AERONAUTEN

Foto

Jubilare unter sich

Am 2. Februar 2012 erscheint die 100. Ausgabe vom Ox – ein Grund zum Feiern. Aber das Ox ist nicht der einzige Jubilar im Februar. Einen Tag später erscheint das neue Album „Too Big To Fail“ von DIE AERONAUTEN und zwar auf den Tag genau 20 Jahre nach ihrer ersten Tape-Veröffentlichung. Ein schöner Anlass, die Schweizer Band endlich auch mal im Ox zu Wort kommen zu lassen, so von Jubilar zu Jubilar. DIE AERONAUTEN-Urgestein und -Frontmann Olifr M. Guz stand Rede und Antwort, sprach über die vergangenen 20 Jahre und scheute auch nicht den Ausblick auf die nächsten 20 Jahre.

Genau wie das Ox seid ihr schon länger in der Szene unterwegs. Für Fanzinemacher wie Bands war es früher manchmal einfacher, die eigenen Produkte an den Mann zu bringen. Einige haben aus wirtschaftlichen Gründen in den letzten Jahren aufgeben müssen. Sind Fanzines, Schallplatten und CDs Auslaufmodelle oder werden sie weiterhin ihre Nische zum Überleben finden?

Ob Fanzines und Tonträger als greifbare Gegenstände eine Zukunft haben, kann ich nicht beantworten. Das wird die Zukunft zeigen. Die aktuellen Entwicklungen belegen aber, dass es immer mehr eine Angelegenheit für Sammler wird. Auch wenn es auf den ersten Blick komisch wirkt, so war es früher auch aus dem Grund einfacher, Platten und Fanzines zu verkaufen, weil sie nicht überall und zu jeder Zeit abgreifbar waren. Man fühlte sich wie ein Trüffelschwein, und das hat das Ganze enorm aufgewertet. Wenn man früher in einem Plattenladen eine Rarität in einem Originalcover gefunden hat, dann hatte man wirklich so einen Finderstolz und hat gleich zugegriffen. Das gibt es heute in dieser Form leider nicht mehr.

Wenn das so weitergeht, gibt es dann zukünftig neue AERONAUTEN-Songs nur noch als mp3-Datei und nicht mehr auf Vinyl und CD?

Ich glaube nicht, dass es in absehbarer Zeit unsere Songs ausschließlich als mp3-Datei geben wird. Wenn ich etwas von einer Band hören möchte, dann gehört für mich auch ein Bild der Band dazu, ein Cover beziehungsweise ein Booklet, das man anfassen kann. Und um ehrlich zu sein: Ein Album machen wir nicht nur für andere, sondern natürlich auch für uns selbst. Und dann möchte ich am Ende auch ein schönes Ergebnis unserer eigenen Arbeit in den Händen halten können. Wobei ich aber auch zugestehen muss, dass es bei mp3-Dateien durchaus auch zwei positive Aspekte gibt. Es geht heute viel einfacher und schneller, ein Mixtape fürs Auto zusammenzustellen. Und man muss ganz klar feststellen, dass die mp3-Player dafür sorgen, dass die jungen Leute viel offener mit Musik umgehen. Wenn man sich mal anhört, was die jungen Leute heute so auf ihrem mp3-Player haben, das reicht von HipHop über Punkrock bis hin zu bulgarischer Volksmusik. Früher wäre das undenkbar gewesen, da war alles viel eingleisiger. Da war man Punk und hörte Punk oder man war Rocker und hörte Rock. Und wenn man mehrgleisig unterwegs war, hat man das niemandem erzählt.

Mehrgleisig unterwegs zu sein, das ist ein gutes Stichwort. Die AERONAUTEN sind ja bekannt für ihren bunten Stilmix. Ich tue mich ein bisschen schwer damit, euren Stil exakt zu definieren. Wie würdest du jemandem, der euch nicht kennt, eure Musik beschreiben?

Also ich finde das überhaupt nicht schwierig. Schublade auf: wir machen Popmusik. Melodie, Rhythmus, Refrain – ganz eindeutig Popmusik. Deutsche Texte, schnelle Musik mit Bläsern, aber kein Ska. So einfach ist das. Auch wenn wir Punkrock, Dixieland, Country oder Bossa Nova spielen, so ist die Verwandtschaft der Songs doch immer eindeutig hörbar. Witz und Klangästhetik halten alles zusammen. Und man muss eindeutig sagen, dass wir eine Textband sind, die Texte sind schon wichtig.

