BITUME

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Vertonte Gedichte

BITUME aus der selbsternannten „Punkrock Motorcity“ Oldenburg können mittlerweile auf zwanzig Jahre Bandgeschichte zurückblicken. Die Zwangspause während der Pandemie nutzte die Band, um ein weiteres Album aufzunehmen. Es heißt „Die Entscheidung“ und ist kürzlich auf Rookie Records erschienen. Brady und Philip stehen hierzu Rede und Antwort.

Ihr habt euch im Winter 1999/2000 gegründet. Demnach wäre 2020 euer zwanzigjähriges Bandjubiläum gewesen. Hattet ihr besondere Pläne, den BITUME Bandgeburtstag zu zelebrieren?

Brady: Ja, das war unser Jubiläumsjahr. Zwanzig Jahre – schon eine Menge Zeit. Es gab erste Ideen einer Jubiläumsfeier. Aber das ist nie konkret geworden und dann hat die Pandemie alles verändert. Wir werden das mal nachholen und feiern dann irgendein krummjähriges Jubiläumsfest.

Stattdessen habt ihr die Zeit im Proberaum verbracht und nun anderthalb Jahre nach „Kaputt“ ein neues Album veröffentlicht. So kurz war der Abstand zwischen euren Alben noch nie. War das vor der Pandemie schon so geplant oder hat diese den Prozess letztendlich beschleunigt?
Brady: Nein, das war vor der Pandemie überhaupt nicht geplant. Nicht mal im Ansatz. Eigentlich hatten wir vor, mit dem damals ja noch sehr frischen Album „Kaputt“ Konzerte zu spielen. Als deutlich wurde, dass das Live-Spielen erst mal ausfällt, haben wir den Plan gefasst, die Zeit eben anders zu nutzen. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass wir als Band ein Ziel haben wollten. Etwas, das uns beschäftigt hält, damit die Zwangspause nicht am Ende die Band einschlafen lässt. Sozusagen ein Banderhaltungsziel. Die Pandemie hat natürlich auch Auswirkungen auf das Songwriting und den ganzen Entstehungsprozess gehabt. Als Band sich nicht mehr vollständig treffen zu können, ist ja erst mal ein elementares Hindernis. Erstaunlich war, dass die Kreativität dermaßen hoch war, dass innerhalb von knapp drei Monaten ein Dutzend neuer Lieder fertig waren. So was gab es bei uns auch noch nicht. Und jetzt: Ziel erreicht – Platte fertig. Hurra!

Sie trägt den Titel „Die Entscheidung“. Welche wichtigen Entscheidungen musstet ihr in zwanzig Jahren BITUME treffen und was macht für dich und die Band eine gute Entscheidung aus?
Brady: „Die Entscheidung“ ist ein sehr passender Titel, wie ich finde. Das ganze Leben ist ja ein ständiger Entscheidungsprozess. Es hört irgendwie nie auf, das mit dem sich entscheiden müssen. Ich denke, am wichtigsten ist, dass jeder Einzelne von uns sich entschieden hat, neben dem ganz alltäglichen Dasein, eine Menge Zeit und Energie in BITUME als Band zu stecken. Ja, das ist wohl die wichtigste Bandentscheidung, die jeder von uns für sich getroffen hat. Gut so. Es ist ja auch nicht einfach, über so lange Zeit und fast in Persona unverändert eine Band zu haben. Eine gute Entscheidung ist doch hoffentlich die, die sich richtig anfühlt und die dann auch zum gewünschten Ergebnis führt. Klappt sicherlich nicht immer, aber meistens.

Deine Texte sind oftmals sehr kryptisch. In den Songs „D21“und „Antisozialkompetenz“ sprichst du hingegen eine deutliche Sprache und beziehst dich auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Warum war es dir wichtig, dich noch klarer als bisher politisch zu positionieren?
Brady: Das stimmt. Ich sage ja immer, ich schreibe eigentlich eher Gedichte und wir vertonen diese mit BITUME. Aber die durch die Pandemie und die Berichterstattung darüber geprägten letzten anderthalb Jahre sind an mir einfach nicht spurlos vorbeigegangen. Um es mal so auszudrücken: Die hässliche Seite der Gesellschaft hat sich verstärkt gezeigt. Das habe ich eben auch textlich verarbeitet und dabei war das Kryptische einfach nicht gefragt. Das hätte sich auch nicht richtig angefühlt. Hier mussten klarere Worte her. Hat sich dann auch passend angefühlt. Das wiederum war für mich auch eine spannende Erfahrung.

