ALARMSIGNAL

Foto© by Andi Langfeld

Widerstand in all seinen Formen

Wenn es hierzulande um klar politische Punkbands geht, dann müssen ALARMSIGNAL aus dem niedersächsischen Celle zwangsläufig genannt werden. Seit über zwanzig Jahren schon setzen sie Album für Album Ausrufezeichen in Sachen lautstarker Kritik und Rassismus-Bekämpfung. Albumtitel wie „Revolutionäre sterben nie!“, „Viva versus“ und „Attaque“ sprechen eine eindeutige Sprache. Und das ist auch bei ihrer neuen Platte „Ästhetik des Widerstands“ so, die zu einem Zeitpunkt herauskommt, wo genau dieser Widerstand wieder ein großes Stückchen wichtiger geworden ist. Im Gespräch erklären Gitarrist Bulli und Sänger und Bassist Steff, was Widerstand für ALARMSIGNAL bedeutet und wo Punk als dem Widerstand klassischerweise verpflichtete Szene derzeit steht.

Die Ästhetik des Widerstands“ – das ist ein wunderschöner, beinahe poetischer Name. Was ist an Widerstand so ästhetisch?

Steff: Widerstand hat ja viele Formen und kann nicht nur aggressiv, sondern auch schön sein, eben ästhetisch. Widerstand kann natürlich auf der Straße passieren. Für uns ist es aber so, dass Widerstand auch mit all den Kämpfen zu tun hat, die man mit sich selbst austrägt. Im Innern. Das heißt: Dieses Album ist ein sehr nachdenkliches geworden, auf dem ja nicht umsonst beispielsweise in einem Song wie „Hoffnung“ auch das Thema Depression angesprochen wird.

Wenn wir vom Widerstand auf der Straße ausgehen, also dem eher politisch und gesellschaftlich motivierten Widerstand, dann hätte man das Album in Zeiten wie den heutigen ja auch „Die Notwendigkeit des Widerstandes“ nennen können. Widerstand ist zwar immer und zu jeder Zeit notwendig, aber aktuell vielleicht mehr denn je, oder?
Bulli: Auf jeden Fall! Demnächst werden wir auch zuerst dich fragen, wenn es um einen Albumtitel geht, haha. Aber Spaß beiseite, wir haben tierisch lange gebraucht, um diesen Titel zu finden. Da sind richtig viele andere hinten runtergefallen. Die Namenssuche ist ohnehin das, was mich bei einer neuen Platte immer am meisten nervt.

Warum hat das so lange gedauert mit der Namensfindung?
Bulli: Wir haben als drei Individuen an diesem Album gearbeitet – Borsti, unser Gitarrist, ist ja ausgestiegen. Und wir sind total unterschiedlich, was unseren Geschmack angeht. Das heißt nicht, dass wir miteinander streiten. Aber es ist eben nicht immer so leicht, auf einen Nenner zu kommen.
Steff: Wir tauschen uns immer sehr lange und ausführlich untereinander aus. Während der Pandemie hatten wir ja sogar noch mehr Zeit, uns wirklich eingehend mit der Musik zu beschäftigen. Das wurde also noch intensiver. Und wir haben das Album letztlich in zwei Etappen aufgenommen. Einmal in Düsseldorf und einmal in Duisburg. Das heißt wir hatten von Hannover aus immer drei Stunden Autofahrt hin und zurück. Und diese Zeit ging immer ziemlich schnell vorbei, weil Bulli und ich über Albumtitel diskutierten. Irgendwann hatten wir zwanzig davon auf einem Zettel stehen und mussten uns entscheiden. Und als wir dann in einem Hotelzimmer saßen, sind wir jeden Einzelnen durchgegangen – und haben uns entschieden.
Bulli: Wir haben uns an diesem Abend wirklich absichtlich unter Druck gesetzt und gesagt: „Heute muss ein Titel gefunden werden. Geht nicht anders!“
Steff: „Ästhetik des Widerstands“ ist übrigens das erste Album, bei dem der Titel erst nach der Aufnahme feststand. Normalerweise war das immer vorher schon klar. Aber bei diesem Album war irgendwie alles anders ...

