ANTI-FLAG haben „20/20 Vision“, also perfekte Augen und damit weiterhin die Fähigkeit, die Probleme der USA klar zu erkennen, zu benennen und zu analysieren und daraus schlaue Texte zu eingängiger Musik zu formulieren.
Sie tun damit genau das Gegenteil von ihrem Präsidenten: Sie beweisen Empathie, nehmen die Menschen mit, statt zu trennen und auszugrenzen. So viel Engagement, so viel deutliche Positionierung, das stößt jedoch auch auf Misstrauen, auf Ablehnung, wie ich im Kontext dieses Albums immer wieder feststellen musste: ANTI-FLAG, das „one-trick pony“, die Band, die immer wieder durch politische Songs und Statements „nervt“, ja daraus gar ein Geschäftsmodell gemacht habe und sich mit jedem neuen Album sowieso nur wiederhole.
Nun, das kann man so sehen, wenn man es so sehen will und vielleicht auch musikalisch nicht wirklich was anfangen kann mit der Band, die ihre musikalischen Wurzeln klar benennt, wie aktuell Chris #2 im Ox-Interview: „Unsere musikalischen Einflüsse sind eben THE CLASH und THE JAM, GREEN DAY und DEAD KENNEDYS.
Und die machen und machten ja alle melodiösen Punkrock.“ Auch das von Matt Good (FROM FIRST TO LAST) produzierte „20/20 Vision“ ist da kein Ausreißer, und dass wir im Interview aber nur fünf von 80 Minuten über die Musik gesprochen haben, ist kein Zufall.
Chris #2: „Wir sehen uns als Werkzeug an, um Menschen zu erreichen, die denken wie wir und vielleicht einen Anstoß brauchen, um zu agieren.“ ANTI-FLAG sind aus freien Stück zum Werkzeug des Agit-P(r)op geworden, wie in vielen Gesprächen deutlich wurde, aber eben nicht aus der Hybris heraus, dass sie als Person wichtig seien und damit ihre Positionen, sondern auf dem dringenden Bedürfnis, dass doch jemand (jede*r!) etwas machen müsse gegen all die Scheiße, all den Hass da draußen, für den im Falle der USA anno 2020 eben der permanent ausgrenzende und beleidigende Präsident steht.
„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ könnte man die Motivationslage von ANTI-FLAG also auch 2020 wieder subsummieren und damit aller Kritik entgegentreten mit einem fordernden „Und was machst du, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen?“ ANTI-FLAG „leiden“ also unter einem Helferkomplex und machen doch alles richtig: Ihre Texte sind pures Empowerment für all jene, für die Trumps Hassreden nicht nur Seelenpein, sondern auch existenzielle Bedrohung sind.
Wie immer erläutern sie die Hintergründe ausführlich im Booklet in ergänzenden Essays, was allein schon für das LP- oder CD-Format spricht, und die Musik ist so packend wie immer. Schon nach kurzer Zeit bleiben Songs wie „Hate conquers all“, „It went off like a bomb“, „Christian nationalist“, „Don’t let the bastards get you down“, „Resistance frequencies“ oder „Un-American“ hängen, ist die Hitquote auch diesmal wieder enorm hoch.
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