Ich liebe Überraschungen. Und eine saftige solche bescherte mir das Debütalbum des schottischen Dreiers BIFFY CLYRO. Nachdem ich mich durch einen unübersichtlichen Wust aus Spar-, Länder- und was-weiß-ich-noch-Vorwahlen gekämpft habe, bin ich endlich mit Simon Neil, Sänger und Gitarrist von BIFFY CLYRO, verbunden. Er ist gut gelaunt und vor allen Dingen zu Scherzen aufgelegt. Ich muss aufpassen, denn hin und wieder dreht er den Spieß um und interviewt mich, während der Gebührenzähler meines Telefons auf Hochtouren läuft. Ja, ich war schon mal in Schottland, und ja, es war sehr schön dort, aber nein, Glasgow habe ich nicht gesehen. Ich weiß aber noch, dass ich trotz ganz passabler Englischkenntnisse erhebliche Schwierigkeiten hatte, die Leute dort oben zu verstehen. Nachdem Simon mir verspricht, seinen Dialekt im Zaume zu halten,
kann es endlich losgehen.
Okay Simon. Zuerst einmal möchte ich mich für die Frage entschuldigen, die jetzt kommt. Ich wette, du hast sie schon hundertmal zu hören bekommen, aber ich MUSS sie einfach stellen: Wer ist BIFFY CLYRO?
Aaah, das ist nur ein dummer Witz gewesen. Wir wollten einen Bandnamen, von dem die Leute nicht ablesen können, woran sie sind. Bei einem Namen wie LIMP BIZKIT zum Beispiel, denkt man schon immer sofort an Nu Metal. Wir wollten Verwirrung stiften, die Leute sollen nicht sofort wissen, was wir für eine Musik machen. Der Name hat also keine tiefere Bedeutung, aber wir wollten keinen wie alle anderen.
Ach, es ist gar keine fiktive Person? Ich dachte, der Name hätte vielleicht etwas mit der Figur zu tun, die auf jedem eurer Cover auftaucht.
Haha, nein, bestimmt nicht. Aber es wäre lustig, wenn wir das überall rumerzählen würden. Es ist nur eine zufällige Ansammlung von Buchstaben, die ganz gut klingt. Viele Leute mögen unseren Namen nicht, aber unser Ziel ist es, dass niemand mehr an den Namen denkt, wenn er unsere Musik hört.
Schottland ist hierzulande eher für seine menschenleeren Highlands, denn für seine Rockbands bekannt. Es ist ein Land, in dem mehr Hochlandschafe leben als Menschen und in dem es nur wenige Großstädte gibt. Wie bringt man unter solchen Umständen eine Karriere in Gang?
Wir sind zunächst mal nach Glasgow gezogen, um zu studieren. Edinburgh und Glasgow haben ziemlich lebendige Szenen, und glücklicherweise findet in den wenigen großen Städten eine ganze Menge statt. Man kann sagen, dass die Hauptstädte in dieser Hinsicht Aberdeen, Inverness und natürlich die eben genannten Städte sind. Hier hat sich alles versammelt und es gibt eine Menge an kreativer Energie, deshalb funktioniert es ganz gut mit dem Karrierestart.
Im Zusammenhang mit eurer Musik lese ich immer von Vergleichen mit Bands wie FAR und TOOL. Nun kann ich zwar den Vergleich mit ersteren nachvollziehen, aber ich finde, ihr klingt überhaupt nicht wie TOOL!?
TOOL, ja, ein paar Leute haben das früher mal über uns gesagt, aber ich glaube, das bezog sich eher auf einzelne Songs. Ich bin schon einverstanden, wenn jemand sagt, dass wir etwas nach FAR klingen, wir sind alle große Fans von ihnen, sie sind die verblüffendste Band überhaupt, unserer Meinung nach. Der Vergleich mit TOOL bezieht sich jedoch wohl eher auf die Art, wie sie Dinge tun. Wir bewundern das sehr, denn sie tun nur das, was sie wollen. Denen geht es nicht um Image, sondern wirklich um die Musik.
BIFFY CLYRO besteht aus drei Leuten, und alle singen. Dabei ist es für einen Schlagzeuger eher ungewöhnlich, dass er singt.