Inwiefern?
Bulli: Wir konnten uns aufgrund der Pandemie ganz klar nur auf diese Platte und die Arbeit daran konzentrieren, da ja der Festivalsommer ausfiel und nichts anderes anstand.
Steff: Diese Situation hatten wir vorher noch nie. Natürlich haben wir bislang jedes unserer Alben mit Herzblut eingespielt. Aber dieses Mal konnten wir uns wie nie zuvor aufs Songwriting konzentrieren. Wobei wir da auch aufpassen mussten, nicht in so einen Trödelmodus zu verfallen. Man dachte: „Alles gut. Wir haben jetzt endlos Zeit.“ Aber dem war ja nicht so.
Bulli: Genau. Es war unser Produzent, der uns am Ende immer wieder so ein bisschen auf den Boden zurückgeholt und angeleitet hat. Als wir ins Studio kamen, dachten wir, wir seien dieses Mal endlich perfekt vorbereitet. Er wiederum scherzte erst mal, dass er wahrscheinlich noch nie eine derart schlecht vorbereitete Band gesehen habe, haha.

Ein kleiner Schockmoment?
Steff: Ja, durchaus. Ich denke, Bulli wusste schon, was da auf uns zukommt. Er hatte das Studio ausgesucht. Ich wusste das nicht. Und ich habe auch Probleme damit, wenn mir jemand in Songs reinquatscht, die ich für fertig halte. Aber es hat geklappt. Am Ende waren alle Eingriffe in die Songs sehr wertvoll.

Wie groß waren diese Eingriffe denn?
Bulli: Es waren meist nur musikalische Kleinigkeiten. Bei der Ballade „Hoffnung“ zum Beispiel sollten wir einfach das Zweitbecken am Ende zweimal anschlagen. Und das wirkt wirklich. Das macht etwas aus.
Steff: Na ja, letztlich haben wir diesen Song trotzdem geschätzte fünfzig Mal eingesungen, haha. Aber das alles hat seine Wirkung trotzdem nicht verfehlt. Du hast recht, der Song ist jetzt besser.

Ihr habt eben von unterschiedlichen Geschmäckern innerhalb der Band gesprochen. Wo und wann liegen die denn besonders weit auseinander?
Bulli: Das merkt man bei vielen Dingen. Bei Merchandise-Motiven zum Beispiel. Da haben Steff und ich vollkommen unterschiedliche Vorstellungen.
Steff: Und das geht bis hin zur Konzertvorbereitung und zum Verhalten auf der Bühne. Ich meine, die Leute zahlen für ein Konzert Eintritt. Mitunter viel Eintritt. Und da erwarten sie auch, dass man seine Songs einigermaßen auf die Reihe kriegt. Wir aber hatten auch mal eine Phase, in der wir vor den Auftritten gerne mal einen getankt haben. Und da gab es auch Diskussionen. „Leute, wir wollen immer noch Punkrock sein. Klar. Aber lasst uns mal zusammenreißen und den Leuten eine vernünftige Show bieten! Die sollen etwas bekommen für ihr Geld.“ Und da dachte der eine Teil der Band: „Richtig.“ Und der andere sagte: „Nein, lasst uns mal authentisch bleiben. Das gehört dazu.“
Bulli: Ich konnte mal aus gesundheitlichen Gründen mehrere Jahre lang keinen Alkohol trinken und brauche das seitdem auch nicht mehr – ganz zu schweigen von anderen Dingen. Aber es gibt durchaus auch Leute in der Band, die eher, ich sage mal, in Sachen „No Future“ unterwegs sind. Und das sorgt eben auch für Diskussionen.
Steff: Dennoch, wir haben ja auch Gemeinsamkeiten. Und eine davon ist: Wir sind alle sehr harmoniebedürftig. Wir nehmen uns auch schnell wieder in den Arm und vertragen uns. Wir lassen uns auf die anderen ein.

Diese konträren Ansichten haben aber nicht dazu geführt, dass Borsti kurz vor der Aufnahme der neuen Platte bei euch ausgestiegen ist, oder?
Bulli: Nein. Er hatte schon länger gesagt, dass ihm das alles einfach zu viel wird mit der Band. Und nach zwanzig Jahren ALARMSIGNAL hat er dann einfach einen Schlussstrich gezogen.
Steff: Er hat seinen Abschied schon vorher ganz offen angekündigt – und entsprechend sind wir im Guten auseinandergegangen.
Bulli: Und überhaupt zwanzig Jahre: Wir haben uns schon oft gefragt, warum es für uns als Band so lange gut gegangen ist ...

Und zu welcher Antwort seid ihr gelangt?
Bulli: Ich denke, weil wir alle nach wie vor Freunde sind und uns auch abseits der Musik umeinander kümmern. Allein Steff und ich telefonieren fünf-, sechsmal am Tag miteinander. Und wenn es einem von uns schlecht geht, melden sich die anderen bei ihm. Regelmäßig. Das ist doch klar.

