Das Baskenland, auf baskisch Euskadi oder Euskalherria, erstreckt sich entlang des Golfes von Biscaya und umfaßt Teile Nordspaniens und Südwestfrankreichs. Die Basken sind das älteste Kulturvolk Europas und haben ihre eigene Kultur zu einem großen Teil bewahrt. Die alten baskischen Gesetze (fueros) legen besonderen Wert auf persönliche Freiheitsrechte.
Im spanischen Teil des Baskenlandes leben circa 2,5 Millionen Menschen, von denen jedoch nur circa 700.000 baskisch sprechen. Baskisch (Euskara auf baskisch) ist die älteste lebende Sprache Europas, nicht mit dem Spanischen verwandt, und wird oft als eine der am schwersten zu lernenden Sprachen bezeichnet.
Während eines Großteils seiner Geschichte war das Baskenland unabhängig, es war weder von den Römern noch den Mauren besetzt. Erst 1876 wird das Baskenland Spanien einverleibt. Während des spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) wird ein autonomer Baskenstaat geschaffen, der nach Francos Sieg jedoch aufgelöst wurde.
Die Unterdrückung im Baskenland ist während Francos Milittärdiktatur besonders hart, trotzdem werden die Autonomiebestrebungen immer stärker. 1959 wird die ETA gegründet, in den 1970er Jahren erlebt die separatistische Bewegung enormen Zulauf, und es kommt zu zahlreichen gewalttätigen Zwischenfällen. Nach Francos Tod 1975 gewährt die nun demokratische Regierung dem Baskenland beschränkte Autonomie, die in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut wurde.
1975 stirbt der faschistische Diktator Franco, der Spanien fast vierzig Jahre lang regiert hat. Spanien öffnet sich wieder, innerhalb kürzester Zeit werden kulturelle Entwicklungen nachgeholt: die "movida". Neben Filmemachern, Malern, Schriftstellern treten auch die ersten spanischen Rockbands auf, unter anderem die HEROES DEL SILENCIO, LOS ILEGALES oder SINIESTRO TOTAL. Im Baskenland gibt es traditionell eine lebendige Musikkultur. Zu Beginn der Siebziger haben Sänger wie Mikel Laboa, Lete Lertxundi und Armatola gegen die Diktatur protestiert. Etwas später gründen sich die ersten Rock-Bands, zum Beispiel ORQUESTA MONDREAGÓN, BRAKAMAN, PARÁLISIS PERMANENTE und POCH.
1977: Von London ausgehend breitet sich Punk aus und wird für einige Jahre die dominierende europäische Jugendkultur. Das Baskenland, traditionell schon immer "England-nah", befindet sich zu dieser Zeit in einer schweren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise. Die alten Großindustrien gehen wegen der wirtschaftlichen Öffnungspolitik der Nach-Franco-Regierung rasch pleite, die Arbeitslosigkeit steigt. Außerdem werden die Forderungen nach Autonomie immer lauter. Es kommt zu Massenstreiks und ständigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und Attentaten. Außerdem steigt die Zahl der drogenabhängigen Jugendlichen massiv an.
Punk trifft hier auf fruchtbaren Boden und breitet sich schnell aus. Jugendliche besetzen zahlreichende leerstehende Häuser ("Gaztetxe"), so daß sich in kurzer Zeit ein dichtes Netzwerk von alternativer "Gegenkultur" bildet. In den alten industriellen Kerngebieten, wo es durch den Strukturwandel zu einer besonders schweren Wirtschaftskrise kommt, konzentriert sich diese Bewegung.
Ende 1978 gründen vier Teenager aus Bilbao, der größten Stadt des Baskenlandes, die Band MCD. Ihre Vorbilder sind die SEX PISTOLS.
MCD treten erst 1981 das erste Mal live auf, sie spielen auf einem Festival, auf dem andere baskische Bands wie VULPESS, MÉDANOS und SINGAPUR DE CORRUPCIÓN auftreten. 1982 treten sie beim Festival "Nuevos sonidos de los 80" ("Neue Geräusche für die Achtziger") auf.
