BUFF MEDWAYS

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Billy Childish: Alles selbstgestrickt

Die Person Billy Childish in den wenigen Zeilen einer Intervieweinleitung zu umreißen, ist denkbar schwer. Der sympathische Schnauzbartträger, der Anfang des Jahres in Köln weilte, um in Begleitung von Damaged Goods-Labelboss Ian Interviews zum neuen Album seiner derzeitigen Band THE BUFF MEDWAYS zu geben, ist seit den frühen Tagen des britischen Punks musikalisch aktiv. Unter anderem mit den POP RIVETS, MILKSHAKES, MIGHTY CAESARS und natürlich THEE HEADCOATS, die uns durch die gesamten 90er begleiteten. Mit denen, wie mit den Bands davor, danach und daneben pflegte und pflegt er einen Sound, der sich durch Kompromisslosigkeit und Verweigerungshaltung gegenüber glatter Studioproduktion auszeichnet, der „Garage“ war, als alle anderen darunter nur den Abstellplatz für ein Kraftfahrzeug verstanden. Aber Childish ist nicht nur Musiker und Sänger, er ist Allround-Künstler, Maler, Bildhauer, Schriftsteller, ein unglaublich kreatives Energiebündel, dessen Output selbst für seine hartnäckigsten Fans kaum zu überblicken ist. Eine knappe Stunde unterhielt ich mich mit dem äußerst sympathischen Kerl, der sich entgegen meiner Befürchtungen als nicht im geringsten schwierig erwies, ja es machte Spaß, sich mit so einem eigenwilligen. schlauen Kopf zu unterhalten.

Billy, zu allererst würde mich ja der Hintergrund des Namens deiner aktuellen Band interessieren: THE BUFF MEDWAY, das ist die Bezeichnung einer alten Hühnerrasse, wie ich gelesen habe ...


„Ja, und das Ganze fing damit an, dass ich mich als Kind zusammen mit einem Freund für die Geschichte meines Heimatortes Chatham interessierte und wir dabei die dortigen Festungsanlagen ergründeten. Die haben was mit den Werften dort zu tun, die zu den ältesten Englands gehören, die gehen zurück bis ins elisabethanische Zeitalter, aber auch die Römer hatten dort schon eine Festung. Das war, wie gesagt, in meiner Kindheit, und später wurde mein Freund dann von der Gemeinde zum Verantwortlichen für eines dieser Forts ernannt, ein sehr großes aus der Zeit Napoleons. Der kam irgendwie auf die Idee, wieder eine alte Hühnerrasse namens Buff Medway zu züchten, die es nur eine recht kurze Zeit vom Ende der viktorianischen Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg gab. Es war eine Rasse, die besonders viel Fleisch gab, die eher wenig Eier legte und den Bedürfnissen des Londoner Hotelmarktes entsprach. Er fand heraus, dass es die meisten der Rassen, aus denen dieses Huhn gezüchtet worden war, noch existierten, und weil wir diese Idee der Nachzüchtung interessant fanden, beschlossen wir ihn zu unterstützen und etwas Geld für das Projekt aufzutreiben. Und so kam es zum Namen der Band. Leider wurden ein paar von den ersten Hühnern von Füchsen gerissen, und dann sollte er seine Zuchtstation aus dem Fort entfernen, weil die Hühner angeblich Ratten anzögen. Deshalb liegt das Projekt, das wir anfangs mit einem Anteil unserer Eintrittsgelder unterstützten, derzeit auf Eis.“

Interessierst du dich denn generell für solche historischen und Naturschutz-Themen?

„Durchaus! Ich war schon sehr früh Mitglied der britischen Green Party, und wenn du mal eine der alten HANGMEN-Platten rauskramst, findest du da Aufrufe, die Green Party und Friends Of The Earth zu unterstützen. Und ja, ich mag wilde Tiere und Bäume sehr gern.“

Was hat es mit den immer wieder im Artwork deiner Platten auftauchenden alter Uniformen auf sich?

