ANTI-FLAG

Foto© by Jake Stark

Herbst in Amerika

Donald Trump droht mit seinen Atomraketen, um den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un einzuschüchtern. In Charlottesville, Virginia marschieren Neonazis, Ku-Klux-Klan und Mitglieder der sogenannten Alt-Right-Bewegung auf, um den Abriss einer Bürgerkriegsstatue zu verhindern. Eine Gegendemonstrantin wird dabei von einem Auto überfahren und getötet. Jede Menge Futter für eine politisch aktive Punkband wie ANTI-FLAG aus Pittsburgh, Pennsylvania. Deshalb haben sie ihr neues Album mit dem programmatischen Titel „American Fall“ gleich mal dem umstrittenen US-Präsidenten und seinem Gefolge gewidmet, erklären Sänger Chris #2 und Schlagzeuger Pat Thetic im Interview im Aschaffenburger Colos-Saal.

Angeblich bin ich weltweit der erste Journalist, der mit euch über euer neues Album plaudern darf.

Chris: Das ist richtig. Bis jetzt haben wir immer nur verraten, dass es laut sein wird und dass es irgendwann als Album herauskommt. Jetzt rücken wir also zum ersten Mal mit den Einzelheiten heraus, was daran laut ist und was genau herauskommt. Es ist also auch für uns aufregend.

Donald Trump hat angekündigt, dass jeder hart bestraft wird, der eine amerikanische Flagge zerstört. Wie war eure Reaktion darauf?

Chris: Bevor wir wussten, dass Donald Trump ein Gesetz verabschieden will, um Typen zu bestrafen, die US-Flaggen verbrennen oder entweihen, hat er getwittert, dass solche Leute entweder im Gefängnis landen oder ihre amerikanische Staatsbürgerschaft verlieren. Wir wussten nicht, dass so etwas kommt, aber wir hatten schon ein Live-Album aufgenommen. Davon haben wir zehn spezielle Kopien anfertigen lassen, in denen Teile einer verbrannten US-Flagge im transparenten Vinyl verarbeitet sind. So konnte man die Reste deutlich erkennen. Diesen Plan hatten wir schon lange, bevor Donald Trump gewählt wurde. Lange bevor er so grauenhaft nationalistischen Scheiß verzapft hat. Also saßen wir auf diesen Alben und überlegten, wie wir sie veröffentlichen sollen. Dann kam der Tweet von Donald Trump, und wir haben dann beschlossen, diese Platten für einen guten Zweck zu versteigern, zugunsten von Organisationen, die auf Donald Trumps Anti-Amerika-Liste stehen. Bis jetzt haben wir sechs Kopien davon verkauft und jedes Exemplar hat durch die Versteigerung etwa 1.000 Dollar gebracht. Also konnten wir das Ganze in etwas Positives drehen.

Pat: Wir sind keine Hellseher. Aber als es mit Immigration und Flüchtlingen losging und die Menschen sich auf den Weg machten, was zur Zeit des Arabischen Frühlings passierte, wussten wir, dass diese Debatte kommen wird. Und wenn diese Diskussion losgeht, gibt es gleichzeitig einen Aufschwung für die Rechten. Und wenn die Rechten erstarken, gibt es einen Krieg der Kulturen. Wir wussten also, dass das alles kommen wird, und waren gut vorbereitet. Die Statements von Trump und seinem Gefolge haben uns also nicht überrascht.

Chris: In den Geschichtsbüchern können wir nachlesen, wie das alles läuft. Einerseits können wir eine Menge lernen, andererseits müssen wir fürchten, dass sich alles wiederholt. Die Zukunft liegt also in unseren Händen und das stimmt mich optimistisch. Ich glaube an die Menschheit und auch wenn das Pendel mit Donald Trump und all diesen nationalistischen Gruppen in Europa gerade zur rechten Seite ausschlägt, wird es wieder eine Gegenbewegung geben. Wir haben die Möglichkeit, unsere eigene Zukunft zu gestalten, und zwar noch jenseits des liberalen Status quo, den wir unter Barack Obama hatten oder unter Hillary Clinton gehabt hätten.

