Als die australische Band 2018 erstmals außerhalb Australiens wahrgenommen wurde, zeichnete sich schnell ab, dass da mehr am Start ist als eine weitere krawallige Aussie-Band mit offensivem Auftreten, verkörpert durch ihre Frontfrau Amy Taylor. Rough Trade aus London gewann das Ringen um das erste Album, das 2019 erschien und mit dem der Vierer den ersten Teil seines Siegeszuges antrat, der auf furiosen Liveshows basiert. Mitten in der Pandemie, die gerade in ihrer Heimatstadt Melbourne mit eisernen Lockdowns bekämpft wurde, veröffentlichten AMYL AND THE SNIFFERS im September 2021 ihren zweiten Longplayer „Comfort To Me“ und gingen dann gefühlt auf Dauertour. „Hallo, neues Album?“ wollte man schon meckern, da wurde es endlich angekündigt für Ende Oktober 2024, wieder auf Rough Trade. Und das bedeutet Redebedarf. AMYL AND THE SNIFFERS sind auch 2024 noch Amy Taylor (voc), Bryce Wilson (dr), Declan Martens (gt) und Gus Romer (bs). Amy, Bryce und Declan saßen uns im August via Videocall gegenüber.
Mir wurde gesagt, das ist euer erstes Interview für Deutschland zum neuen Album. Ist Deutschland ein „Amyl country“ oder wo läuft es noch richtig gut für euch?
Declan: In England, leider. England ist langweilig. Und das Wetter ist scheiße. Wir sind Australier. Wir brauchen Sonne und wir brauchen Wasser. Wir müssen in der Nähe des Meeres sein. Aber das Meer in England macht keinen Spaß. Und Amerika ist auch „Amyl country“, hoffe ich.
Im November seid ihr wieder in Deutschland unterwegs, das neue Album wird morgen angekündigt. Wie geht es euch in dieser Phase?
Declan: Die Vorfreude ist groß, weil wir so lange an dem Album gearbeitet haben. Wir haben Anfang 2023 mit der Arbeit daran begonnen und die ersten Lieder dafür geschrieben. Wir leben in einer Welt, in der alles so schnell geht, wo alles im Takt des Internets funktioniert. Auf etwas zu warten, um es zu veröffentlichen, ist für uns ungewohnt, aber das ist wohl typisch für die Menschen unserer Generation.
Kann man heutzutage überhaupt noch ein Geheimnis wie ein anstehendes Album bewahren? Man redet doch mit Freund:innen und Musikerkolleg:innen darüber.
Declan: Gute Freunde können ein Geheimnis für sich behalten.
Hier hat gerade das Ausbildungsjahr begonnen. Hat jemand von euch eine formale Ausbildung, eine Berufsausbildung? Oder seid ihr direkt in die Welt der Rockstars gesprungen?
Bryce: Ich und Declan sind beide zur Universität gegangen. Wir haben beide die Uni abgebrochen, aber man könnte wohl sagen, wir haben eine formale Ausbildung genossen. Ich war ungefähr eineinhalb Jahre dort. Dec, was hast du dort gemacht?
Declan: Ich habe ganz offiziell nicht aufgepasst.
Amy: Ich habe Musikbusiness studiert am Community College, einer Art Volkshochschule. Es ist nicht wirklich eine Uni, sondern was dazwischen. Es ist immerhin ein Abschluss.
Manche Leute in Deutschland gehen auf eine Musikhochschule und studieren, um Berufsmusiker zu werden. Hattet ihr jemals vor, hauptberuflich Musiker zu werden?
Declan: Nein. Die Leute, die so was machen, die lachen uns doch aus.
Bryce: Als ich zehn Jahre alt war, erzählte ich meiner Mutter, dass ich Rockstar werden will.
Und jetzt schickst du ihr Handyvideos von der Tour und sagst: „Hey, Mama, ich bin ein Rockstar geworden.“
Bryce: Haha, ja. Ich habe es geschafft, ich habe getan, was ich mir vorgenommen hatte.
Wie messt ihr Erfolg?
Amy: Ich glaube, Erfolg ist zu abstrakt, um ihn messen zu können. Es hat viel damit zu tun, was von der Gesellschaft als Erfolg wahrgenommen wird. Das ist für jede Person etwas anderes. Ich weiß also nicht, ob ich Erfolg messen kann.
Bryce: Ja, es ist ganz verschieden und für jeden anders. Ich glaube, es kommt darauf an, wie klein oder groß deine Ziele zu dem Zeitpunkt sind, an dem du sie dir setzt oder wenn du sie erreichst. Das hängt von deiner Lebenserfahrung und vielem anderen ab.
Declan: Wir haben ständig neue und andere Ziele, weil die Welt nun mal so funktioniert, dass wir immer wieder auf etwas anderes hinarbeiten müssen. Aber jeder um dich herum wird sich an deine Erfolge erinnern. Ich denke, Erfolg lässt sich daran messen, wie sehr sich andere daran erinnern können.
Und wo kommen da Glück und Zufriedenheit ins Spiel?
Declan: Wenn man dir sagt, dass du dich glücklich schätzen kannst, dann bist du glücklich.
Amy: Wie meinst du das?
Declan: Na ja, wenn jemand zu dir sagt: „Oh wow, du bist wirklich erfolgreich. Du musst ja sehr glücklich sein.“ Und du sagst dann: „Ah, okay.“
Amy, die Texte stammen hauptsächlich von dir, oder? Sie sind sehr kraftvoll und bisweilen sehr wütend. Wie passt das damit zusammen, glücklich zu sein, vor einem tollen Publikum zu spielen und so weiter, wenn da eigentlich eine Menge positive Energie in der Luft liegt, die Texte aber eine ganz andere Stimmung ausdrücken?