Mit eurem 20-jährigen Jubiläum könnt ihr inzwischen auf viele tolle Veröffentlichungen und, wenn meine Recherchen stimmen, auch auf über 500 Konzerte zurückblicken. Stand in den ganzen letzten Jahren vielleicht schon einmal das Ende der AERONAUTEN zur Diskussion?

Das Ende der AERONAUTEN stand eigentlich nie zur Debatte, auch wenn ich natürlich zugeben muss, dass wir von 2002 bis 2004 Sendepause hatten und nicht mehr geprobt haben. Das hatte wahrscheinlich auch damit zu tun, dass wir Ende der Neunziger die Idee hatten, von der Band leben zu können. Anfang 2000 mussten wir uns aber eingestehen, dass das nicht funktioniert. Da war natürlich schon eine gewisse Enttäuschung zu spüren. In dieser Situation haben sich aber alle besonnen, sich mit ihrem Job arrangiert und Familien gegründet. Als wir dann aber nach einer zweijährigen Pause eingeladen waren, auf einer Party zu spielen, haben wir wieder gemerkt, dass wir mit den AERONAUTEN immer noch gemeinsam viel Spaß haben.

So viel Spaß, dass ihr in 20 Jahren immer noch gemeinsam im Proberaum, auf der Bühne und von Zeit zu Zeit im Studio seid?

Wo wir in 20 Jahren als AERONAUTEN stehen werden, ist heute natürlich schwer zu prognostizieren. Was meine Person betrifft, kann ich nur sagen, dass ich Musiker bin, von der Musik lebe und auch in 20 Jahren mit Sicherheit noch Musik machen werde. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich das dann auch zusammen mit den AERONAUTEN machen werde.

Woher kommt diese optimistische Einschätzung?

Zuerst ist natürlich ganz wichtig, dass wir uns in der Band super verstehen. Schau dir doch allein nur mal die Aufnahmen zu unserem neuen Album an. Die neue Platte haben wir in meinem Studio, zu einem Drittel aber auch auf einer Alm in einem alten Bauernhaus aufgenommen. Wir waren zehn Tage zusammen fernab der Zivilisation und konnten uns auf die elementaren Dinge konzentrieren: Holz hacken, Essen, Proben und Aufnehmen. Und das alles bei optimalen Bedingungen: schlechter Handy-Empfang, richtig Ruhe, niemand kann einfach abhauen. Fernab von Job und Kindern kommen da richtig gute Sachen raus.

Das klingt ja ein bisschen nach „11 Freunde müsst ihr sein“. Gab es keine Fälle von Lagerkoller?

Nein, keinerlei Probleme. Das hat immer eher was von Klassenfahrt. Die Gemeinschaft auf der Alm sowie auf Tour ist mit Sicherheit der entscheidende Grund, warum es die Band immer noch gibt. Sobald die Tür vom Tourbus zugeht, sind alle durch die Reihe 15 Jahre jünger. Wir kennen uns schon ewig und haben eine gewisse Art von Humor, mit dem alle umgehen können. Einer von uns hat mal gesagt: „Diese Band verlässt man nur mit den Füßen voran.“ Und das ist mit Sicherheit nicht utopisch. Und einen weiteren Aspekt darf man natürlich auch nicht vergessen. Dadurch, dass wir mit der Band quasi kein Geld verdienen, ist der Spaß, den wir damit haben, natürlich entscheidend. Außerdem ist es ganz wichtig, dass es mit dieser Band nie langweilig wird. Wir machen immer wieder neue Sachen, die wir so vorher in dieser Art noch nie gemacht haben. Auf unserem neuen Album befinden sich Songs, die früher wahrscheinlich undenkbar gewesen wären. Da hätten wir wahrscheinlich alle gesagt, dass das ja nach Platten unserer Eltern klingt. Als wir an dem neuen, zugegeben ziemlich pathetischen Song „Das Ende ist nah“ gearbeitet haben, kam eine Punkband zu Besuch ins Tonstudio und die Jungs meinten nur ganz trocken: „Ihr traut euch ja was!“ Zum Glück sind unsere Fans sehr tolerant. Da können wir im Grunde machen, was wir wollen, man vertraut uns. Wenn ich mir vorstelle, dass EXPLOITED einfach sagen würden: „Lass uns doch mal was mit Klavier machen“, da wären deren Fans wahrscheinlich äußerst irritiert.