Definitiv. Ben, unser Schlagzeuger, und ich spielen nun schon seit sechs oder sieben Jahren zusammen, wobei wir mit Coversongs angefangen haben. Wir haben immer alle herumgesessen und Musik gemacht, und er hat von Anfang an gesungen. Er hatte also nie nur die Rolle des Schlagzeugers inne. Wir haben das übernommen, als wir angefangen haben, eigene Songs zu schreiben. Wir sind sehr glücklich, dass es so ist, weil die meisten Bands nur einen Frontmann haben. Viele Leute mögen das, aber wir sind nun mal drei Jungs, die Musik machen, und die Leute sollen nicht zwangsläufig in dieses Rollendenken verfallen. So bekommt jeder seine Anerkennung. Mit den Singles ist es das Gleiche. Wir mögen es nicht, einzelne Songs aus dem Kontext des Albums zu heben, weil das Album ein Gesamtwerk ist, bei dem jeder Song seinen festen Platz hat.
Apropos Singles. Im Vorfeld eures Albums „Blackened Sky“ sind mit „Justboy“, „27“ und „57“ aber doch immerhin drei Singles erschienen.
Ja richtig. Wir haben uns damit abgefunden, dass Singles ein notwendiges Mittel in der Marketingstrategie der Plattenfirmen sind, aber wir versuchen immerhin, die Singles zu etwas besonderem zu machen, indem wir unveröffentlichtes Material dazupacken, das ebenso wichtig ist, wie der ausgekoppelte Song selbst. Hoffentlich sind wir irgendwann einmal in der Situation, dieses Spiel nicht mehr mitspielen zu müssen.
Kann es sein, dass zwei eurer Singles irgendwie miteinander zusammenhängen?
Hehe, du meinst ‚27‘ und ‚57‘, nicht wahr? Die beiden Songs habe ich am gleichen Tag auf meiner Akustikgitarre geschrieben. Ich fand damals, dass sie recht ähnlich klingen, und sie behandeln auch dasselbe Thema. Um zu verhindern, dass Hörer mir vorwerfen, sie würden sich zu sehr ähneln, bin ich ihnen zuvorgekommen und habe ihnen ähnliche Titel gegeben. Nun klingen sie gar nicht mehr so ähnlich, aber es macht Spaß, die Leute auf diese Art zu verwirren. Sie sollen bei Konzerten nicht wissen, welcher Song gerade läuft.
Eure Touraktivitäten in den letzten Wochen haben sich nahezu auf Auftritte in Virgin Megastores in ganz Schottland beschränkt. Wie kann man sich ein Konzert in einem Schallplattenladen vorstellen?
Um ehrlich zu sein, ist es nicht das Wahre. Normalerweise findet so was um vier Uhr nachmittags statt, während die Kids ihre Backstreet Boys-CDs kaufen. Man fühlt sich nicht so recht, als würde man gerade ein Konzert geben. Andererseits kann es eine Chance sein, weil man vor Leuten spielt, die sich die Musik normalerweise nie im Leben anhören würden, geschweige denn ein Konzert anschauen. Es ist eben ein Werbegag. Und unsere Fans können sich immerhin ein Konzert von uns anschauen.
Mir ist aufgefallen, dass ihr in diesen Wochen eure erste Tour außerhalb Großbritanniens absolviert habt.
Ja, wir hatten Ende April und Ende Mai eine Tour durch Deutschland mit THE COOPER TEMPLE CLAUSE. Wir sind froh, dass wir mal über den Teich kommen konnten. Wir wussten nicht, was uns erwartet, und ob uns jemand außerhalb Großbritanniens kennt. Wir haben im Vorfeld ein paar Interviews nach Deutschland gegeben, und sogar schon Emails von dort bekommen. Ich denke, die Leute fange langsam an, uns kennen zu lernen. Hoffentlich konnten wir wenigstens ein paar positiv überraschen, immerhin hat niemand Erwartungen an uns gestellt und uns ganz neutral beurteilt. Wir versuchen ja, live so rüberzukommen wie beispielsweise FUGAZI, mit der gleichen Leidenschaft jedenfalls. Sie sind eine der besten Livebands überhaupt, und wenn wir auf der Bühne stehen, haben wir sie immer als Vorbild im Hinterkopf.
Ein Satz, den ihr immer wieder gerne von euch gebt, ist „Death to false metal“. Wie soll man das verstehen? Seid ihr etwa „True metal“-Jünger?
Hehe, natürlich nicht. Für mich bedeutet Metal das gleiche wie für andere Leute Punk, und ich gehe auf die gleiche Weise mit dem Begriff um. Es gibt immer Debatten darüber, was Punk ist, und was nicht. Es bedeutet einfach, das zu tun, was man tun möchte, und der zu sein, der man will. Sein eigenes Ding zu machen.
Vielen Dank für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #47 Juni/Juli/August 2002 und Christian Meiners
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