Amy: Ich glaube, vor allem als wir angefangen haben, war es pure Wut und Zerstörung. Aber ich genieße es aufzutreten und ich finde, dass Live-Musik und Auftritte und all das für das Publikum und die Band etwas Wunderbares sind. Ich habe das Gefühl, dass es immer noch so viel Wut und Zorn gibt, weil so viel Machtlosigkeit in der Welt existiert. Und dieser Gefühlslage schließe ich mich an. Ein Konzert ist aber ein guter Ort, um diese Empfindungen auszudrücken und durch Wut etwas Macht zurückzugewinnen, denn Wut ist ein starkes Gefühl. Aber gleichzeitig ist ein Konzert auch ein Ort für das ganze Spektrum des Menschseins. Es geht um Freude, aber auch um Traurigkeit. Diese Gefühle sind tief in den Texten verankert, und sie werden politisch, wenn wir aktiv werden.
Wenn man mit Leuten über eure Band spricht, ist da vor allem die Begeisterung über eure, speziell aber über Amys Präsenz auf der Bühne. Wie nehmt ihr das wahr? Und hattet ihr von Anfang an den Aspekt des Empowerments mit im Blick?
Amy: Was soll ich sagen, das ist wirklich cool. Ich bin super zufrieden damit, weil es sich auch für mich gut anfühlt. Ich glaube, meine Wirkung war mir zunächst nicht wirklich bewusst. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, welchen Platz ich als Frau in der Musikszene einnehme. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, wie die Frauen im Publikum darauf womöglich reagieren. Ich habe einfach so getan, als hätte ich nie wirklich über das Thema Gender nachgedacht. Je mehr wir auf Tournee waren und je mehr ich mit Sexismus konfrontiert wurde, desto mehr wurde ich geschlechtsspezifisch geprägt und dachte: Moment mal, das ist jetzt aus einer anderen Perspektive wichtig, aus der Perspektive, dass ich stolz darauf sein kann, weil ich etwas gegen den Mainstream mache.
War das der Punkt, ab dem du es nicht mehr nur für dich selbst tust?
Amy: Ja, das ist richtig. Aber ich würde nicht sagen, dass ich es bewusst für andere Menschen tue. Ich glaube nämlich, dass es gefährlich ist, als Künstler:in, Musiker:in oder Performer:in etwas nur für das Publikum zu machen, denn dann bist du eher eine Angestellte und du kannst es ja auch nicht allen recht machen. Ich habe das Gefühl, dass du dann ständig versuchst zu geben und am Ende nichts herausbekommst. Ich versuche also, einfach das tun, was für mich am besten ist. Wenn es anderen gefällt, dann ist das wie ein Geschenk. Und wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung.
Declan und Bryce, redet ihr in der Band darüber, was auf der Bühne passiert?
Bryce: Ich sitze auf meinem Schlagzeughocker und mache mein Ding, aber Declan und Gus, unser Bassist, haben da mehr Interaktion miteinander. Sie haben jetzt ein paar Moves drauf. Declan, was macht ihr da? Ihr habt etwas choreografiert, oder?
Declan: Ja, das haben wir. Wir mussten es für uns selbst ein bisschen aufpeppen, also das, was wir da auf der Bühne tun. Es gilt das Gleiche, was Amy gesagt hat: Wir machen es nicht so sehr für das Publikum. Wir machen es für uns selbst. Denn wir haben schon so viele Shows gespielt, dass man sich irgendwann etwas zu langweilen beginnt. Also mussten wir es für uns selbst aufregend machen. Vielleicht sieht es so aus, als würden wir etwas Verrücktes für das Publikum machen, aber in Wirklichkeit machen wir das für uns. Einfach nur die Lieder spielen, das haben wir schon 100.000 Mal gemacht und wird langweilig.
Bryce: Ja, und auch dass wir versuchen, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen.
Amy: Wir bringen uns gerne gegenseitig zum Lachen. Meistens machen wir irgendwas Blödes und schauen uns dann an und lachen.
Declan: Bei einem bestimmten Song starre ich Bryce ununterbrochen an. Das mache ich schon lange. Ich weiß nicht, ob er das überhaupt weiß.
Bryce: Doch, doch, ich weiß, das machst du schon seit Jahren.
Es gibt Bands, deren Line-up sich über die Jahre stark verändert, aber ihr seid immer in der ursprünglichen Viererbesetzung zusammen.
Bryce: Im Moment sind wir nur zu dritt hier, aber ja.
Declan: Ja, lustig, dass das Mitglied, das nicht ganz von Anfang an in der Band war, jetzt nicht dabei ist.
Bryce: Gus schläft hier im Zimmer nebenan. Wir waren noch nie die Art von Band, die das Gefühl hatte, irgendwas Bestimmtes tun zu müssen. Was auch immer wir tun, wir tun es nur miteinander. Und es gab zum Beispiel nie das Bedürfnis, etwa einen besseren Bassisten zu finden. So ticken wir nicht. Gus spielt eben seine Bass-Grundlinien und es macht Spaß. Das Wichtigste für uns sind die Erfahrungen, die wir miteinander machen, und die Art und Weise, wie wir uns unterwegs auf der Tour oder im Studio gegenseitig helfen.