"Zona Especial Norte" (etwa "Sondereinsatzgebiet Nord" - ein Aufstandsbekämpfungsplan für das Baskenland) heißt die Split-Mini-LP von R.I.P. und ESKORBUTO, die - 1983 erschienen - eine der ersten baskische Punk-Platten ist: Mitgröhl-77er-Punk mit Titeln wie "Mucha policía, poca diversión" ("Viel Polizei, wenig Spaß") oder "No hay futuro" ("Es gibt keine Zukunft") - No Future-Punk! ESKORBUTO werden mit dieser und ihren weiteren Platten die "Dissidenten" des Baskenpunks, weil sie "Anti todo" - "Gegen Alles" sind. (Die beiden Kernmitglieder starben übrigens Anfang der Neunziger an einer Überdosis.)
Im selben Jahr findet ein großes Anti-NATO-Festival statt, und für die auftretenden Bands wird erstmals der Begriff "Rock Radical Vasco" verwendet. Der "Rock Radical Vasco", allen voran LA POLLA RECORDS mit ihrem charismatischen Sänger Evaristo, ist die Initialzündung für Punk im Rest Spaniens und in Lateinamerika. mit dem Motto "Nada nos mueve, no hay esperanza ¡vengeanza!" -"Nichts interessiert uns, es gibt keine Hoffnung, nur Rache!". "Rock Radical Vasco" war stilistisch jedoch nicht festgelegt, sondern so wurden auch Rock- oder Ska-Bands usw. bezeichnet.
1980 kauft sich der damals 16-jährige Fermín Muguruza nach einem Konzert von THE CLASH in San Sebastián eine Gitarre. Als erste musikalische Einflüsse gibt er 2-Tone-Ska, Reggae und britischen Punkrock von CLASH, STIFF LITTLE FINGERS, UNDERTONES, SHAM 69 usw. an. Spätere Einflüsse sind US-Hardcore-Bands wie DEAD KENNEDYS, MDC, MINOR THREAT oder BAD BRAINS. 1984 gründet Fermín Muguruza zusammen mit seinem Bruder Iñigo und Treku Armendariz KORTATU, die neben LA POLLA RECORDS zum zweiten Aushängeschild des "Rock Radical Vasco" werden. Ausgedehnte Touren führen die Band zweimal auch nach Deutschland. Die Band spielt eine furiose Mischung aus Punk und Ska, die Texte sind sowohl in Spanisch als auch in Baskisch. Die erste, selbstbetitelte Platte von 1985 gehört meiner Meinung nach zu den zehn Klassikern des Euro-HC/Punk, die drei weiteren Platten stehen ihr in nichts nach.
Punk regiert im Baskenland! Die Szene im Baskenland ist sehr gut organisiert, selbst in kleinen Orten finden Konzerte mit 2.000 - 3.000 Zuschauern statt. Die Bands unterstützten die Gaztextes, linke Organisationen, und stehen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung nahe. So organisiert die Partei Herri Batasuna, bis zu ihrem Verbot politischer Arm der ETA, eine Tour "Martxa eta Borroka" ("Rhythmus und Kampf") für einen Wahlkampf. Beim Abschlußkonzert in San Sebastián spielen unter anderem KORTATU vor über 5.000 Leuten.
Zahlreiche europäische Bands tourt und touren wegen der guten "Punk-Infrastruktur" durch das spanische Baskenland, zum Beispiel LÄRM, BGK, GEPOPEL, aus Deutschland TORPEDO MOSKAU, VELOCET, EMILS usw.
Einge weitere baskische Bands, die sich Anfang/Mitte der Achtziger gründeten, sind:
- B.A.P.!!: Gegründet 1984, spielen Hardcore/Punk und singen fast ausschließlich in Baskisch. Die Band ist heute noch zusammen und hat in den 15 Jahren ihres Bestehens drei Platten veröffentlicht. Ich kenne leider nur einige Sampler-Beiträge und die fantastische "...bidehuts eta etxehuts"-Platte: eingängiger und aggressiver Hardcore-Punk.
- M-AK: Eine der Bands, die während der 80er weitgehend ignoriert wurden. Sie waren die ersten, die Hardcore und Hiphop crossoverten und damit eine Entwicklung vorwegnahmen, die zahlreiche Bands später durchmachten. Die beiden Köpfe der Band, Xabier Montoya und Kaki Arkarazo, sind heute noch aktiv und spielen in zahlreichen Projekten mit.
