Manche Bands funktionieren zuerst über die Optik, sprechen bestimmte Schlüsselreize an. AMYL AND THE SNIFFERS aus Melbourne, Australien sind so eine Band. Vorne eine kleine, blonde, sehr fordernd wirkende Sängerin, drumherum drei Typen mit provokantem Mofarocker-Blick. Das riecht nach Krawall, nach Rock’n’Roll, macht neugierig. Die Musik ist dann genau wie erwartet, schöpft aus Punk und Glam und Siebziger-Aussie-Rock, ist knackig, reduziert und auf den Punkt. Spätestens mit der EP-Zusammenstellung „Big Attraction & Giddy Up“, 2018 auf Damaged Goods erschienen, horchten auch in Europa alle auf, doch das Debüt-Album von Amy Taylor, Bryce Wilson (Drums), Declan Mehrtens (Gitarre) und Gus Romer (Bass) ließ auf sich warten, wurde schließlich im März vom Londoner Ur-Indie Rough Trade angekündigt und kürzlich veröffentlicht. Wir saßen im April mit Amy und Declan vor der dortigen Show im Biergarten des „Bumann & Söhne“ in Köln-Ehrenfeld zusammen, tranken Bier und unterhielten uns. Amy blätterte durch die aktuelle Ox-Ausgabe.
Habt ihr Regeln, was Alkohol bei den Konzerten betrifft?
Amy: Es gibt keine Regeln.
Declan: Am Anfang einer Tour fragen wir immer noch nach Whiskey, wenn wir später etwas müder sind, nur noch nach Wodka.
Amy: Ich kann keinen Wodka mehr sehen, ich hatte echt zu viel davon ...
Declan: Es ist wohl Zeit, wieder zu Whiskey zu wechseln. Normalerweise fragen wir nur nach einem Kasten Bier, an einem Samstagabend auch mal nach mehr – ’ner Flasche Schnaps und ’ner Flasche Schampus. Amy mag Schampus, dann lacht sie immer sehr viel.
Amy: Ja, der perlt so schön.
Echter Champagner oder Sekt? Im Englischen heißt ja beides „champagne“.
Amy: Nee, nur perlender Wein! Aber „champagne“ klingt doch viel glamouröser. Oh, ihr habt COCAINE PISS im Heft? Cool, das sind Freunde unseres Managers. Als ich noch ein Kid war, stand ich auf Hardcore. So vor zehn Jahren.
Wie alt warst du da?
Amy: 14. Jetzt bin ich 23. Und ich sehe gerade, die CLOWNS sind auch im Ox, cool. Wir kennen die gut aus Melbourne.
Declan: Ja, wir sind befreundet, obwohl wir bislang nur einmal zusammen gespielt haben. Ihr Manager hat uns früher mal gebucht. Wir gehen in die gleichen Kneipen, aber da ihre Musik heavier ist als unsere, werden wir fast nie zusammen gebucht. Unsere Konzerte sprechen unterschiedliche Szenen an. Also klar, im Großen und Ganzen ist es die gleiche Szene, aber wir bewegen uns in verschiedenen Subszenen.
Amy: Als ich noch jünger war, ging ich viel auf Punk- und Hardcore-Konzerte. Ich wuchs in einer Kleinstadt auf, die Konzerte dort waren winzig, höchstens mal 150 Leute. Ich kannte oft keine einzige Band, die spielte, aber ich mochte die Stimmung. Ich kannte nur ein paar größere Bands wie PARKWAY DRIVE und 50 LIONS. Die anderen waren tourende Bands aus Brisbane oder sonst woher, die auf ihrem Weg die Ostküste runter bei uns Halt machten und vor fünfzig Leuten spielten.
Heute füllen PARKWAY DRIVE ganze Stadien ...
Amy: Ich komme aus der Nähe von Byron Bay, deren Heimatort.
Declan: In Melbourne spielten die neulich vor 20.000 Leuten. Die haben sich das aber auch hart erarbeitet.
Du hast es schon angedeutet, ihr lebt zwar in Melbourne, seid aber nicht von dort.
Amy: Ich komme aus Mullumbimby.
Das liegt, ich habe mir das mal angeschaut auf der Karte, ein paar Kilometer nördlich von Byron Bay und gleich neben Billinudgel – und an den Ort erinnere ich mich, weil ich da mal durchgefahren bin und wir Witze über „Billignudel“ machten – cheap noodles, hahaha.
