BÖSE BUB EUGEN

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Honigbrot und Marmelade - Punk in der Schweizer Provinz (Teil 3)

Vor gut vierzig Jahren formierte sich mit DER BÖSE BUB EUGEN eine der wichtigsten Swiss Wave-Bands der 1980er Jahre. Vor kurzem ist die Doppel-LP „Vielleicht auch ganz anders“ erschienen mit einem schönen Überblick über das musikalische, textliche und bildliche Œuvre der Band.

Das ausführliche Gespräch zwischen Rämi und mir erstreckt sich über drei Ox-Nummern. Teil 1 begann mit „Punk Tag 1“, schon lange vor der Gründung von DER BÖSE BUB EUGEN, und verhandelte die Zeit bis zu ihrer Tour mit DIE ÄRZTE 1984. In Teil 2 sprachen wir über alle ihre Veröffentlichungen und den Kontext zum aktuellen Doppelalbum bis zu ihrer Auflösung 1989. Teil 3 beinhaltet die Zeit danach, da sprechen wir vor allem über die Nachfolgeband EUGEN bis zu deren Auflösung 1998. Ich wollte eigentlich kein klassisches Interview mit Rämi führen, sondern die unterschiedlichen Geschichten zweier Provinz-Punks aufzeichnen. Rämi gab mir aber im Laufe des Interviews zu verstehen, dass er kein Punk-Kriegsgeschichten-Gespräch à la Waldorf und Statler mit mir führen wolle.

Am Schluss des zweiten Teils unseres Interviews sagte Rämi zur Auflösung von DER BÖSE BUB EUGEN: „Nach einer kurzen Pause trafen wir uns im Spätsommer 1990 wieder im Proberaum, schauten uns an und fragten: Was jetzt? Es war uns klar, dass wir uns neu erfinden wollten. Aber uns fiel nicht ein, wie das gehen soll. Wir waren festgefahren. Lenz verließ die Band. Das war’s, fürs Erste jedenfalls. Fisch und ich wollten weitermachen. Aber das ist der Anfang einer anderen, neuen Geschichte.“

Diese neue Geschichte nennt sich ab jetzt EUGEN. Zu dir und Fisch stießen zwei neue Mitglieder dazu: Suzanne Zahnd aka Suzann am Bass von der Zürcher Frauenband DANGERMICE – mit Marlene Marder von KLEENEX bzw. LILIPUT an der Gitarre – und Peter Bächtold aka Bächi an der Gitarre von der Schaffhausener Band HARRY IN YOUR POCKET. Bei ihnen saß Fisch ja auch kurz am Schlagzeug. Suzanne moderierte zu der Zeit die Musiksendung „Sounds“ beim Staatssender DRS 3. Das war damals für Leute aus unserem Umfeld „die“ Radiosendung schlechthin, in die DER BÖSE BUB EUGEN sicher mehrmals eingeladen wurden, und Bächi war einfach Teil der Schaffhauser Musikszene. Kannst du dich noch erinnern, wie ihr euch gefunden habt?
Nach dem Ausstieg von Lenz im Herbst 1990 war für Fisch und mich rasch klar, dass wir weitermachen wollten. Nicht so klar war allerdings, wie das ohne Lenz gehen soll. Wir fragten Peter „Bächi“ Bächtold, ob er Lust habe, Bass zu spielen. Ich kannte Bächi vom Mittwochsfußball, Fisch wahrscheinlich vom Tab-Tab-Plattenladen, den Bächi mitgeholfen hat aufzubauen und mit selbst geschweißten Metallgestellen einzurichten. Jedenfalls verabredeten wir uns zum Proben. Als ich nach einer der ersten Sessions nach Hause kam, schellte das Telefon: Suzanne Zahnd. Sie sagte, sie wolle bei uns Bass spielen. Prima, probieren wir aus! Fisch und Bächi waren einverstanden. Bächi wollte sowieso lieber Gitarre spielen als Bass.

Woher kanntest du Suzanne? Und wie seid ihr zu einer neuen Band geworden?
Ich kannte natürlich die legendäre Radiostimme von Suzanne schon lange. Im „Sounds“ gab es eine Weile eine Art „Regionaljournal“, ich habe dort über Ostschweizer Bands und Konzerte berichtet. Da hat mich Suzanne oft betreut. Ich bin ja Stotterer! Egal. Wir spielten früher auch mit DANGERMICE, zudem war sie mit Üse Hiestand, dem Schlagzeuger der YOUNG GODS, zusammen und die waren wiederum auf dem gleichen Label wie wir. Es gab noch weitere Verbindungen, in der Schweizer Szene kannte man sich. Wir brauchten eine Weile, bis es einen gemeinsamen Nenner gab. Im Trio hat eine Band eine ganz andere Statik als zu viert, wir mussten uns kennen lernen. Das dauerte, ich war ungeduldig und wahrscheinlich oft auch ein Arsch. Klar war, dass wir den „bösen Buben“ aus dem Namen streichen. Es war eine neue Band, aber wir wollten unsere Bekanntheit irgendwie auch nutzen.

