Evan Dando ist noch in aller Munde, doch um den Mann, der die LEMONHEADS einst mitbegründete und auf den legendären Alben dabei war, ist es irgendwann völlig ruhig geworden – bis mich neulich das via Boss Tuneage erschienene Album von Ben Deilys Band THE VARSITY DRAG erreichte. Das entstand, nachdem ihn in San Francisco die Mitglieder der Band UNBALANCED aufgespürt hatten, getreu dem schönen Motto „stalkers make the best bandmates“, und ihn nach endlosen Jahren wieder in ein Studio gezerrt hatten. Herausgekommen sind dabei wunderschöne Pop-Punk-Songs in, jaja, bester LEMONHEADS-Manier, die alle von Deily mitgeschrieben wurde, bei denen er als Sänger, Gitarrist und am Piano zu hören ist. Mittlerweile ist Ben an die heimische Ostküste zurückgezogen, doch für den Winter steht eine Europatour an, und weil seine Website einen sehr humorvollen Gesprächspartner erwarten ließ, mailten wir ihm ein paar Fragen.
Ben, was machst du zurzeit? Ich habe gelesen, du arbeitest in der Werbebranche?
Ja, dort habe ich in den letzten zehn Jahren gearbeitet, vielleicht auch länger. Auch durch die wechselhaften Zeiten der verrückten amerikanischen Wirtschaftslage hindurch. Sich Anzeigenkampagnen ausdenken und Konzepte verfassen ist keine schlechte Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Oder besser: Vielleicht ein zutiefst mieser Weg, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber definitiv unterhaltsam. Wenigstens hat es ja auch die Musikindustrie hart getroffen, habe ich gehört, hehe.
Du hast eine großartige Internetseite. Kümmerst du dich selbst darum? Ich mag deinen Humor.
Danke, freut mich zu hören, dass du sie magst. Sie wurde in erster Linie ins Leben gerufen, um meinen Lebenslauf und mein Portfolio zu Arbeitszwecken im Netz zu haben. Aber auch um so eine Art permanentes „Ben Deily-Museum“ zu haben, um all den Leuten, die mich in den letzen Jahren per Mail dies und das gefragt haben, mal antworten zu können. Ich kümmere mich größtenteils selbst um die Seite, aber nur, ähm, sehr sporadisch. Ich habe mir einmal vorgenommen, so ein, zwei Mal pro Monat ein Update zu machen, aber ich hänge immer hinterher. Ich habe zum Beispiel in den letzten drei Monaten rein gar nichts erneuert. Leben ist zu anstrengend, als dass man sich die Zeit dafür nehmen könnte, darüber zu schreiben.
Du bist wieder von der West- zur Ostküste gezogen, wie kommt’s? Und was bedeutet das für VARSITY DRAG?
Der Grund, wieder an die Ostküste zu ziehen, genau genommen nach Portland Maine, ist erstens, dass mir hier ein großartiger Job angeboten wurde, und zweitens, weil ich New England – die Landschaft, das Wetter und meine Familie, die dort auch lebt – liebe und auch vermisst hatte. Drittens hatte ich, bei allem nötigen Respekt, genug von Kalifornien. Um auf VARSITY DRAG zu sprechen zu kommen: Wir befanden uns in einer unbestimmten Pause, also war der Umzug nicht wirklich ein Thema. Dadurch, dass ich zurückgezogen bin, können mein Bruder Jonno aus Boston, Dave Richman in New York und ich uns aber wesentlich einfacher treffen, um von Zeit zu Zeit mal wieder in meiner alten Band PODS zusammen zu spielen. Und um endlich den PODS-Album-Nachfolger zusammenzubasteln, den wir seit langem geplant haben. Wir werden uns sowieso wieder davor drücken, haha. Ironischerweise planen VARSITY DRAG gerade, wo ich wieder an der Ostküste bin, eine Europatour. Also reist unser Bassist aus Kalifornien an, unser Schlagzeuger fliegt aus Deutschland ein und wir werden alle im Januar genau hier bei mir in New England proben.