„Das hängt mit meinem Interesse zusammen, Sachen selbst zu machen, etwa Kleidung. Ich kenne viele Leute, die selber Kleidung entwerfen und herstellen, und die wiederum haben recht oft mit Uniformen zu tun, weil es da eben einen recht großen Markt dafür gibt, historische Uniformen und so. Die verwenden dafür sehr viel ‚echte‘ Materialien, Wolle, Leinen und so. Nimm etwa diese Hose, die ich gerade trage, die hat ein Freund von mir gemacht. Das ist eigentlich eine britische Armeehose aus dem Ersten Weltkrieg, die ist aus einem Wollstoff, den er extra hat herstellen lassen. Mir ist es einfach lieber, wenn ich weiß, wer meine Hosen gemacht hat und ich sicher sein kann, dass es nicht Kinder in der Dritten Welt sind. Den Pulli, den ich trage, hat meine Mutter gestrickt, und das T-Shirt hat auch ein Bekannter genäht. Das sind alles natürliche Materialien, die handwerklich sauber verarbeitet wurden. Und dass es da eine Verbindung zu Uniformen gibt, das ist eher Zufall. Dass wir als Band Uniformjacken tragen, das ist ja nun auch wieder nichts neues, das lässt sich zurückverfolgen bis zu den DAGGERMEN, der früheren Band meiner Mitstreiter.“

Gibt’s denn da irgendwelche Verbindungen zur Mode-Industrie, die ja in London allgegenwärtig ist?

„Nein, eigentlich nicht. Diese großen, bekannten Bands, die lassen sich ja gerne Kleidung auf den Leib schneidern, während wir dann doch die Punk-Variante der Second Hand-Kleidung bevorzugen. Die Kleidung, die ich trage, und die Materialien, die ich bevorzuge, die passen nicht zur Modeindustrie, denn sie sind eher funktional und haben mit Mode nichts zu tun. Die Leute, die meine Kleidung herstellen, sind Ein-Personen-Unternehmungen, das Äquivalent zu dem, was wir musikalisch machen. Ich mag echte, wirkliche Dinge: Warum muss man Kunstfasern entwickeln, die nachahmen, was natürliche Wolle auch kann?“

Du erwähntest es eben: Deine Musik entspricht dem, und das seit über 25 Jahren.

„Ja, ich mag es eben, wenn etwas entweder billig und müllig gemacht oder in exzellenter Qualität gemacht ist. Nimm zum Beispiel meine Bücher, etwa den neuen Roman ‚Sex Crimes Of The Futcher‘: Wir verwenden da nur bestes Papier, für den Einband echtes Leinen, darum einen siebgedruckten Umschlag, den eine kleine Druckerei bei uns um die Ecke herstellt, und so weiter. Wenn ich das Buch nicht selbst über Hangmen Books veröffentlichen würde, sondern über einen großen Verlag, wäre das gar nicht möglich: Die haben zwar viel mehr Geld, würden es aber niemals für so etwas ausgeben. Und trotzdem schaffen wir es, unser Buch zum gleichen Preis zu verkaufen, den die für ihren Müll wollen. Was ich damit sagen will? Ich denke, es ist ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft. Mein Problem mit unserer Gesellschaft ist nicht, dass sie materialistisch ist, sondern dass sie rein verbrauchsorientiert ist, und so eine Einstellung wendet sich gegen das Leben als solches. Und da wiederum kann man den Bogen schlagen zu Kleidung als reiner Mode, zu Musik als Mode. So eine Einstellung führt zu nichts. Nimm etwa das Beispiel Papier: Vor zehn Jahren gab es in England noch einen Hersteller feinsten Hanfpapiers, von dem ich Papier für meine Bücher kaufte. Den gibt es heute nicht mehr, einfach weil jeder Verlag beim Papier noch mal zehn Pence pro Buch sparen will. Und so versuche ich nach Möglichkeit immer die Leute zu unterstützen, die das Richtige tun.“

Wie schwer ist es, so eine, ja, radikale Einstellung so lange durchzuhalten? Auch vor dem Hintergrund, dass gerade in letzter Zeit dein Name immer wieder in Zusammenhang mit richtig großen Namen wie den WHITE STRIPES oder sogar Kylie Minogue erwähnt wurde.