Seid ihr für die Aktion mit dem Live-Album bestraft worden? Gab es irgendeine Reaktion?

Chris: Es gibt immer die Möglichkeit, dass ANTI-FLAG dafür bestraft werden, was wir machen oder dass wir einfach nur ANTI-FLAG sind. Wenn wir zum Beispiel bei Shows die amerikanische Flagge verkehrt herum als Backdrop aufhängen, gibt es immer wieder Mitarbeiter von Clubs, in denen wir spielen, die sagen, dass sie ein Problem damit haben. Wir hatten einige Shows bei der Warped Tour, bei denen eine Handvoll Leute uns verprügeln wollten, weil wir tun, was wir tun. Bis jetzt gab es von Donald Trump aber noch keine offizielle Strafe für die Aktion. Wir warten aber schon darauf. Wir werden bereit sein, wenn er kommt.

Habt ihr jetzt auch mehr Probleme als je zuvor mit eurem Bandnamen?

Pat: Momentan ist es eine kleine Gruppe, die sich zu Donald Trump hingezogen fühlt. Die große Mehrheit der Amerikaner betrachtet ihn als verrückt. Es sind aber noch nicht genug, um ihn loszuwerden. Aber es gibt genug Menschen, die denken, die Freiheit der Meinungsäußerung ist zu wichtig, um diesen Wert zu opfern. Aber wie wir nach dem 11. September oder nach den Attentaten in Madrid oder London gelernt haben, kann ein Anführer plötzlich Macht gewinnen, selbst wenn er ein „Shithead“ ist. Solche Ereignisse können jederzeit passieren und alles kann sich binnen eines Herzschlags verändern. Wir sind uns all dessen bewusst, aber im Moment fühlen wir uns noch relativ sicher ... bis zum nächsten schlimmen Vorfall.

Chris: Alles, was mit dem Namen, dem Artwork und der Ästhetik von ANTI-FLAG zu tun hat, ist immer ein bisschen kritisch. Wir sind also schon daran gewöhnt, dass die Leute sauer auf uns sind.

Pat: Wenn die Leute nicht sauer sind, haben wir keinen guten Job gemacht, haha. Wenn wir nicht eine Grenze überschreiten in den Augen der weißen Männer, die zu Hause sitzen und sich über uns ärgern, dann haben wir irgendwas nicht richtig gemacht.

Chris: Der schwierigste Moment in der Geschichte von ANTI-FLAG war zweifellos der 12. September 2001, der Tag nach den Anschlägen von 9/11, als jeder eine amerikanische Flagge rausgehängt hat. Leute haben unsere Platten zurückgeschickt. Leute haben uns gesagt, wir sollen unseren Bandnamen ändern, sonst würde uns niemand mehr buchen und kein Laden mehr unsere Tonträger verkaufen. Wir haben diese schwere Stunde aber überlebt und sind unserer Ansicht treu geblieben, dass Nationalismus zu Krieg führt und dass wir Nationalismus bekämpfen müssen, egal was es uns kostet. Und wenn wir das überstanden haben, überstehen wir auch Donald Trump.

Am 12. August sind hunderte Rechtsextreme, Neonazis und Ku-Klux-Klan-Anhänger durch Charlottesville, Virginia marschiert, um gegen den Abriss einer Bürgerkriegsstatue zu demonstrieren. Wie habt ihr diesen Tag erlebt?

Pat: Solche Dinge sind schon oft passiert. Die Rechten marschieren schon seit Jahren. Das war allerdings die größte Demo seit langem. Zum Glück waren Aktivisten vor Ort, um dagegenzuhalten. Das ist natürlich ziemlich abgefuckt, weil es immer mehr Rechte gibt, und es ist abgefuckt, weil es für sie ziemlich ermutigend ist, da sie jetzt wissen, dass die Spitze der Regierung ihre Sache unterstützt. Es ist irgendwie wie der rassistische Onkel. Du wusstest schon immer, dass er merkwürdig ist, und jetzt glaubt er, dass er öffentlich seinen Hass und all seine Engstirnigkeit herausspucken kann, weil Donald Trump auf seiner Seite ist. Er ist aus dem Verborgenen herausgekommen und wir müssen ihn wieder dahin zurückdrängen. Rassisten hat es in den Staaten schon immer gegeben und alle paar Jahre trauen sie sich an die Öffentlichkeit, aber zum Glück ist die Linke da, um diese Leute zu bekämpfen.