Declan: Wir sind in erster Linie eine Gruppe von Freunden. Wir stützen uns gegenseitig. Und das ist besonders wichtig in Zeiten, wo der Tourneeplan so verrückt geworden ist. Der musikalische Teil war auch mal schwierig, aber wir würden niemals jemanden zurücklassen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich alle wohl fühlen, denn unser Ziel war es nie, eine erfolgreiche Band zu sein, sondern zusammen Spaß zu haben.
Hat sich für euch etwas geändert, weil ihr heute im Vergleich zu vor fünf Jahren nicht mehr in Venues mit 200, 300 Leuten spielt, sondern vor Zigtausenden?
Amy: Aus meiner Sicht ist das nicht schnell passiert. Es ist einfach stetig gewachsen. So konnten wir uns auf die größeren Bühnen einstellen. Und auch heute noch spielen wir in unterschiedlich großen Venues. Ja, hauptsächlich auf großen Bühnen, aber ab und zu spielen wir auch in einem kleineren Rahmen, nur so zum Spaß. Oder wir spielen als Support in einem Stadion, das macht auch Spaß. Ich glaube, es gibt viele Leute, die denken, die kleinen Veranstaltungsorte, die seien das Beste, besonders im Rock und Punk. Aber ich glaube, diese Leute wissen gar nicht einzuschätzen, wie viel Spaß es macht, vor einem großen Publikum zu spielen, denn man kann da alles mit viel mehr Leuten teilen. Wir lieben es aber auch, in kleineren Läden zu spielen, es ist dort geselliger, weil es oft keinen Backstage-Bereich gibt, also gehst du einfach raus und trinkst was mit den Leuten. Aber wenn du mal vier Monate lang getourt bist, verliert das ein wenig seinen Reiz. Und ja, bei größeren Bühnen ist weniger Austausch mit dem Publikum. Aber gleichzeitig hast du auch Support-Bands, und normalerweise sind das gute Freunde. Also hast du jeden Abend eine Party mit Freunden.
Ihr seid mittlerweile auch so etwas wie Botschafter:innen für die australische Rockmusik geworden. Speziell in den letzten Jahren, seit der Pandemie, sieht man sehr viele australische Bands in Europa, und C.O.F.F.I.N etwa hattet ihr auch schon mal mit auf Tour gebracht, neulich räumten sie nun im Alleingang ab. Auch PRESS CLUB haben nicht nur in Köln vor ausverkauftem Haus gespielt. Und die COSMIC PSYCHOS wurden gefeiert. Welche Rolle spielt Europa für australische Bands?
Amy: Declan und ich haben neulich darüber gesprochen. Australische Bands sind da unten wirklich super isoliert, gerade kleine Bands. Die Distanzen sind riesig. In Europa fährst du vier Stunden und spielst schon in einem anderen Land. Du kannst auf diversen Festivals spielen und das Benzin für die Fahrt von einem zum anderen kostet gerade mal 100 Euro – bei uns ist das ganz anders. Für australische Bands ist es allerdings schwer, nach Übersee zu kommen. Man braucht genug Geld für die Flüge, Hin- und Rückflug für fünf Mitglieder, das kann am Ende schon bis zu 10.000 australische Dollar ausmachen, nur um überhaupt in Europa zu spielen. Ich glaube, dass die australischen Bands, die du in Europa siehst, wirklich „hungrig“ sind, hart arbeiten und es wirklich wollen, sonst wären sie nicht bei euch. Und die Bands, die nicht so gut sind, müsst ihr euch gar nicht anschauen, die kommen erst gar nicht. Und die andere Sache ist, dass ich denke, dass es in Australien insgesamt sehr viel gute Musik gibt, wir haben eine wirklich gute Musikszene. Auch wenn wahrscheinlich viel Musik in eine ganz andere Richtung geht als das, was ihr aufregend findet. Aber ich finde, es gibt eine wirklich gute Musikszene und es ist schön, ein Teil davon zu sein. Weil du eben die COSMIC PSYCHOS erwähnt hast: Als wir die Band gründeten, wollten wir genau wie sie sein. Es ist so cool, dass sie noch auf Tour gehen, wir schauen immer noch zu ihnen auf. Das Gleiche gilt für C.O.F.F.I.N. Und es ist so cool, dass wir in einer Position sind, in der wir groß genug sind, um diese anderen Bands mitzunehmen, von denen wir wissen, dass unser Publikum sie lieben wird, denn wenn wir touren, sollen unsere Vorbands genauso gut sein. Vielleicht werden wir eines Tages deren Support-Band sein. Es fühlt sich also nicht unbedingt so an, als ob wir Pioniere wären, sondern eher so, als ob wir Teil einer ganzen Clique von Bands sind, die im Moment aktiv sind und sich ständig verändern.
Bryce: Ich glaube, die Tatsache, dass wir so isoliert sind, bedeutet auch, dass es keine Verschmelzung von Sounds gab. Also mussten wir – also Australien als Land – uns irgendwann etwas einfallen lassen, das sich verkauft, etwas ganz Neues. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Leute hier bei der Musik wirklich bei Null anfangen mit ihren Ideen. Daraus entsteht dann dieser wirklich interessante, einzigartige Sound, der für Menschen anderswo so faszinierend ist.
Was, glaubst du, ist für Menschen aus anderen Ländern faszinierend an dem, was ihr macht?