Amy: Hehe, ja, das ist gleich nebenan – und die haben da einen super Pub. Der ist auf meiner Top-5-Liste der weltbesten Kneipen. Cheap noodles ... au Mann, hahaha!
Ich mag das ja, auf Reisen „lustige“ Ortsnamen zu entdecken. Ihr auch?
Declan: Irgendwo in den USA kamen wir mal an der Bustanut Street oder so ähnlich vorbei, da haben wir uns schlapp gelacht. Hat keiner kapiert außer uns, aber egal. Ich hab mal in einem Motorradmagazin ein Foto gesehen – Leser konnten da lustige Bilder einsenden – und da stand einer an einem Straßenschild, das sich las wie „kick in the cock street“. In Melbourne gibt es einen Vorort namens Balaclava, da wohnen wir, da lachen sich die Amerikaner immer schlapp, weil „balaclava“ im Amerikanischen der Begriff für Sturmhaube ist. Und Batman gibt es bei uns auch, auch wenn das anders ausgesprochen wird.
Wenn wir schon bei Namen sind ... Amy, Amyl, Amylnitrit, Poppers ...
Amy: Ja, genau, Amyl wie „Amyl Nitrate“ oder eben auch Poppers. Verschafft dir ein 30-Sekunden-High.
Und? Nachteilige Auswirkungen des Namens, etwa in Form von Nerverei mit der Polizei?
Amy: In Australien verwendet man den Begriff Amyl, aber irgendwie weiß keiner, was es ist. Und bei der Band denken die, dass ich Amyl heiße – aber ich heiße Amy Louise Taylor. Auf meinem Autonummernschild steht Amy L Taylor, hehe, das gefällt mir sehr.
Gut, dann hätten wir das Kapitel „Frag eine Band niemals nach ihrem Namen“ auch abgehakt. Zum neuen Album kamen ein paar neue Pressefotos von euch, auf denen ihr von den Farben und der Grobkörnigkeit der Bilder her, in Verbindung mit eurer Kleidung und den Frisuren, ausseht, als wärt ihr direkt aus den Siebzigern ins Jahr 2019 gebeamt worden.
Amy: Die Fotos sind von Jamie Wdziekonski, der ist derzeit Australiens bester Musikfotograf, finde ich. Er hat es super drauf, Bands live zu fotografieren. Tagsüber arbeitet er als Müllmann, abends geht er auf Konzerte und fotografiert. Er hat seinen eigenen Stil und kann Fotos aussehen lassen, als seien sie alt. Ich mag diesen grobkörnigen Stil, auch in Schwarzweiß, das sieht cooler aus als so Hochglanzfotos. Die finde ich immer zu „echt“, da kann man nichts verstecken.
Declan: Und ich mag eben diesen Seventies-Look.
Amy: Ja, aber es ist ja nicht direkt Seventies, es ist dieses Rohe, das ja auch die australische Musik der Siebziger ausmacht. Die Musik, die bei meinen Eltern im Auto lief, wenn wir an den Strand fuhren – AC/DC, THE RADIATORS, THE ANGELS, ROSE TATTOO, SKYHOOKS. Das hörten unsere Eltern, das hörten wir.
Declan: Die australische Musikszene der Siebziger war sehr gut, brachte AC/DC hervor. Damals wurde das Fundament für australische Musik gelegt, und weil wir eben eine australische Band sind, ist dieser Siebziger-Sound eben auch unser Heiliger Gral.
Amyl: Ich mag es, wenn Musik roh und nicht so poliert klingt. Wenn man die Fehler hört, die beim Spielen gemacht wurden. Wenn es rauh und sonnengegerbt ist.
Eure Musik hat auch eine gewisse Einfachheit, die mir sehr gefällt.
Amy: Sie ist nicht komplex.
Declan: Ja, alles ist ganz basic. Das spricht besonders die Australier an, dieses Fehlen von Gimmicks, die „Fuck it“-Attitüde.
Das zeichnet auch die COSMIC PSYCHOS aus, die vor gerade mal einer Woche hier um die Ecke gespielt haben und deren bewusste Einfachheit man auch missverstehen kann.