Aber hat Charlottesville nicht eine neue Qualität?

Chris: Für mich hat das alles auch mit dem Stand der Technologie zu tun. Dadurch können sich alle organisieren, die für mehr Menschlichkeit kämpfen, aber auch diejenigen, die für Fanatismus und Rassismus stehen. Es gibt gerade einen Sensationshunger nach genau solchen Vorfällen. Die Menschen waren geschockt von den Nazi-Chören, die dort angestimmt wurden, und den Fackeln, die sie getragen haben. Das ist aber so weit entfernt von der Realität. Wenn man das alles genau analysiert, kann man erkennen, wie hauchdünn deren Ignoranz eigentlich ist. Sie haben zum Beispiel diese Bambus-Fackeln verwendet, die ursprünglich aus Polynesien stammen, also von Farbigen entwickelt wurden. Sie hatten keine Ahnung, was dahintersteckt, sondern sind einfach nur in den Supermarkt gegangen und haben sie gekauft. Wenn man dann die Sprechchöre betrachtet, die die gesungen haben: „Heil Trump!“ Sie vermischen dabei die amerikanische und die Nazi-Flagge. Und du fragst dich einfach nur: Welchen History-Channel haben die denn geschaut? Und das geht noch weiter, über das hinaus, was jetzt passiert. Viele von diesen Deppen wurden durch Bilder im Internet geoutet und als Nazis entlarvt. Aktivisten haben ihre Fotos hochgeladen, ihre Namen dazuschrieben und deren Arbeitgeber informiert. Und viele wurde deshalb jetzt gefeuert. Und einige von diesen Typen haben Interviews gegeben und sind dabei in Tränen ausgebrochen: „Mein Leben ist ruiniert, jeder hasst mich jetzt! Diese Leute verurteilen mich, ohne mich jemals getroffen zu haben!“ Und ich dachte mir: Wie kann dieser Motherfucker nur so naiv sein? Diese Typen sind so weit von der Realität entfernt. Viele von diesen Jungs sind einfach nur Highschool-Deppen, die sich keine Gedanken über die Folgen ihre Handelns machen. Weiße, privilegierte Jungs, die noch nie einen Moment im Leben hatten, der vergleichbar wäre mit dem Leben eines Schwulen, einer Transgender-Person oder eines Afroamerikaners. Sie glauben also, sie sind die Arschloch-Football-Stars in Lederjacken, die andere herumschubsen können. Aber sie lernen gerade, dass ihr Handeln Folgen hat. Wir alle wollen in einer Welt ohne Rassismus leben. Aber leider gibt es Rassismus, deshalb muss man ihn dingfest machen, mit dem Finger auf ihn zeigen und „Fuck you!“ schreien.

Ein paar Tage nach Charlottesville habt ihr den Song „Racists“ veröffentlicht. Eigentlich war „American attraction“ als erste Single vom neuen Album geplant. War das eine spontane Reaktion?

Chris: Ja. „American attraction“ sollte am Freitag herauskommen und wir haben beschlossen, „Racists“ vorzuziehen. Das Coole ist: Wir sind die Band und machen uns keinen Kopf darüber, dass wir möglichst viele Platten verkaufen oder der Marketingplan aufgeht. Also ganz gleich, ob unser Label oder unsere Manager sauer auf uns sind, haben wir den Song rausgebracht. Ohne die Möglichkeiten des Internets hätten wir diese Option vor zehn Jahren nicht gehabt. So konnten wir den Song an einem Mittwoch einfach so veröffentlichen und auf Anhieb haben das Video binnen einer Woche 80.000 Menschen gesehen. Das gibt uns das Gefühl, nicht allein zu sein.