Okay ... du warst ein Arsch?
Habe ich „Arsch“ gesagt? Pfui. Einerseits war mir unbewusst wohl nicht wirklich klar, dass die Zeit im Trio mit Lenz vorbei war. Andererseits wollte ich, dass es schnell vorangeht, hatte aber kein wirkliches Angebot in der Tasche. Es ist mehr so ein erinnertes Gefühl. Wie gesagt, es war eine völlig neue Band, die aber noch die alten Kleider anhatte. Die mussten wir zuerst ablegen und nach neuen suchen.

Der einzige Musiker in der Schweiz, der in eurem Fahrwasser mit euch auf Augenhöhe war, war ja Oliver Maurmann aka Olif 068 aka Olifr M. Guz, besser bekannt unter dem Namen GUZ. Den meisten Ox-Lesern bekannt als Sänger, Songschreiber, Gitarrist und Frontmann der AERONAUTEN.
Auf Augenhöhe – das klingt wie zwei Fußballteams, die etwa gleich gut sind. DIE AERONAUTEN, das war ja erst in den 90er Jahren, eine andere Zeit, das kann man schwer vergleichen. Aber Olifr kannte ich schon lange, bevor er DIE AERONAUTEN startete. Vielleicht hatten die EUGEN-Sachen einen gewissen Einfluss, aber das ist schwer zu sagen nach so langer Zeit.

Mit Augenhöhe meine ich stilistisch. Ich meine auch nicht DIE AERONAUTEN. Ich spreche von seinen Musikprojekten in den 80er Jahren. Seine Solosachen, FREDS FREUNDE, GUZ, AVARELLS und so weiter ...
Verstehe. Ich war vom ersten Tag an großer Fan von Olis Musik. Und er war ein prima Mensch, ein ganz besonderer. Er hat nicht nur, aber vor allem deutsche und Mundarttexte gemacht. Deutsche Texte waren nicht gängig in der Schweiz, DER BÖSE BUB EUGEN war nach den frühen 80er Jahren so ziemlich die einzige Band, die Hochdeutsch gesungen hat. BABY JAIL hatten einige hochdeutsche Lieder, HÖSLI aus Luzern auch.

Schon 1988 erschien auf dem deutschen Kassettenlabel Irre Tapes von Matthias Lang ein Splittape mit Songs von DER BÖSE BUBEN EUGEN und GUZ. Als sich DBBE im Spätsommer 1990 auflösten, erschien postwendend die Single „Landung im Sommer“ auf Tom Produkt von einem Duo, bestehend aus dir und Oli, mit dem Namen RAUMPATROUILLE RIMINI und im Jahr darauf die Kassette „Am Atlantik“. Wie und wann habt ihr euch kennen gelernt und angefangen miteinander Musik zu machen? Ich vermute stark, dass du bis zum Tod von Oli am 20. Januar 2020 mit ihm freundschaftlich verbunden warst.
Wir lernten uns im Hafenbuffet in Rorschach kennen, im Winter 1986 muss das gewesen sein. Vor einem Konzert kam Oli rein und gab mir eine GUZ-Kassette. Einige Wochen später hörte ich mir das an und war total begeistert! Eine ganz eigene Musik, prima Texte und musikalisch ... vom anderen Stern! Ich schrieb Oli nach Romanshorn, er hatte eine Band, FREDS FREUNDE. Mit denen spielten wir dann öfter. Wir quatschten viel und verstanden uns gut. Als es später im Tommasini in Lenzburg einen BEATLES-Abend gab, durfte ich sozusagen als George Harrison bei FREDS FREUNDE mitmachen und wir spielten dann noch Konzerte an anderen Orten. Später haben wir mit RAUMPATROUILLE RIMINI ein paar Lieder gemacht. Live hat uns Fisch unterstützt am Stehschlagzeug.