Wäre das Album mit Borsti ein anderes geworden?
Bulli: Ja. Alleine weil seine Stimme dabei gewesen wäre. Die fand ich immer schon mega. Und seine Gitarren haben immer so einen typisch dreckigen Sound gehabt. Das alles auszugleichen, war nicht so leicht.

Gehen wir mal vom Begriff des Widerstands logisch weiter zum Begriff des Punk, der ja als Szene quasi auf Widerstand gründet: Wo steht Punk anno 2021?
Steff: Wir können das ja nur anhand dessen beurteilen, was um uns herum geschieht. Und da ist mein Eindruck: Punk ist nach wie vor sehr stabil. Da spüre ich auch nach der Corona-Zeit bei den Leuten, die jetzt auf unsere ersten wieder stattfindenden Konzerte kommen, eine große Solidarität. Und das berichten auch Freunde von mir, die beispielsweise auf Demos waren oder so. Komischerweise sieht das aber anderswo anders aus.

Wo ist dieses „anderswo“?
Steff: Wenn ich mir den Punk anschaue, der im Internet stattfindet, sehe ich schon Gruppen, die aufeinander einschlagen. Gerade jetzt. Gerade, wenn es um Dinge wie 2G oder 3G geht. Wobei ich ganz klar Fan von Shitstorms bin. Ich schaue mir das alles an, denke mir meinen Teil dabei – und diskutiere auch gerne mal mit.
Bulli: Ich kann das nicht. Ich kann mir das nicht antun.
Steff: Ach, weißt du, das zeigt mir letztendlich: Vielleicht hat die Pandemie sogar die Spreu vom Weizen im Punk getrennt. Meine Empfindung ist, dass sich viele Linke, viele Menschen aus der Szene eben an die Vorgaben in Sachen Pandemiebekämpfung gehalten und somit erst recht Solidarität mit allen gezeigt haben.
Bulli: Systemlinge! Das musste ich auch mehrfach auf unseren Social-Media-Seiten lesen, haha.

Das ist auf jeden Fall ein interessanter Punkt. Diejenigen, die kritisieren, werfen den Punkbands, die sich an die vorgegebenen Regeln halten, ja gerne vor, dass die sich beugen. Dass sie, Bezug nehmend auf euren Albumtitel, eben keinen Widerstand leisten.
Steff: Wir stehen ja nicht allem unkritisch gegenüber. So ist es ja nicht. Wir finden auch, dass es viele Grundrechte gibt, die wir uns auch zurück erkämpfen müssen.
Bulli: Aber man darf gerne – und muss auch mal – seinen Kopf einschalten und Intelligenz walten lassen: Nur weil der Staat etwas vorgibt, bedeutet das ja nicht, dass es schlecht ist. Gerade wenn es um Solidarität untereinander in einer Lage wie dieser geht. Und seien wir doch mal ehrlich: Diese Nachbarschaftshilfe beispielsweise, die aus der Lockdown-Situation entstanden ist, gab es vorher meines Erachtens nach so nicht. Ich selbst hing aufgrund der Pandemie wochenlang im Ausland fest und hatte zwischenzeitlich alle meine Jobs verloren. Ich konnte von jetzt auf gleich meine Miete nicht mehr zahlen. Und was ich da an Hilfe erfahren habe, war wunderbar. Das war ein gutes Gefühl.

Euer neuer Song „Zu weich für Punk“ ist eine Breitseite gegen genau diejenigen, die euch kritisieren und sich als Szene-Polizei im Internet aufspielen. Eine Zeile in diesem Stück lautet: „Die Erfüllung des Klischees ist für uns irrelevant.“ Punkrock hat viele Klischees. Welches regt euch am meisten auf?
Steff: Eben dieses unbedingte Hart-Sein zum Beispiel, auf das wir da anspielen. Dieses Raushängenlassen des harten Mackers. Ich kenne noch ein paar Punks aus den Achtzigern. Und bei denen war das genau so. Mir aber hat da früher immer schon das Herz gefehlt. Man kann untereinander cool sein, aber ich finde es nicht schlimm, wenn man auch mal emotional ist. Wenn man auch mal weint.

„Punkboys don’t cry“ singen KOTZREIZ so schön – und halten eben ein Plädoyer fürs Weinen. So wie ihr.
Bulli: Haha, genau. Für mehr Tränen!

