Der New Yorker Stadtteil Brooklyn glänzt seit jeher mit einer Vielzahl von interessanten Bands, die teilweise so schnell, wie sie ins Leben gerufen werden, auch wieder von der Bildfläche verschwinden. Die BELLMER DOLLS, benannt nach dem deutschen Surrealisten Hans Bellmer, der sich in den Dreißiger Jahren der Gestaltung sehr spezieller Installationen von Puppen und der weiblichen Anatomie widmete, sind so ein Phänomen: einst erklärte Lieblinge von No-Wave-Legende und NICK CAVE & THE BAD SEEDS- beziehungsweise GRINDERMAN-Drummer Jim Sclavunos, der teilweise auch ihre Alben produzierte und als Tour-Schlagzeuger für sie tätig war, spielten sie lupenreinen Post-Punk mit starkem No-Wave-Einschlag, wie er eben nur aus New York kommen kann. Die Band löste sich letztes Jahr endgültig auf und ihr Kopf Peter Mavrogeorgis (der auch mit Jim Sclavunos bei THE VANITY SET spielte) gründete – quasi als „fünftes“ Bandmitglied und Produzent hinter den Kulissen – mit Musikern der ebenfalls aus New York stammenden Bands THE HOLY KISS, COLD WAR und WOMAN, die musikalisch knietief im Punk-Blues und No Wave verankerten BOOTBLACKS. Der Produktion ihres Debütalbums nahm sich neben Mavrogeorgis erneut Jim Sclavunos als Co-Producer an (der auch bereits für THE HORRORS und GOGOL BORDELLO produzierte). Zudem knüpften die New Yorker Kontakt zu der aus Leipzig stammenden Post-Punk-Formation MONOZID, mit der sie nicht nur auf einer gemeinsamen US-Tour spielten, sondern jüngst auch eine Split-Single veröffentlichten. Das sind alles gute Gründe, um die New Yorker auch in diesen Längengraden einem breiteren Publikum vorzustellen, zumal im November eine Europatour ansteht, die sie auch nach Deutschland führen wird. Gitarristin Alli, Sänger „Panther“, Drummer Denis und Bassist Alex beantworteten einige Fragen.
Ihr habt eure musikalischen Wurzeln im Post-Punk und dem in den frühen 80er Jahren gerade in New York sehr lebendigen No-Wave-Movement mit Bands wie TEENAGE JESUS & THE JERKS, EIGHT EYED SPY oder auch MARS und DNA. Könntet ihr etwas zu euren Einflüssen sagen?
Alli: Ich wollte in einer Band spielen, in der ich in der Lage war, meine verschiedenen musikalischen Vorlieben zu verbinden: Post-Punk, ein wenig Shoegaze und vor allem eben auch No Wave. Die Songs sollten aber dennoch „catchy“ und tanzbar sein, und dabei immer noch einen rohen und chaotischen Charakter haben, der viel Energie ausstrahlt. Und zum ersten Mal fühlte ich innerhalb einer Band die Freiheit, mich komplett an der Gitarre zu verwirklichen. Zudem kann ich erstmals Trompete in einer Band spielen. Es gibt keine musikalischen Restriktionen in der Band. Jeder kann sich bei den BOOTBLACKS musikalisch verwirklichen.
Denis: Ich bin mit russischen Bands der 80er Jahre groß geworden wie KINO oder NAUTILUS POMPILIUS, deren Lieder zu Hymnen der Perestroika wurden. Musikalisch haben aber bisher SONIC YOUTH tatsächlich den größten Einfluss auf mich gehabt.
Panther: Ich habe bereits mit Alli bei THE HOLY KISS gespielt, und das war eine großartige Zeit, und wir wollten wirklich wie eine lupenreine Post-Punk-Band klingen, aber wir haben diesen Sound erst erreicht, als wir mit Alex und Denis die BOOTBLACKS gründeten.