„Haha, ja, erwähnt und gemocht werde ich von vielen, aber das kostet die nichts. Die sollten besser mal meine Lieder covern, dann hätte ich wenigstens was davon. Aber das wiederum hängt damit zusammen, dass viele Leute und Bands sagen, dass sie mich mögen, aber ich das nicht unbedingt von denen behaupten kann. Aber das führt wenigstens dazu, dass jetzt Virgin Books meine ersten beiden Romane veröffentlichen will und ich mit dem Geld mein nächstes Buch finanzieren kann. Die zusätzliche Publicity hilft dann wenigstens, meine Sachen zu verkaufen. Aber um auf deine Fragung zurückzukommen: Nein, es ist nicht schwer, ich mache einfach nur, was ‚natürlich‘ für mich ist. Ich gehe einfach nicht zu den entsprechenden Partys, sage nicht, dass ich Musik mag, die ich eigentlich nicht mag, mache einfach nichts, was ich nicht wirklich tun will. Unlängst wurde ich zum Beispiel gefragt, ob ich nicht bei ‚Celebrity Big Brother‘ teilnehmen will, und es fiel mir überhaupt nicht schwer, da nein zu sagen. Ich habe ja nicht mal einen Fernseher! Ich habe mir das neulich mal bei Freunden ein paar Minuten angeschaut, und das ist totaler Müll. Okay, finanziell gesehen ist so eine Einstellung, wie ich sie pflege, manchmal etwas schwierig, aber dann wiederum kommt es darauf an, was dein Ziel ist. Klar, ich hätte Big Brother machen können und das durchstehen, ohne meine Einstellung im geringsten zu ändern, doch ich will das einfach nicht. Ich sehe das ganz realistisch, und wenn die Musikindustrie mir Geld geben würde dafür, dass ich meine Platten genau so mache, wie ich sie machen will, dann würde ich das Geld nehmen. Aber das wollen die eben nicht, die wollen nicht so einen schrägen Vogel wie mich.“

Aber warum funktioniert das dann mit einer Band wie den WHITE STRIPES? Ohne dir zu nahe treten zu wollen: Die machen doch letztendlich nichts, was sich groß von dem unterscheidet, was du seit 25 Jahren machst. Aber: Sie geben den Medien, was die wollen.

„Das Ding mit den WHITE STRIPES ist: Die sind einfach nicht so gut wie wir. Das ist der Hauptunterschied. Und was immer sie machen: Sie werden nie haben, was wir haben. Ganz zu Beginn ihrer Karriere fragten die mich mal, ob ich nicht was mit ihnen zusammen machen würde, irgendwas im US-Fernsehen, und ich war nicht abgeneigt, doch es wurde nie was draus. Und wir haben später auch mal zusammen gespielt, sie und die BUFF MEDWAYS. Da war der kleine Unterschied, dass sie eine 15.000 Watt-PA hatten und wir eine mit 1.000 Watt. Im gleichen Konzertsaal, beim gleichen Konzert. Und die nahmen auf, wo wir aufgenommen haben, und wo wir zwei Tage brauchten, bis die Platte im Kasten war, brauchten die zweieinhalb Wochen. Die tragen weiß-rote T-Shirts und bekommen gesagt, sie hätten so unglaublich Stil – doch dabei haben die gar keinen. Und Jack ist ein Poser, nicht charismatisch, und das ist keine Beleidigung, es stimmt einfach, er ist nicht charismatisch. Das ist nur die Projektion, die auf ihn angewandt wird. Genau wie, dass sie so gut seien wie Robert Johnson. Aber das ist eben nicht die Wahrheit. Dabei kann ich den WHITE STRIPES keinen Vorwurf machen, die haben sich eben zu diesem Zeitpunkt auf diese Weise musikalisch ausgedrückt, doch leider setzte dann eine Massenhysterie wie bei den BAY CITY ROLLERS ein. Die haben das Gefühl, da ist etwas echtes, lebendig und aufregend. Ich dagegen bin ein schwieriger Typ, unorganisiert und kompliziert im Umgang. Was aber den wirklichen Unterschied zwischen uns und den WHITE STRIPES ausmacht: Wir haben uns immer bemüht, den Meter zwischen uns und dem Publikum zu überbrücken, während die sich auf den direkten Weg Richtung Stadion machten. Und wir sind nicht daran interessiert, mit Richard Branson Champagner zu saufen, im Gegensatz zu den WHITE STRIPES. Und noch was: Die WHITE STRIPES haben das LED ZEPPELIN-Problem. Ich habe damals eine Band gegründet, weil ich LED ZEPPELIN ablehnte. Mag ja sein, dass LED ZEPPELIN guten Geschmack und einen guten Sound haben, aber verdammt, mit ihrer Herangehensweise an den Blues ist ganz grundsätzlich was nicht in Ordnung. Und so ist es auch bei den WHITE STRIPES. Sie haben einen guten Sound, klasse Schlagzeug. Aber es geht bei ihnen um das Stadion, und bei uns um die Hinterzimmer dunkler Kneipen.“