Warum habt ihr das Projekt nicht weitergeführt?
Hat sich nicht ergeben. Keine Zeit? Irgendwie so. Oli ist nach der Lehre als Schriftenmaler nach Feuerthalen gezogen, das war etwa 1989/90. Oli hat ja immer seine GUZ- und AVERELLS-Sachen gemacht, DIE AERONAUTEN waren aber das Projekt, das er dann voranbringen wollte, raus aus der Nische. Er hat mit Tom Etter das Startrack-Studio in Schaffhausen aufgebaut, wo DIE AERONAUTEN das erste Album „1:72“ aufgenommen haben. Ich habe bei der Produktion etwas mitgeholfen und vorgeschlagen, dass sie bei Chris von Rautenkranz in Hamburg abmischen. Das Label L’Age d’Or hatte die ersten Platten rausgebracht von Bands, aus denen später die Hamburger Schule hervorging. DIE REGIERUNG, KOLOSSALE JUGEND, OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS ... Ich hatte irgendwie das Gefühl, das könnte für Oli und DIE AERONAUTEN passen, wenn sie in Hamburg abmischen. Also beschlossen wir, dass Tom und Oli „1:72“ bei Chris von Rautenkranz fertigstellen. Daraus ist später eine lange Beziehung entstanden zwischen DIE AERONAUTEN und den Hamburgern um das L’Age d’Or-Label. Lustig war, wie die beiden damals vom Abmischen zurückkamen. Als Oli und Tom aus Hamburg mit dem Nachtzug nach Schaffhausen heimkehrten, habe ich die beiden früh am Morgen abgeholt auf dem Bahnsteig. Als sie völlig verpennt ausstiegen, haben sie gemerkt, dass sie die Tasche mit den fertigen Bändern im Zug von Basel nach Zürich liegen gelassen hatten ... Kann passieren. Das Masterband konnten sie dann in Chur auf dem Fundbüro abholen, zum Glück.

Feuerthalen? Da hast du doch zu der Zeit auch gewohnt, nicht? Deine Adresse an der Adlergasse 6 stand ja mit deiner Telefonnummer eigentlichen auf allen Tonträgern.
Ich habe dort in einer alten Bruchbude gelebt, ja. Holzheizung und so. Später bin ich einen Stock höher gezogen, als eine Wohnung frei geworden ist. Oli ist dann in meine alte Wohnung eingezogen. Wir waren eine Weile Hausnachbarn.

Zwischen euch gab es ja auch einen musikalischen Austausch?
Wir haben einander Sachen vorgespielt und viel gequatscht. Über alles Mögliche, Musik, andere Leute, das Leben. Später hat Oli das Vorprogramm gemacht als GUZ, als wir 1993 mit dem Album „Gute Zeiten“ unterwegs waren. Wenn er den letzten Song gespielt hat, sind wir auf die Bühne und haben den ersten Song von unserem Set gemeinsam mit ihm gespielt ... als fliegender Übergang.

Dann habe ich mal gehört, dass sich EUGEN mit DIE AERONAUTEN auch musikalisch ausgetauscht haben. Ihr habt auf Songs von der jeweils anderen Band mit einem eigenen Song reagiert. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Da hast du aber anscheinend etwas gehört, von dem mir nichts bekannt ist.

Schade! Das wäre sicher interessant gewesen ... kann man nix machen! 1992 erscheint das erste DIE AERONAUTEN-Album – nur auf Kassette – mit dem Namen „Alles wird gut“. Im Jahr darauf euer Album „Gute Zeiten“. Das zweite Stück heißt „Das ist nicht gut“. Wenn ich das höre, denke ich, da singt ja Guz, das ist ein DIE AERONAUTEN/GUZ-Song! Ist das ein Zufall oder steckt da mehr dahinter?
Das ist Zufall. Der EUGEN-Song „Das ist nicht gut“ ist ein wenig bluesig, vielleicht erinnert dich das deshalb an Oli. Oli war ja auch Bluesman. Im größeren Zusammenhang war die erste DIE AERONAUTEN-Kassette „Alles wird gut“ so etwas wie die Parole Anfang der 90er Jahre – es war das berühmte Graffito auf dem besetzten Wohlgroth-Areal. Ironie steckte da drin, aber auch das Versprechen nach dem Mauerfall, dass die Geschichte endet und eben alles gut werde – aber es war überhaupt nicht alles gut! Dieses Gefühl, diese Mischung von Aufbruch und gleichzeitiger Skepsis zu Beginn der Neunziger war sicher etwas, das uns mit den AERONAUTEN verbunden hat. [Anmerkung: Was für die rebellierende Jugend in Zürich in den 68ern der Bunker (Autonome Republik Bunker, 68 Tage) war, war Anfang der Achtziger das AJZ (Autonomes Jugendzentrum, 1980-82) und Anfang der Neunziger das Wohlgroth-Areal (1991-93).]