Steff: Das ist einer der tollsten Songs überhaupt. Ich bin großer Fan davon!
Bulli: Um das aber noch zu ergänzen: Punk dürfte gerne wieder ein bisschen gefährlicher sein. Nicht härter. Aber gefährlicher.

Inwiefern?
Bulli: Anlässlich der Räumung des Köpi-Wagenplatzes in Berlin hätte es vor zehn, fünfzehn Jahren mehr Krawall gegeben. Ich finde, bei so was muss die Stadt brennen. Ich bin da sehr radikal. Mir fehlt da das Feuer. Viele der Protestierenden sind sehr alt geworden. Und es kommen nicht mehr viele junge Leute hinzu. Nicht falsch verstehen: Nehmen wir Bewegungen wie „Fridays for Future“, das sind alles gute und korrekte Leute. Und die machen eine tolle Sache. Ich finde das super! Aber das sind dennoch nicht mehr die Punks von früher. Das ist eine andere Szene. Mit einer anderen Radikalität.

Wie weit darf diese Radikalität, die du dir wünschst, gehen?
Bulli: Für mich darf sie sehr weit gehen. Ich bin für jeden Widerstand offen. Und Punk ist dahingehend sehr müde und bequem geworden. Ich sehe das ja an mir selbst: Ich sage mir selbst immer häufiger: „Nee, Steine werfen musst du jetzt nicht.“ Und das finde ich schade. Das war früher anders.

Lasst mich raten: Euer Song „Revolutionary action“ ist aus genau dieser Motivation heraus entstanden.
Steff: Genau. Der stammt von unserem Drummer und ist der erste Song, den wir auf Englisch singen.
Bulli: Danach kam gleich noch „161“. Der ist von mir. Auch auf Englisch. Aber nicht um endlich mal eine Englisch-Quote zu erfüllen.

Sondern?
Bulli: Ganz einfach: Bei den Corona-Demos, bei denen ich war, waren so viele Faschos am Start. Und dieses Gedankengut ist ja nach wie vor auf dem Vormarsch. Und genau darum wollen wir diese Message eben möglichst weit verbreiten – und singen sie auf Englisch.

Was waren eure ersten revolutionären Akte? Die ersten Demos, an die ihr euch erinnert?
Bulli: Meine erste Demo war eine Anti-Nazi-Demo in Oldenburg, bei der sogar die NPD noch mitmarschiert ist. Das bedeutet, die waren noch extremer als die Rechten, die jetzt bei den Corona-Demos dabei sind. Das war ein ziemliches Spektakel, weil es eben mehrere große Gegengruppen gab. Ich selbst war noch sehr jung. Aber es waren auch noch jüngere Leute mit dabei. Da wurden sogar Elfjährige von der Polizei zusammengetreten. Es gab dann eine Straßenschlacht. Das war wie in einem schlechten Film.
Steff: Meine erste Aktion war auch eine Anti-Nazi-Demo. Wir haben eine Polizeikette durchbrochen. Wir haben zwar nicht viel bewirkt damals. Aber es war ein Erlebnis. Ein gutes Gefühl.

Und was waren die bislang letzten „Revolutionary actions“ für euch als Band?
Bulli: Beispielsweise als wir den „Rauchhaus-Song“ von TON STEINE SCHERBEN aufgenommen haben, um zur Köpi-Demo in Berlin aufzurufen. In diesem Zuge haben wir auch auf viele andere bedrohte Einrichtungen wie Autonome Zentren oder Konzertlocations hingewiesen. Das hat sehr viel Aufmerksamkeit gebracht. Und natürlich die Sache mit Dariush, der im Song „Bring dich in Sicherheit“ als Gast mitsingt. Den wollten wir eigentlich gar nicht auskoppeln und haben ihn ursprünglich unabhängig von seiner Person geschrieben. Dariush ist ja Crewmitglied der Iuventa und rettet flüchtenden Menschen im Mittelmeer das Leben. Aber als er und andere deswegen angeklagt wurden, haben wir das Stück doch rausgebracht, haben Geld gesammelt und konnten dadurch schon 2.500 Euro an ihn und Iuventa überweisen – zusammengekommen durch aufgestellte Spendendosen, Streaming-Aufrufe und Downloads.
Steff: Wir wollen das alles gar nicht an die große Glocke hängen – auch wenn das jetzt gerade so aussehen mag. Darum geht es uns nicht. Aber wir können dadurch eben auf solche Dinge aufmerksam machen. Das sind Dinge, die uns nicht wehtun, die aber für andere viel bewirken.