Declan: Ich glaube, in Australien liegt der Schwerpunkt auf der Bühnen-Performance, und die Musik hat einen großen sozialen Aspekt. Musikfan in Australien zu sein, besteht nicht so sehr darin, zu Hause herumzusitzen und sich Platten anzuhören, sondern mit Freunden auszugehen und sich eine Show anzusehen. Wir legen deshalb viel Wert darauf, wie wir auftreten, und wir haben in Australien über die Jahre hinweg gute Vorbilder für unsere eigene Performance gehabt. Ich glaube, das ist der Grund, warum wir die Leute so umhauen, wenn wir nach Übersee fahren und dort unsere Show abziehen.
Amy: Ja, das denke ich auch. Ich glaube, dass viele australische Bands ihrerseits Bands aus Europa und Amerika bewundern. Da gibt es eine Art Verbindung, Musik ist ein globales Ding, bei dem die Leute in Australien etwa den Sound aus Deutschland hören und sagen: Verdammt, davon will ich mir was abschauen, weil es so cool und so anders klingt und es der coolste, härteste Rock ist, den ich je gehört habe. Dann versuchen sie das in Australien umzusetzen, aber wir haben diesen komischen Akzent und keiner von uns kann ein Instrument spielen, und es hört sich irgendwie ganz anders an. Ich glaube also, dass sich das alles gegenseitig befruchtet.
Das ist eine sehr interessante und gute Art, das zu erklären. Ich habe mir euer neues Album auf einer langen Autofahrt immer wieder angehört und ich glaube, mein Lieblingssong auf dem Album ist der Opener „Jerkin’“. Geht es in dem Song darum, wie du, Amy, Männer siehst und wie Männer dich sehen?
Amy: Lustigerweise ist der Text gar nicht so sehr auf Männer bezogen. „Squirting“ kann sich auch auf eine Vagina beziehen ... Wie sehen mich die Männer? Ich weiß nicht, wie Männer mich sehen. Ich bin von vielen Männern umgeben und ich denke, sie sind meine Freunde. Stimmt’s, Jungs? Ich kann echt nicht sagen, wie Männer mich sehen. Ich mag viele Männer, ich arbeite etwa zu 80% mit Männern zusammen. Ich bewege mich in einem sehr männerdominierten Umfeld. Auch wenn es viele Frauen und nicht-binäre Personen gibt, die in der Musikbranche arbeiten, ist das eben meine Erfahrung. Ich bin definitiv nicht gegen Männer, so bin ich einfach nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich mein ganzes Leben lang mit Männern zu tun hatte, die Ansprüche stellen. Ich musste mich immer schon mit vielen Dingen auseinandersetzen, seit ich ein Teenager war, bis heute, und wahrscheinlich bis zu meinem Tod. Viele Frauen in meinem Leben, wenn nicht sogar alle, hatten immer irgendwie mit der Aggression von Männern zu tun, auch ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Das ist für uns Frauen sehr frustrierend, weil man es immer wieder versucht und immer wieder das Gleiche passiert, und deshalb ist es so beschissen. Aber ich habe Hoffnung und ich habe nicht das Gefühl, dass wir schon am Ende dieser Geschichte sind. Ich denke, dass sich gerade eine große Veränderung vollzieht, und ich bin mittendrin. Und das übt einen großen Druck und Sog aus. Veränderung ist eine gute Sache, und Reibung auch. Die Menschen werden lernen, Verantwortung zu übernehmen, was nicht leicht ist. Ich mag es nicht, wenn man mir sagt, dass ich etwas falsch gemacht habe. Meine erste Reaktion ist Verteidigung. Ich glaube, Männer empfinden genauso und ich kann das verstehen. Aber wenn du diese Abwehrreaktion überwunden hast, dann passieren gute Dinge. Ich spreche hier verallgemeinernd, weil ich weiß, dass Frauen es leid sind, immer wieder das Gleiche zu sagen. Ja, so also sehe ich Männer. Wie sie mich sehen? Ich weiß nicht. Ich habe viele männliche Freunde, wie ich schon sagte, und gestern sagte ein älterer Mann zu mir: „Weißt du, ich bin in einer anderen Zeit aufgewachsen. Wenn ich eine Frau im Bikini gesehen habe, hat das nur eines bedeutet: ‚Sie ist heiß.‘ Aber ich bin jetzt älter und habe viel gelernt. Es ist so cool, was du repräsentierst, nämlich dass Bikinis ein Zeichen von Stärke sein können. Und sie sind nicht immer für den männlichen Blick bestimmt.“ Ich glaube also, auch viele Männer lassen sich von dem inspirieren, was ich mache.
Ein weiterer Instant-Hit, den ich auf dem Album gefunden habe, ist „Doing in me head“. Da taucht die Zeile auf: „Leathers done up so tight / Driving head first into cartoon darkness“. Was ist „cartoon darkness“? So heißt ja auch euer Album.
Amy: „Cartoon darkness“ beschreibt für mich das Gefühl, dass wir in einer Dystopie leben. Dystopie ist nicht etwas, das in der Zukunft liegt. Dystopien werden immer so dargestellt, als seien das Zustände, die in der Zukunft liegen, als seien wir erst auf dem Weg dahin. Aber ich denke, wir leben jetzt schon in dieser Dystopie. Aber es ist schwer, dieses Gefühl irgendwie greifbar zu machen. Ich habe einfach das Gefühl, dass die Zukunft düster ist. Es sieht nicht gut aus für die Menschheit. Im Kleinen denkst du, dass es Hoffnung gibt und die Dinge vielleicht besser werden, aber wenn du rauszoomst, siehst du die Klimakrise, Artificial Intelligence, und so weiter. Ich spüre eine Menge „gloom and doom“. Unserer Generation macht die Erfahrung, dass für die Zukunft nichts sicher ist. Ich glaube, besonders seit der Corona-Pandemie sind wir als Generation ziemlich nihilistisch eingestellt. Aber wir können es uns nicht leisten, hedonistisch zu sein, wir können nicht einfach alle Vorsicht in den Wind schlagen und sagen: „Scheiß drauf, lasst uns bis zur Apokalypse weiterfeiern.“ Für mich fühlt sich die Zukunft dunkel an, aber irgendwie ist es auch nur wie ein Cartoon, weil es wie eine Skizze aussieht. Aber jeder interpretiert das anders, und das finde ich auch richtig cool.