Kannst du mir kurz die Geschichte hinter VARSITY DRAG erläutern? Wer, wann, warum, wo, wieso?
„Wer“ war dieser Haufen von Typen, welche zu jener Zeit in einer Band namens UNBALANCED spielten. „Wann“ waren die späten Neunziger, so mehr oder weniger. „Wo“ war in San Francisco. „Was“ war, dass sie meine eMail-Adresse ausfindig machen konnten und mich davon überzeugt haben, mir ihre Band anzuschauen. Anschließend haben wir uns immer öfter getroffen und regelmäßig miteinander gespielt. Ihre Freunde von der Fat Wreck Chords-Band BRACKET organisierten unsere erste Show. Von da an ging es für eine Weile los mit uns. Wir haben überall in der SF-Bay Area gespielt, bis die typischen Angelegenheiten dazwischenkamen, wie persönliche und alltägliche Sachen, Umzüge und so weiter. Trotzdem war es eine schöne Zeit. Und zum „Warum“, also ... wer weiß das schon?
Was ist mit der geplanten Europatour
Der momentane Stand ist, dass wir planen, nach Großbritannien, Belgien, Frankreich und, Deutschland zu kommen, so irgendwann im Januar und Februar 2007..
Wenn man einen Job in einem eher Yuppie-mäßigen Bereich nachgeht, wie hart ist es dann, von der Einstellung her „Punk“ zu bleiben?
Im Werbegeschäft glaubt glücklicherweise jeder, in irgendeiner Hinsicht ein „Punk“ zu sein – egal, wie irreführend das für einen selbst ist, hehe. Wie du schon sagst, ist es eine Frage der Einstellung. Ich will damit sagen, dass für mich „Punk sein“ bedeutet, ein Klugscheißer zu sein, skeptisch zu bleiben, und die meiste Zeit ein wenig exzentrisch und griesgrämig zu sein. Versteh mich nicht falsch, ich bemühe mich um Heiterkeit und Gelassenheit und einen mitfühlenden Blick auf die Welt und all das, aber man muss auch ein bisschen angepisst bleiben. Das macht das Leben halt lustiger.
In musikalischer Hinsicht, finde ich, dass du dich nie weit weg bewegt hast vom Stil der ersten zwei LEMONHEADS-Alben, was ich sehr schätze.
Oh, da muss ich definitiv zustimmen. Was soll ich dazu sagen? Man schreibt die Songs, die man im Kopf hat, und dies sind halt meine, das ist der Sound, den ich liebe. Zu meinem Glück decken die ersten zwei LEMONHEADS-Alben das komplette Spektrum ab, von aufgedrehtem Hardcore-Punk bis zur Akustikgitarre, Pianoklängen und klimperigem Pop, so dass ich bis jetzt noch keinen Grund darin sehe, mich stilistisch und instrumental weiterzuentwickeln. Dazu muss ich sagen: Erwarte erst einmal kein Synthie-Ambient-, Drum&Bass- oder HipHop-Album von mir, hehe. Ganz im Sinne von Lou Reed: „You just can’t beat two guitars, bass and drums!“
Nenne doch einmal deine momentanen Lieblingsalben und -bands. Und was sind deine ewigen Favoriten?
Ach, dass ich das immer wieder, leider erfolglos, allen Leuten, die denken, ich hätte Expertenwissen, weil ich „in einer Band“ bin, erklären muss ... Ich gebe zu: Ich verbringe wirklich kaum Zeit damit, mir Pop- und Rockmusik rein zu ziehen, das habe ich noch nie, es interessiert mich halt nicht. Ich weiß, dass es schrecklich ist, dies zuzugeben, aber ich lese lieber oder bevorzuge andere Freizeitaktivitäten, und so war ich schon immer. Besonders, wenn es um neue Musik geht, habe ich absolut keine Ahnung, ich schwöre es dir! Wie „punkig“ ist denn das? Hehe ... Wie auch immer, Manchmal höre ich mir was an. Zurzeit sind das verschiedene „kick ass“-Bands, die ich entdeckt, getroffen und mir mehrere Male angeschaut habe, als ich 2005 in L.A. lebte: THE UNDERWATER CITY PEOPLE, THE RAINMAN SUITE und POPULUXE.