Im Nachhinein hat sich bei mir die Gewissheit bestärkt, dass die 90er Jahre „Gute Zeiten“ waren, wenn nicht die beste Zeit für mich und auch unsere Szene. Ich bin unter anderem darum 1997 auch aus New York wieder nach Europa zurückgekommen und war davor schon hierzulande und in Europa aktiv. Es war zum ersten Mal möglich, außerhalb der Szene mit unterschiedlichen Institutionen auf Augenhöhe zu kooperieren, ohne seine Werte zu verkaufen. Wie habt ihr als Band EUGEN das empfunden? Ihr wart genau in diesem Jahrzehnt aktiv mit euren Erfahrungen aus den 80er Jahren, mit einer großen Portion Selbstvertrauen, wie habt ihr euch positioniert? Dein Song „Das ist nicht gut“ thematisiert das ja auch, nur eher in die entgegengesetzte Richtung, oder?
Die frühen 90er Jahre waren insofern interessant, als sich einiges neu formierte und gleichzeitig aber auch auflöste: Clubs, Bands, auch andere Strukturen wie Labels, Medien oder Gastro festigten ihre Strukturen. Es ging um Geld, um Wirtschaft. Andererseits ging aber viel vom früheren Geist verloren, einige Leute kamen auch unter die Räder. Gleichzeitig wurde das politische Klima rauher, die Rechte hatte Aufwind. Nicht nur in Deutschland mit den Angriffen auf Asylantenheime, auch in Schaffhausen gab es größere Probleme mit Nazis. In der Schweiz kamen die SVP, die Schweizerische Volkspartei, und die Autopartei auf. Dennoch gab es eine gewisse Gemütlichkeit in der Szene, man war unterdessen auch ein wenig „angekommen“. Ich blieb immer misstrauisch. Insofern war „Gute Zeiten“ durchaus ironisch gemeint. Ich fand auch, dass wir nach der Phase als Trio mehr mit anderen Leuten machen müssen. In Schaffhausen halfen wir mit, im neuen Kulturzentrum Kammgarn den TapTab-Club um- und aufzubauen. Auch das Startrack-Studio in der Neustadt wurde ein wichtiger Ort. Aber Schaffhausen ist klein, ein Kaff halt. Die Größe fehlte, damit das nachhaltig werden konnte im Sinne von Jobs, die fürs Leben reichten. Aber im Kern war es im Kleinen so wie überall: Leere Räume wurden bespielt, es gab eine Szene, die Politik und dann auch Leute aus der Wirtschaft interessierten sich immer mehr für das, was so abging und was wir machten.

Nach circa einem Jahr sind EUGEN nach Uznach in Jimmys Sound Service Studio gegangen und haben die drei Songs „Feste fallen“, „Wolke 9“ und „Fernsehturm“ eingespielt. Laut Information, die auf der Hülle zu finden ist, hast du die Songs und Texte geschrieben. Ich finde, ihr kommt hier deutlich anders rüber. Der musikalische Anspruch ist gestiegen. Suzanne sagte mir mal, das habe sie am Projekt EUGEN gereizt. Bei DANGERMICE ging es irgendwie für sie nicht weiter ...
Musikalisch hat Suzanne in meiner Erinnerung vor allem mit Fisch viel geübt, Fisch war und ist ein sehr guter Schlagzeuger. Aber ich sagte nicht, wir haben höhere musikalische Ansprüche. Ich wollte rasch ein Lebenszeichen aussenden, deshalb haben wir die Single gemacht bei Netz Maeschi, ehemals SOZZ, HUNGRY FOR WHAT, MIDNIGHT TO SIX, heute STEREOPHONIC SPACE SOUND. Er hatte sich damals am Zürcher Obersee ein Studio eingerichtet. „Fernsehturm“ mag ich heute noch sehr, ein schönes, ruhiges Lied. „Feste fallen“ war insofern ein politisches Stück, als es auf die 700-Jahr-Feier der Schweiz anspielte. Zu der Zeit liefen ja die Diskussionen über den berühmten „Kulturboykott“ mit dem innerlinken Streit, ob man daran teilnehmen soll oder nicht. „Feste fallen“ hat versucht das aufzugreifen.

