrin auch Pausen eingeplant und gehen einfach nicht mehr ganz so in die Vollen wie davor.

Was kommt jetzt? Erst mal entspannen oder direkt zurück an die Arbeit?
Ja, ich muss schon arbeiten jetzt, als Babysitter und Aushilfslehrerin habe ich zwei Jobs, mit denen ich mich finanziell über Wasser halte. Außerdem werde ich auch noch an ein paar anderen Musikprojekten weiterarbeiten, die ich neben CHASTITY BELT so laufen habe. Danach weiß ich noch nicht – sich mal wieder treffen und ein paar Sachen für das nächste Album schreiben vielleicht, mal sehen.

Wie funktioniert das bei euch, gleichzeitig als Musikerinnen mit Alben, Touren und allem Drum und Dran zu arbeiten und parallel auch noch normale Jobs zu haben?
Ich bin da aber eigentlich hin und her gerissen, ob es nicht eher ein Vorteil ist, beides in Einklang bringen zu müssen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich ziehe mehr Sachen durch, je weniger Zeit mir zur Verfügung steht. Ich hatte auf jeden Fall Phasen, in denen ich gesagt habe, jetzt nehme ich mir mal ein paar Wochen oder ein paar Monate eine Auszeit und konzentriere mich komplett auf die Musik, und es ist mir dann immer so schwergefallen, mich zeitlich zu strukturieren und etwas Produktives auf die Reihe zu bekommen. Wenn ich aber feste Arbeitszeiten habe, bringt das irgendwie eine Art Flow rein, so: das ist mein freier Tag, den werde ich jetzt nutzen. Aber es wäre natürlich schon ein Traum, einfach nur Musik zu machen und davon leben zu können. Lydia Lund, unsere Gitarristin, ist schon seit etwa sieben Jahren Gärtnerin und liebt ihren Job. Den ganzen Tag draußen zu sein und mit Pflanzen zu arbeiten, das ist, glaube ich, wie eine Therapie für sie. Julia Shapiro, unsere Sängerin, die lange als Barfrau gearbeitet hat, hat jetzt gerade eine neue Stelle bei einer Plattenfirma und zieht dafür nach L.A. Bassistin Annie Truscott jobbt hier und da als Tagesmutter und ich glaube, sie mag das.

Wird Julias Umzug nach L.A. irgendwas für CHASTITY BELT ändern?
Annie lebt auch schon seit fast drei Jahren in L.A., jetzt ist es halt 50:50, ich denke also, es wird sich nicht allzu viel ändern. Beide halten ja auch den Kontakt nach Seattle. Vielleicht werden Lydia und ich auch ein bisschen öfter nach L.A. fahren. Wir haben unser letztes Album auch dort im Seahorse Studio aufgenommen und uns dabei richtig in diesen Ort verliebt. Also haben wir da unten schon ein lauschiges Plätzchen gefunden. Wir haben uns inzwischen schon irgendwie mit der Entfernung arrangiert. Ich bin glücklich in Seattle, ich bleibe hier.

Eurer Musik nach zu urteilen, scheinen Glück und Depression bei CHASTITY BELT doch recht nah beieinander zu liegen.
Ja, wir alle kennen die Dynamik zwischen diesen Polen. Ich versuche, mich inzwischen irgendwie mit meinen Stimmungsschwankungen zu arrangieren. Wenn ich depressiv bin, versuche ich, mich nicht darüber aufzuregen und dadurch nur noch depressiver zu werden, sondern auf mich aufzupassen. Ich versuche dann, an bessere Zeiten zu denken und vertraue darauf, dass die bald wiederkommen werden. Das ist echt schwer. Weil ich mir, wenn ich glücklich bin, gar nicht vorstellen kann, wie ich jemals nicht glücklich sein konnte, und umgekehrt. Aber diese Phasen gehen vorbei und fließen auch mal ineinander, also ... Wenn ich schreibe, geht es aber eigentlich oft um ganz alltägliche Erfahrungen und soziale Interaktion, das Emotionale begleitet das eher unterschwellig.