- BARRICADA: Spielen eine Mischung aus Hardrock und Punk mit sehr politischen Texten wie "Barrio Conflictivo". 1981 vom Sänger "El Drogas" gegründet, treten sie 1983 auf dem Anti-NATO-Festival auf und veröffentlichen im selben Jahr ihre erste LP ("Noches de Rock´n´roll" - "Rock´n´roll-Nächte"). Sie spielen zahlreiche Konzerte und veröffentlichen 1985 eine Platte auf einem Major, was in der baskischen Szene zu einem Aufschrei führt. Inzwischen gibt es die Band nicht mehr. Da sich ihre Platten aber immer noch gut verkaufen, wurden die besten Songs aus ihrer Anfangszeit als "Barricada 83-85"-CD wiederveröffentlicht.
- CICATRIZ: Sind auf dem "Rock Radical Vasco"-Sampler zusammen mit KORTATU, KONTUZ HI!, JOTAKI. Ihre erste LP "Inadaptados" ist ein weiterer Meilenstein des "Rock Radical Vasco": rauher, rockiger Punk mit Mitgröhl-Texten.
- HERTZAINAK: THE CLASH auf Baskisch, sehr ska-lastig.
In den Achtzigern werden auch zahlreiche unabhängige Plattenlabels gegründet: Discos Suicidas veröffentlichen die ESKORBUTO/RIP-MLP, später Klassiker wie MCD, und sind heute noch aktiv. Weitere wichtige Labels sind Basati Diskak, unter anderem RIP und B.A.P.!!, und Soinua, das die ersten Platten von KORTATU, LA POLLA RECORDS und CICATRIZ herausgebracht hat. Soinua wird von Elkar gekauft und alles später in Oihuka umbenannt, wo aber der gesamte Backcatalog weiterhin verfügbar ist. Das letzte Konzert von KORTATU - 1989 in Pamplona - ist das Ende dieser "Sturm-und-Drang-Phase". Die Band löst sich auf, da sie sich in einer kreativen Sackgasse wähnt und unter allen Umständen vermeiden will, konservative Rock-Dinosaurier zu werden. Dieses Konzert ist als Live-Platte ("Azken Guda Dantza" - "Letzter Kriegstanz") erhältlich.
Die erste Platte von PUBLIC ENEMY "Yo! Bum rush the show" (1987) hat einen ähnlichen Einfluß auf den KORTATU-Sänger Fermín Muguruza wie das CLASH-Konzert. Die Texte und die Tatsache, daß sich die Band als "CNN der Schwarzen", als Kommunikationsmedium der Benachteiligten sieht, haben die Band gegenüber Rap-Musik geöffnet. Auf der letzten Studio-LP "Kolpez Kolpe" und der Live-Platte ist der Rap-Einfluß schon deutlich zu hören.
Die Muguruza-Brüder gründen kurz darauf NEGU GORRIAK. Ihr Ziel ist es, ein "Tritt in den Arsch der Szene" zu sein. Sie veröffentlichen noch 1990 ihre erste Platte, eine furiose Mischung aus HipHop, Hardcore, Trash-Metal, traditioneller baskischer Musik und "Musíca Latina". Von jetzt an sind alle Texte in Baskisch: NEGU GORRIAK sind eine Band mit einer Botschaft, die kaum jemand versteht. NEGU GORRIAK spielen in der ganzen Welt, mehrmals in Deutschland, in Kuba, Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, den USA und für die Zapatisten in Mexiko. Nach sieben Jahren und sechs Platten löst sich Band auf. Die Gründe sind ähnlich wie bei Kortatu.
1991 gründen NEGU GORRIAK das Label Esan Ozenki, als Vorbilder dienen Dischord und Alternative Tentacles. Esan Ozenki veröffentlicht nur Platten von baskisch-sprackigen Bands! Für nicht-baskische Bands wird 1995 das Label Gora Herria gegründet, und Voraussetzung für eine Veröffentlichung ist, daß die Band in ihrer Muttersprache singt.