Ich muss ja gestehen, dass ich paar Jahre brauchte, bis ich deine Bands zu schätzen wusste. Als mir Kidpunk vor 20 Jahren jemand im Plattenladen die MILKSHAKES vorspielte, habe ich nicht kapiert, was der von mir wollte, was daran so toll sein sollte.

„Hahahahaha! Sowas habe ich schon mal gehört. Aber eigentlich gab es bei meinen Bands nie ein Nachwuchsproblem, wir hatten schon immer auch sehr junge Leute im Publikum, bei den HEADCOATS waren manchmal sogar Familien mit drei Generationen bei Konzerten. Aber ich gestehe ein, dass jemand, der etwas älter ist, unsere Musik auf der rationalen Ebene möglicherweise besser versteht. Und die Mehrzahl unserer Publikums dürfte sich so im Altersbereich zwischen 25 und 30 bewegen. Aber es gibt immer auch 17-jährige, und welche in meinem Alter jenseits der 40 – ich bin 45 – und ein paar Sechzigjährige. Besonders schön ist das immer mit den ganz jungen Fans, die können immer gar nicht glauben, dass es solche Bands und solche Musik überhaupt noch gibt. Für die sind wir so was wie eine Kuriosität, wir sind eine Band, aber haben keinen Fahrer, keine Roadies, keinen Merchandiseverkäufer, keinen Manager. Das ist, als ob dir im Kuriositätenkabinett die Dame mit dem Vollbart vor der Vorstellung die Zuckerwatte verkauft, hahaha. In unserem Fall wäre das Wolf, der Drummer. Und die Kids starren auch immer ganz ungläubig unser Equipment an. Das sah schon vor 20 Jahren bei den MILKSHAKES so aus, als ob man darauf unmöglich Musik machen kann. Die sind dann nach dem Konzert erstaunt, dass das tatsächlich geklappt hat, die denken, solche simplen Instrumente sind gar nicht mehr erlaubt, und finden es dann sehr befreiend, dass das sehr wohl geht. Wer weiß, vielleicht war ja vor 15 Jahren auch Jack von den WHITE STRIPES mal bei einem unserer Konzerte in den USA im Publikum. Deshalb ziehe ich ihn auch jedes Mal, wenn ich ihn treffe, damit auf: ‚Jack, ihr müsst endlich mal einen Song von mir covern!‘. Genau wie die Typen von den LIBERTINES und CHARLATANS, die immer sagen, wie toll sie meine Bands finden, aber wenn es darum geht, dass sie mal einen Song von mir covern und ich auch was davon habe, dann kommt nichts mehr. Da haben dann Manager und Label mehr über die Musik zu entscheiden als die Bands selbst. Oder Graham von BLUR: Da drückt man seine Bewunderung aus, zieht sich seine Einflüsse, aber gibt nichts zurück in Form eines Covers. Ich finde das nicht sehr respektvoll. Da waren die ROLLING STONES ganz anders: Die haben viel gecovert und damit klar gesagt, was Sache ist.“

Wenn ich es mal ganz offen sagen darf: Du machst doch eigentlich seit über 25 Jahren immer die gleiche Musik. Oder ...?