Anstatt aufgrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen zu resignieren, blickst du im „Protestlied“ zuversichtlich und positiv in die Zukunft. Das ist für BITUME eher ungewöhnlich. Woher kommt der plötzliche Optimismus?
Brady: Resignation ist aus meiner Sicht keine wirkliche Lösung. Und kostet auch viel Energie. Da muss man sich ab und zu mal selbst motivieren, um den Kopf wieder Richtung Sonne heben zu können. Denn wenn man immer nur in den Abgrund schaut, dann fällt man irgendwann selbst hinein. „Die Entscheidung“ schwankt textlich und auch emotional zwischen diesen beiden Polen hin und her. Dem ganzen Negativen auch mal Positives entgegenzusetzen, das war mir anscheinend wichtig. Wobei ich Texte nicht nach Plan schreibe. Das kommt, wie es kommt, und dann dauert es auch nur ein paar Minuten und fertig ist der Text. Danach wird auch meist nichts mehr geändert. Nur hier und da werden die Worte hin- und hergeschoben, damit man sie auch gut singen kann. Diese Schnellschreibmethode klappt seit zwei Platten ganz gut. Hoffentlich bleibt das so, haha.

Mit „Applaus für den Punk“ hast du eine Lobeshymne auf den Punk geschrieben. Welchen Stellenwert hat Punk nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte noch für dich?
Brady: Einen hohen Stellenwert. Sonst wäre das Lied nicht entstanden. Letztendlich geht es darin ja, etwas schmunzelnd gesagt, um das Altern mit der Musik, mit dem Punk, mit sich selbst und seiner Einstellung. Und das sagt der Text ja auch, mich lässt das Musizieren nicht los. Trotz mehrerer Dekaden an Leben fühlt man sich dabei zumindest innerlich noch jung. Der Tag nach Konzerten und durchfeierten Nächten zeigt einem dann, wo man steht. Die Regeneration zieht sich in die Länge. Das kennen bestimmt ein paar mehr Leute, die mit Punk älter werden. Das ist natürlich auch eine Liebeserklärung an die Musik und an die vielen tollen Menschen und Momente, die wir kennen lernen durften und von denen teilweise lebenslange Freundschaften bleiben werden. Wenn Punk als Musik das kann, dann ist das ein Lied wert. Finde ich.

In „Das Ich spricht“ geht es um das Suchen und Finden der eigenen Identität und den Anspruch, immer allen gerecht werden zu müssen. Wie habt ihr als Band zu eurem heutigen individuellen und stilprägenden Sound gefunden?
Brady: Ich ertappe mich selbst immer mal wieder dabei, dass ich darüber nachdenke, welche Erwartungen andere an mich haben. Das geht mir dann so auf den Senkel, dass dieses Lied daraus entstanden ist. Das kann ich mir nun als Gedächtnisstütze anhören, um mich daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist. Es ist schön zu hören, dass wir einen individuellen und eigenen Sound zu haben scheinen. So verstehe ich zumindest deine Frage. Wie hat sich das entwickelt? Auf jeden Fall harmonisch und ohne größere Planspiele oder so. Da gibt es für mich immer zwei Dinge, die sich gegenseitig hochschaukeln und am Ende stützen. Das ist zum einen der Text sowie die Gesangsidee und -melodie, die sind oft zuerst da, und dann die Instrumentierung. Insbesondere die Gitarrenmelodien übernehmen eine nicht unwichtige Rolle in der Dramaturgie eines Liedes. Und wenn dann alle den Text und das Thema auch richtig fühlen, dann ist der Sound beziehungsweise der Stil da. Ist immer noch faszinierend. Es gibt natürlich auch Liedideen, bei denen das nicht funktioniert. Das merkt man letztendlich recht schnell und dann muss man daran gar nicht weiterbasteln. Seit der letzten Platte „Kaputt“ und dem Einstieg von Tristan als neuer Schlagzeuger hat das auch noch mal mehr Fahrt aufgenommen. Es läuft gerade alles recht rund, musikalisch gesehen. Das ist ja auch gut und wir genießen den Moment.
Philip: Wir machen uns nicht groß Gedanken darum, wie wir klingen sollten, damit wir vielleicht mehr damit erreichen können. Was uns leitet, ist die Liebe zu unserer eigenen Musik und deshalb sind wir auch Fans. Ich gebe zu, dass ich unsere Platten ziemlich häufig selber höre, weil sich durch unsere Zusammenarbeit genau die Musik entwickelt, die wir eben auch selber gerne hören. Und so entsteht dann auch der BITUME-Sound.