DIE AERONAUTEN sind ja bekannt für die Sentenz „Im Alter fängt man an, sich für Country-Musik zu interessieren.“ Ist es denkbar, dass ihr in 20 Jahren eine reine Country-Band seid, quasi TRUCK STOP für die gebildeten Stände?

Generell muss ich sagen, dass ich das Genre des Trucker-Songs als höchst interessant empfinde, genau wie zum Beispiel auch deutscher Politrock aus den Siebzigern und Achtzigern für mich extrem unterhaltsam ist. Trucker-Songs sind absolut simpel gestrickt, fast schon bis zur totalen Dummheit. Aber auch wenn dieses Genre enorm interessant ist, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass DIE AERONAUTEN im hohen Alter eine reine Trucker-Band werden.

Euer Jubiläum krönt ihr mit einem Doppelalbum mit dem vielversprechenden Titel „Too Big To Fail“. Ist der Name Programm? Oder habt ihr den Titel mit einem leichten Augenzwinkern ausgewählt?

Wieso mit Augenzwinkern? Der Titel ist ernst gemeint und ganz bewusst von uns gewählt worden.

Und woher kommt dieses Selbstbewusstsein?

Das, was wir machen, ist gut und dazu stehen wir. Ich persönlich bin stolz auf unsere Sachen, warum sollten wir da bescheiden sein? Oder hätten wir das Album lieber „Ein paar Liedchen, die uns in letzter Zeit gerade so eingefallen sind“ nennen sollen?

Also diesen Titel hätte ich auch klasse gefunden ... Aber wo seid ihr nun besonders „big“, eher in der Schweiz oder doch in Deutschland?

Natürlich haben wir in der Schweiz einen Heimvorteil. Bei Konzerten in Schaffhausen und Zürich ziehen wir bei Konzerten schon jede Menge Publikum an, in Zürich kommen mit Sicherheit schon um die 500 Leute. Aber auch in großen deutschen Städten wie Berlin oder Hamburg funktionieren DIE AERONAUTEN gut. Die Frage ist insgesamt also nicht eindeutig zu klären.

Auf dem neuen Doppelalbum habt ihr auf beiden CDs wieder jeweils einen Song auf Schwyzerdütsch am Start.Richtig. Im Song „Buumeshuse“ geht es um meine alte Heimat Baumannshausen, ein kleines Dorf am Bodensee. Viele Orte in der Schweiz haben eine eigene Dorfhymne, nur Buumeshuse hatte bisher keine. Jetzt aber. Und wir hoffen, dass diese Hymne dann zur 700-Jahr-Feier von den Dorfkindern gesungen werden muss.

Und wann bringt ihr ein komplettes Mundartrock-Album nur mit Schwyzerdütsch-Songs heraus?

Wir haben uns eigentlich schon angewöhnt, auf Deutsch zu singen. Trotzdem ist es natürlich denkbar, dass wir auch mal solch ein Album einspielen.

Im CD-Booklet gibt es ein Bandfoto, auf dem ihr einem älteren Baum mit Säge und Axt zu Leibe rückt. Nichts von wegen „Mein Freund, der Baum“. Was hat es mit diesem Foto auf sich?

Wir haben ja schon einen Hang zum Primitiven in der Band. Das Foto soll entsprechend unser Holzhacker-Image und unsere Stumpfpunk-Ader demonstrieren. Eine große philosophische Aussage steht aber nicht hinter dem Foto. Damit wollten wir weder die Grünen ärgern noch den Bund für Umwelt und Naturschutz herausfordern. Fotos mit Bands vor einer Hauswand hat man schon zu oft gesehen, wir wollten auf dem Foto einfach wieder aktiv sein und beschäftigt wirken. Wenn du dich erinnerst, beim letzten Album haben wir auf dem Cover ein Auto geknackt.