Du könntest dich an den Drums doch vor allen Dingen live so richtig austoben.
Ich bin da eher relaxt, ich gehöre nicht zu den Drummern, die schwitzend herumwirbeln. Für mich ist der körperlich anstrengendste Part eines Gigs eigentlich, das Drumset auf- und wieder abzubauen, haha. Ich konzentriere mich darauf, möglichst relaxt zu bleiben, weil ich so meiner Meinung nach am besten spiele. Die körperliche Komponente ist für mich eher, fokussiert zu bleiben und weniger, mich zu verausgaben. Wenn da verschiedene Parts zu spielen sind, verschiedene Rhythmen laufen, klickt es irgendwie in meinem Kopf und ich fühle, wie meine Gliedmaßen das einfach durchziehen, ich liebe dieses Gefühl.

Legst du beim Spielen Wert auf dein Equipment oder ist das für dich und die Band eigentlich nebensächlich?
Als wir angefangen haben, hatte noch niemand von uns irgendwelche Pedale, die Gitarren wurden einfach clean gespielt. Wir haben nie darüber nachgedacht, welche Instrumente wir spielen, wir haben sie einfach gespielt. Wenn wir damals Bands mit Pedalboards gesehen haben, dachten wir so: Warum haben die denn diesen ganzen Mist, was bringt das überhaupt? Inzwischen lieben wir alle Pedale und den ganzen Kram, wir kaufen immer mehr, Julia musste sich gerade erst wieder ein größeres Pedalboard zulegen, haha. Ich glaube, je mehr du weißt, desto mehr Zeug kannst und willst du ausprobieren. Es macht einfach eine Menge Spaß. Allerdings ist noch immer niemand von uns auf dem Trip, etwas ganz Bestimmtes haben zu müssen, so ticken wir einfach nicht.

Wie tickt ihr denn? Nicht nur als Musikerinnen, sondern auch als Teil der Gesellschaft?
Darüber habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht. Unsere Vorwahlen laufen ja gerade und das geht meiner Meinung nach in die komplett falsche Richtung. Mir stellt sich da immer wieder die Frage, wie viel ich wirklich als Individuum im Verhältnis zu Millionen anderen Menschen in meinem Land realistisch bewirken kann. Aber wir versuchen es einfach. Wenn du das jetzt auf unsere Band herunterbrichst, ist das eine Sache, die wir alle gelernt haben: Das Individuum und die Gruppe aufeinander abzustimmen. Wenn du 24 Stunden auf kleinstem Raum aufeinander hockst, gibt es einfach mal Momente, in denen du Zeit für dich brauchst, meistens lassen sich dann irgendwo auch Kompromisse finden. Es ist immer wieder ein Abwägen von individuellen Bedürfnissen und den Bedürfnissen anderer. In der Band können wir inzwischen auch ganz gut darüber reden und uns aufeinander abstimmen. Auf größerer gesellschaftlicher Ebene funktioniert das natürlich nicht so einfach. Unser Land ist so riesig, es gibt so viele Subkulturen und es ist echt leicht, sich auf ein hohes Ross zu schwingen und, wenn du wie ich wohl behütet bildungsbürgerlich großgeworden bist, zu sagen: Oh diese Idioten, wie können die nur so ticken? Sie sind einfach unter ganz anderen Bedingungen aufgewachsen, wir leben einfach komplett andere Leben. Und unser Land ist so groß, dass es schwer wird zu sehen, wie anders manche Menschen hier leben. Wie soll man da ein gemeinsames in sich geschlossenes Wertesystem haben? Das fängt schon in den Städten mit den einzelnen Vierteln an, es gibt da riesige Unterschiede, wozu Menschen Zugang haben und wovon sie beeinflusst werden.

Können die nächsten Wahlen deiner Meinung nach etwas daran ändern?
Ich hatte eigentlich gehofft, dass die Leute nach Trump eine radikalere Veränderung befürworten würden, also jemanden wie Bernie Sanders, der die Reichen mal endlich zur Verantwortung ziehen würde. Aber alle scheinen einfach nur noch Angst zu haben und weniger über notwendige Neuerungen nachzudenken. Alle sagen so: Oh, wir wollen einfach nur jemand, der Trump auf jeden Fall schlägt. Oder wir wollen einfach nur einen Demokraten, weil wir unser politisches System nicht durcheinanderbringen sollten. Aber unser politisches System ist einfach nur dämlich, das darf so nicht bleiben. Das ist schon deprimierend. Unabhängig davon hoffe ich, dass Trump nicht noch mal vier Jahre Präsident sein wird. Aber ich hätte mir eine radikalere Veränderung als das gewünscht.