Seid ihr zu einer Polit-Band mutiert? Ihr habt ja schon 1989 „Erwin“, also das Lied „Pirmin“ mit neuem Text, für den „Stop The Army“-Sampler beigesteuert, der sehr erfolgreich war und mobil machte für die Armeeabschaffungsinitiative 1989.
Nein, bewahre! Aber die Zeiten veränderten sich rasend. Als Band setzten wir uns schon immer ins Verhältnis zu dem, was um uns herum passiert. Was mit der ganzen Digitalisierung auf uns zukommt, lag ja auch bereits in der Luft. Das Lied „Kamele und Pinguine“ auf „Gute Zeiten“ nimmt dieses Gefühl auf. Der Kulturboykott 1991 stand in direktem Zusammenhang mit der Armeeabschaffungsinitiative: Sie war auch deshalb mit über einem Drittel Zustimmung so erfolgreich, weil fast gleichzeitig der Fichenskandal die Schweiz durchschüttelte und im Herbst die Mauer fiel. Der Kalte Krieg war zu Ende und plötzlich platzte eine Eiterbeule, aus der die ganzen Sauereien hervorkamen, die der Schweizer Staat gegen die eigene Bevölkerung angerichtet hatte. Der Konflikt innerhalb des Kulturboykotts war ja, dass die Kulturleute fanden, dass diese Schweiz, die ihr 700-jähriges Bestehen feiert, nichts mit Kultur zu tun habe könne, und man deshalb nicht teilnehme oder etwas beisteuere. Der linke Journalist Niklaus Meienberg zum Beispiel war gegen den Boykott. Auf der anderen Seite war Friedrich Dürrenmatts berühmte Rede „Die Schweiz – ein Gefängnis“ im November 1990 eher ein Votum für den Boykott. Aber das ist jetzt Geschichtsstunde. Willst du noch mehr davon?

Ja, natürlich. Ich lebte zu der Zeit ja in New York und habe davon herzlich wenig mitbekommen. Ich hatte gefühlt zehn Jahre davor, als ich kurz bei Bro Records in St. Gallen gearbeitet habe, die Kundschaft genötigt, ihre Unterschrift auf das Formular der Armeeabschaffungsinitiative zu setzen, so dass die überhaupt zustande kam. Meine Fiche, also Akte beim Staat, hatte ich dann auch noch irgendwann beantragt und ich wurde mit meinem Bruder verwechselt. Das war natürlich geil, er hatte dafür alle meine Einträge. Das hat schlussendlich seiner Karriere aber nicht geschadet, ich hätte da noch mehr Gas geben sollen.
Die Armeeabschaffungsinitiative hatte eine Fortsetzung 1994 mit der Volksabstimmung über die Flugzeugbeschaffung: Es gab wieder ein große Kampagne gegen den FA-18, wie schon 1989 bei der Armeeabschaffung. Wir haben wieder ein Lied beigesteuert, „Chaschper“, in dem der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger durch den Kakao gezogen wurde. Ein sehr schönes Lied! Die Abstimmung ging trotzdem verloren und die Milliarden für die Kampfjets wurden ausgegeben.

Ich bin vor einiger Zeit bei Peter Bäder vorbeigegangen und habe ihn auf diese EP angesprochen. Er hat sich das Cover, das er ja gestaltet hat, angeschaut und meinte, da habe er ja einmal die ganze Hülle gestalten dürfen und in seinem Bild alle drei Songs irgendwie integriert. Dafür lagen jetzt keine Texte mehr bei, stattdessen gab es eine Postkarte, auf der ihr vier auf einem Sprungbrett posiert. Du stehst da ein klein wenig abseits und man sieht irgendwie, dass du hier der Chef bist. Bei späteren Alben gab es ja weitere Postkarten von euch zum Sammeln ...
Die erste EP mit den drei Songs wollte ich machen wie früher: kleine Auflage, Cover selber schneiden und kleben. Peter Bäder hat diese wunderbare Zeichnung gemacht, mit dem Bierschaum, der zu Wolken wird ... Ich weiß noch gut, wie wir bei mir daheim mit Leim und Falzbein die Hüllen geklebt haben. Das Foto für die Postkarte, auf dem ich wie der Chef aussehen soll, hat Anna Meyer im Schaffhauser Rhybadi gemacht, die Malerin, die auch das Nonnen-Bild für die „Nimmerland“-LP gemalt hat.