Existierte der Begriff „Cartoon Darkness“, bevor du den Song geschrieben hast? War das etwas, worum ihr den Text und das Album „gebaut“ habt?
Amy: Das war eher „reverse engeneering“. Ich notiere mir die ganze Zeit kurze Sätze und Texte, und wenn ich das aufgeschrieben habe, weiß ich nicht einmal, woher ich es habe. Ich hoffe, ich habe ihn nicht plagiiert. Ich habe den Begriff dann in den Song eingebaut und dachte, das ist ein guter Name für das Album. Der fasst zusammen, wie ich mich fühle: Dass wir uns in einer Dystopie befinden und ich nicht weiß, was die Zukunft bringt, wie die Welt in zwanzig Jahren aussehen wird. Es fühlt sich seltsam an, an seiner Musikkarriere zu arbeiten und Alben herauszubringen, während ein Teil von mir einfach nur schreien und sagen will: „Alles wird beschissen sein. Lass uns einfach im Wald leben und die letzten paar Jahre genießen.“
In gewisser Weise ist Australien weit weg von vielen schrecklichen Dingen, die in der Welt geschehen, etwa den Konflikten im Nahen Osten oder der Ukraine. Ihr habt euren eigenen Kontinent. Und wenn man keine Nachrichten schaut, wenn man nicht in andere Ländern reisen will, könnte man auf diesem herrlichen, isolierten Kontinent einfach glücklich leben.
Amy: Das Tolle an den Australiern ist, dass sie, vor allem in Melbourne, politisch aktiv sind. In Melbourne gibt es seit dem 7. Oktober jeden Sonntag eine Kundgebung für Palästina und so. Ich weiß, das ist ein super kompliziertes Thema, aber es ist gut, dass sich jeder im Rest der Welt dafür interessiert. Und jeder interessiert sich für die USA und die Ukraine. Die Leute sind wirklich sehr an internationalen Angelegenheiten interessiert. Und wenn die Apokalypse eintritt, bin ich mir sicher, dass viele Leute in Melbourne sagen würden: „Okay, lasst uns versuchen, die Flüchtlinge aus Deutschland hierher zu holen, damit sie irgendwo leben können.“ Ich glaube, diese Einstellung gilt für viele in Australien, und das ist cool.
Es gibt also noch Hoffnung?
Amyl: Ja, es gibt noch Hoffnung. Und selbst wenn alle Menschen aussterben, gibt es noch irgendein Schalentier, das irgendwo auf dem Meeresgrund lebt. Und in 150 Millionen Jahren wird es auftauchen und Plastik fressen. Es geht immer irgendwie weiter.
Beim Hören eures Albums bin ich auf den Song „Bailing on me“ gestoßen und musste spontan an die Rocksängerin Helen Schneider denken. Sie ist Amerikanerin, ihre Musikkarriere hat sie aber wohl vor allem in Deutschland gehabt. Anfang der 1980er Jahre war ihr großer Hit „Rock’n’roll gypsy“. Und euer Song erinnert mich verblüffend an den.
Amy: Wer?
Bryce: Meinst du, uns droht jetzt eine Klage?
Ich schätze nicht, aber es ist spannend zu hören, wie nah sich Songs rein durch Zufall kommen können. Euer neues Album ist musikalisch sehr vielfältig. Was war der Plan, als ihr es produziert habt?
Bryce: Ja, ich denke, die Bandbreite ist definitiv größer geworden. Wir sind erwachsener geworden, haben mehr Erfahrungen gesammelt und mehr Musik von anderen Bands aufgesogen, die wir live gesehen haben, die wir gehört haben, deren Platten wir gekauft haben. Das passiert einfach. Ich denke, es sollte auf ganz natürliche Weise passieren, dass man kleine Teile seines Sounds verändert und sich zumindest aktiv bemüht, etwas zu produzieren, das die Leute vielleicht nicht von uns erwarten. Das macht den Prozess des Schreibens und Aufnehmens für uns interessanter, denn wir können heute nicht dieselbe Band sein, die wir vor acht Jahren mal auf einer EP waren.
Amy: Ich habe darüber nachgedacht, dass es ein paar sanftere und ein paar härtere und ein paar einfachere Songs geben sollte. Wenn du an die erste EP denkst, dann gibt es da diesen Song namens „Caltex cowgirl“, und der ist „Big dreams“ vom neuen Album nicht unähnlich. In vielerlei Hinsicht habe ich das Gefühl, dass wir wieder auf unsere Anfänge zurückkommen und einige Sounds wieder aufgreifen. Nur dass wir jetzt unsere Instrumente besser spielen und besser singen können und unser Songwriting auch besser ist nach sieben Jahren als Band. So denke ich, dass das jemand von außen vielleicht wahrnimmt. Beim letzten Album hat unser Bassist Gus viel geschrieben hat, und ich nehme an, dass man seine Einflüsse in vielen der Songs hören kann. Vieles auf dem neuen Album hat nun Declan geschrieben, man kann das jetzt auch hören, und das kommt gut rüber.