Musikalisch wurdet ihr im Ox bereits mit PLANLOS, TAGTRAUM, TURBOSTAAT, TOMTE, aber auch den frühen QUEENS OF THE STONE AGE verglichen. Mir fällt eine Einordnung schwer. Mit welchen dieser Bands würdet ihr euch am ehesten vergleichen und welche Bands haben euch geprägt?
Brady: Mir fällt das auch total schwer und ich habe auch jetzt keine spontane Antwort. Das ist bei so einer Frage natürlich suboptimal. Ich bin mit Achtziger-Jahre-Metal und Deutschpunk groß geworden. Das hat mich grundlegend musikalisch sozialisiert. Mehr kann ich dazu jetzt nicht sagen.
Philip: Diese Vergleiche sind immer spannend für uns. Manchmal können wir sie nachvollziehen und manchmal gar nicht. Die Vergleiche unserer Musik reichten auch schon von TOXOPLASMA bis zu SPORTFREUNDE STILLER, was uns eigentlich das gute Gefühl gibt, dass es auch gar nicht so leicht ist, einen guten Vergleich zu finden. Jedenfalls haben wir nie versucht, zu klingen wie eine bestimmte Band oder ein bestimmtes Vorbild. Mich hat vor allem der klassische Deutschpunk wie DACKELBLUT, RAZZIA und SLIME geprägt und die üblichen amerikanischen Verdächtigen wie SOCIAL DISTORTION oder BAD RELIGION. Meine großen Lieblinge seit langem sind Bands wie THE LIVING END oder THE BRIEFS. Manchmal kommen auch spannende Neuentdeckungen dazu wie zum Beispiel THE SHELL CORPORATION aus L.A., die mir tolle neue Inspirationen für neue Songs und neuen Sound liefern.

Im letzten Stück auf eurem Album singst du darüber, wie Gott zunehmend an der Menschheit verzweifelt. Wie ist dein Verhältnis zu Religion?
Brady: In „Gott ist tot“ nutze ich ja Gott und die Menschheit jeweils als eine Metapher für Natur beziehungsweise deren Zerstörung und die daraus resultierende Selbstvernichtung. Ich muss sagen, dass ich schon etwas länger darüber nachgedacht habe, ob es sich für mich gut anfühlt, das so zu machen, also den Text so zu singen. Aber auch hier hat der Text nicht lange gebraucht, bis er auf dem Papier stand, und er sollte wohl raus aus dem Kopf. Insofern haben wir uns auch bandintern mal darüber unterhalten und dann ist es so geblieben, wie es eben dastand. Wie ist nun mein Verhältnis zur Religion? Ich sage mal so, um an etwas Gutes und Nachhaltiges zu glauben, benötige ich keine Kirche oder eine vergleichbare Institution.

Aktuell wird viel über Frauen in der Punk-Szene diskutiert. Bei Themen wie Sexismus, Gleichberechtigung und Vielfalt scheint sie gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hinterherzuhinken. Was ist deine Meinung dazu? Ist Punk im Jahr 2021 ein „Boys Only Club“?
Brady: Ich habe die Diskussion etwas mitverfolgt, aber nicht jeden Artikel oder Beitrag gelesen. Es ist schlimm, dass wir als Gesellschaft im Jahr 2021 nicht weiter sind und dass hier weiterhin unterschiedliche Wertigkeiten zugeordnet werden. Erstaunlich ist, wie teilweise selbstverständlich diese Rolleneinteilung, dieses Rollendenken noch da ist. Das merkt man, finde ich, daran, dass Dinge einfach erst mal unreflektiert ausgesprochen werden und erst dann deren Aussage, Dimension und verletzende Wirkung auf die andere Person verstanden wird oder auch nicht. Ich denke auch, dass es weiterhin ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wenn ich da in Richtung der Arbeitswelt schaue, dann sehe ich da auch oft „Boys Only“-Unternehmen.
Philip: Dass die überwältigende Mehrzahl an Punkrock- und anderen Bands aus Männern besteht, kann man ja nicht wegdiskutieren. Wenn du nach unseren prägendsten Bands fragst, dann sind da leider auch nur Typen dabei. Dass die Punkrock-Szene der Gesamtgesellschaft hinterherhinkt, das ist jetzt zwar nicht mein Gefühl. Das hängt aber mehr damit zusammen, dass zum Beispiel in der Arbeitswelt Frauen sehr systematisch und strukturell benachteiligt werden. Das sagte Brady ja auch. Das ist überall zu beobachten. Aber die Punk- und die Musikszene generell sollte da ja mit gutem Beispiel vorangehen und der Gesellschaft zeigen, wie es eigentlich geht. Warum ist „’ne Band gründen“ immer noch so häufig eher eine Jungensache? Bestimmt auch, weil man auf den Festivals und Clubkonzerten fast immer nur Typen sieht, die die Jungs, die Typen sich dann zum Vorbild nehmen und auch Bands gründen wollen – und viel zu selten Frauen oder Diverse. Da sollten Veranstalter:innen ganz bewusst steuernd eingreifen und dafür sorgen, dass auf den großen Bühnen und in den kleinen Clubs eben nicht zu 95% only die „Boys“ auftreten, sondern eben viel diversifizierter zugeht. Das wird aber natürlich keinen kurzfristigen Effekt haben, sondern eine langfristige Geschichte sein. Den langen Atem werden wir wahrscheinlich brauchen.