Pat: Natürlich ist es toll für uns, einen Song zu veröffentlichen. Aber dieser Song zeigt auch, dass es eine Menge Leute da draußen gibt, die wie wir der Meinung sind, dass all diese Rassisten verrückte Arschlöcher sind, mit denen wir nichts zu tun haben wollen.

Für wie gefährlich haltet ihr diese Gruppe von Rassisten und Nationalisten in Amerika?

Pat: Diese Bewegung muss unbedingt etwas entgegengesetzt werden, sonst bekommen sie immer mehr Anhänger, wachsen immer weiter und werden langsam zum Krebsgeschwür. Momentan ist es noch eine kleine Gruppe, aber sie haben Zugang zu vielen Medien und die lassen etwas immer größer erscheinen, als es wirklich ist. Wie müssen also wachsam sein und laut sagen: Wir akzeptieren das nicht und bekämpfen euch!

Chris: Wir versuchen immer die wahre Temperatur von solchen Situationen zu erfühlen. Deshalb tun wir solche Sachen, wie den Release-Plan unserer Plattenfirma sprengen, um den Leuten zu vermitteln, dass wir solidarisch mit den Gegendemonstranten sind. Ich möchte glauben, dass es nur eine kleine Fraktion ist, ich möchte glauben, dass es nur dadurch so groß erscheint, weil wir Informationen inzwischen so schnell teilen können. Aber gleichzeitig müssen wir es behandeln wie eine ernsthafte Bedrohung.

In Deutschland haben wir ja auch jede Menge Probleme mit Neonazis und Rassisten. Am schlimmsten finde ich aktuell die Aktion im Mittelmeer, wo Neonazis ein Schiff gechartert haben und Hilfsorganisationen davon abhalten wollen, Bootsflüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten.

Chris: Zum Glück haben diese Typen ihr Ziel nicht erreicht. Wir haben ein paar Freunde in Deutschland, mit denen wir uns regelmäßig austauschen. Einer von ihnen engagiert sich stark für antifaschistische Arbeit. Ein anderer ist ein Künstler, der sich überhaupt nicht dafür interessiert. Seine Einstellung ist, wenn man die absolute Zahl der Rassisten oder Nazi-Sympathisanten in Deutschland betrachtet, ist sie so verschwindend gering, dass man seine Energie lieber für andere Länder wie Italien oder Spanien verwenden sollte. Die Leute in Deutschland wären durch die Beschäftigung mit dem Dritten Reich so wachsam, ganz anders als in Amerika. Wir sprechen in der Schule über Thanksgiving, die Pilgerväter und die Indianer, als ob die zusammen Spaß gehabt hätten. Das Blutbad, das der Gründung von Amerika vorausging, oder auch die Sklaverei werden kaum angesprochen. Ich weiß nicht, wer von meinen Freunden recht hat, was besser ist: Immer weiter zu kämpfen, bis es keinen einzigen Nazi mehr gibt, oder diesen Typen einfach keine Plattform zu geben, weil ihre Zahl so unbedeutend klein ist. Dasselbe könnte man zu diesen Idioten in Amerika sagen.

Gibt es eine gemeinsame Aktion der US-Punk-Szene gegen Donald Trump? So wie Punkvoter damals, gegen George W. Bush?

Chris: Es gibt jede Menge Bands und Platten, die sich mit der Ignoranz im Weißen Haus beschäftigen. Egal ob es das neue Album von ANTI-FLAG oder DOWNTOWN BOYS ist, viele Bands sehen es als Herausforderung, was aus Washington kommt. Es mag noch eine Weile dauern, bis wir uns organisiert haben, aber wir nähern uns dem Tag, an dem eine Million Leute zum Weißen Haus marschiert und nicht eher weggeht, bis dieses Arschloch verschwunden ist. Denn das, was dort abgeht, ist wahnsinnig. Wir unterhalten uns pausenlos über Spaltung und Hass in Amerika, anstatt darüber zu sprechen, was er wirklich unternimmt, um die Kassen der Unternehmen zu füllen, die unser Land momentan regieren. Wir müssen einen Weg finden, uns unser Land zurückzuerobern. Das ist der Status quo gerade. Ich habe gerade keine andere Lösung. Wir müssen weiter gemeinsam unsere Songs singen, wir müssen uns organisieren. Und meine Hoffnung ist, dass er richtig Scheiße baut, so dass sich die Sache irgendwann von allein erledigt.