Aufgenommen habt ihr das Album nicht in Melbourne, sondern in Los Angeles im Studio von Dave Grohl.
Declan: Das Album wurde definitiv in Melbourne konzipiert und 90% davon wurden auch in Melbourne geschrieben, letztes Jahr und Anfang 2024. Und damit sind wir nach L.A. gegangen, da lief die Preproduction und da wurde es aufgenommen.
Amy: Es wurde in Melbourne gezeugt und in L.A. geboren.
Aber hat es eine Rolle gespielt, dass ihr in Los Angeles aufgenommen habt? Die Stadt ist seit fünfzig Jahren ein Hotspot der Rockmusik.
Amy: Nun, wir durften das Album in Dave Grohls Studio aufnehmen, auf dem gleichen Pult wie „Nevermind“ von NIRVANA und „Rumours“ von FLEETWOOD MAC. Das war also etwas ganz Besonderes. Außerdem dachten wir uns: Wenn das Album scheiße wird, ist das definitiv unsere Schuld. Wir können niemandem außer uns selbst die Schuld geben. Das war gut, um den Kopf frei zu bekommen. Und auch dass jeden Tag die Sonne geschienen hat. Zu der Jahreszeit, als wir da waren, ist es in Melbourne ziemlich kalt, es war einfach ein Tapetenwechsel. Und Declan und ich leben jetzt beide in L.A. Wir waren beide zehn Jahre lang in Melbourne und haben da jeden Stein umgedreht, den man umdrehen kann. Ich hatte das Gefühl, dass es für uns an der Zeit war weiterzuziehen. Wir wollten schon seit ein paar Jahren umziehen und es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns die Zeit dafür genommen haben. Also sind wir hierher gezogen, um das Album aufzunehmen. Es ist also gerade eine ziemlich aufregende Übergangszeit für uns beide. Ich bin mir sicher, dass sich das auf das Album ausgewirkt hat, aber ich bin mir nicht sicher wie.
In „Pigs“ singst du: „Conformity, well I don’t like the sound of it.“ Worin besteht Konformität in allen Aspekten des Begriffs für dich?
Amy: Ich glaube, es liegt in der menschlichen Natur, wir sind Herdentiere. Wir wollen alle irgendwo dazugehören. Wir wollen das Gefühl haben, dass wir ein Teil von etwas sind. Aber ich hasse es, ein Mensch zu sein. Und ich hasse all die Dinge, die mit dem Menschsein einhergehen. Ich will kein Mensch sein und ich will mich nicht anpassen müssen, nur damit ich mich wohl fühle. Und ich will auch kein normales Leben führen, und ich lebe kein normales Leben. Ich habe Erfahrungen gemacht, die so ganz anders sind als die von allen anderen Leuten, die ich kenne, abgesehen von einer kleinen Handvoll Menschen. Und ich will das zum Ausdruck bringen. Ich will nicht einfach blindlings alles mitmachen, nur weil es gerade so gemacht wird. Ich will mich nicht anpassen. I don’t want to conform.
Das ist die Essenz des Punkrock. Ich denke, viele Leute würden das so unterschreiben.
Amy: Ja, das denke ich auch. Es ist, als ob ich jetzt in einer Blase lebe, aber ab und zu platzt die Blase und ich bin in der normalen Gesellschaft und sehe, wie alle anderen leben und wie ich gelebt habe, also ich noch im Supermarkt gearbeitet habe. Versteh mich nicht falsch, ich würde in den Job zurückgehen, wenn ich es müsste, ich wäre nicht zu traurig. Aber ich mag den Stress des Alltags nicht, es ist so langweilig. Es ist sinnlos. Es ist bedeutungslos. Und es ist scheiße. Und ich muss jetzt nicht so leben und ich bin stolz darauf.
In deinen Texten steckt eine Menge Wut und Empörung, aber diese Gefühle kommen bei dir nicht negativ rüber. Und das erinnert ich mich an euren Song „Security“, wo du singst: „I’m not looking for trouble, I’m looking for love.“
Amy: Ganz genau. Das bringt es auf den Punkt. Die Welt ist so verdammt frustrierend und es macht alles keinen Sinn. Und ich weiß nicht, wie ich all das verstehen soll, und das macht mich wütend. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich alles niederbrennen will. Ich habe den Eindruck, dass viele Punks und viele Aktivisten immer nur als wütend wahrgenommen werden. Ich glaube, das liegt daran, dass sie sich Sorgen machen. Ihr Herz ist zu groß. Sie sorgen sich wirklich. Es ist also nicht so, dass ihre Herzen klein sind. Manche Menschen haben ein kleines Herz und ein kleines Gehirn und sind deshalb wütend. Aber ich habe das Gefühl, dass es vielen Menschen wirklich wichtig ist, dass die Welt besser wird, und sie versuchen einen Weg finden, das auszudrücken.
Reden wir noch mal über „Jerkin’“ und euren aktuellen Wohnort USA: Die Amerikaner sind zwar besessen von Schusswaffen und es stört sie kaum, dass zigtausende Menschen jedes Jahr damit umgebracht werden. Aber wovor sie wirklich Angst haben, dass sind Schimpfworte, wie du sie in diesem kaum radiotauglichen Song in Massen verwendest.