Was sind deine Gefühle bezüglich des LEMONHEADS-Comebacks?
Äh, gut für Evan. Ich bin froh darüber, dass er immer noch dabei ist. Es sieht so aus, als ob es sich in der heutigen Unterhaltungswelt nur darum geht, alte Sachen wieder zu beleben. Also hoffe ich, dass er dabei gut abschneidet.
Hast du die neue Sachen gehört? Wenn ja, wie findest du sie?
Hab ich nicht. Äh, peinlicherweise muss ich zugeben, dass ich auch nicht viel von ihrem alten Zeug gehört habe. Zumindest nicht absichtlich, ich bin nie dazu gekommen. Für jemanden, der dieses Interview liest, scheint es vielleicht schwer zu sein, dies zu glauben. Aber dieses Rockstar/Band/Musik-Ding ist nicht wirklich ein großer Teil meines Lebens. Ah, warte! Evan hat mir doch mal eine Kopie von „Baby, I’m Bored“ gegeben, welche ich richtig gut fand. Sag, was du willst, aber der Junge hat verdammt noch mal Talent!
Hast du, nachdem du die Band verlassen hast, deren Werdegang verfolgt?
Immer nur unfreiwillig. Es ist lustig; Als ich die Dinge in Angriff nehmen wollte, die ich schon immer angestrebt habe, wie Weiterbildung, Schreiben, Arbeit, Ehe, also im Prinzip das richtige Leben, fühlte sich jeder, vom guten Bekannten bis hin zum völlig Fremden, dazu verpflichtet, mir die neuesten Sachen über die Band und Evans Rockstar-Dasein mitzuteilen. Anfangs hat es mich richtig genervt, weil ich annahm, dass es eine Art kollektive Schikane von den Leuten wäre, die mich glauben machen sollte, neidisch zu sein, damit ich wieder zur Musik zurückkehre. Doch letzen Endes bin ich darüber hinweg gekommen. Weil die meisten Leute, die ich kenne, heimlich auch Rockstars sein wollen, muss das für mich nicht bedeuten, dass ich das auch sein muss. Das habe ich damals bemerkt.
Hattest du mal den Wunsch, dich für wenigstens eine Show mit Evan auf der Bühne zusammenzutun?
Hm, weiß nicht. Diese Möglichkeit kam nie auf. Ich könnte mir vorstellen, dass das lustig sein könnte, besonders ein paar KISS-Cover oder so was zu bringen ...
Warum gab es noch nie eine Wiederveröffentlichung des ersten LEMONHEADS-Albums "Laughing All the Way To The Cleaners"?
Gute Frage, ich habe keine Ahnung. Ich weiß noch nicht einmal, wer die Masterbänder besitzt. Es müssten aber Curtis von Taang! oder Jesse Peretz sein. Wenn irgendjemand sich doch dafür entscheidet, sie heraus zu bringen, eine Bitte: Schickt mir doch einer bitte meine Tantiemen, wärt ihr so freundlich? Haha, warte, ich habe noch eine bessere Idee: Wenn irgendjemand es hören und herunterladen will, könnte ich es immer auf meine Website hochladen. That’s what we’re here for.
Noch irgendwas, das du loswerden willst?
Ich muss zugeben, dass es super ist, auf dieses Europading mit VARSITY DRAG eingeladen zu sein. Es ist so ein bisschen die Chance, ein paar Wochen den Rockstar zu spielen und dann wieder sicher in mein normales Leben zurückzukehren! Seht euch uns an, wenn wir in eurer Nähe sind und wir werden das verdammt noch mal Beste geben! Ich bezweifele, dass ich jemals wieder in der Stimmung sein werde, so etwas noch einmal zu machen. Zumindest nicht in nächster Zeit, hahaha.
Joachim Hiller, Simon Brunner bendeily.com
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #68 Oktober/November 2006 und