Zu Beginn war da Misstrauen. Und das war gut so. Wenn sich eine Band, die wie keine andere für Punkrock aus und in Deutschland steht, nach eineinhalb Jahrzehnten wieder zusammentut, und das ohne den Mann (Stephan Mahler), der für ihre textliche Überlegenheit steht, dann ist Vorsicht angebracht.
Immer wieder ist man schließlich von Reunions enttäuscht worden, die keiner brauchte, die von keinem anderen Gefühl als Nostalgie und finanziellen Interessen angetrieben waren. Auch bei SLIME bestand diese Gefahr, war ich misstrauisch und zu Beginn nicht wirklich begeistert, auch wegen als schwach empfundener Konzerte.
Und dann auch noch die Ankündigung eines neues Albums – ohne den textstarken Mahler, mit neuem Schlagzeuger Alex und neuer Bassistin Nici. Aber gut, Vorbehalte sind das eine, die Chance, sich zu bewähren, muss man aber einräumen, und Anfang 2012 sickerte dann durch, SLIME hätten die Textproblematik gelöst, indem sie Texte des 1934 von den Nazis ermordeten anarchistischen Querdenkers Erich Mühsam vertonten.
Schwer vorzustellen, ich hatte zuerst „Taubenvergiften“ von DIE KASSIERER im Kopf, auf dem sie die Lieder von Georg Kreisler nachspielen. Doch bald darauf werden meine Bedenken von People Like You-Boss Tobbe nachts in seinem Auto vor einem Ruhrgebietsclub entkräftet, drei Songs darf ich hören, bin erleichtert und begeistert: musikalisch hatten SLIME live zumindest bewiesen, dass sie gut eingespielt sind, und im Studio harmonierte das offensichtlich auch.
So knüpfen die Hamburger nun an ihr Abschiedswerk „Schweineherbst“ (1994) an. Schon der Opener „Sich fügen heißt lügen“ ist ein klares, wütendes Signal, knallen Mühsams nur leicht adaptierte Textzeilen wie die Faust aufs Auge, „Rebellen“ legt direkt nach, „Wir geben nicht nach“ ist ein trotziges Fanal, dessen Aussage heute nicht weniger richtig ist als vor 90, 100 Jahren.
Oder „Bürgers Alptraum“: Man könnte meinen, Mühsam hätte sich damals schon über Sarrazins Wohlstandsbürger-Angstfantasien lustig gemacht. Gute Texte, gute Musik – das ist nur die halbe Miete, aber auch die andere Hälfte stimmt: Dirk „Dicken“ Jora schafft es, sich Mühsams Texte so anzueignen, sie so inbrünstig wiederzugeben, dass die stellenweise zwar wegen Wortwahl und Formulierung etwas altmodisch wirken, das aber nie negativ auffällt oder man gar das Gefühl hat, hier würde sich jemand mit fremden Federn schmücken.
Ich bin mir sicher, bei den nächsten SLIME-Konzerten werden Stücke wie der Titelsong oder „Revoluzzer“ ganz schnell als ureigenes Material wahrgenommen werden, sich bestens ins Gesamtwerk einfügen.
Für mich haben SLIME mit „Sich fügen heißt lügen“ eines der besten und wichtigsten deutschsprachigen Punkrock-Alben der letzten Jahre gemacht, den Meckerern den Wind aus den Segeln genommen, sich ihrem Legendenstatus gestellt und sich dabei gut geschlagen.
Trotzdem: Nicht jedem wird das Album gefallen, aber ich bin mir sicher, rückblickend wird man es als neuen Klassiker zu würdigen wissen. (Diese Band war auf der Ox-CD #102 zu hören)
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