CASTRO

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Neue norwegische Punk-Veteranen

CASTRO ist der Name einer neuen norwegischen Band, bestehend aus Veteranen der dortigen Punk-Szene, die man auch als direkte Nachfolger der inzwischen aufgelösten ISRAELVIS ansehen kann. Denn mit den Gitarristen Morten und Viggo und Schlagzeuger Jens-Petter sind hier alleine drei ehemalige ISRAELVIS-Mitglieder vertreten, neben Bassist Karl-Martins (ex-THE SCHOOL) und der früheren LIFE... BUT HOW TO LIVE IT-Sängerin Katja Osvold, die bereits auf dem ISRAELVIS-Album „Church Of Israelvis“ von 1995 als Gastsängerin auftauchte. Aktuell erschien auf Boss Tuneage nach der Debüt-7“-EP „Hidden Agenda“ mit „The River Need“ auch der erste Longplayer der Norweger.

Viggo, du schreibst immer noch den Hauptanteil der Musik und Texte, verzichtest aber diesmal auf den Posten als Sänger. Warum?


Viggo: Hauptsächlich, weil Katja als Sängerin besser und spannender ist, als ich jemals sein werde. Sie gibt der Band eine neue Dimension, die ISRAELVIS nie hatten. Außerdem bin ich ausgesprochen zufrieden damit, mich auf meine Gitarre und das Songwriting konzentrieren zu können.

Außerhalb Norwegens war Katja seit Jahren so ziemlich vom musikalischen Radar verschwunden. Wie kam sie zur Band, die ja damals noch unter den Namen ISRAELVIS lief?

JP: Ich glaube, sie hatte bereits drei Songs auf dem Album „Church Of Israelvis“ gesungen und wir wollten schon immer dieses Material live mit ihr spielen. Als wir dann vor dem Festival-Auftritt einen neuen Song schrieben, fragten wir sie, ob sie den auch singen wollte, und sie sagte ja. Nach dem Gig fanden wir alle, dass wir weitermachen sollten, also taten wir es. Als Band gibt es uns demnach schon seit einigen Jahren, aber wir hielten uns zurück, bis wir das erste Material aufgenommen hatten.

Wie läuft der Songwriting-Prozess ab? Müsst ihr immer noch zu den Proben fliegen, weil die einzelnen Mitglieder so weit auseinander wohnen?

Viggo: Wir leben weiterhin in drei verschieden Städten – Oslo, Trondheim und Kristiansand –, zwischen den beiden letztgenannten liegt eine 16-stündige Autofahrt. Wir proben also nicht jede Woche, sondern alle zwei Monate, meistens in Oslo. Ich schreibe die meisten Songs zu Hause, Änderungen und Arrangements ergeben sich dann während der Proben. Die Entfernung zwischen uns bedeutet auch, dass wir keine Zeit verschwenden und nur mit Songs und Ideen arbeiten, die auf Anhieb gut klingen. Das heißt, dass wir alles so einfach wie möglich halten und nicht Stunden auf komplexe Arrangements verwenden.

Und warum war ein neuer Name notwendig?

JP: Wir waren ISRAELVIS ein wenig überdrüssig und wollten dazu in der Lage sein, mehr neue Stücke zu schreiben, die sich auch von ISRAELVIS unterscheiden durften. Wir konnten nicht wirklich weitermachen als ISRAELVIS mit einer neuen Sängerin und dem ganzen neuen Material.

Habt ihr mit einem Produzenten gearbeitet? Wie liefen die Aufnahmen ab?

JP: Die „The Hidden Agenda“-EP wurde mit Bjarte Lund Rolland, dem Gitarristen von KVELERTAK, aufgenommen. Beim Album „The River Need“ unterstützte uns Ruben Willem, der früher bei der norwegischen Hardcore-Band HAUST spielte. Beide wurden von John Fryer abgemischt, mit dem ich schon ein paar Mal zusammengearbeitet habe. John hat in den Achtzigern viel für 4AD gemacht, produzierte COCTEAU TWINS und andere 4AD-Künstler. Er hat auch NINE INCH NAILS produziert und mit tonnenweise anderen Bands gearbeitet – WIRE, SWANS, DEPECHE MODE und RADIOHEAD, um nur einige zu nennen. Aber für uns ist er in erster Linie ein Typ, den wir kennen und der rein zufällig ein verdammt guter Mixer ist. So gesehen wurde das Album also nicht wirklich produziert, John hat es lediglich abgemischt.

Viggo und Jens-Petter, ihr spielt seit dreißig Jahren zusammen, zuerst bei ANGOR WATT, dann ISRAELVIS und jetzt bei CASTRO, wie geht das?