Wie es der Zufall so wollte, habe ich Anna Meyer vor kurzer Zeit in Wien kennen gelernt. Sie hat ja auch 1993 den Umschlag für euer Album „Gute Zeiten“ gemalt. Sie ist seit längerem liiert mit Peter Hein, dem Sänger von FEHLFARBEN und FAMILY*5. Gab es schon davor Kontakte zu FAMILY*5?
Wir spielten 1989 einen Monat nach dem Mauerfall mal in Düsseldorf mit FAMILY*5 im Haus der Jugend, tolles Konzert! Wie es zustande kam, weiß ich nicht mehr genau. Aber Peter Hein und auch der Gitarrist Xao Seffcheque waren für mich natürlich Jugendhelden, klar. FAMILY*5 traten auf in diesen blauen Hemden der FDJ, der Jugendorganisation der DDR. Der Bassist Fredi Mackenthun war früher beim legendären KFC, dem „Kriminalitäts-Förderungsclub“ und der Saxofonist Axel Schulz ist noch heute Manager von DIE ÄRZTE. Das Lied „Kinder im Rhein“ von FAMILY*5 hatten wir schon länger im Live-Repertoire. Anna und Peter sind dann zusammengekommen. Peter ist nach seiner Entlassung bei Xerox später nach Wien gezogen, wo Anna seit Ende der 80er Jahre lebte. Das Bild für „Gute Zeiten“ hat uns Anna zur Verfügung gestellt, es war auch eine Reminiszenz an das „Nimmerland“-Album. Und FAMILY*5 waren eine der Inspirationen von Oli für DIE AERONAUTEN, das Kapellen-mäßige mit Bläsern. Das erste FAMILY*5-Album „Resistance“ hatte ja einen Jagdflieger auf dem Cover und Oli hat sein Leben lang Modellflugzeuge zusammengebastelt, bevorzugt im Maßstab 1:72 ...

„1:72“ hieß auch ihr zweites Album, das auf Organik 1993 erschienen ist, so wie euer erstes „Gute Zeiten“. Ihr seid somit auch Labelkollegen geworden.
Ich schlug das damals vor mit dem Organik-Label. Das war unterdessen einfach ein Gefäß geworden für den RecRec-Vertrieb. Die YOUNG GODS waren schon längst beim großen Interscope-Label in den USA.

In eurem Wikipedia-Eintrag steht bezüglich der „Lied für Mani“-7“ über den Liedermacher Mani Matter folgendes: „Auf der Coverrückseite war zu lesen, dass Drohbriefe direkt an Stephan Ramming nach Feuerthalen zu senden sind; Grund dafür war seine Kritik an den vielen Mani Matter-Rock-Adaptionen, welche in der Kompilation ‚Matter-Rock‘ gipfelte. Im Lied für Mani regte sich ‚Rämi‘, der ansonsten hochdeutsch zu singen pflegt, in fast lupenreinem Bärndütsch über den Grossteil der Coverversionen auf und textete unter anderem folgendes Statement gegen die Kommerzialisierung von Matters Liedgut: ‚Uf sim Grab hei si tanzet, wie wenn Chilbi wär. Und niemer hät ne ghört wien er rüeft: Losed zue! Höred mit dem Gschrey uf – Löd my in Rue!‘ ‚Rämi‘ erklärte dazu: ‚Bei vielen Versionen passte die Musik zum Text wie Schoggisauce zu Kalbsbratwurst. Matters Geist kam dabei natürlich unter die Räder.‘“ Was war da die Geschichte dahinter?
Ach, Wikipedia, die sagen ja schon alles. Ich habe mich aufgeregt über „Matter-Rock“. Ich habe davon gehört vor dem Erscheinen und fand, das geht gar nicht. Mani Matter in Rock ... Pfui! Also habe ich mich hingesetzt und an einem Abend das Lied geschrieben. Schon als ich elf Jahre alt war, verehrte ich Mani Matter. Das Lied musste so sein, als wäre es von Mani Matter selber: einfach, schön und sehr genial. So ist es auch geworden! Zwei Tage später haben wir es aufgenommen mit Tom Etter. Bächi spielte die Gitarre, ich habe gesungen. Nochmals drei Wochen später ist das Lied auf einer einseitig bespielten Vinylsingle erschienen. Sie wurde krass missachtet. Völlig zu Unrecht! Aber live hat das Lied super funktioniert. Ich musste das jeweils leider allein singen und spielen, aber es war so eine Art „Gaudenz meint“-Moment: Plötzlich wurde es nach der ganzen Lautstärke ruhig und intim.