Bei „Too Big To Fail“ handelt es sich um ein Doppelalbum. Während die erste CD aus meiner Sicht ein typisches AERONAUTEN-Album ist, präsentiert ihr auf der zweiten CD eine Filmmusikplatte fast ausschließlich mit Instrumentalstücken. Wie kam es dazu?

Die Idee zu einem Instrumental-Album ist bereits vor circa zehn Jahren aufgekommen. Über die ganzen letzten Jahre sind im Proberaum beim Improvisieren viele Instrumentalstücke entstanden, und jetzt war die Zeit reif, diese zu präsentieren. Und das Jubiläumsalbum bot dafür eine gute Gelegenheit. Auch wenn man natürlich sagen muss, dass es nicht einfach war, denn DIE AERONAUTEN sind auch eine Band, die sehr textfixiert ist. Wenn man mit jemandem über uns spricht, dann dauert es normalerweise nicht lange, bis die erste Textzeile zitiert wird. Dann heißt es oft auch, DIE AERONAUTEN, das ist doch die Band mit der „Freundin“. Ein reines Instrumental-Album allein hätte vermutlich auch nicht funktioniert, das interessiert wahrscheinlich keine Sau. Deshalb mussten wir es an eine reguläre CD dranhängen. Und das, obwohl wir eigentlich keine typische „Doppelalbum-Band“ sind. Ein Doppelalbum ist für jede Band eine Herausforderung. Bands sollten sich ruhig öfter mal trauen, ein Doppelalbum herauszubringen.

Es fällt auf, dass ihr mit zahlreichen erfahrenen und sympathischen Szene-Haudegen zusammenarbeitet. Das Booking erledigt Jens Trümmer, Single und Album erscheinen bei Rookie und Ritchie, eure alten Sachen werden über Flight 13 vertrieben. Ich kann mir vorstellen, dass es hier nicht nur um geschäftliche Kontakte geht, sondern auch um Freundschaften.

Stimmt. Wie bei der Band gilt natürlich auch in diesem Netzwerk, dass mit uns nicht viel Geld zu machen ist. Deswegen müssen natürlich auch gegenseitig gewisse Sympathien bestehen, damit das Ganze funktioniert. Das ist unabdingbar. Zum Beispiel Jens Trümmer, das ist ein Typ, der könnte sofort bei den AERONAUTEN mitspielen, wenn er in Schaffhausen wohnen würde und nicht in Wilhelmshaven. Wir hatten zwischenzeitlich mal einen anderen Booker. Der hat uns dann zu so einem merkwürdigen Stadtfest geschickt, wo wir eigentlich überhaupt nicht hingepasst haben. Da merkt man dann ganz schnell, dass der uns als Band überhaupt nicht verstanden hat.

Mit Roger und dir gibt es zwei AERONAUTEN, die von der Musik leben. Ist das schwer?

Prinzipiell profitieren wir natürlich davon, dass in der Schweiz der Kulturbetrieb noch umfangreich staatlich subventioniert wird. Neben den AERONAUTEN und meinem Studio mache ich zum Beispiel auch noch Theatermusik. Durch die staatliche Finanzierung vieler Projekte kann man als Künstler in der Schweiz ganz gut leben, auch dann, wenn die Hallen nicht gefüllt sind. Allerdings empfinde ich das Ganze unter ethischen Gesichtspunkten schon als Zwickmühle. Einerseits ist es beruhigend, vom Staat Geld zu bekommen. Andererseits fragt man sich als Künstler aber auch, warum sich das Ganze nicht selbst tragen kann.

Außer mit den AERONAUTEN bist du auch unter deinem Namen GUZ solo unterwegs. Steht hier auch mal was Neues an?

Zunächst wird es was Neues von den ZORROS geben, bei denen spiele ich ja auch noch mit. Mit den ZORROS haben wir ein neues Album eingespielt, das, wenn alles klappt, im März erscheinen sollte. Das letzte Album von GUZ stammt aus dem Jahr 2008. Auch als GUZ bin ich an neuem Material dran. Ich hoffe, dass es im Herbst 2012 ein neues Album gibt.