Amy: Ja, das ergibt überhaupt keinen Sinn. In Großbritannien dürfen sie im Radio auch keine Schimpfworte sagen und spielen. Ich frage mich immer, was das soll: keine Schimpfworte, während all diese anderen Dinge passieren? Und in Amerika ist es genauso. Ich kann nicht shit, bitch oder cunt sagen, aber ich kann in einen Laden gehen und mir eine Waffe kaufen. „Jerkin’“ wird also wohl nicht im Radio gespielt werden hier in den USA. Wir könnten natürlich eine zensierte Version machen, aber dann gäbe es statt Gesang nur einen langen Piepton.
Wenn man sich anschaut, was die meistgestreamten Genres bei Spotify sind, dann merkt man, dass diese Plattform einen Scheiß auf Rockmusik gibt, das ist da eher das Randsortiment. Wir alle leben also in einer Blase, in der wir denken, dass Rockmusik immer noch relevant oder wichtig ist. Oder?
Amy: Nun, ich denke, Rockmusik hat immer noch Relevanz und Bedeutung. Auch wir haben das bewiesen. Wir spielen überall, und wo wir hinkommen, gibt es ausverkaufte Konzerte und die Säle werden immer größer. Und das gilt auch für die Bands, mit denen wir spielen. Das sieht man etwa an den LAMBRINI GIRLS, die gerade mit uns auf Tour waren, und bei jeder einzelnen Show war das Publikum auch schon für die Vorband da, was selten ist. Und das ganze Publikum ging bei denen voll mit. Ich denke also, dass sich die Leute immer noch für Rockmusik interessieren, aber die Dinge ändern sich ständig und Rock hatte seinen großen Moment, da ist es ganz natürlich, dass es auch mal abebbt. Die Technologie verschlingt alles und Spotify und Streaming vernichten die Künstler, wie man sie bisher kennt. Da ist es nur logisch, dass eine Band, die mit Instrumenten spielt, die sie mit sich herumtragen muss, es schwer hat. Wenn jemand mit einem Laptop seine Musik einfach auf Spotify hochladen kann, dann ist das alles viel einfacher. Aber ich denke nicht, dass die Rockmusik tot ist. Ich glaube, die Leute lieben diese Musik wirklich, und es ist in Ordnung, wenn sich das mehr im Untergrund abspielt und weniger populär ist. Und die Leute, die sie mögen, bleiben auch dabei. Wir hatten schon Reaktionen wie: „Ich habe Punk noch nie gemocht, aber das jetzt war mein erster Moshpit.“ Und dann fangen sie an, sich für diese Musik zu interessieren.
Habt ihr musikalischen Interessen außerhalb der klassischen Rockmusik?
Declan: Klar. Ich liebe alle Arten von Musik. Ich bevorzuge generell ältere Musik, nicht nur Rockmusik, auch wenn wir selbst Rockmusik spielen. In letzter Zeit höre ich viel instrumentalen Jazz. Symphonische Klassik höre ich gerne zum Einschlafen, wenn ich auf Tour bin. Und ich mag Reggae. Jetzt, da ich in L.A. lebe und Marihuana ausprobiert habe. Ich höre dazu Reggae und es macht Spaß. Manchmal, wenn ich in einem Club bin, mag ich auch solche Musik. Aber da wird es für mich auch schon grundsätzlich, denn ich habe viele ethische Einwände gegen Musik, die mit Computern gemacht wurde. Ich mag nichts, was in der menschlichen Welt mit Computern gemacht wird. Egal, ob es sich um KI oder was auch immer handelt, ich mag es nicht. Es fühlt sich für mich einfach falsch an. Der Mensch ist eine sehr einfallsreiche Spezies, also sehe ich nicht ein, warum wir unsere Musik von Computern machen lassen sollten.
Amy: Ich mag auch mal elektronische Musik. Aber ich liebe Rock- und Gitarrenmusik. Viele Leute sitzen einfach zu Hause, hören Musik und machen ganz allein Musik. Aber um Rockmusik zu machen, muss man sich treffen und mit der realen Welt interagieren. Da reicht es nicht, sich nur in der digitalen Welt aufzuhalten. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die digitale Welt, ich liebe einfach das, was wir tun. Aber es gibt auch viel gute Musik, die digital ist, zum Beispiel von Caroline Polachek.
Declan: Wir existierten als Menschheit seit Tausenden von Jahren ohne das verdammte iPhone. Wozu brauchen wir es jetzt? Das ist einfach nur dumm.
Künstliche Intelligenz ist derzeit ein großes Thema. Was ist es, das euch als Künstler:innen und als Menschen anzieht oder abstößt?
Amy: Ich glaube, es liegt daran, dass es für mich etwas Unbekanntes ist. Und das Unbekannte macht mir manchmal Angst. KI bedeutet auch in vielerlei Hinsicht, dass wir nutzlos werden. KI kann bestimmte Dinge wirklich gut und ist ein wirklich nützliches Werkzeug, das sehr schnell das ganze Internet durchforstet und Informationen aufbereitet. Wir werden uns daran anpassen. Aber uns macht auch Angst, dass KI bestimmte Dinge besser kann als der Mensch, und da ist die Frage: Was bedeutet das für uns? Wann werden wir obsolet?
Declan: Früher waren Schmied oder Sattler Berufe, für die man sehr viel Geschick brauchte. Wenn solche Berufe nicht mehr relevant sind, dann wird die Bandbreite der Berufe und Arbeitsfelder absolut minimiert. Und als Nächstes werden dann alle nur noch Kartons auf Fließbänder bei Amazon stellen. Ich denke, dass ein Teil der Schönheit von Kreativität darin liegt, wie einzigartig jeder Einzelne die Welt sehen, wahrnehmen und sich ausdrücken kann. Schau dir Leute an wie da Vinci oder Picasso oder jemanden wie Bob Marley. Jeder von ihnen war ein einzigartiges Individuum. Wenn man dann mit KI ankommt und sagt, das können wir auch damit machen, dann weiß ich nicht, wo die Schönheit der Kreativität bleibt. Und das ist beängstigend.