Bei eurem ersten EUGEN-Album „Gute Zeiten“ bleibt ihr euch rein optisch und musikalisch treu. Ebenso sind fast alle Protagonisten aus dem DER BÖSE BUB EUGEN-Umfeld noch bei dieser Produktion im Boot. Neu ist jetzt Tom Etter vom Startrack-Studio in Schaffhausen für die Aufnahmen zuständig. Macht ja Sinn, liegt gleich ums Eck, man versteht sich und hat für Matzge Bröckel vom Vielklang Studio in Berlin eine naheliegende Alternative gefunden. Die Songtexte werden in einem CD-Booklet – das Album erschien als LP und CD – mitgeliefert und in einem A4-Beiblatt erklärst du uns, was dich zu den Songtexten inspirierte. Sie fühlen sich anders an als noch bei DER BÖSE BUB EUGEN. Kannst du dazu was sagen?
„Gute Zeiten“ haben wir im Berner Oberland aufgenommen, in so einem Hippie-Bauernhof-Studio. Tom Etter hat das Album mitproduziert, abgemischt haben wir in Aarberg. Tom war ein enger Freund geworden. Wir brauchten diese Zeit, um zusammenzuwachsen. Was mich für die Texte inspirierte, weiß ich nicht mehr so genau ... das Leben, bevor man dreißig wird? Einerseits war wohl vieles persönlicher, subjektiver, anderseits aber auch expliziter, politischer. Das Beiblatt, von dem du sprichst, war mehr ein Scherz. Ein sehr lustiger, übrigens. Ich war seit den Achtziger Jahren grosser Helge Schneider-Fan, der hatte damals einen ganz neuen Ton, in jeder Beziehung. Wir waren wieder viel live unterwegs, aber das Publikum begann sich zu verändern, gleichzeitig passierte einiges mit Techno und den neuen Möglichkeiten in der Musik, von dem wir nicht so viel mitbekommen haben.

Du musst mir auf die Sprünge helfen, was war der Scherz hinter dem Beiblatt?
Scherz ist vielleicht das falsche Wort. Der Tonfall auf diesem Beiblatt war scherzhaft, das ist ja etwas anderes. Es ging wohl darum, dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit zu geben, eine gewisse Naivität auch.

Bis euer zweites Album „Cool (und aber auch sexy)“ 1996 erschien sollte es noch drei Jahre dauern. Warum brauchte das so lange?
Wir haben viel gespielt. Oder für „Ohrewürm 2“ das Lied „Ellai dihei“, also „Allein zu Haus“ aufgenommen. Das war eine sehr erfolgreiche CD-Serie in der Schweiz mit Liedern für Kinder, damals ein großer Trend. Aber ich habe in jener Zeit auch mein Studium abgeschlossen, Suzanne bekam das zweite Kind und auch Bächi wurde Vater. Da mussten wir etwas kürzertreten, aber gleichzeitig haben wir auch mit Tom Etter „Cool (und aber auch sexy)“ vorbereitet. Wir haben die CD dann im Sommer 1995 im Startrack-Studio in Schaffhausen aufgenommen.

„Cool (und aber auch sexy)“ erschien in der Schweiz bei Tom Produkt von Michi Bugmann, dies in einer Koproduktion mit dem Deutschen Label Buback. Du hattest ja bei Tom Produkt schon 1990 die Single „Landung im Sommer“ von RAUMPATROUILLE RIMINI mit Oli veröffentlicht. Ich kann mich nur erinnern, dass Michi wie aus dem Nichts plötzlich da war. Er veröffentlichte die Single „Lenzburg – In der Zukunft 31.12.1988“. Diese gab es zum Eintritt nur am Abend auf dem Konzert mit den drei Bands ROYAL BOTANICAL GARDENS, FREDS FREUNDE und SCUBE DAVERS. Damals entstand auch diese Verbindung zu Hamburg, wo er sich bis heute auch niedergelassen hat. Kannst du da ein wenig Licht ins Dunkle zu diesen beiden Labels und Personen und dir oder der Band bringen?
Michi Bugmann kannten wir schon lange, er hat schon als Schüler im Lenzburger Tommasini Konzerte veranstaltet. Michi hatte sich mit FREDS FREUNDE, na ja, angefreundet. Daraus ist eine enge Beziehung entstanden zu Oli, und für die erste GUZ-Single hat Michi 1989 Tom Produkt gegründet. Später hat er von Anfang an das Booking gemacht für DIE AERONAUTEN und angefangen, deutsche Bands aus dem Umfeld der Hamburger Schule in der Schweiz zu buchen. Anfang der 90er Jahre ist Michi nach Hamburg gezogen und hat dort seine Booking-Agentur aufgebaut. Ich besuchte ihn damals ein paar Mal, es war die Zeit, als die Hamburger Schule mit BLUMFELD, BRÜLLEN, TOCOTRONIC, DIE STERNE oder KNARF RELLÖM bekannt wurde. Ich tauschte mich wieder viel mit Ted Gaier aus, der damals mit Jochen Distelmeyer zusammenwohnte in der Wohnung an der Buttstraße am Fischmarkt. „L’état et moi“ von BLUMFELD war damals gerade erschienen, eine der wichtigsten Platten für Gitarrenmusik. Die Zeiten nach der Wiedervereinigung waren sehr aufregend, und auch sehr politisch.