Amy: Ich mag die und ich würde die auch nie für rüpelige Kneipenprolls halten. Deren Verhalten und Auftreten ist in Australien weit verbreitet. Australien hat einfach seine eigene Kultur, in der es irgendwo normal ist, auch mal vulgär zu sein. Das ist freilich eine ziemlich verallgemeinernde Aussage, aber viele Australier, gerade jene, die nicht aus der Stadt kommen, sind so.
Und die Städter haben dann dieses Vorurteil vom Ute-fahrenden Vokuhila-Landei, das Victoria Bitter trinkt. [Ute ist ein spezieller australischer Auto-Typ, vorne Pkw, hinten Pick-up, der gerne auf dem Land gefahren wird.] Wie ist euer Umgang damit, denn ihr spielt ja konsequent mit dieser speziellen Optik?
Amy: Ich bin in so einer Umgebung aufgewachsen. Die Kumpels meines Vaters waren genau solche Leute, ich fuhr im Ute meines Vaters herum, der Truck-Driver ist und mich auch schon mal mit seinem Lkw von der Schule abgeholt hat. Das Ute brauchte er für seinen Job, er arbeitete auf dem Bau. Vokuhila-Frisuren hasst mein Vater allerdings.
Declan: Meiner auch!
Amy: In der Stadt sieht man die kaum, aber auf dem Land laufen die Leute wirklich so rum.
Declan: Das hat für mich was mit Ehrlichkeit sich selbst gegenüber zu tun. Ich bin unter solchen Leuten aufgewachsen, und dann trifft man die Jahre später wieder und die laufen total schick rum und man fragt sich, was passiert ist. Ich finde, man sollte sich treu bleiben. Jeder soll machen, was er will, klar, aber ich finde Ehrlichkeit wichtig. Ich bin, wer ich bin, anstatt zu versuchen etwas zu sein, was ich nicht bin. Ich orientiere mich da lieber an meiner Kultur als an dem, was Menschen in Los Angeles, London oder New York tun.
Amy: Klar hat diese ländliche Kultur auch ihre unschönen Seiten, Rassismus etwa, aber im Grunde ist es ja nur eine Frisur, nicht mehr.
Es ist andererseits ja auch eine Form von Diskrimierung, wenn urbane bärtige Hipster auf Vokuhila-tragende Typen vom Land herabsehen.
Amy: Unser Auftreten ist auch eine Form von Stolz angesichts unserer Herkunft. Ich bin nicht reich, aber hey, jetzt bin ich hier!
Declan: Besonders peinlich wird es, wenn solche Hipster wie wir vom Land kommen.
Amy: Wo ich herkomme, ist das schon auch ziemlich hippiemäßig. Mein Familie kommt aus den westlichen Suburbs von Sydney, das sind alles Arbeiterfamilien. Ich bin aber in einer richtigen Hippie-Gegend aufgewachsen. Ich bin kein Hippie, aber mir gefiel, wie entspannt das da überall zuging. Ich fiel da mit meiner Art immer auf, war immer schon laut und krawallig. Was ich also heute mache, ist meine Art der Rebellion gegen mein Aufwachsen in dieser speziellen Umgebung.
Wie wichtig ist diese Band im Kontext des Ausdrucks weiblicher Stärke?
Amy: Ziemlich wichtig. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich Situationen erlebt habe, in denen ich anders behandelt wurde, nur weil ich eine kleine, blonde Frau bin. „Du bist schwach, du kannst das nicht.“ Und das war dann auch erst mal nicht anders, als ich etwas älter war und anfing, auf Hardcore-Shows zu gehen. Da sah ich mal eine Frau hinter dem Merchtisch – nicht auf der Bühne! – und dachte mir, wow, wenn du groß bist, wirst du auch mal Merchfrau. Auf die Idee, dass ich selbst auf der Bühne stehen könnte, kam ich gar nicht – nein, das Coolste, was ich als Frau machen kann, ist Merch verkaufen. Und deshalb ist jetzt allein schon schön, dass ich als Frau auf der Bühne stehe. Wir sind nicht die musikalisch beste Band, aber sie hat mich in die Lage versetzt, nicht einfach nur das Mädel vom Merchstand zu sein.
Und was reizt dich daran, in der tendenziell eher machistischen Rockwelt dein Ding zu machen?