Trumps ultrarechter Berater Steve Bannon wurde schon entlassen. Gibt es eine echte Chance, Trump selbst irgendwie loszuwerden?

Pat: Eine Chance wäre es, wenn sie herausfinden, dass es eine Verbindung zwischen ihm und den Russen gibt. Oder wenn seine Steuererklärung beweist, dass er ein paar wirklich illegale Dinger gedreht hat. Oder wenn Millionen von Leuten auf der Straße so großen Druck auf ihn ausüben, dass die Republikaner ihm die Unterstützung entziehen und er zurücktreten muss. Das wird aber alles noch eine Weile dauern, wenn es denn jemals passiert. Wir können alle nur hoffen, dass es so kommt.

Chris: Es ist so einfach, diese Typen für dumme Idioten zu halten. Ich glaube, diese Motherfucker haben einen Plan und dieses ganze Chaos ist Teil ihres Plans. Donald Trump hat offen darüber gesprochen, dass er keine gut funktionierende Verwaltung haben möchte. Denn dann könnten sie sich gegen ihn verbünden. Die Spaltung im Weißen Haus macht ihn also zum mächtigsten Mann dort. Ich glaube, Steve Bannon ist viel schlauer, als viele denken. Nach seiner Entlassung ist er zurück zu Breitbart und kann wieder Steine aufs Weiße Haus werfen. So kann er die Alt Right-Bewegung nach dem Charlottesville-Desaster mit neuer Energie versorgen. Es läuft also alles nach Plan für sie.

Lasst uns mal über eure Pläne reden. Gibt es eine Verbindung zwischen dem neuen Album „American Fall“ und dem letzten Album „American Spring“?

Chris: Natürlich. „American Spring“ war eine Reaktion auf den „Arab Spring“, den Arabischen Frühling. Für uns zählte dabei, trotz aller Fehler, die dort gemacht wurden, dieser Moment des Optimismus. Dieser Wendepunkt in der Geschichte wirkte auf uns sehr poetisch und schön. Und daraus wurde diese Platte. Wenn man jetzt zum heutigen Tag vorspult, kommt man zu dieser Haltung voller Zynismus, die gerade aus Amerika kommt. Wir haben also versucht, ein paar Verbindungen in Text, Sound und Artwork zu knüpfen. „American Fall“ ist definitiv eine Schwester von „American Spring“. Sowohl was die Ideologie, aber auch was das Konzept betrifft.

Ihr habt euch entschieden, mit Benji Madden von GOOD CHARLOTTE als Co-Producer zu arbeiten. Warum habt ihr ihn ins Boot geholt?

Chris: Er und sein Bruder Joel haben eine Managementfirma namens MDDN, die uns schon lange vertritt. Und in ihrem Büro in Los Angeles haben sie drei Studios integriert. Vergleichbar mit dem Komplex, den wir in Pittsburgh errichtet haben mit A-F-Records, unserem Studio und den Bands unseres Labels, die dort aufnehmen. Nur ist deren Komplex natürlich viel größer. Ein Art Maxi-Westküsten-Version von uns. Wir hatten dort die Möglichkeit, die Platte ohne Zeitdruck aufzunehmen. Anfangs ist Benji hin und wieder ins Studio gekommen und hat sich ein paar Songs angehört. Und nachdem er ein paar Ideen eingebracht hatte, sagten wir: Lasst uns doch das Kind beim Namen nennen, du bist unser Co-Producer! Er hat auch wirklich coole Arbeit geleistet. Es gibt ein paar Momente auf der Platte, in denen seine Handschrift deutlich zu lesen ist. Es ist das erste Mal in der Geschichte von ANTI-FLAG, dass jemand aus dem Management sich auch mit Musik auskennt. Das sind normalerweise Businesstypen in Anzügen, die sehr gut organisiert sind. Einen Typen zu haben, der selbst in einer Band war, ähnliche Schwierigkeiten durchlebt und Platten in den Sand gesetzt hat, ist wirklich ein Gewinn für uns.