Wir würdet ihr die aktuelle Musikszene und das Nachtleben in New York umschreiben? Als Europäer bekommt man medial den Eindruck vermittelt, dass New York heute wesentlich aufgeräumter und sauberer, das Nachtleben auch wesentlich regulierter ist, als beispielsweise in den Achtzigern. Täuscht dieser Eindruck?
Alex: New York ist definitiv eine Stadt, in der man sich auf eine Sache konzentrieren muss, um nicht unterzugehen. Die Stadt und ihr Nachtleben können dich auffressen, wenn du nicht aufpasst. Als ich hierher zog, hatte ich den Eindruck, dass ich etwas härter werden und mehr Biss zeigen müsste. Ich komme aus Los Angeles und während du dort vielleicht auch mit einer etwas lockereren Arbeitshaltung durchkommen kannst, musst du dich in New York wirklich zusammenreißen und viel härter und straighter arbeiten, um weiterzukommen. Ich weiß nicht, ob das damit zusammenhängt, dass die Stadt nun etwas regulierter geworden ist, oder ob es nicht vielmehr mit der Kultur der Stadt selbst zusammenhängt. Um ehrlich zu sein, empfinde ich New York als eine der angenehmsten und freundlichsten Städte in den USA, was es dir wirklich einfach macht, hier gut zu leben und auch als Musiker zu überleben.
Vor einigen Jahren hat das legendäre CBGB’s in New York geschlossen. Glaubt ihr, dass das wirklich ein großer Verlust für das New Yorker Nacht- und Konzertleben ist oder war es zuletzt nicht lediglich nur eine simple Touristenattraktion mit einer gut funktionierenden Marketingstrategie?
Alex: Das CBGB’s hat gerade in der Zeit geschlossen, in der ich nach New York gezogen bin. Ich wollte es mir aber unbedingt noch einmal ansehen, weil es eine enorme Reputation in den USA und darüber hinaus genießt. Als ich dort war, empfand ich das allerdings als Witz. Es waren so viele aggressive Punk-Touristen dort und die Bands, die da noch spielten, hatten mit dem ursprünglichen guten Ruf und dem Geist des Ladens nichts mehr gemein. Zuletzt war es für mich nicht mehr als eine Merchandise-Maschine. Aber dennoch ist es sehr traurig, dass ein Club mit dieser einmaligen Geschichte schließen musste. Aber die Mars-Bar im East Village in New York ist gerade sehr gefragt und zu empfehlen. Also, es gibt noch gute Möglichkeiten und Auftrittsorte.
Panther: Ich war leider nie im CBGB’s, aber ich hätte mir gewünscht, dass sie aus dem Club einen Ort gemacht hätten, an dem man sich noch viele Jahre später an seine Bedeutung und die großartige Musik und Bands, die er hervorgebracht hat, erinnern könnte, meinetwegen so eine Art „Punkrock Graceland“, anstatt dort Eigentumswohnungen zu errichten.
Brooklyn ist seit einiger Zeit eine Art neues „Hypeviertel“, in dem sich zunehmend auch Banker und Leute aus dem Finanzbusiness ansiedeln, mit der Konsequenz, dass dort die Lebenshaltungskosten und die Mieten steigen und diejenigen, die Künstler, Musiker und Kulturschaffenden, die das Flair des Viertels geschaffen haben, aus Kostengründen in andere Stadteile abwandern müssen. Seid ihr von dieser Entwicklung betroffen?
Alex: Ich weiß nicht, ob die Entwicklung wirklich schon so dramatisch ist, aber in der Tat hat der Zuzug von vielen Wohlhabenden und Bankern dazu geführt, dass einige neue moderne Glastürme mit hohen Mietpreisen entstanden sind, und das wird sicher dazu führen, dass in einigen Jahren der von dir skizzierte Verdrängungseffekt auf Künstler und Musiker einsetzen wird, mit eben den entsprechenden Migrationseffekten.