Amy: Das ist so, als ob man eine alte Landkarte auf Papier mit Google Maps vergleicht. Man kann es nicht einmal vergleichen, oder? In vielerlei Hinsicht sind Künstler, Schriftsteller, Journalisten, Musiker, vor allem Schriftsteller wie die alte Papierlandkarte. Andererseits nutzen wir alle Google Maps. Es ist wie mit Spotify und der Schallplatte. Spotify ist natürlich viel praktischer, du hast die Musik auf deinem Gerät bei dir. Aber es bedeutet auch, dass die Musiker, Künstler, Schriftsteller, Journalisten und die Leute, die darunter leiden, auch selbst Nutzer sind. Es ist ja auch toll, dass man endlose Mengen an Musik für 10 Dollar im Monat bekommt. Nur verdient niemand Geld daran, außer die Manager an der Spitze dieser Firmen. Die Tech-Leute sind die neuen Rockstars, sozusagen. Und wir sind die altmodische Papierlandkarte.
Und ich bin der altmodische Papiermagazin-Typ. Ich denke, wir haben wahrscheinlich alle ein bisschen Angst vor der Technik, weil wir das Gefühl haben, dass sie alles gefährdet, was für uns wichtig ist.
Amy: Das ist richtig. Und es liegt in der menschlichen Natur, überleben zu wollen. Wir ficken, damit es mehr Babys gibt. Wir sind als Menschheit wie der ständig mutierende Covid-Virus.
Declan: Ich habe da noch eine schöne Analogie: Wenn du dein ganzes Leben lang mit künstlichem Erdbeeraroma aufgewachsen bist, und du dann mit 18 Jahren eine echte Erdbeere probierst, was wirst du dann als „echten“ Erdbeergeschmack bezeichnen und wo der Unterschied liegt? So wird es auch sein, wenn wir nicht mehr unterscheiden können, was echte Intelligenz ist und was nicht. Es ist dann so, als ob der „Intelligenz“-Teil von Künstlicher Intelligenz wegfallen würde. Alle werden die gleiche Intelligenz haben, weil alle mit der gleichen künstlichen Intelligenz aufgewachsen sind.
Letzte Frage: Habt ihr bei der Produktion eures Albums irgendwelche KI-Technik eingesetzt?
Declan: Ja. Wir haben der gesagt, mach uns einen Song wie Helen Schneider.
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Diskografie
„Giddy Up“ (MC, self-released, 2016) • „Big Attraction“ (MC, Burger, 2017) • „Some Mutts (Can’t Be Muzzled)“ (7“, Flightless, 2018) • „Balaclava Lover Boogie“ (Flexi, Thee Flexi Shit Ltd, 2018) • „Big Attraction & Giddy Up“ (LP/CD, Homeless/Damaged Goods, 2018) • „s/t“ (LP/CD, Rough Trade, 2019) • „Live At The Croxton“ (7“, Rough Trade, 2020), „Comfort To Me“ (LP/CD. Rough Trade, 2021) • „U Should Not Be Doing That / Facts“ (7“, Rough Trade, 2024) • „Cartoon Darkness“ (LP/CD, Rough Trade, 2024)
Timeline
2016 Sängerin Amy Taylor, Schlagzeuger Bryce Wilson, Gitarrist Declan Martens und Bassist Calum Newton wohnen zusammen in Balaclava, Melbourne, wo sie AMYL AND THE SNIFFERS gründen. Innerhalb von zwölf Stunden schreiben, recorden und releasen sie ihre erste EP „Giddy Up“ in Eigenregie.
2017 Kurz nach dem Release der zweiten EP „Big Attraction“ verlässt Bassist Calum Newton die Band. Gus Romer wird sein Nachfolger.
2018 Das Label Damaged Goods veröffentlicht die EPs „Giddy Up“ und „Big Attraction“ als Doppel-EP. Im April steht die erste nationale Headliner-Tour an, bevor sie im Mai ihre ersten internationalen Konzerte in UK spielen. Zusammen mit Produzent Ross Orton geht die Band ins Studio, um ihr Debütalbum aufzunehmen.
2019 Im Mai veröffentlichen AMYL AND THE SNIFFERS ihr selbstbetiteltes Debütalbum auf dem Londoner Label Rough Trade. Sie gewinnen den australischen ARIA Award für das beste Rock-Album.
2020 Ende des Jahres begibt sich die Band erneut ins Studio, um ihr zweites Studioalbum „Comfort To Me“ aufzunehmen.
2021 „Comfort To Me“ erscheint im September bei Rough Trade – einen knappen Monat früher als ursprünglich geplant.
2022 Mit „Comfort To Me“ können AMYL AND THE SNIFFERS erneut bei den australischen ARIA Awards überzeugen, dieses Mal in den Kategorien „Beste Gruppe“ und „Bestes Rock-Album“.
2023 Es folgen weitere internationale Touren, wie etwa in den USA als Support für THE SMASHING PUMPKINS und JANE’S ADDICTION.
2024 Anfang des Jahres nehmen AMYL AND THE SNIFFERS ihr neues Album „Cartoon Darkness“ im 606-Studio der FOO FIGHTERS in Los Angeles auf. Veröffentlicht wird es am 25.10. erneut via Rough Trade. Im November touren sie durch Europa.
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