Amy: Früher bin ich einfach auf Konzerte gegangen und verschwendete keinen Gedanken daran, ob das jetzt irgendwie eine von Männern dominierte Szene ist. Ich mochte die Hardcore-Punk-Szene, ich fühlte mich nicht „anders“, war auch nicht das einzige „tiny chick“. Mir gefiel die Musik, ich mochte die Aggression bei den Shows, es war bei aller Gewalt aber auch ein sicherer Ort. Ich stürzte mich in den Moshpit und teilte genauso aus wie die anderen. Ich fühlte mich als Gleiche unter Gleichen, obwohl ich das ja nicht war. Ich war schon immer eher wie mein Vater, war viel am Strand, war oft mit ihm auf Autoausstellungen, denn er steht sehr auf Autos. Mir kam gar nie in den Sinn, dass ich als Frau „anders“ bin. Mir macht es jetzt aber Spaß, weibliche Energie in die Musik einzubringen. Weiblichkeit wird oft mit Schwäche gleichgesetzt – trägt eine Frau Make-up oder knappe Kleidung, wird daraus schnell geschlossen, dass die schwach ist. Aber ich mag es auch, mich zu schminken, mir die Haare zu machen, mich aufzubrezeln. Und um tough zu sein, muss man sich nicht tough kleiden. Ich mag es, nicht einfach nur in einem schwarzen Shirt auf der Bühne zu stehen und zu tun, als sei ich ein Mann, mich maskulin zu geben. Nein, ich will feminin sein und stark. I can fuck people up if I want to! Ich bin kein Stück anders und ich mag es, wenn mich die Jungs im Publikum nicht als zerbrechliches Blümchen ansehen und behandeln. Ich bin nur eine weitere Person im Publikum, die man rumschubsen kann.
Wer hat wen gefunden – sie euch oder ihr sie?
Declan: Wir uns!
Amy: Ich kannte Bryce, den Drummer, schon vorher, wir kommen aus der gleichen Gegend, und dann trafen wir uns alle mal in einem Pub.
Declan: Es war Vorhersehung. Irgendwas sorgte dafür, dass wir am gleichen Abend im gleichen Pub waren. Wir wussten, dass wir gute Freunde werden.
Amy: Zuerst waren wir zu dritt, dann kam unser erster Bassist dazu, der auf den ersten beiden EPs spielte und die auch aufnahm. Nach einem Jahr stieg der wieder aus und Gus kam.
Wir haben in der Redaktion darüber diskutiert, ob wir bewusst mehr Frauen auf das Cover packen sollten, als Zeichen, auch wenn das nicht unsere „normale“ Wahl gewesen wäre. Also Frauen aufs Cover, quasi als „positive Diskriminierung“? Was denkst du?
Amy: Ich habe da viel darüber nachgedacht. Als wir angefangen haben, hat mich das genervt, dass wir immer wieder angefragt wurden für Frauenband-Festivals. Warum werde ich zuerst danach beurteilt, dass ich eine Frau bin? Warum kann ich nicht in erster Linie als Musiker gesehen werden? Warum gibt es überhaupt Festivals für Frauenbands? Aber je mehr ich darüber nachdachte und mich an meine Jugend erinnerte, als ich nie Frauen auf der Bühne sah, desto mehr erkannte ich, dass es gut ist, dass es solche Festivals gibt, dass es wichtig ist, dass sich Frauen ihren Platz sichern. Ich ärgerte mich auch, dass manche Frauenbands eine Chance bekamen, obwohl die nicht gerade die besten Musikerinnen waren, aber dann änderte sich meine Meinung: Je mehr Frauen mal auf einer Bühne stehen, desto mehr Girls im Publikum sehen, dass sie da auch stehen könnten, wenn sie wollten, und in der nächsten Generation sind die Musikerinnen dann noch besser. Ob man die Chance bekommt, da auf der Bühne zu stehen, das sollte man sich schon verdienen, aber es ist eben auch cool für andere Frauen, wenn da oben Frauen stehen.
Declan: Ich als Mann fände es auch besser, wenn mehr Frauen im Musikbusiness involviert wären. Und was Musikerinnen betrifft, sollte es ganz normal sein, dass da eine Frau steht, ohne dass darauf dann gleich ein Scheinwerfer gerichtet wird. Aber das ist ja eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Amy: Ich hatte aber noch nie das Gefühl, dass wir bei irgendeiner Gelegenheit deshalb gebucht worden wären, weil ich eine Frau bin. Wer zu unseren Konzerten kommt, tut das wegen der Musik. Da hat sich seit den Konzertbesuchen meiner Jugend nichts geändert. Ich bin eine Person, die mit anderen Leuten Musik macht, das ist alles.
