ACACIA STRAIN

Foto© by Mike Watson

Neue Strategien

THE ACACIA STRAIN singen seit Jahrzehnten über den Untergang der Welt und die Wertlosigkeit der Menschheit. 2020 ist es vielleicht tatsächlich soweit. Die ganze Welt ist in Bewegung und inmitten des Chaos sind TAC mit ihrem starken neuen Album, das sie nun auf eine ganz andere Art veröffentlichen. Ich spreche mit Gitarrist Devin Shidaker über ... alles. Wir blicken erstmal ein paar Monate zurück.

Das letzte Mal wart ihr 2013 in Deutschland auf Tour. Ihr wolltet, kurz bevor wegen des Corona-Virus die ganze Welt in Isolation geschickt wurde, an sich wieder auf Headliner-Tour kommen. Was hat da so lange gedauert?

Ja, das war echt richtig mieses Timing. Wir hatten endlich mal wieder ein Angebot, das es uns möglich gemacht hat, nach Deutschland zu kommen, und das auch noch mit tollen Support-Bands. Aber da hast du schon den Grund, es war leider das Geld. Wir hatten oft eher die Möglichkeit, eine US-Tour zu spielen, die uns nur unwesentlich mehr eingebracht hat. Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten und haben mehr Verpflichtungen und höhere Rechnungen zu bezahlen. So gern wir getourt wären, wir konnten uns das so nicht leisten. Umso mehr hatten wir uns gefreut, jetzt endlich zurückzukommen. Tja ... Das holen wir hoffentlich bald nach.

Hast du eine persönliche Strategie, mit der Unsicherheit in der Branche derzeit umzugehen?
Langsam macht hier in der Bay Area an der Westküste alles wieder auf, doch bis die Hardcore-Szene wieder wird wie früher? Wow, keine Ahnung. Kleine DIY-Läden bekommen keine Hilfe von der Regierung. Die müssen wahrscheinlich alle erstmal schließen. Abstand auf Konzerten? Oh Mann, ich weiß echt nicht, das deprimiert mich alles so sehr. Mein Hoffnungsschimmer, mit dem ich durch diese Zeit komme, ist, dass alle Musiker gerade zu Hause sitzen und sich auf ihre Kunst konzentrieren. Jeder ist beschäftigt mit Schreiben und Experimentieren. Ich glaube, wir werden nächstes Jahr ganz viele absolut fantastische und bis ins letzte Detail durchdachte Alben zu hören bekommen – und darauf freue ich mich sehr, haha.

Euer neues Album „Slow Decay“ habt ihr nun auch ganz anders veröffentlicht als normalerweise – fünf Singles mit je zwei Songs drauf, alle drei Wochen.
Genau, diesen Plan gab es ja auch schon vor Corona. Unsere Idee dahinter war eigentlich, dass es in der heutigen Zeit oft so ist, dass man neue Alben hört und vielleicht eine Woche über sie spricht, dann kommt der nächste Hype. Die Alben sind alles andere als schlechter als früher, aber sie werden im Überangebot und der schnelllebigen Kultur nicht wertgeschätzt.Wir hatten gehofft, dass man, wenn man alle drei Wochen zwei neue Songs bekommt, sich dann auch die vorher veröffentlichten noch einmal anhört und langsam beginnt, das große Ganze zu sehen. Diese neue Strategie hat nun tatsächlich auch in der aktuellen Situation gut funktioniert, vielleicht sogar noch besser. Wir haben auf jeden Fall Glück mit Rise Records, weil sie uns die Freiheiten lassen, alles auszuprobieren, was wir wollen.

Ihr habt immer sehr viele Features auf euren Alben. Legt ihr speziellen Wert darauf?
Wir haben an so etwas viel Spaß und sind immer offen für Zusammenarbeit. Wir haben über die Jahre viele Freunde gefunden und es ist toll, etwas gemeinsam zu schaffen. Bei TAC geht es nicht nur um uns, darum zu zeigen, was wir alleine können. Es geht um jeden. Bei Shows ist es nicht nur die Band und das Publikum, sondern wir sind eins. Auf Platte sind es nicht nur ein paar Typen und ihre Freunde, sondern wir sind eins! Na, und manchmal kann man dann mit Max Cavalera arbeiten und denkt sich: Wow, das ist so unfassbar cool! Haha.

Eure Texte haben sich nicht sonderlich verändert, fühlen sich jedoch 2020 noch mehr nach der Wahrheit an als sonst schon. Denkt ihr manchmal „Wir haben’s ja gesagt“ oder seid ihr schockiert, dass die Welt sich gerade tatsächlich so zeigt?
Überrascht sind wir auf keinen Fall. Die Probleme waren schon immer da, wurden nur nicht angesprochen. Jetzt jedoch sitzt ein Großteil einfach zu Hause herum, und der Tod von George Floyd war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war oft so, dass man die Arbeit oder andere Dinge vorgeschoben hat und keine Zeit hatte für Demos oder um politisch aktiv zu sein. Das ist jetzt anders. Die Menschen denken viel mehr nach und sind viel aktiver. Ich bin richtig stolz gerade, Mensch zu sein, weil wir endlich füreinander einstehen. Genug ist genug und endlich realisieren wir das. Es fühlt sich auch nicht so an, als wäre das nächste Woche vorbei. Wir beginnen tatsächlich mit Reformen und Umstrukturierung, selbst wenn es erstmal nur im Kopf ist – das ist ein erster Schritt und ich hoffe, wir gehen noch die weiteren. Weg vom Polizeistaat, hin zur sicheren Gemeinde. Es gibt andere Wege, als 911 zu wählen. Wir brauchen neue Strategien.

Wie siehst du die Hardcore-Szene für POC? Sind wir tatsächlich ein Safe Space für alle, was wir uns ja groß auf die Fahne schreiben?
Ich denke, wir müssen an uns arbeiten, wie alle anderen auch. In der Hardcore-Szene hat man vielleicht eine bessere Ausgangsposition, denn die Leute sind ein bisschen offener für Überlegungen, aber das macht uns alle noch nicht fehlerfrei. Ich denke, wir müssen auch hier den Leuten den Freiraum geben, sich zu bessern und zu verändern, und dürfen nicht gleich jeden verurteilen, ohne die Möglichkeit, Reue zu zeigen. Um eine wirklich offene und respektvolle Szene zu sein, müssen wir uns gegenseitig immer weiterbilden, immer nach vorne bringen und einander verbessern – und vor allem den Betroffenen zuhören. Doch sobald man merkt, dass jemand nicht einmal an sich arbeitet – weg damit. Dafür ist bei uns tatsächlich kein Platz.

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It comes in waves
Nach der positiven Resonanz auf ihre außergewöhnliche EP „It Comes In Waves“, die quasi ein dreißigminütiges Lied ist, verändern TAC nun in Zukunft ihren Stil hin zu diesem größeren Experimentieren? „Wir haben die EP ziemlich zeitgleich mit dem neuen Album geschrieben und auch alles direkt hintereinander aufgenommen. Das erschien ja auch auf Close Casket, dem Label eines Freundes. Da war kein Druck, so klingen zu müssen, wie man es von TAC erwartet. Wir haben Spaß an kurzen, kraftvollen Songs, die vor allem live funktionieren – aber wir haben auch Spaß an Stücken, die man nachdenklich in der Dunkelheit hören muss. Wir wollten zeigen, wie vielseitig wir sind. Dass es so gut ankam, freut uns natürlich sehr und beweist uns selbst auch, dass wir tatsächlich zu beidem in der Lage sind. Wir werden sehen, wie sich diese Erkenntnis auf zukünftige Alben auswirkt.“