Viggo: Na ja, ich denke, wir kennen unsere jeweiligen Schwächen und Stärken, wenn es darum geht, was musikalisch funktioniert. Also wissen wir auch, was wir von einander erwarten können, und wir sind immer noch die besten Freunde nach dreißig Jahren und hunderten von Songs. Morten sollte auch nicht unerwähnt bleiben, da er bereits seit zwanzig Jahren mit uns beiden Musik macht. Ich denke, man kann ruhig sagen, dass wir eine starke musikalische Einheit bilden, mit einen hohen Wiedererkennungswert, wenn es darum geht, wie wir interagieren.

JP: Das Lustige ist, dass Viggo und ich schon immer sehr unterschiedliche Ideen hatten, wenn es um Musik und Sound ging. Abgesehen von einer kurzen Periode im Jahr 1986, als wir ein Demo für ein Album aufnahmen, das sehr von SACRILEGE und METALLICA inspiriert war. Aber wie Viggo sagt, wir sind immer die besten Freunde geblieben, und wenn es darum geht, was eigentlich das Wesentliche beim Musikmachen ist, dann haben wir eine sehr ähnliche Vision. Aber eines hat sich auch nach dreißig Jahren nicht geändert: Wenn Viggo ein neues Riff präsentiert, höre ich es fast immer anders als er selbst, wenn es um den Rhythmus des Riffs geht. Manchmal versuche ich mit Absicht, es auf dem Schlagzeug „falsch“ zu spielen, nur um zu checken, ob es vielleicht das ist, was er meinte. Ich schätze, das ist eine Sache, die sich nie ändern wird.

Wie stehen die Chancen, die Band live zu erleben, ohne nach Norwegen fliegen zu müssen?

JP: Tja, das wissen wir nicht, es ist eine Frage des Zeitmanagements, mehr noch als alles andere.

Norwegen gilt nach wie vor als eines der reichsten Länder der Welt, wie lebt es sich dort heutzutage?

Viggo: Norwegen ist wirklich eines der reichsten Länder. Wir können nur bestätigen, dass es in vielerlei Hinsicht ein Privileg ist, hier zu leben. Man könnte so viel über Norwegen erzählen, aber ich denke, dass wir sehr wohl wissen, dass unser Wohlstand zumindest teilweise auf Kosten anderer geht. Oder wie Solomon Burke sagte: „As long as one of us is chained, none of us are free.“

JP: Ich bin arbeitslos, also lebe ich von den Ölpfützen, die von wohlhabenden Norwegern hinterlassen werden. Abgesehen davon gibt es keinen Zweifel daran, dass wir uns glücklich schätzen können, in diesem Land zu leben, wenn es um die Ökonomie geht. Aber unsere neue rechtskonservative Regierung gibt sich alle Mühe, das zu ändern.

Das Bombenattentat im Zentrum von Oslo und das Massaker auf der Insel Utøya liegen jetzt mehr als drei Jahre zurück. Ich denke, dass die internationale Gemeinschaft damals den Eindruck bekam, dass die norwegische Bevölkerung sich sehr ruhig verhielt, man hat sich nicht willkürlich auf die Suche nach Sündenböcken gemacht . Seht ihr das auch so?

Viggo: Ja, ich würde dem zustimmen und hinzufügen, dass es in den Wochen, die auf die Terrorangriffe folgten, ein starkes Gefühl von Zusammenhalt gab, anstatt von Hass. Wobei sich das vielleicht anders entwickelt hätte, wenn der Terrorist nicht so schnell gefunden und festgenommen worden wäre. Es ist immer noch schwierig, viel darüber zu sagen, was tatsächlich passierte, auch drei Jahre danach. Eine Herausforderung ist natürlich, dass so viele Menschen betroffen sind und für den Rest ihres Lebens mit den physischen und psychischen Wunden zurechtkommen müssen. Der Song „Indigo“ auf dem neuen Album könnte man als unseren Kommentar zu dem Thema verstehen.

Euer damaliger Premierminister Jens Stoltenberg bekam ebenfalls sehr viel positives Feedback für sein Krisenmanagement in der Zeit danach. Wie seht ihr seine Rolle? Und was denkt die norwegische Bevölkerung darüber, dass so ein „Mann der Besinnung“ jetzt neuer NATO-Chef wird?

Viggo: Seltsamerweise scheinen die meisten darin keinen Widerspruch erkennen zu können. Vielleicht hoffen sie, dass Stoltenberg der Richtige ist, um die NATO so human zu führen, wie es irgend möglich ist. Und vielleicht kann er das tatsächlich, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er jetzt Chef einer potenziellen oder tatsächlichen Kriegsmaschinerie ist, deren Aufgabe es ist, den reichsten Teil der Welt zu verteidigen. Wahrscheinlich wird er also während der nächsten Jahre sehr viel mehr Probleme schaffen, statt sie zu lösen. Einen möglichen Vorteil sehe ich jedoch: Vielleicht wird sein gesprochenes Englisch so endlich besser, viel Hoffnung mache ich mir allerdings nicht.