Dann sprechen wir doch über Musik – und darüber, ob du weibliche musikalische Vorbilder hast.
Amy: Ich mag X-RAY SPEX, ich mag Wendy O’Williams, ich mag die RUNAWAYS, ich mag die Rapperin Cardi B. Ich fing mit 13 an, auf Punk-Shows zu gehen, aber ich war 17, als ich das erste Mal eine Punk-Sängerin hörte. Ich liebe den SONIC YOUTH-Song „Black candy“, bei dem Kim Gordon singt – echt sick. Es gibt zig australische Bands, die ich mag, etwa NASHO aus Melbourne, die haben eine Sängerin, oder CABLE TIES, auch aus Melbourne, oder SURFBORT aus New York.
In australischen Berichten über euch wird eine Referenz gezogen zur originär australischen Siebziger-Jugendkultur der Sharpies. Ist da was dran?
Amyl: Wir haben dazu einmal was in einem Interview gesagt und seitdem hängt uns das nach. Es gab eben diese australischen Siebziger-Jugendkultur, die eine Menge guter Musik hervorbrachte. Es gab damals eine Menge Rock’n’Roll-Konzerte und da ging es wild und rauh zu. Aus dieser Szene entstanden eine Menge guter Bands, die wir mögen.
Declan: Als wir anfingen, schauten wir uns die Sharpies-Frisuren ab. Und zu Beginn der Band war das auch musikalisch ein großer Einfluss. Und irgendwie habe ich in letzter Zeit auch wieder Gefallen daran gefunden.
Wieso begeistert ihr euch nicht für Musik, die neuer ist ...? Mann, ihr hört die Musik, die für eure Eltern schon alt war!
Declan: Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Manchmal glaube ich, irgendwas stimmt nicht mit mir. Aber ich kann mir einfach keine Musik anhören, die in den letzten dreißig Jahren entstanden ist. Geht nicht, überhaupt nicht. Manchmal deprimiert mich das. Ich ertrage keine Musik von Menschen in meinem Alter. Aber so bin ich eben.
Amy: Ich mag eine Menge heutige Bands. Als wir anfingen, beeinflussten uns auch Garage-Bands aus Melbourne. Und ich mag auch SLEAFORD MODS. Aber es gibt eben auch so unglaublich viele Bands. Wenn man sich mal bei YouTube treiben lässt, fragt man sich danach immer, wie man all diese Bands bislang hat übersehen können. Und dann hörst du mal wieder MINOR THREAT und bist überrascht, wie frisch das immer noch klingt.
Euer Debütalbum hat ganz schön lange auf sich warten lassen. Nach den EPs kam 2018 erst mal die in Europa auf Damaged Goods veröffentlichte Zusammenstellung der EPs ... und dann ewig nichts, kein Album. Warum hat das so lange gedauert?
Declan: Das war alles so geplant, alles Teil des Marketingplans ...
Amy: Haha, nein, wir waren einfach die ganze Zeit auf Tour.
Declan: Wir waren letztes Jahr fast sechs Monate auf Tour, vier davon in Europa und den USA.
Amy: Und in Australien waren wir dann auch jedes Wochenende unterwegs, wir hatten also einfach keine Zeit, das Album aufzunehmen. Geplant war es ja für 2018, aber dann war immer irgendwas. Und tja, hier sind wir, ein Jahr später.
Entscheidet ihr das alles selbst oder habt ihr jemanden um euch herum, der euch hilft?
Declan: Das Ganze war wie auf einem außer Kontrolle geratenen Motorrad zu sitzen. Letztes Jahr war ein verrückter Ritt, ein Wahnsinn ohne Methode. Ständig bekamen wir neue Angebote für Touren und Konzerte, die wir annahmen, ohne viel nachzudenken. Das war wie eine Lawine.
Amy: Wir haben einfach immer ja gesagt, und plötzlich war es Dezember.
Viel Raum für ein Alltagsleben war da nicht mehr, oder?
Declan: Wir haben irgendwelche Jobs gemacht zwischendurch.
Amy: In einer Whiskey-Distillerie am Fließband ... das war okay, aber das hier mit der Band ist besser.
