AT THE GATES

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So schlimm ist es gar nicht

Von den Vorreitern des Genres zum Genre-Standard bis hin zu den Alteingesessenen – AT THE GATES haben im Melodic Death Metal jede Phase mitgemacht. „The Nightmare Of Being“, das jüngste Werk der Schweden, schließt dabei eher an die vorwärtsdenkenden Anfangstage an. Wir sprachen mit Sänger Tomas „Tompa“ Lindberg.

Nach dem Ausstieg seines Bruders ist Jonas Björler der einzig verbliebene Songwriter in der Band. Wie geht er mittlerweile mit dieser Situation um?

Er sieht das wahrscheinlich nicht so, da er und ich sehr viel zusammenarbeiten. Gerade was das Arrangieren der Lieder angeht. Auch bei der Instrumentierung. Also ist es eventuell eine kleine Bürde für ihn, aber er mag die Herausforderung. Und, das ist aber nur mein Empfinden, ich glaube nicht, dass er sich allein fühlt. Ich bin für ihn immer erreichbar. Jonas Stälhammar ist nun auch schon das zweite Album dabei. Geschrieben hat er bisher aber noch nichts. Auch wenn du, wie Jonas Stälhammar, in deinen anderen Bands ein Songwriter bist, musst du für dich erst einmal herausfinden, wie dein Stil zu einer neuen Band passt. Gerade wenn dieses Projekt eine umfangreiche Diskografie und lange Historie hat, der du dich stellen musst. Sein Gitarrenstil war aber, während die Lieder geschrieben wurden, immer in unserem Hinterkopf. Daher hatte er doch einen unterschwelligen Einfluss darauf.

Nun hast du das Arrangieren schon angesprochen: Wann in diesem Prozess denkt ihr darüber nach, genrefremde Instrumente mit einzubinden?
Das kommt ein bisschen auf den Song an. Manchmal beginnt alles mit einer Melodie, die eine bestimmte Emotion transportiert, die wir in einem Lied in den Vordergrund stellen möchten. Wir bemerken dann vielleicht, dass es noch intensiver wird, wenn ein anderes Instrument die Melodie übernimmt. Das kann eben der Startpunkt der Überlegungen sein. Bei „The fall into time“ war dies zum Beispiel der Fall. Bei anderen Liedern kommt es erst am Ende dazu, dass wir der Meinung sind, dass das Lied noch eine andere Farbe benötigt, um mehr emotionale Tiefe herzustellen. Nimm die einsame Flöte in „Touched by the white hands of death“ zum Beispiel. Es ist hier so offensichtlich, dass es, selbst wenn man dieselbe Melodie auf einem anderen Instrument spielen würde, nicht dieselbe Wirkung haben würde. Danach suchen wir immer. Den Hörer zu ergreifen, ohne das zu verlieren, was AT THE GATES ausmacht.

Meiner Meinung nach hätte dieses Album auch sehr gut in die erste Phase der Band gepasst. Gerade weil darauf nach vorne gedacht wird und es häufig recht progressiv zugeht. Gleichzeitig finde ich es besser als die ersten drei Alben, die doch sehr ambitioniert klangen.
Genau, die wurden von 18 jährigen geschrieben und aufgenommen. Viele würden hier wahrscheinlich widersprechen. Gerade die Oldschooler, für die früher alles besser war. Das kann ich gut verstehen, mir geht es bei manchen Bands nicht anders. Aber wir sind nun mal, wer wir sind, und haben in unserer dreißigjährigen Karriere viel mitgemacht. Wir sind aktuell an dem Punkt angelangt, an dem wir die Avantgarde-Einflüsse so mit einbringen können, dass es sich nicht komisch anhört. Bei „Garden of Cyrus“ war zum Beispiel klar, dass wir hier eine neue musikalische Landschaft erschaffen wollten, die immer noch nach AT THE GATES klingen musste. Das hätten wir aber als 18 jährige mit dieser Instrumentierung nicht hinbekommen. Damals fehlten uns die Erfahrung und das Know-how, das wir heute besitzen.

Am Anfang eurer Karriere wurdet ihr oft als die Speerspitze des Death Metal gesehen. Heute werdet ihr als Oldschool angesehen. Wie fühlt sich das an?
Das ist tagesformabhängig. Wir reflektieren das nicht allzu sehr, sondern blicken nach vorne. Wir sind nicht nostalgisch und verlieren uns in der Vergangenheit. Nur manchmal blicken wir zurück, um sicher zu gehen, dass wir immer noch AT THE GATES sind. Ansonsten ist unser Blick aber stets in die Zukunft gerichtet. Es würde uns als Band nicht weiterhelfen, darüber nachzudenken, welchen Stellenwert wir in der Musikgeschichte haben. Vielleicht wären wir dann nicht mehr so bodenständig.

Wie wichtig ist es für euch, dass jeder von euch noch andere Projekte hat, um am Ende AT THE GATES zu bleiben?
Ich würde sagen, dass immer die Band im Fokus steht, mit der wir gerade arbeiten. Nach so vielen Jahren bei AT THE GATES würde ich aber sagen, dass ich keine Angst mehr davor habe, dass etwas für AT THE GATES nicht passen könnte. Wir haben stattdessen einen viel größeren Fokus auf den emotionalen Aspekt der Band gelegt. Melancholie und Verzweiflung, darum geht es bei AT THE GATES. Du lernst aber sehr viel, wenn du mit anderen Musikern schreibst. Vielleicht wirst du auch von ihnen inspiriert. Darüber hinaus lernst du auch vielleicht etwas von deren Arbeitsweise. Am Ende sind wir alle ziemlich ruhelos und möchten die ganze Zeit beschäftigt sein.

Apropos Melancholie und Verzweiflung, das neue Album dreht sich um Nihilismus. Erzähl mir bitte etwas über deine Herangehensweise an die Lyrics. Liest du Texte und überlegst dir dann, was du davon verwenden kannst?
Ich würde sagen, dass sich das von Album zu Album unterscheidet. Bei „At War With Reality“, als ich mich mit dem magischen Realismus beschäftigt habe, ging es mir eher um die Form des Schreibens. Einige Aspekte, wie das Schreiben in mehreren Ebenen, verwende ich heute noch. Ich lerne jedes Mal etwas dazu. Auch Dinge, die ich lese, können mich inspirieren. Wir hatten uns dieses Mal vorher darüber unterhalten, dass dieses Album sehr düster werden sollte. Als ich dann über Nihilismus gestolpert bin, wusste ich natürlich schon etwas darüber, wenn auch nur sehr oberflächlich. Ich habe dann angefangen, Dinge zu lesen und habe mir die Elemente aus dem Gelesenen genommen, die ich interessant fand, um sie als Texte umzusetzen.