1995 organisiert Esan Ozenki zusammen mit den baskischen Zeitungen Egin und Egunkaria ein großes Solidaritätskonzert unter dem Titel "Hitz Egin" mit 12.000 Zuschauern. Insgesamt treten dreizehn Bands auf, unter anderem auch NEGU GORRIAK und MIKEL LABOA. Es geht um einen Verleumdungsprozeß, in dem Galindo, ein General der kasernierten Polizei Guardia Civil, Esan Ozenki wegen eines Stückes auf einer NEGU GORRIAK-Platte auf einen Schadenersatz von 15 Millionen Peseten (etwa 176.000 DM) verklagt hat. Der Prozeß ist immer noch anhängig und die hohe Schadensersatzsumme bedroht Esan Ozenkis Weiterbestehen.
Heute noch hat das Baskenland die beste Szene - die meisten Bands, Konzertorte, Fanzines usw. - im spanischsprachigen Raum. Technisch sind die heutigen Bands erheblich besser, ihnen geht jedoch etwas das Charisma und die Aufbruchstimmung der 80iger Jahre ab. Punk ist auch nicht mehr die einzige Jugendkultur, viele der neuen Bands crossovern alle möglichen Musikstile. SOZIEDAD ALCOHOLIKA sind heute die bekannteste Hardcore-Band Spaniens. 1990 veröffentlichen sie ihr Demotape "Intoxikazión Etílika" und werden mit ihrem metal-lastigen Hardcore schlagartig spanienweit bekannt. 1992 spielt die Band auch ein paar Konzerte in Deutschland. Heute kann man in ganz Spanien Kids sehen, die mit einem SOZIEDAD ALCOHOLIKA-T-Shirt herumrennen. Die Band gründet 1995 ihr eigenes Label Mil a gritos, auf dem sie neben eigenen Sachen auch Platten anderer Bands veröffentlichen.
LA POLLA - inzwischen ohne das "Records" - sind immer noch zusammen und haben bis heute dreizehn Platten veröffentlicht. Vor allem sie und KORTATU sind immer noch Vorbilder für viele jüngere Bands. Die drei LPs "Salve" (´84), "Revolución" (´85) unad "No somos nada" (´88) sind ihre besten Veröffentlichungen, aber auch die anderen Platten kann man blind kaufen. 1998 wurden eine Live-CD ("La Polla en tu recto") und eine Best of...-CD ("14 Anhos!! De...") veröffentlicht. Sie spielen immer noch zahlreiche Konzerte, aber leider nur in Spanien und Südamerika.
Auch der ehemalige KORTATU/NEGU GORRIAK-Sänger Fermín Muguruza ist musikalisch noch aktiv: er hat zusammen mit der Band DUT eine "Crossover"-Platte veröffentlicht, auf der Dub, Ragga, Jungle, Drum´n´Bass und Punk vermischt werden. DUT selbst werden immer in die Crossover-Schublade zu HELMET oder der ROLLINS BANDS gesteckt und haben auch schon in Deutschland gespielt.
Das New Yorker Label Grita! Records, das sich auf "Latin Rock" spezialisiert hat, hat die LA POLLA-LP "Bajo Presión" und die letzte NEGU GORRIAK-LP "Ideia Zabaldu" für den amerikanischen Markt lizenziert, und es gibt auf Grita! noch zahlreiche weitere Platten von Bands wie TODOS TUS MUERTOS oder NIÑOS CON BOMBAS, die baskische Bands als ihre Haupteinflüsse angeben. Gor, aus dem aus dem Soinua-Umfeld heraus gegründet, sind ein weiteres neueres Label. Sie haben Platten von alten Bands wie LA POLLA oder MCD veröffentlicht, aber auch zahlreiche neuere Sachen wie BEER MOSH, KAOS ETILIKO oder URTZ.
Es gibt also zahlreiche Platten, die leider in Deutschland schlecht vertrieben werden. Das Weser-Label hat vor einigen Jahren NEGU GORRIAKS "Ideia Zabaldu" lizensiert und dann später zum Super-Günstig-Preis verkauft (was nicht gerade für blendende Verkäufe spricht...), aber vielleicht ändert sich die Situation durch Grita! etwas, die sich anscheinend auch um einen Vertrieb in Deutschland kümmern.
In jedem spanischen Plattenladen gibt es aber zumindest einige CDs von hier genannten Bands, beim nächsten Spanien-Aufenthalt solltet ihr also mal die CD-Regale nach den hier erwähnten Scheiben durchwühlen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #34 I 1999 und Dirk Gomez