Buback war ja ein Staatsanwalt, der 1977 von der RAF ermordet wurde. Wie seid ihr auf das gleichnamige Label von DIE GOLDENEN ZITRONEN gekommen?
Das war mehr so ein Freundschaftsding. Gegründet hatte Buback ja Ale „Sexfeind“ Dumbsky, nachdem er bei DIE GOLDENEN ZITRONEN als Schlagzeuger ausgestiegen war. Ale veröffentlichte frühe HipHop-Sachen wie ABSOLUTE BEGINNER, aber auch Punk wie ANGESCHISSEN und auch die Platten der Zitronen. Michi Bugmann hat uns damals geholfen mit dem ganzen Organisieren, und in der Schweiz hatte er auch Kontakte für die Tournee mit dem „Chabis!“-Projekt.

Was war das „Chabis!“-Projekt?
Ich bekam von einer Studienkollegin die Anfrage, einen Abend zu gestalten zum Anlass des 100. Geburtstages des Schweizer Schriftstellers Friedrich Glauser. Ich fragte Oli, Tom Etter und Fisch, ob wir das machen sollen. So kamen wir in einer ganz neuen Konstellation zusammen und entwickelten ganz andere Musik, als wir sie sonst machten: akustisch – wir hatten ein Harmonium, Stehbass, Cello, Vibrafon und solche Sachen. Wir machten auch eine CD, die auf Tom Produkt erschienen ist. Und wir gingen mit dem Programm auf Tour. Michi Bugmann hat sie gebucht. Er hatte sich unterdessen auf Lesereisen von Schriftstellern und Schriftstellerinnen spezialisiert und besaß beste Kontakte in die Kleintheater- und Literatur-Szene. Lustigerweise hatte Michi nach dem Abitur eine Lehre gemacht beim Verlag, der die Glauser-Bücher in den 80er Jahren wieder herausgebracht hatte, und war wie ich ein großer Glauser-Fan. Es war eine gelungene Sache, es ging mehr in Richtung Hochkultur oder Theater. Das wurde später dann ja ein Ort, wo viele Musiker gearbeitet und ein Überleben gefunden haben. Für EUGEN hat „Chabis!“ die Zeit verkürzt bis zur „Cool (und aber auch sexy)“-Veröffentlichung. Wir hatten das Album bereits fertig, aber wir warteten mit dem Release, weil Suzanne ihr zweites Kind zur Welt brachte.

Das bringt uns jetzt nochmals zu eurem letzten Album „Cool (und aber auch sexy)“, eurer letzten Tour als Vorband von DIE GOLDENEN ZITRONEN und der Auflösung von EUGEN 1998. Mir gefallen die ersten Veröffentlichungen vom BÖSEN BUBEN EUGEN und dieses letzte Album von EUGEN am besten. Also eine runde Sache über fast zwanzig Jahre.
Danke. „Cool (und aber auch sexy)“ kann man sich auch heute noch anhören. In meiner Erinnerung war dieses Album eine stimmige Sache. Gerade mit dem Produzenten Tom Etter war die Arbeit sehr intensiv. Wir haben für jeden Song eine eigene Atmosphäre gesucht, um die Stimmung herauszuarbeiten, mit neuen Herangehensweisen. Nach der Tour gab es noch eine EP mit Remixen des Liedes „Es sagt du zu mir“, danach interessierte mich das Leben, das mit dem Musikmachen verbunden ist, immer weniger. Wir haben noch ein wenig Neues probiert, aber wir sind dann auseinander, ich denke, im Guten. Ich wusste immer, dass ich eigentlich kein Musiker bin oder gar Künstler, sondern ein Typ, der eben so durchs Leben geht und sich manchmal ein paar Gedanken macht.

Dann noch ein kleines Detail zum Schluss: Wie üblich dankt ihr 1001 Personen auf dem Beiblatt bei der LP-Version, obwohl du von der CD sprachst, die es natürlich gibt und das Publikum in Neunzigern ja wollte, hier aber ohne Bonus-Songs. Es fehlt aber zum ersten Mal der Name des Gestalters. Ist meine Annahme richtig, dass es Cornel Windlin war, einer der absoluten Top-Grafiker in dieser Zeit, der es gestaltet hat?
Da liegst du falsch. Das Cover habe ich selbst gemacht. War ich also am Ende auch noch ein Top-Grafiker? Hilfe! Ich habe diesen ganzen handschriftlichen Krakelkram und das Fotosample aus meiner Fotokiste daheim zusammengestiefelt. Vorder- und Rückseite sind Fotos von Tom Etters Bruder Andy aus dem Skiurlaub. Ein Grafiker hat das am Ende noch technisch umgesetzt für die Produktion. An dessen Namen kann ich mich aber nicht mehr erinnern, ist schon länger her.