BIG D AND THE KIDS TABLE

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Expect the unexpected

Mit ihrem sechsten Album überraschen die sieben Bostoner BIG D AND THE KIDS TABLE voll und ganz. Die Band um Sänger David McWayne und Gitarrist Sean P. Rogan war mit ihrem hektisch-melodischen Ska-Punkrock zwar immer gut, außergewöhnlich waren BIG D AND THE KIDS TABLE jedoch nicht. Nun, mit "Strictly Rude" haben sie es geschafft, sich zu emanzipieren und das sie vorher umgebende Soundkorsett, bestehend aus einer Mischung der SUICIDE MACHINES und den MIGHTY MIGHTY BOSSTONES, abzustreifen. Die Band vollzieht auf dem Album aber eine beachtliche Stilöffnung und experimentiert mit Reggae, Dub und einer Vielzahl anderer Stile, die aus "Strictly Rude" ein feines Sommeralbum machen. Grund genug, die Band einmal näher zu betrachten.



Als ich nach mehreren Anläufen und diversen Terminverschiebungen endlich Sean P. Rogan am Telefon habe, befindet jener sich gerade in einem New Yorker Hotel beim Frühstück und zeigt sich zwischen einem Bagel und Kaffee allerbestens gelaunt. Die erste Show der Tour mit ANTI-FLAG, ALEXISONFIRE und SET YOUR GOALS im Big Apple hat die Band am Vorabend hinter sich gebracht und wurde während des Sets von ANTI-FLAG gar von deren Bassist Chris #2 nebst dem bei der Show anwesenden Tom Morello (RAGE AGAINST THE MACHINE) auf die Bühne geholt, um mit "This land is your land" einen alten amerikanischen Folksong zu spielen. Jetzt, am Morgen danach müsse nach dem Interview nur der Van der Band beladen und dann die Weiterfahrt zur nächsten Show angetreten werden. Auf "Strictly Rude" ist Sean P. Rogan stolz wie Oskar, wie er mit dem Handy eingeklemmt zwischen Schulter und Ohr erzählt.

Mit Recht! Denn mit dem Album schaut die Band über den Tellerrand und macht sich ein Stück weit unberechenbarer als zuvor, als ihr Sound noch von einer zwar guten, aber eher gängigen Ska-Punkrock-Mixtur geprägt war. Denn auch wenn man auf "Strictly Rude" ein paar Songs hört, die für BIG D AND THE KIDS TABLE mehr oder weniger typisch sind, weil sie zackige Offbeats mit treibenden Punk-Parts und catchy Melodien vereinen, etwa die beiden Opener "Steady riot" und "Noise complaint", so sind diese Stücke aber in der Unterzahl gegenüber Songs, die eine beachtliche Weiterentwicklung der Bostoner zeigen. Da ist der den MIGHTY MIGHTY BOSSTONES - deren Bassist Joe Gittleman "Strictly Rude" produzierte - ähnliche, melancholische Ska-Rocker "Souped-up vinyl" und da sind vor allem sehr Reggae-, Dub- und irgendwo auch Pop-lastige Songs wie das tolle "Shining on" oder der Titeltrack.

"Wir sind in den letzten Jahren sehr stark von Reggae und Dub inspiriert worden und wollten diese Elemente daher auf unserem neuen Album einbringen. Teilweise haben wir uns sogar sehr bewusst gefragt, wie wir gewisse Grooves und Atmosphären, die uns am Reggae und Dub gefielen, in unseren Sound einarbeiten könnten, so dass ein neuartiger Big D-Sound entsteht, der aber nach wie vor zu hundert Prozent nach unserer Band klingt", erzählt Sean, der wenig später zugibt, dass sich mittlerweile auch sein Vater und seine nähere Verwandtschaft für seine Band begeistern können und ihm nicht mehr nur entgegen halten, er solle sich mit 30 endlich einen vernünftigen Job suchen.