Declan: Die Zeiten, als ich noch nicht in einer Band und nicht auf Tour war, fühlen sich an wie verlorene Jahre. Es ist schwer, etwas zu finden, was man machen will, seinen eigenen Weg zu finden. Als ich die Band noch nicht hatte, ging ich jedes Wochenende in die gleiche Bar, sah die immer gleichen Gesichter. Das war in Ordnung, gar nicht mal langweilig, aber auf Tour gehen und die andere Seite der Welt sehen zu können, darüber bin ich echt froh. Meine Freunde, die diese Möglichkeit nicht haben, sondern ganz normal arbeiten gehen müssen, tun mir irgendwie leid. Ich dagegen erlebe jeden Tag irgendwelche verrückten Sachen, jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Ich war noch nie in Köln, noch nie in München, jetzt wache ich jeden Tag in einer anderen Stadt auf. Ich sage nicht, dass das Leben meiner Freunde zu Hause schlecht ist, aber ich würde mir wünschen, sie könnten auch all das erleben, was ich erleben darf.
Amy, in eurem alten Song „I’m not a loser“ singst du „People look at me like I’m a hooker“, per Chorgesang wird bestätigt: „No, she’s not a loser!“ Was ist der Hintergrund?
Amy: Ich ziehe mich gerne nuttig an, und eine Zeit lang machte ich das Band-Booking für einen kleinen Club, der von einer Frau geführt wurde. Und es war immer wieder interessant, wie die Leute uns beide betrachteten, irgendwie ganz anders, als wenn Männer so einen Laden führen. Und bei dem Job wurde ich nicht nur ein Mal eindeutig angemacht. Ich halte mich nicht für die hotteste Frau der Welt, sondern es war einfach nur, weil ich eine Frau in einem Pub war. Na, und darüber habe ich dann eben diesen Text geschrieben. Wenn dir sonst keiner sagt, dass du kein Loser bist, musst du es dir eben selbst sagen.
In Hamburg hattet ihr schon ein paar Shows, das ist die erste Tour in Deutschland. Wie gefällt es auch?
Declan: Die Leute hier sind echte Musikfans, die kommen wegen der Musik und nicht weil sie denken, es sei cool, zu diesem Konzert zu gehen. Das gefällt mir. Denn es ist ja leicht, uns erst mal nur über den visuellen Aspekt wahrzunehmen, eben weil wir diesen bestimmten Look haben. Da gefällt es mir, wenn wir wegen unserer Musik geschätzt werden.
Was sehen die Leute in euch? Irgendwo las ich den furchtbaren Ausdruck „novelty act“, der aussagen soll, dass man eine Band nur nach ihrem „freshen“, „interessanten“ Look beurteilt, sich aber nicht tiefer damit beschäftigt und morgen schon wieder dem nächsten heißen Scheiß nachläuft. Die Medien sind manchmal gut in so was.
Amy: Mir ist es egal, was andere sagen. Ich brauche nicht die Meinung anderer, um zu wissen, wer ich bin und was ich kann. Und mir sind hundert Leute, die unsere Musik schätzen und wiederkommen, lieber als tausend, die nur mal neugierig sind wegen des Trends. Bei diesem Album haben wir uns wirklich mit ganzem Herzen eingebracht. Wir sind uns bewusst, dass bei uns alles sehr schnell gegangen ist, aber wir wissen auch, was wir können. Auf das Ergebnis sind wir echt stolz und wir werden sicher dafür respektiert werden und nicht nur als „novelty act“ angesehen wegen unserer Frisuren.
Wie ist eigentlich eure Verbindung zu KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD und deren Label Flightless?
Amy: Wir haben mal auf einem Festival in Adelaide gespielt, und Eric, deren Drummer, war auch da. Er war betrunken und fand uns gut. Er betreibt Flightless Records und fragte uns, ob wir auf seinem Label sein wollten. Ich antwortete „Gerne, wenn wir mit euch in Amerika auf Tour gehen können.“ Und so tourten wir zusammen in den USA und spielten auch ein paar gemeinsame Shows in Europa. Die haben uns unter ihre Fittiche genommen, die sind unsere Mama-Henne.
Declan: Die sind so was wie unsere Mentoren, genau wie die COSMIC PSYCHOS.
Amy: Beide Bands sind sehr nett zu uns und das ist cool, denn wir sind ja noch recht jung.
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