Denis: Allerdings muss man auch sehen, dass man durch die Folgen der Rezession immer noch ganz gute und bezahlbare Wohnungen finden kann, weil die Mieten teilweise in bestimmten Gebieten auch gefallen sind. Wir sind jetzt mit der Band in ein Viertel im nördlicheren Bereich von Brooklyn namens Greenpoint gezogen und wir können uns das noch leisten, aber es gibt natürlich viele Kreative, die in die wirklich schlimmen Ecken von Brooklyn gedrängt werden, wo ihrerseits die Bevölkerung wieder die Folgen einer stärkeren Gentrifizierung und Überfremdung, inklusive steigender Mieten, fürchtet und diese neuen Bewohner im Viertel nicht unbedingt willkommen heißt, obwohl diese Zugezogenen ökonomisch genauso schlecht gestellt sind wie sie selbst, die bereits ewig in dort wohnen.
Alli: Ich komme aus San Francisco und empfinde es dort als genauso teuer wie in New York, letztlich ist es doch immer etwas härter, wenn man in diesen Großstädten lebt. Aber man lernt damit umzugehen, gerade als Musiker muss man das lernen und sich an die auch widrigen Gegebenheiten anpassen.
Mark Twain hat in seinem Buch „The Golden Era (1863-1866)“ seine Bewunderung für die blankpolierten schwarzen Stiefel seiner Zeit als gesellschaftlich bedeutungsvoll für ihre Besitzer beschrieben: „Every time I noticed, to-day, that my boots were attracting attention, I went and got them blacked.“ Ist euer Bandname eine Referenz an die amerikanischen Gründerväter in Sachen Schuhe?
Panther: Eigentlich ist „Bootblack“ ein alter Slangausdruck für den Schuhputzer. Als ich ein Buch über die kulturelle Entwicklungsgeschichte von New York gelesen habe, fand sich in diesem Buch einen Zeitungsauszug aus der Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts, der die „Plage“ der Schuhputzer dieser Zeit beschrieb. Zu dieser Zeit waren die meisten Schuhputzer bettelarme Kinder, die oft neben dem Schuhputzen auch die Geldbörsen ihrer Kunden klauten. Sie waren die Ausgestoßenen der Gesellschaft, die in gesellschaftlichen Nischen ohne irgendwelche Perspektiven lebten, und sie wurden deshalb von den wohlhabenden Schichten in New York sehr gefürchtet. Ich mochte diesen Passus in diesem Buch und so kam es zu dem Bandnamen.
Ihr habt im Frühjahr 2010 eine Split-Single mit der Post-Punk-Band MONOZID aus Leipzig veröffentlicht. Wie habt ihr den Kontakt zu MONOZID gefunden?
Alli: Als unsere damalige Band THE HOLY KISS die Europatour für 2009 plante, haben wir so ziemlich jeden aus unserem Umfeld nach Kontakten in Deutschland gefragt, um an Auftrittsorte zu kommen. Es war für uns alle das erste Mal, dass wir in Europa spielten, und wir können uns nur bei Andy von SWANN DANGER bedanken, dass er uns die Mail-Adresse von Franz, dem Sänger und Gitarristen von MONOZID gegeben hat, der uns dann beim Booking verschiedener Clubs sehr unterstützt hat. Das endete damit, dass wir auch mit MONOZID auf Europatour gewesen sind. Wir haben sie sehr schätzen gelernt, als Menschen und als Musiker, so war es eigentlich ganz natürlich, dass wir auch eine Split-Single veröffentlichten. Dieses Frühjahr sind dann MONOZID in die USA gekommen und wir sind mit ihnen, SWANN DANGER und den BELLMER DOLLS auf Club-Tour gewesen. Diesen Herbst werden wir dann wieder mit MONOZID einige Dates in Deutschland spielen. In Deutschland wird die Single auf dem Majorlabel im Oktober erscheinen, man kann sie aber auch jetzt schon direkt über unsere Website bestellen.
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