Anders sind mit "Strictly Rude" auch die Texte der Band geworden. Bisher kannte man von den Bostonern eher Party- und Tourgeschichten sowie eventuell mal Beziehungsfragen. "Strictly Rude" transportiert zwar auch absolut partytaugliche Inhalte, explizit sozial-politische Songs wie "Try out your voice" oder "Hell on earth" war man von ihnen aber bisher genauso wenig gewohnt wie das "Save Darfur"-Banner, das sie auf ihre MySpace-Seite integriert hat. "Wir haben diese Band gegründet, als wir 18 waren. Damals ging es uns um nichts anderes, als Ska zu spielen und Spaß zu haben. Heute ist uns bewusst geworden, wie wichtig gesellschaftliche und politische Fragen für jeden einzelnen Menschen sind. Ich denke, dass "Try out your voice" und "Hell on earth" aus dieser Einsicht heraus entstanden sind. Würden wir als Band die Chance sausen lassen, unser langsam, aber stetig größer werdendes Publikum für diese Fragen zu sensibilisieren, wäre das sehr schade. Deswegen wollen wir unseren Fans aufzeigen, was savedarfur.org zu sagen hat. Und deswegen arbeiten wir auch sehr stark mit climatecrisis.net zusammen. Diese Website engagiert sich für den Klimaschutz und diese Frage geht wirklich jeden etwas an. Gleichzeitig werden wir aber nicht auf den Zug aufspringen und die nächste Anti-Bush-Band werden, die nur gegen ihn wettert. Uns kommt es darauf an, dass jeder kleine Dinge in seinem Alltag verändert, die dann in der Summe Grundlage für eine größere Veränderung sein können. Wenn unsere Fans das begreifen und umsetzen, ist es toll."

Eine mehr als spannende Entwicklung einer Band, der man eine solche Wendung hin zum Politischen nicht unbedingt zugetraut hätte. Wie dem auch sei, BIG D AND THE KIDS TABLE haben ein mehr als arbeitsreiches Jahr vor sich. Der Tourplan reicht fast bis Ende des Jahres und die Band arbeitet außerdem noch an einer DVD, mit der in gar nicht allzu weiter Ferne rechnen darf, wie Sean verrät. Ein weiteres, eigentlich für 2007 geplantes, reines Dub-Album mit dem Titel "Strictly Dub" müsse aber verschoben werden, werde früher oder später aber definitiv erscheinen. Vielleicht sollten sich die Herren mit Letzterem gar nicht so hetzten. Denn "Strictly Rude" ist eine begeisternde Rückmeldung der Bostoner und ein Album, das unerwarteter und besser kaum hätte sein können!

Übrigens: Was viele gar nicht wissen beziehungsweise auch mir vor dem Besuch der MySpace-Seite von BIG D AND THE KIDS TABLE gar nicht bekannt war ist, dass Sean P. Rogan neben BIG D AND THE KIDS TABLE einerseits alle Videos und viele Pressefotos für die Band filmt bzw. an der Fotoentwicklung mitwirkt, aber - vor allem - dass er auch ein respektabler Solomusiker ist. Seine Songs haben indes fast nichts mit dem Ska-Punkrock seiner Hauptband zu tun. Vielmehr sind die bisher fast nur via myspace.com gratis hörbaren Stücke ruhige Akustiknummern, die an COLDPLAY oder NADA SURF erinnern. Eine feine Abwechslung zum Sound seiner Hauptband sind Songs wie "Wait a minute" zwar - eine professionelle Solokarriere, wie sie viele Punkrock-Musikerkollegen bereits gestartet haben, wird man von Rogan aber eher nicht erwarten. "Vor ungefähr vier Jahren habe ich angefangen, eigene Stücke zu schreiben, die anders waren als Big D-Songs. Meinem damaligem Mitbewohner gefielen sie gut und so begann ich, nach und nach mehr davon aufzunehmen. Derzeit arbeite ich sogar an meinem zweiten Soloalbum, auf dem die Rhythmussektion von Big D mitspielen wird und das ich nach Fertigstellung gratis ins Netz stellen werde. Weißt du, diese Songs schreibe ich abseits von Big D und es ist mir völlig egal, wie erfolgreich ich mit ihnen werde. Trotzdem hätte ich gerne, dass möglichst viele Menschen sie hören und deswegen stelle ich sie einfach zum Gratis-Download bereit. Außerdem habe ich ja kaum Zeit, solo auf Tour zu gehen oder irgendwelche anderen die Songs promotenden Aktionen zu machen. Denn die Priorität heißt im Moment ganz klar: BIG D AND THE KIDS TABLE."