„Das ist ein Mythos, an dem ich selbst fleißig mitgestrickt habe. Einigen wir uns darauf, dass es um Rock’n’Roll geht. Dann müssen wir nicht über meine Poetry-Platten, die Blues-Scheiben, die Kinder-Schallplatten und die Klassik-Alben sprechen. Okay, alle Platten sind auf die gleiche Weise entstanden, das gebe ich zu. Das Ziel ist immer, sich auf keinen Fall weiterzuentwickeln, so zu klingen, als ob das, was du da gerade aufnimmst, deine erste Platte ist. Tom Hazelmeyer, der Amphetamine Reptile Records gemacht hat, hat mich vor zwei Jahren mal angesprochen und den Wunsch geäußert, die BUFF MEDWAYS in den USA auf seinem reaktivierten Label zu veröffentlichen. Er sagte, unsere Platte ‚Steady The Buffs‘ sei das Beste, was er je gehört habe. Er fragte mich, wie es denn sein könne, dass man als Musiker erst nach 25 Jahren seine beste Platte mache. Und ich antwortete ihm, das liege daran, dass wir einfach nichts dazulernen, dass wir uns nicht bemühen, uns weiterzuentwickeln. Sich weiterzuentwickeln, ist immer ein Fehler. Das ist der Grund, warum wir so viel beschissene Architektur um uns herum sehen, weshalb die Menschen ständig etwas neues erfinden müssen, besessen sind vom Gedanken der Originalität. Originalität wiederum wird meist als Entschuldigung für den Reiz des Neuen genommen, dafür, dass man etwas verändert, das nicht verändert werden muss. Stattdessen werden die Küchen unserer Häuser alle zwei Jahre umdekoriert, statt sie zu lassen wie sie sind, und dann stellt man nach 40 Jahren erstaunt fest, wie toll die doch 40 Jahre zuvor aussahen. Und weil wir Musik machen wie vor 30 Jahren sagt uns jetzt jeder, wie brillant wir doch sind. Dabei ist es so: Wenn wir absichtlich versuchen würden, unsere Platten nach erstem Album klingen zu lassen, würde das nicht klappen. Und so bekommen wir bis heute Rezensionen, wo frustrierte Lehrer, die sich als Musikjournalisten versuchen, sich darüber ereifern, dass wir klingen würden wie eine Horde wütender 15-Jähriger. Sowieso sind die Rezensionen sehr aufschlussreich: Seit 20 Jahren fangen alle Reviews gleich an, beschreiben die Musik und enden mit dem Fazit, das sei doch alles Müll. Doch seit zwei Jahren ist das Fazit ein anderes, bei gleicher Beschreibung der Musik: Mir scheint, da haben ein paar Leute kapiert, worum es uns geht, dass die Platte nicht aus Versehen so klingt, wie sie klingt. Ich meine, zu MILKSHAKES-Zeiten waren wir uns doch bewusst, was SPANDAU BALLET machen, und wir klangen absichtlich nicht wie WHAM!, und genau deswegen klingen wir heute absichtlich so.“

Kann man diesem Bestreben, jede Platte so zu machen, als sei es die erste, auch in Bezug zu deinem Namen setzen? Childish heißt ja kindisch, kindlich, womit ja auch eine große Unbefangenheit assoziiert wird.

„Also den Namen hat mir ein Kumpel 1977 verpasst: Ab da hieß ich nicht mehr Gus Claudius, sondern Billy Childish. Vielleicht hat der Name ja was mit meiner Herangehensweise zu tun, und er beschreibt meinen Charakter schon ganz gut. Ich denke, wenn man uns in ein paar Jahren rückblickend betrachtet, wird man feststellen, was für ein breites Spektrum wir abdecken, welch Energie die Platten haben. Denn wenn sie diese Energie nicht hätten, würdest du nicht hier sitzen, würden nicht die Kids zu unseren Konzerten kommen. Energie ist die Essenz des Lebens, der Musik, und nicht meisterhafte Instrumentenbeherrschung, musikalische Finesse. Ich glaube an Devolution, in politischer, gesellschaftlicher und musikalischer Hinsicht. Ein Beispiel: Grüner Tee. Ich trinke gerne Grünen Tee, er ist gesund und schmeckt. Die Menschen trinken ihn seit tausenden von Jahren. Und was macht der trendige Großstadtmensch von heute? Der erkennt das auch, aber er findet, dem Grünen Tee fehlt etwas, zum Beispiel fünf verschiedene künstliche Geschmackszusätze. Also kauft er sich tolle Trendgetränke, doch dadurch wird der Tee nicht besser, sondern scheiße. Genauso ist das mit Bier: Das wird seit hunderten von Jahren hergestellt, ganz simpel, mit ein paar wenigen Zutaten. Und was macht man heute? Kippt irgendwelches Zeug dazu, damit es billiger in der Herstellung ist. Und so weiter, es gibt unzählige Beispiele dafür. Mein Gegenentwurf ist: Mach es selber. Lass dir von deiner Mutti einen Pullover stricken. Oder noch besser, Punk: Lern selber stricken!“