Ist Benji einer der Gründe, warum ANTI-FLAG 2017 catchier klingen als je zuvor?

Chris: Bei all dem Zynismus, der Apathie und der Negativität, die das Jahr 2017 mit sich brachte, wollten wir nicht in die Falle tappen und eine dunkle, depressive Platte machen. Wir wollten ganz bewusst eingängige Songs machen, um mit Optimismus und Hoffnung zurückzuschlagen. Das wird den Leuten vielleicht nicht gefallen, die sich über unsere trashig klingenden Punkrock-Platten freuen. Als wir gerade erst angefangen hatten, haben wir mal Billy Bragg getroffen, wir haben ihm eine Platte in die Hand gedrückt und mit ihm darüber gesprochen, wie es ist, eine Punkrock-Band zu haben. Und Billy Bragg sagte: „Mit Honig könnt ihr noch mehr Fliegen fangen!“ Wenn wir also unsere Botschaft in einen guten Song verpacken, wird sie viel mehr Leute erreichen, als wenn wir einen Schrottsong mit einer großartigen Message haben. Für „American Fall“ haben wir mehr als dreißig Songs geschrieben und mit dem Pop-Gespür von Benji und dem absoluten Willen, ein positiv klingendes Album abzuliefern, haben wir uns für diese elf Stücke entschieden.

Bemerkenswert ist auch das Artwork: ein Totenkopf geformt aus Geldbündeln, die im Oval Office liegen. Was ist das für ein Foto?

Chris: Pat kennt über ein paar Ecken den Künstler Noah Scalin, der diese faszinierenden Installationen macht. Sie basieren alle auf Totenköpfen. Er hat zum Beispiel eine Installation in einer Bücherei aus Handelsmarken zusammengefügt. Wenn man direkt draufschaut, sieht es aus wie ein Totenkopf, wenn man sich aber bewegt, sieht man, wie die Elemente über den Fußboden verteilt sind. Diese einzigartige Perspektive ist also nur aus einem Winkel zu erkennen. Wir haben unseren Künstlerfreund Doug Dean aus Pittsburgh, der das Cover zu „American Spring“ gestaltet hat, mit Noah Scalin kurzgeschlossen. Und ich denke, diese Zusammenarbeit hat wirklich ein wundervolles Ergebnis gebracht. Viele Menschen machen sich ja nichts mehr aus physischen Tonträgern. Aber weil wir alte Säcke sind, ist uns das noch wichtig. Im Booklet gibt es Essays zu jedem einzelnen Song, die uns eine Menge Zeit gekostet haben. Es ist uns aber wichtig, weil wir glauben, dass die volle Ungerechtigkeit mit einem Drei-Minuten-Punkrock-Song nicht darstellbar ist. Man braucht einfach mehr Informationen. Unser Ziel ist immer, dass unsere Fans durch unsere Platten auch etwas lernen.

Wie wird das nächste ANTI-FLAG heißen? Ich hätte zwei Vorschläge „American Summer“ oder „Nuclear Winter“ ...

Chris: Hoffentlich wird es nicht „Nuclear Winter“. Aber es sieht wirklich nicht so gut aus in diesen Tagen. Vielleicht machen wir ein Foto von uns vier aufs Cover und nennen das Album „American Assholes“. Ich würde nämlich am liebsten über Fun-Punk-Themen singen und wie NOFX klingen. Und all die Scheiße, über die wir geredet haben, wäre vorbei. Donald Trump wäre verschwunden. Sozialismus würde perfekt funktionieren und die Menschen würden lächelnd Cola trinken. Aber zweifellos ist das eine Illusion. Irgendwo wird es immer Ungerechtigkeit geben und wir werden gezwungen sein, der nächsten coolen jungen Band zuzuhören, die es viel besser macht, als wir es können.