Du erwähntest vorhin schon eure alten Verstärker und Instrumente ...

„Ja, auch das entspricht dieser Philosophie: Diese ganzen neuen Dinger braucht doch keiner, die alte Technik hat doch wunderbar funktioniert. Doch heute haben wir das Problem, dass es plötzlich angesagt ist, mit altem Original-Gear zu spielen, und wir kommen kaum noch an welches ran, weil andere die Sachen teuer kaufen und ins Museum stellen wollen. Uns geht es aber nur um den Sound und den Reiz an der Musik, wir wollen uns nicht entwickeln, weiterkommen. Oder, wie es die POP RIVETS mit ihrer letzten Platte sagten: ‚We’re going nowhere and we’re going fast.‘ Das kann ich auch heute noch unterschreiben. Und Ehrgeiz haben wir auch nicht. Was wir tun, tun wir nicht für das Heute, sondern für das Morgen. Damit später mal jemand zurückblicken und sagen kann: Zumindest ein paar Leute hatten damals Geschmack, das ist gut, das greife ich auf. Wir sind Traditionalisten, wir sind ‚preservationists‘, daran glauben wir, nicht an billige Gimmicks.“

Ihr seid Konservative.

„Exakt, nur eben nicht in politischer Hinsicht. Zu bewahren macht mehr Sinn, als zu verbrauchen. Alte Gebäude statt neuer Parkplätze. Alte Handwerksarten statt billiger Industrieprodukte.“

Wie findest du Zeit für all das, was du tust? Du bist Maler, Musiker, Autor ...

„Also ich bezog fünfzehn Jahre lang Arbeitslosenhilfe, das half gewaltig. Und ich bin schnell, so ist mein Charakter. Wenn ich etwas tun will, dann mache ich das sofort und schnell, bin nicht zu bändigen. So bin ich veranlagt, andere sind da anders. Und ich erwarte auch nicht, dass andere genauso sind. Ich bin einfach schnell von etwas gelangweilt und brauche dann eine neue Beschäftigung. Und ich verschwende keine Zeit damit zu grübeln, ob ein neues Album ein einzigartiges, geniales Werk ist. Ich denke nur darüber nach, ob ich Lust darauf habe und Spaß daran, es zu machen, und das ist auch schon alles, der Rest kommt von allein. Das Geheimnis von Kreativität ist, dass die von alleine kommen muss, man muss sie nur zulassen. Wenn man sich entspannt, schreibt sich ein Song ganz von allein. Und so ist es auch mit dem Malen. Wenn man sich dagegen zu viele Gedanken macht, blockiert man sich nur selbst. Und man muss sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf den Punkt kommen. So kann ich ein Bild in einer Stunde malen, lasse es etwas stehen und verändere später nur noch einen Pinselstrich, damit es perfekt ist. Denn Perfektionisten sind wir durchaus auch als Band, selbst wenn das kaum jemand weiß und merkt: Wir lassen die Dinge sich entwickeln und geben ihnen dann den entscheidenden Touch. Dabei liegt der Spaß im Schaffen von Neuem, im kreativen Prozess, der ist kommunikativ, und aus der Arbeit mit anderen Menschen lernt man. Und wenn man nicht zufrieden ist, unternimmt man eben einen neuen Anlauf. Und um noch mal auf deine Anmerkung zurückzukommen, dass sich unsere Musik immer irgendwie gleich anhört: Eine Kartoffel ist eben eine Kartoffel, an der muss man nichts verändern, oder? Wenn Leute daraus ableiten, dass sich unsere Musik sehr stark ähnelt, dann antworte ich immer, dass eine Kartoffel eben eine Kartoffel ist.“

Es gab mal einen Songtitel bei THEE HEADCOATS namens „The Messerschmitt pilot’s severed head“. Was hat es damit auf sich?

„Das basiert auf einer Geschichte, die mir mein Vater als Kind mal erzählt hat und die er wiederum als Kind erlebte: Da war im Zweiten Weltkrieg in der Nähe des Hauses seiner Großeltern eine ME 109 abgestürzt, und er sah, wie ein paar anderen Kinder Fußball spielten mit dem abgetrennten Kopf des Piloten. Die Geschichte findet sich auch in einem meiner Bücher. Ich hatte auch schon mal darüber nachgedacht, eine Fortsetzung mit dem Titel ‚Achtung Spitfire‘ zu schreiben. Einen deutschen Song hatten wir ja schon mal, ‚Punkrock ist nicht tot‘.“

Ist da so eine gewisse Faszination hinsichtlich der deutschen Sprache?

„Ich verspüre schon eine große Affinität zu Deutschland. Woher die kommt, weiß ich nicht. Ich verstehe Deutsch ganz gut und finde das einfacher als andere Sprachen. Ich mag deutsche Kunst, etwa Die Brücke. Die Deutschen haben ja den Ruf, so steif und verklemmt zu sein, aber gleichzeitig sind sie auch so gefühlsgeladen, sie haben so eine gewisse Energie, und das spricht mich an. Ich hatte schon mehrfach Ausstellungen in Deutschland, und da hatte ich immer das Gefühl, meine Bilder werden viel vorurteilsfreier beurteilt als in England, einfach nur danach, ob sie gut sind oder nicht. Um wieder auf meinen Kartoffelvergleich zu kommen: Man beurteilt eine Kartoffel danach, wie sie als Kartoffel ist, und nicht danach, dass sie keine Karotte ist. So empfand ich auch die Rezensionen, denn wer braucht ein Urteil, in dem jemand schreibt, er möge die Kartoffel nicht, weil sie keine Karotte ist. Aber so ist England, und demgegenüber ist Deutschland einfach etwas ‚würziger‘. Und dabei wurde meine Generation noch in lebendiger Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg erzogen, der war allgegenwärtig, im Fernsehen, in Filmen, in Comics, überall, und da kamen die Deutschen nicht gut weg. Das ist tief in der britischen Psyche verwurzelt.“

Wie kam es zu dem Text von „Punkrock ist nicht tot“?

„Wir waren mit den POP RIVETS 1979 auf Tour in Deutschland, ganz auf uns alleine gestellt, mit einem kleinen Bus. Da machten wir immer Witze von wegen, wir seien ja gar keine Punkband, denn Punk sei bekanntlich tot. Und dann war da irgendwie ein Poster, auf dem stand ‚Punkrock ist nicht tot‘. Das schoss mir dann 15 Jahre später durch den Kopf und ich wusste, das ist ein Song, und der Refrain klingt auf Deutsch einfach besser.“

Und immerhin grammatikalisch korrekt im Gegensatz zu „Punks not dead“ von THE EXPLOITED.

„Das ist mir nie aufgefallen, aber zum einen bin ich Legastheniker, zum anderen habe ich ab 1978 keinen Punkrock mehr gehört. Ende 1977 hatte ich die SEX PISTOLS gesehen, und damit war Punk für mich durch. Lederjacken, Anarchiezeichen, Iro – damit war Punk für mich durch und ich habe mich lieber an Link Wray gehalten. Wir sagten uns, wir wollen lieber richtigen Punkrock hören, und da erschien uns Link Wray brauchbarer.“

Trotzdem bist du der Punkidee ja treu geblieben, also sein eigenes Ding machen und so weiter.

„Absolut. Mir ist daran gelegen, die Leute zu ermutigen, ihr Ding zu machen, selbstbewusst zu sein, an sich zu glauben und nicht dem ganzen Müll der großen Konzerne nachzulaufen. Und warum sollte jemand seine Zeit damit verschwenden, diese ganzen großen Bands zu mögen? Dafür gibt’s doch genug andere.“

Wie wichtig war und ist Liam Watson mit seinem Toe Rag Studio?

„Liam gründete das Studio erst lange nach den MILKSHAKES. Ein Teil seines Equipments stammt von den gleichen Leuten wie unseres. Wir nutzten und nutzen Toe Rag von Zeit zu Zeit, aber die Verbindung ist nicht so eng, wie viele denken. Es ging sogar soweit, dass behauptet wurde, es sei eigentlich mein Studio. In der öffentlichen Wahrnehmung ist unsere Affinität viel größer als in Wirklichkeit. Liam ist ein netter Kerl, er kommt regelmäßig zu unseren Konzerten, aber er macht sein Ding und wir unseres. Liam und uns verbindet das Wissen, dass man dann, wenn man genau weiß, was man will, mit jedem Equipment guten Rock’n’Roll machen kann. Unsere letzte Platte nahmen wir in Chatham mit zwei Mikros live auf und nur der Gesang kam dann im Studio oben drauf, und so habe ich auch viele andere Platten gemacht.“

Wie und wo lebst du?

„In Chatham, wo ich auch geboren wurde. Das ist 30 Kilometer von London, an der Nordküste von Kent. Die Arbeitslosenrate ist sehr hoch, kulturelles Leben existiert so gut wie nicht, es ist sehr rau da. Ich habe jahrelang in echt üblen Wohnungen gehaust, bis meine Mutter vor ein paar Jahren etwas Geld erbte und ein kleines Haus kaufte, in dem ich jetzt mit meiner Frau zur Miete wohne. Mein Sohn und seine Mutter leben auch nicht weit von uns. Viel Geld habe ich nicht, aber wenn ich ein paar Bilder und Bücher verkaufen kann, dann reicht es. Das Leben ist teuer ...

Billy, danke für das Interview.

„Ich danke dir. Aber was hast du noch für Fragen auf dem Blatt? Die will ich auch noch beantworten! Stichwort ‚Garage Rock‘: All die Bands, die sich als solche bezeichnen, nennen das Problem schon beim Namen. Die haben an ‚Garage‘ noch ‚Rock‘ angehängt, und das hätten sie besser bleiben lassen sollen. Wir nennen die ganzen Bands wie THE HIVES, THE STROKES, WHITE STRIPES und so weiter einfach nur THE STRIVES. Die wollen so sein wie wir, kriegen es aber einfach nicht hin, weil sie zu beschäftigt sind damit, sich von ihrem ganzen Geld irgendwo ein schickes Landhaus zu kaufen. Wir benutzen den Ausdruck ‚Garage‘ nicht, wir sind eine Rock’n’Roll-Band. Die britische Musikszene? Ich weiß von der nichts. Ich habe keinen Fernseher, ich höre kein Radio, ich lese keine Zeitungen und Musikmagazine. Bei Ian habe ich heute seit langem mal wieder eine Ausgabe des NME gesehen und war überrascht, dass der jetzt im normalen Zeitschriftenformat erscheint. Ian meinte, das sei schon seit Jahren so. Soviel dazu. Warum nur Deals über eine Platte? Weil uns kein Label genug Geld gibt. Stuckismus? Ich habe diese Künstlergruppe 2001 verlassen, weil mir die Bilder nicht gefielen und auch nicht die damit zusammenhängende Publicity-Maschinerie. Mir gefiel die Idee, aber nicht die Kunstwerke. Sechs Monate waren genug für mich. Sonntägliche Besuche bei Mutter? Ja, regelmäßig. Und ich male dann immer nachmittags. Rituale sind etwas gutes, und das Leben hat nur dann Qualität, wenn deine Beziehungen zu anderen Menschen in Ordnung sind. Integrität ist mir sehr wichtig. Bist du Vegetarier? Nein, ich bin ein Vegetarier, der Fleisch isst. Ich esse sehr oft vegetarisch und halte etwa Legebatterien für schrecklich, aber verzichte nicht ganz auf Fleisch. Eine Sache, die ich in meinem Leben gelernt habe, ist eben, dass man keine Regeln aufstellen sollte. Und doch ist es wichtig, sich innerhalb gewisser ethischer Parameter zu bewegen.“